OGH 6Ob32/14w

OGH6Ob32/14w28.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. W***** K*****, vertreten durch Benedikt Wallner Rechtsanwalt Gesellschaft mbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** G*****, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wegen 31.721,22 EUR sA und Feststellung (Streitwert 38.278,78 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juni 2013, GZ 15 R 106/13p‑30, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 8. März 2013, GZ 27 Cg 137/11v‑26a, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 23. 5. 2001 wurde Ing. W***** U*****, der damals gewerberechtlicher Geschäftsführer der U***** ***** GmbH (im Folgenden: U*****) war, die Bewilligung gemäß § 175 GewO 1994 erteilt, die Ausübung des Gewerbes „Vermittlung von Personalkrediten, Hypothekarkrediten und Vermögensberatung (einschließlich Vermittlung von Veranlagungen im Sinne des § 1 Abs 1 Z 3 KMG), eingeschränkt auf Vermittlung von Hypothekarkrediten und Vermögensberatung (einschließlich Vermittlung von Veranlagungen im Sinne des § 1 Abs 1 Z 3 KMG)“ mit dem Standort in W*****, vorzunehmen.

Am 28. 6. 2001 ‑ zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte Gesellschafter und einzelzeichnungsbefugter Geschäftsführer der U***** ‑ wurde in deren Räumen der Antrag des Klägers zum Abschluss eines Vermögensmanagementvertrags für den „AMIS Generationsplan“ ausgefüllt und neben den Kontoeröffnungsanträgen bei der E***** Bank ***** auch der Lebensversicherungsantrag bei der „A***** Versicherungs‑ und Aktiengesellschaft“ sowie der Vertrag für die Überwachung des Fremdwährungsrisikos mit P***** vom Kläger gezeichnet.

Seit 17. 7. 2001 ist die U***** unter anderem berechtigt, das Gewerbe der Vermögensberatung einschließlich der Vermittlung von Veranlagungen im Sinne des § 1 Abs 1 Z 3 KMG auszuüben.

Mit Urteil des Handelsgerichts Wien vom 9. 10. 2009, AZ 35 Cg 92/06b, wurde mit Wirkung zwischen dem Kläger und der U***** festgestellt, dass diese bis maximal 65.859,73 EUR samt 4 % Zinsen seit 4. 7. 2001 für jenen Schaden haftet, der dem Kläger aus der fehlerhaften Beratung im Zusammenhang mit der unterlassenen Warnung vor dem Abschluss des Vermögensmanagementvertrags „AMIS Generationsplan“, Depotnummer *****, gezeichnet am 28. 6. 2001, Einmalerlag 72.672,83 EUR, Laufzeit 20 Jahre, entstanden ist. Weiters wurde die U***** zum Ersatz der Prozesskosten von 26.866,24 EUR verpflichtet. Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der U***** gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 10. 5. 2010, AZ 2 R 238/09y, nicht Folge und verpflichtete die U***** zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens von 2.834,76 EUR an den Kläger.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 20. 7. 2010, AZ 3 S 73/10w, wurde über das Vermögen der U***** das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger meldete dort eine Insolvenzforderung in Höhe von 119.407,37 EUR an, wobei 29.701 EUR vom Masseverwalter anerkannt und der Differenzbetrag bestritten wurde. Zum Stichtag 23. 5. 2011 betrug der Gesamtbetrag der angemeldeten Forderungen 397.885,91 EUR, wovon 126.017,12 EUR festgestellt und der Rest bestritten wurden. Diesen Passiva standen Aktiva in Höhe von 32.022,84 EUR gegenüber, wobei zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar war, ob noch weitere 11.146,89 EUR einbringlich gemacht werden können.

Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz war das Konkursverfahren noch nicht beendet.

Der Kläger beziehungsweise seine rechtsfreundliche Vertretung im Verfahren AZ 35 Cg 92/06b hatten spätestens seit 20. 2. 2007 Kenntnis von der Höhe des Stammkapitals der U***** und davon, welcher Betrag hierauf geleistet worden war. Seit diesem Zeitpunkt oder jedenfalls kurz danach hätte der Kläger auch über das Nichtbestehen einer Haftpflichtversicherung für die U***** informiert sein können. Ob der Kläger eine diesbezügliche Anfrage an die U***** oder deren Rechtsvertreter richtete, steht nicht fest.

Der Kläger begehrt vom Beklagten Zahlung von 31.721,22 EUR und Feststellung dessen Haftung für jenen Schaden, der dem Kläger infolge Nichterfüllung der Verpflichtungen laut Urteilen im Verfahren AZ 35 Cg 92/06b durch die insolvente U***** entsteht. Der Beklagte habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer der U***** und als deren Alleingesellschafter zu verantworten, dass die U***** über zu geringes Eigenkapital verfüge und auch keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen gehabt habe. Aus dem Konkursverfahren habe der Kläger lediglich eine geringe Quote zu erwarten.

Der Beklagte wendete ein, die U***** sei nicht unterkapitalisiert gewesen, es habe auch keine Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung bestanden. Weiters sei die Forderung verjährt und hätte außerdem auch eine (höhere) Kapitalisierung angesichts der im Konkursverfahren angemeldeten Forderungen zu keiner Befriedigung des Klägers geführt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren insbesondere wegen Verjährung ab.

Das Berufungsgericht verneinte zwar die Verjährung, bestätigte aber ‑ unter Nichtzulassung der ordentlichen Revision ‑ die Klagsabweisung mit der Begründung, eine Gegenüberstellung von Aktiven und Passiven der U***** spreche dafür, dass auch ein höheres Eigenkapital an der Insolvenz der U***** nichts hätte ändern können. Dass der Beklagte, um die an sich notwendige Erhöhung des Eigenkapitals zu substituieren, eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hätte, habe der Kläger aber gar nicht behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Der Kläger wirft dem Beklagten vor, als Mitgesellschafter der U***** nicht für eine gemäß § 20 Abs 1 Z 2, Abs 2 Z 1 WAG 1996 vorgeschriebene Eigenkapitalisierung der Gesellschaft gesorgt und als Geschäftsführer der U***** nicht gemäß § 20 Abs 4 WAG 1996 eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen zu haben; die U***** sei als Wertpapierdienstleistungsunternehmen für den Kläger tätig gewesen.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann ein Gläubiger einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der für seine Forderungen im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine zureichende Deckung gefunden hat, den Geschäftsführer der Gesellschaft nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Grundsätzen (§§ 1293 ff ABGB) auf Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen, den ihm dieser als organschaftlicher Vertreter durch schuldhafte Verletzung eines gerade oder auch zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger erlassenen Gesetzes zugefügt hat (RIS‑Justiz RS0023887); dieses Klagerecht besteht auch während eines noch anhängigen Insolvenzverfahrens (6 Ob 196/05z).

2. Bei Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 1311 ABGB fordert die Rechtsprechung keinen strengen Beweis des Kausalzusammenhangs. Allerdings darf diese Rechtsprechung nicht dahin verstanden werden, dass in einem solchen Fall die Vermutung bestehe, die Verletzung des Schutzgesetzes sei für den Eintritt des Schadens ursächlich gewesen. Es findet also keine Umkehrung der Beweislast statt, wohl aber kann ein Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, dass der von dieser Norm zu verhindernde Schaden durch dieses Verhalten verursacht wurde (stRsp, siehe etwa 8 Ob 42/07w).

3. Nach § 20 Abs 1 Z 2, Abs 2 Z 1 WAG 1996 hätte der U***** eine Konzession als Wertpapierdienstleistungsunternehmen nur erteilt werden dürfen, wenn sie über ein Eigenkapital von 650.000 ATS verfügt hätte; diese Voraussetzung hätte gemäß § 20 Abs 4 WAG 1996 allerdings als erfüllt gegolten, wenn das Unternehmen durch eine Berufshaftpflichtversicherung gemäß Abs 5 versichert gewesen wäre.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung bedeutete diese Rechtslage nicht, dass die U***** jedenfalls eine Berufshaftpflichtversicherung hätte abschließen müssen. Der Oberste Gerichtshof hielt bereits in der Entscheidung 7 Ob 33/10v (ecolex 2011/51 [ Ertl ]) fest, dass eine derartige Versicherung mangels entsprechenden Eigenkapitals Voraussetzung der Gewährung der Konzession als Wertpapierdienstleistungsunternehmen sei und insofern eine Pflichtversicherung darstelle; die in § 20 Abs 2 WAG 1996 angeführte, dem Gesetzgeber offenbar zum Schutz der Anleger allein ausreichend erscheinende, Kapitaldeckung des Wertpapierdienstleisters solle durch die Versicherung substituiert werden. Es bestand somit insoweit eine gewisse Wahlfreiheit des Wertpapierdienstleistungsunternehmens.

4.1. Die U***** verfügte im Juni 2001 lediglich über eine Bewilligung nach §§ 127, 175 GewO idF Novelle 1997, die jedoch hinsichtlich der Vermögensberatung nach § 127 Z 17 leg cit nur die Vermittlung von Veranlagungen nach § 1 Abs 1 Z 3 KMG (Vermögensrechte, über die keine Wertpapiere ausgegeben werden, aus der direkten oder indirekten Investition von Kapital mehrerer Anleger auf deren gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko oder auf gemeinsame Rechnung und gemeinsames Risiko mit dem Emittenten, sofern die Verwaltung des investierten Kapitals nicht durch die Anleger selbst erfolgt) umfasste ( Winternitz , WAG 1996 [1998] § 19 Rz 5), nicht aber Investitionen, wenn damit Finanzdienstleistungen erbracht wurden. Angesichts der von der U***** tatsächlich erbrachten Leistungen war sie aber als Wertpapierdienstleistungsunternehmen tätig (OLG Wien AZ 2 R 238/09y).

4.2. Das Erstgericht hat ausgeführt, der alleinige Vorwurf des Fehlens einer Konzession nach § 20 WAG 1996 könne keine Haftung des Beklagten begründen, sei dies doch für den eingetretenen Schaden nicht kausal gewesen. Darauf kommt der Kläger im Rechtsmittelverfahren nicht zurück. Er hat allerdings bereits in der Klage darauf hingewiesen, dass der Beklagte angesichts der von der U***** erbrachten Leistungen und ihrer Unterkapitalisierung eine Berufshaftpflichtversicherung gemäß § 20 Abs 4 WAG 1996 (Haftungssumme gemäß § 20 Abs 5 WAG 5 Mio ATS pro Versicherungsperiode) hätte abschließen müssen. Dem ist zu folgen:

Die U***** erbrachte im Jahr 2001 Wertpapierdienstleistungen. Zum Schutz der Anleger, denen gegenüber diese Dienstleistungen erbracht wurden, sah § 20 WAG 1996 entweder eine Mindesteigenkapitalausstattung des Unternehmens oder den Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung vor. § 20 WAG 1996 stellt insoweit ein Schutzgesetz zugunsten der Anleger dar (zur qualifizierten, die Gläubiger gefährdenden Unterkapitalisierung vgl 6 Ob 313/03b GesRZ 2004, 379 [ Harrer ] = RWZ 2004, 366 [ Wenger ] = GeS 2005, 19 [ Fantur ] = ÖZW 2005, 21 [ Artmann ]).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen erreichte das Eigenkapital der U***** nicht die in § 20 Abs 1 Z 2, Abs 2 Z 1 WAG 1996 vorgesehenen 650.000 ATS. Damit wäre es aber Aufgabe der organschaftlichen Vertreter gewesen, dieses fehlende Eigenkapital durch eine Versicherung nach § 20 Abs 4 WAG 1996 (Haftungssumme mindestens 5 Mio ATS) zu substituieren ( 3. ). Der Beklagte war im Jahr 2001 einer von zwei selbstständig vertretungsbefugten (handelsrechtlichen) Geschäftsführern der U*****. Der Kläger wirft ihm somit grundsätzlich zu Recht die Verletzung eines Schutzgesetzes, nämlich die Unterlassung des Abschlusses einer Berufshaftpflichtversicherung im Sinne des § 20 Abs 4 und 5 WAG 1996 in seiner Funktion als Organ der U***** vor.

4.3. Die von den Vorinstanzen erörterte Frage, ob beziehungsweise inwieweit die U***** bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens überschuldet war und ob eine nach § 20 Abs 1 Z 2, Abs 2 Z 1 WAG 1996 hinreichende Eigenkapitalausstattung beim Kläger ebenfalls zu einem Schadenseintritt geführt hätte, bedarf angesichts dieser Überlegungen keiner Vertiefung; dies gilt auch für die in diesem Zusammenhang in der Revision dargelegten Überlegungen zur Beweislast. Zu fragen ist vielmehr, wie sich der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung im Sinne des § 20 Abs 4 und 5 WAG 1996, die auch die dem Kläger gegenüber erbrachte Dienstleistung erfasst hätte, auf den Vermögensstand des Klägers ausgewirkt hätte beziehungsweise ‑ unter Miteinbeziehung der Ergebnisse des Insolvenzverfahrens ‑ auswirken würde.

5. Zu dieser zuletzt dargelegten Frage haben die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren diese Frage mit den Parteien zu erörtern und sodann entsprechende Feststellungen zu treffen haben. Insbesondere wird dabei zu klären sein, ob es der U***** vor Erbringung der Dienstleistungen dem Kläger gegenüber überhaupt gelungen wäre, bei einem Versicherungsunternehmen eine Risikodeckung im Sinne des § 20 Abs 5 WAG 1996 zu erlangen, ob diese Versicherung dann für den konkreten Schadensfall auch tatsächlich hätte einstehen müssen und welche Leistungen dem Kläger (nicht) erbracht worden wären.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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