Spruch:
Verträge vollkommen handlungsunfähiger Personen sind absolut nichtig und auch nicht genehmigungsfähig. Doch kann die Geltendmachung der Nichtigkeit unter Umständen sittenwidrig sein
Entscheidung vom 15. Dezember 1965, 6 Ob 322/65
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz
Text
Die Zweitklägerin (Ehefrau des Erstklägers) ist die außereheliche Mutter der am 25. September 1914 geborenen Beklagten. Die Beklagte, Maria R. (in der Folge verehelichte J.), die im Jahre 1939 das Gehör verloren hat und seither vollkommen taub ist, war mit Beschluß des damaligen Amtsgerichtes G. vom 3. Juli 1940 wegen Geisteskrankheit voll entmundigt wurden. Der Beschluß war am 13. Juli 1940 der zum Zustellkurator bestellten Zweitklägerin zugestellt worden. Von einer Zustellung des Beschlusses an die Entmundigte persönlich war mit der Begründung Abstand genommen worden, daß dies gemäß dem Sachverständigengutachten für die Entmundigte schädlich und auch zwecklos wäre. Mit Beschluß vom 2. August 1940 war die Zweitklägerin vom Amtsgericht G. zum Kurator der Beklagten bestellt worden. Die Entmündigung wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß des Bezirksgerichtes G. vom 11. Dezember 1962 aufgehoben. Auf Antrag der Beklagten vom 21. Februar 1963 wurde der seinerzeitige Entmündigungsbeschluß zu Handen ihres Anwaltes am 26. Februar 1963 zugestellt. Ein am 11. März 1963 erhobener Rekurs der Beklagten gegen den seinerzeitigen Entmündigungsbeschluß wurde vom Rekursgericht zurückgewiesen. Der Zurückweisungsbeschluß wurde vom Obersten Gerichtshof bestätigt.
Gemäß dem Notariatsakt vom 28. Juli 1960 haben die beiden Kläger mit der Beklagten einen Übergabsvertrag geschlossen, wonach die Kläger die ihnen je zur Hälfte gehörige Liegenschaft EZ. 41 des Grundbuchs über die Katastralgemeinde T. im Ausmaß von rund 2 ha 84 a der Beklagten gegen Übernahme einer Darlehensschuld und Leistung eines Ausgedinges übergaben. Die bücherliche Durchführung des Vertrages ist erfolgt. Der Notariatsakt ist von den Übergebern Johann und Anna K. und von der Übernehmerin Maria J. sowie den beigezogenen "Aktszeugen" unterfertigt. Im Notariatsakt heißt es, die Parteien seien nach ihrer Angabe volljährig und eigenberechtigt. Maria J. sei taub, jedoch des Schreibens und Lesens kundig. Eine Bezugnahme auf die damals noch bestandene volle Entmündigung der Maria J. enthält der Notariatsakt nicht. In der Folge klagten die Übergeber die Beklagte - ohne Hinweis auf die damals noch aufrechte volle Entmündigung - auf Zuhaltung einzelner Leistungen aus dem Übergabsvertrag. Sie erwirkten vom Bezirksgericht St. das Versäumungsurteil vom 25. Jänner 1962, wonach die Beklagte schuldig erkannt wurde, den Übergebern vier Raummeter trockenes ofenfertiges Brennholz im Hause T. 41 binnen 14 Tagen zur Verfügung zu stellen. In ihrer am 19. Februar 1962 beim Bezirksgericht S. erhobenen Klage wurde behauptet, die Übernehmerin sei seit Ende November 1961 nicht mehr auf der Übergabsliegenschaft gewesen und habe sich in Verletzung der vertraglich übernommenen Verpflichtung zur entsprechenden Betreuung der Übergeber um diese nicht gekümmert. Die Kläger begehrten die Verurteilung der Beklagten zur "Betreuung der Übergeber in jeder Hinsicht im Sinne des Notariatsaktes vom 28. Juli 1960 oder Stellung einer entsprechenden Ersatzperson hiefür nach Wahl der Übergeber". Diese Klage wurde am 14. Februar 1963 unter Anspruchsverzicht zurückgezogen.
Mit der vorliegenden, am 8. Jänner 1963 überreichten (am 7. Jänner zur Post gegebenen) Klage begehren die Kläger 1. die Nichtigerklärung des erwähnten Notariatsaktes und 2. die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe der Erklärung, daß sie "in die Einverleibung der Löschung des Eigentumsrechtes für Maria J., geborene R., in EZ. 41, Katastralgemeinde T., einwilligt". Sie führten dazu im wesentlichen aus, als einfache Landwirte, seien sie nicht in der Lage gewesen, die rechtliche Bedeutung einer Entmündigung zu erfassen. Sie hätten bei Errichtung des Notariatsaktes gar nicht mehr daran gedacht, daß die Beklagte im Jahre 1940 entmundigt worden sei.
Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Ihr sei von einer Entmündigung bis zum Herbst 1962 nie etwas bekannt gewesen. Sie sei auch in Wahrheit nie geisteskrank gewesen. Die Zweitklägerin habe es pflichtwidrig unterlassen, gegen die Entmündigung Rechtsmittel zu ergreifen, obwohl sie genau gewußt habe, daß die Beklagte nicht geisteskrank sei. Die Kläger selbst hätten den Notariatsakt als rechtsgültig angesehen und aus ihm rückständige Leistungen eingeklagt. Die Zweitklägerin habe durch die Unterfertigung des Vertrages auch rechtswirksam in ihrer Eigenschaft als Kuratorin der Beklagten gehandelt. Überdies wurde Sittenwidrigkeit des Klagebegehrens eingewendet.
Mit dem Ersturteil wurde dem Klagebegehren stattgegeben. Davon, daß bei Vertragsabschluß die Zweitklägerin etwa als Kuratorin der Beklagten gehandelt hätte, könne nicht die Rede sein. Gemäß § 865 ABGB. sei die Beklagte als damals voll Entmundigte unfähig gewesen, ein Versprechen zu machen oder anzunehmen. Der Vertrag sei absolut nichtig. Die Nichtigkeit könne auch nicht nachträglich durch eine Genehmigung der wieder handlungsfähig gewordenen Beklagten saniert werden.
Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung der Beklagten das Ersturteil in der Hauptsache mit der Maßgabe, daß es im Punkt 2. statt "in die Einverleibung der Löschung ...", "in die Löschung ...", lauten solle und sprach (§ 500 (2) ZPO.) die Zulässigkeit der Revision aus. Das Berufungsgericht befand Verfahrensmängel oder Feststellungsmängel nicht vorliegend. Aus rechtlichen Erwägungen liege Spruchreife vor. Ein voll Entmundigter sei vollkommen handlungsunfähig, und zwar bis zur Aufhebung der vollen Entmündigung. Die Tatsache der vollen Entmündigung wegen Geisteskrankheit mache ohne Rücksicht darauf, ob die Geisteskrankheit wirklich bestehe bzw. noch weiter bestehe, unbedingt geschäftsunfähig. Ein Gegenbeweis sei nicht zulässig. Ein voll Entmundigter sei insbesondere unfähig, durch eigene Handlungen Rechte zu erwerben oder Verpflichtungen zu übernehmen (§ 865 ABGB.). Er selbst könne also kein Rechtsgeschäft abschließen. Der Mangel der Handlungsfähigkeit auf Seiten des voll Entmundigten habe zur Folge, daß von ihm abgeschlossene Verträge absolut nichtig und nicht genehmigungsfähig seien. Sei aber ein Vertrag absolut nichtig, sei jeder Kontrahent berechtigt, die Nichtigkeit geltend zu machen und die Wiederherstellung des Standes vor Vertragsabschluß zu begehren. Die Beklagte sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses rechtskräftig voll entmundigt gewesen. Sie habe den Vertrag im eigenen Namen abgeschlossen und sei nicht etwa durch ihren Kurator vertreten gewesen, andererseits die Beklagte gewesen. Aus der Tatsache, daß die Zweitklägerin in der Absicht handelte, mit der Beklagten den Übergabsvertrag zu schließen, könne nicht abgeleitet werden, daß sie bei der Transaktion auch in ihrer Eigenschaft als Kuratorin der Beklagten aufgetreten sei und dem Vertrag in dieser Eigenschaft zugestimmt habe, ganz abgesehen davon, daß auf Seiten der Zweitklägerin überhaupt eine Interessenkollision vorgelegen und die Bestellung eines Kollisionskurators für die Beklagte erforderlich gewesen wäre. Die Tatsache der vollen Entmündigung der Beklagten bei Errichtung des Übergabsvertrages sei völlig unberücksichtigt geblieben. Dabei sei es rechtlich unerheblich, ob diese Tatsache von der Zweitklägerin bewußt verschwiegen wurde oder von den Beteiligten bloß übersehen worden sei. Was schließlich den hinsichtlich der Zweitklägerin erhobenen Einwand der Sittenwidrigkeit des Klagebegehrens anlange, so treffe es zwar zu, daß die Zweitklägerin die gegebene Rechtslage selbst herbeiführte, zweieinhalb Jahre hindurch auf Erfüllung des Übergabsvertrages bestand und nunmehr den Widerstreit zwischen der formalen und der materiellen Rechtslage ausnütze, um die Rückgabe der Liegenschaft zu erreichen. Doch wirke § 865 ABGB. erster Satz absolut. Das Rechtsgeschäft sei damals wegen Mangels des Willens der nicht vertretenen Beklagten nichtigerweise abgeschlossen worden. Es sei von Anfang an nichtig. Das nachträgliche Verhalten der Zweitklägerin sei daher ohne rechtliche Bedeutung, so daß der Einwand der Sittenwidrigkeit des Klagebegehrens schon unter diesem Gesichtspunkt danebengehe. Obwohl eine nachträgliche Sanierung der absoluten Nichtigkeit nicht möglich gewesen sei, habe es allenfalls nach Aufhebung der vollen Entmündigung zu einem neuen Vertragsabschluß dadurch schlüssig kommen können, daß die Vertragspartner weiterhin zum seinerzeitigen Vertragsinhalt stehen und beiderseits die bedungenen Leistungen und Gegenleistungen erbringen, Prozeßbehauptungen in dieser Richtung seien aber nicht, aufgestellt worden. Auch liege zwischen Aufhebung der vollen Entmündigung (11. Dezember 1962) und der vorliegenden Klagseinbringung (8. Jänner 1963) ein Zeitraum von bloß knapp vier Wochen, innerhalb dessen keine ausreichenden Willenserklärungen in dem hier in Betracht kommenden Zusammenhang hervorgekommen seien. Die Nichtigkeit des Vertrages mache die auf Grund des Vertrages erfolgte Eintragung im Grundbuch rechtswidrig. Gemäß § 61 GBG. sei das Begehren, sie zu löschen, begrundet. Allerdings erweise sich als notwendig, zur Verdeutlichung des Spruches aus Punkt 2 des Urteilsspruches des Ersturteils die Worte "... Einverleibung der ..." zu eliminieren, weil nach der gegebenen Sach- und Rechtslage nur die "Löschung der Einverleibung des Eigentumsrechtes der Beklagten", nicht aber die "Einverleibung der Löschung des Eigentumsrechtes der Beklagten" in Frage kommen könne, da es sich nicht um das Erlöschen des Eigentumsrechtes der Beklagten, sondern um die Löschung der Eintragung handle.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und wies die Klage ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge ist im Ergebnis begrundet.
Sie erweist sich zwar als verfehlt, soweit ins Treffen geführt wird, die Beklagte sei, seinerzeit zu Unrecht voll entmundigt worden. Die Beklagte war mit Beschluß des Amtsgerichtes G. vom 3. 7. 1940 wegen Geisteskrankheit voll entmundigt worden. Dieser Beschluß ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner in der betreffenden Entmündigungssache ergangenen Entscheidung vom 12. Juli 1963 eingehend dargelegt hat, mit der am 13. Juli 1940 erfolgten Zustellung an den Zustellkurator in Rechtskraft erwachsen und es sind damit auch allenfalls im Entmündigungsverfahren unterlaufene Verfahrensmängel nicht mehr aufgreifbar. Eine Überprüfung in der Richtung, ob etwa die rechtlichen Voraussetzungen für eine volle Entmündigung der Beklagten im Zeitpunkt der Beschlußfassung vom 3. Juli 1940 gar nicht vorgelegen sind, kann im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr vorgenommen werden. Es muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß die Beklagte mit Rechtskraft des Beschlusses vom 3. Juli 1940 voll entmundigt war und daß dieser Zustand bis zur Aufhebung der Entmündigung angedauert hat. Gemäß § 3 EntmO. ist die Beklagte, solange sie voll entmundigt war, hinsichtlich ihrer Handlungsfähigkeit einem Kinde vor vollendetem siebentem Lebensjahr gleichgestanden. Dies aber führt nach der Vorschrift des § 865 ABGB. erster Satz dazu, daß die Beklagte während des aufrechten Bestandes ihrer vollen Entmündigung - also bis zu deren rechtskräftigen Aufhebung - unfähig war, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen. Im Zeitpunkt der Errichtung des Notariatsaktes vom 28. Juli 1960 war die Beklagte jedenfalls voll entmundigt. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß ihr damals etwa die Tatsache ihrer Entmündigung noch gar nicht bekannt war. Maßgebend ist die objektive Rechtslage. Im Notariatsakt wurde nach dem Vorbringen aller Vertragsparteien festgehalten, daß sie volljährig und eigenberechtigt seien. Da die Zweitklägerin bei diesem Anlaß nichts von einer vollen Entmündigung der Beklagten erwähnte, desgleichen nichts von ihrer Bestellung, zum Kurator der Beklagten, kann aus den darin zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichtes kein Zweifel darüber bestehen, daß die beiden Kläger als Übergeber der Beklagten als Übernehmerin als Vertragspartner gegenüberstanden und nicht die Rede davon sein kann, daß die Zweitklägerin bei dieser Transaktion überhaupt irgendwelche Handlungen als Kuratorin der Beklagten gesetzt hätte noch infolge der vorliegenden Interessenkollision hätte überhaupt rite setzen können. Die diesbezüglichen rechtlichen Konstruktionen der beklagten Partei sind abwegig. Die vollkommen handlungsunfähige Beklagte handelt selbständig. Verträge vollkommen handlungsfähiger Personen sind ohne Rücksicht auf ihren Inhalt absolut nichtig und nicht genehmigungsfähig (Gschnitzer in Klang[2], IV 88). Es liegt jedenfalls absolute Nichtigkeit des Vertrages vom 28. Juli 1960 vor. Die Nichtigkeit kann auch nicht heilen, wenn der wieder handlungsfähig Gewordene etwa selbst genehmigt (Gschnitzer wie oben; GlUNF. 6587; Rspr. 1931, Nr. 26). Es muß daher davon ausgegangen werden, daß der in der Folge verbücherte Vertrag absolut nichtig ist und seine Verbücherung rechtswidrig erfolgte. Auch kann keine Rede davon sein, daß etwa nach Aufhebung der Entmündigung durch schlüssige Handlungen ein neuer, dem absolut nichtigen Notariatsakt inhaltlich gleicher Vertrag zustandegekommen wäre. In diesem Zusammenhang kommt bloß der Zeitraum zwischen rechtskräftiger Aufhebung der vollen Entmündigung und Einbringung der vorliegenden Klage in Betracht. Erst mit der Aufhebung der vollen Entmündigung war die Beklagte wieder imstande, vollhandlungs- und geschäftsfähig einen Vertrag abzuschließen. Der zur Verfügung stehende Zeitraum macht etwa vier Wochen aus. Irgendwelche Behauptungen über Handlungen, die in diesem Zusammenhang als schlüssige Handlungen in Betracht kommen könnten, sind nicht aufgestellt worden. Die Revision beschränkt sich in diesem Zusammenhang auch darauf, darzulegen, daß die im Zeitpunkt der Aufhebung der Entmündigung die beim Bezirksgericht S. anhängige Klage der Kläger gegen die Beklagte auf Leistungen aus dem Übergabsvertrag erst am 14. Februar 1963 zurückgezogen worden sei. Damit ist aber für die Beklagte nichts gewonnen, denn die Kläger haben jedenfalls bereits mit der gegenständlichen Klage, die am 7. Jänner 1963 zur Post gegeben wurde, mit hinreichender Klarheit zu erkennen gegeben, daß sie den Zustand wieder hergestellt haben wollen, wie er vor der Errichtung des Notariatsaktes bestand.
Doch kann der Rechtsrüge unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit des Klagebegehrens die Berechtigung nicht abgesprochen werden.
Die Beklagte hat nicht etwa, wie das Berufungsgericht abweichend von der Sachverhaltsdarstellung im Ersturteil vermeint, den Einwand der Sittenwidrigkeit des Klagebegehrens nur hinsichtlich der Zweitklägerin erhoben. Es mag zwar zutreffen, daß dieser Einwand in der Klagebeantwortung ausdrücklich nur in Ansehung der Zweitklägerin vorgenommen wurde. Doch kann nach dem inhaltlichen Zusammenhang der Ausführungen der auch in der mündlichen Streitverhandlung vom 14. März 1963 vorgetragenen Klagebeantwortung kein Zweifel darüber bestehen, daß die Beklagte die Einwendung der Sittenwidrigkeit des Klagebegehrens nicht bloß auf die Zweitklägerin beschränken, sondern vielmehr davon das gesamte Klagebegehren beider Kläger betroffen haben wollte. Diesen Einwand aber hat die Beklagte mit Fug und Recht erhoben. Nach Lehre und Rechtsprechung ist unter Sittenwidrigkeit das zu verstehen, was nicht einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz, aber einen offenbaren Verstoß gegen oberste Rechtsgrundsätze darstellt; was also nicht gesetz-, aber grob rechtswidrig ist. Die "Gute-Sitte-Klausel" soll den Richter instandsetzen, bei einem dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, das ist aller billig und gerecht Denkenden, widersprechenden Handeln helfend einzugreifen (Gschnitzer in Klang[2] IV 181 f, zu § 879 ABGB.; SZ. XXVII 19 = JBl. 1954, S. 436, JBl. 1956, S. 150, 6 Ob 235/64 u. a.).
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Zweitklägerin, die jedenfalls seinerzeit bei der Antragstellung auf Entmündigung der Beklagten beteiligt, zum Zustellkurator und schließlich zum Kurator der Beklagten bestellt worden war, tatsächlich alle diese Umstände in der Folge außer Evidenz gekommen sind. Selbst wenn man in Anbetracht ihrer jahrzehntelangen Interesselosigkeit für ihre Pflichten als Kuratorin ihrer voll entmundigten Tochter annimmt, ihr sei bei Errichtung des nunmehr angefochtenen Notariatsaktes die Tatsache der noch bestehenden vollen Entmündigung der Beklagten und die eigene Eigenschaft als Kuratorin der Beklagten nicht bewußt gewesen, so war ihr - und auch dem Erstkläger - nach der Aktenlage - insbesondere auch nach dem Klagsvorbringen - vor Erhebung der vorliegenden Klage der tatsächliche Sachverhalt bekannt geworden. Der Zweitklägerin war auch - wie gleichfalls aus dem Klagsvorbringen hervorgeht - nunmehr völlig klar geworden, daß die Beklagte als voll Entmundigte den Vertrag wirksam nicht abschließen konnte. Kaum war ihr diese Erkenntnis vermittelt, benützte sie die sich nunmehr ergebende ausschließlich durch ihr eigenes Verhalten herbeigeführte Rechtslage dazu, den nur von ihr provozierten Widerstreit zwischen formeller und materieller Rechtslage für eine Behebung des bereits längst effektuierten Übergabsvertrages zu benützen. Dieses Verhalten der pflichtvergessenen Kuratorin gegenüber ihrer ehemaligen Kurandin, die noch dazu ihre Tochter ist, kann mit dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft nicht in Einklang gebracht werden. In den Fällen, wo das Gesetz die Unwirksamkeit eines Rechtsverhältnisses ex lege automatisch an das Vorhandensein eines bestimmten Tatbestandes knüpft, ohne daß es eines Richterspruches bedürfte, wirkt eine gerichtliche Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand dieses Rechtsverhältnisses deklarativ. Eine gesetzliche Verpflichtung jedoch, diese deklarative Feststellung und die sich als rechtliche Konsequenz daraus ergebende Bereinigung des Grundbuchstandes zu begehren, besteht nicht. Die nur durch das Verhalten der Zweitklägerin in eine prekäre formelle Rechtslage hineingedrängte Beklagte hat kein Interesse an einem Begehren in dieser Richtung bekundet. Das vorliegende Begehren der Zweitklägerin aber muß aus den dargelegten Gründen als gegen die guten Sitten verstoßend angesehen werden. Der Erstkläger aber nützte die ihm bei Klagseinbringung gleichfalls bekannte, von seiner Ehefrau geschaffene Lage aus, um im einträchtigen Zusammenwirken mit ihr den Versuch zu unternehmen, ein von der Rechtsgemeinschaft verpöntes Handeln durchzusetzen. Es ist daher das Klagebegehren auch, soweit es vom Erstkläger gestellt worden ist, sittenwidrig.
Es ist für die Erledigung des vorliegenden Rechtsmittels die an das Erstgericht gerichtete, vom Erstgericht mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 2. November 1965 unter Verweisung auf § 237
(1) ZPO. nicht zur Kenntnis genommene, seitens der Zweitklägerin im Zuge des Rechtsmittelverfahrens vorgenommene Erklärung der Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht rechtlich nicht von Belang. Doch wird dadurch immerhin eine verspätete Besinnung der Zweitklägerin illustriert.
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