Normen
Straßenverkehrsordnung 1960 §93 (2)
Straßenverkehrsordnung 1960 §93 (2)
Spruch:
Die Bestimmung des § 93 (2) StVO. schließt eine Haftung der Liegenschaftseigentümer für den Schnee, der durch nicht überhängende Schneeansammlung verursacht wurde, nicht aus.
Entscheidung vom 30. September 1964, 6 Ob 268/64. I. Instanz:
Bezirksgericht Urfahr - Umgebung; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Der Kläger beantragt - nach rechtskräftiger Abweisung des ursprünglich auch gegen den Gatten der Beklagten gerichteten Klagebegehrens - ihre Verpflichtung zur Zahlung des Betrages von 1774 S s. A., da, als er am 16. Februar 1963 seinen PKW. vor ihrem Hause in H. geparkt hatte, von diesem eine Schneelawine abgestürzt sei und seinen Wagen beschädigt habe, wodurch ihm Reparaturkosten in der Höhe des eingeklagten Betrages entstanden seien.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest, der Kläger habe seinen Wagen vertikal zur Hausfront abgestellt, sodaß die vordere Stoßstange zirka 1 m von der Mauer entfernt gewesen sei. Neben seinem Wagen seien noch andere Kraftfahrzeuge, möglicherweise mit einem etwas größeren Abstand von der Mauer abgestellt gewesen. Der Gehsteig sei 1.50 m breit, wegen der damaligen Schneelage bei seine Begrenzung zur Straße hin nicht erkennbar gewesen. Das Dach des der Beklagten gehörigen Hauses sei mit Blech gedeckt und weise eine etwas stärkere Neigung auf als das rechts daneben befindliche Haus, doch halte sich die Neigung durchaus im Rahmen des üblichen. Schutzgitter seien nicht angebracht, sie seien nach der oberösterreichischen Bauordnung auch nicht vorgeschrieben. Auch Schneestangen seien ebenso wie bei den anderen Häusern nicht aufgestellt gewesen. Am 15. Februar 1963 habe die Schneehöhe in dem Ort 105 cm, am 16. Februar 1963 100 cm betragen. Die Temperaturen haben jeweils um 7 h, 14 h und 21 h, und zwar am 15.: minus 9 Grad, minus 2 Grad und minus 7 Grad und am 16.:
minus 7 Grad, plus 1.6 Grad und minus 9.6 Grad betragen. Am 15. Februar 1963 sei es bewölkt, am 16. heiter gewesen, Niederschläge seien an keinem der beiden Tage gefallen. Ob überhängende Schneewächten oder Eisbildungen bestanden, sei nicht feststellbar. Eine vom Dach des Hauses der Beklagten abstürzende Schneemasse sei auf den Wagen des Klägers gefallen.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, eine Haftung der Beklagten bestehe nicht. Eine Verletzung der ihr gemäß § 93 (2) StVO. obliegenden Verpflichtungen falle ihr nicht zur Last, weil diese Gesetzesstelle die Liegenschaftseigentümer nur zur Beseitigung von überhängenden Schneewächten oder Eisbildungen von Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude verpflichte. Daß eine überhängende Schneewächte bestanden habe, sei nicht erwiesen. Eine Haftung nach § 1318 oder § 1319 ABGB. komme bei einem Absturz von Schnee nicht in Betracht, die Haftung nach § 1311 ABGB. setze aber den Nachweis eines Verschuldens voraus, der nicht erbracht sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Urteil, das es hinsichtlich des ursprünglich noch mitbelangten Gatten der Beklagten bestätigte, hinsichtlich der Beklagten unter Rechtskraftvorbehalt auf. Die Beschaffenheit des Daches aus Blech und die außergewöhnliche Schneelage von 100 cm, die die Beklagte bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen mußte, stellen besondere Umstände dar,die bei Fehlen von Schutzgittern das Abgehen einer Dachlawine begünstigten. Die Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. In ihrer Unterlassung liege das Verschulden. Es bedürfe aber auch der Prüfung eines Mitverschuldens des Klägers sowie des ihm entstandenen Schadens.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rekurs vermeint vor allem, § 93 (2) StVO. enthalte die Bestimmungen darüber, welche Sorgfaltspflichten den Eigentümern von Liegenschaften hinsichtlich der von Dächern drohenden Gefahren obliegen. Da nach der zitierten Gesetzesstelle der Eigentümer aber nur verpflichtet sei, überhängende Schneewächten oder Eisbildungen zu entfernen, brauche er als einfacher Staatsbürger nicht klüger und vorsichtiger als der Gesetzgeber zu sein.
Es ist richtig, daß § 93 (2) StVO., zum Unterschied von den früher in Geltung gestandenen Bestimmungen des § 83 (5) StPolO., der Richtlinien für die zur Vermeidung des Absturzes größerer Schneemassen und der Gefährdung des Straßenverkehrs notwendige Freimachung der Dächer von Schnee, insbesondere der Dachzäune von überhängenden Schneemengen und Eisbildungen aufstellte, die Liegenschaftseigentümer nur verpflichtet, dafür zu sorgen, daß überhängende Schneewächten oder Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude entfernt werden. Der Versuch des Rekurses, daraus auf eine Einschränkung dieser Verpflichtungen gegenüber dem früheren Rechtszustande zu schließen, geht fehl. Die Sonderbestimmungen des § 93 (2) StVO. verpflichten die Liegenschaftseigentümer unter allen Umständen zur Beseitigung der besonders gefährlichen überhängenden Schneewächten und Eisbildungen. Es kann daraus aber nicht geschlossen werden, daß sie nach Entfernung dieser Bildungen etwa einer sonstigen Ansammlung von Schneemassen, sofern sie nur nicht überhängen, tatenlos zuschauen und warten dürfen, daß auch sie abstürzen. Diese Bestimmungen können vielmehr nur im Zusammenhalte mit den allgemeinen Normen der §§ 1295 ff. ABGB. verstanden werden, welche die Haftung für einen aus Verschulden zugefügten Schaden statuieren und Bestimmungen über das Maß der anzuwendenden Sorgfalt enthalten. Für die Beklagte ist daher aus dem Umstand, daß die auf den Wagen des Klägers abgestürzten Schneemassen vorher nicht überhingen, nichts gewonnen, sie wäre von einer Haftung vielmehr nur frei, wenn es zu dem Absturz gekommen wäre, obwohl sie die nach den Umständen gebotene Sorgfalt angewendet hatte. Dazu stellten nun die Untergerichte fest, daß der 16. Februar 1963, im Gegensatz zu dem vorausgegangenen Tag, an dem trübes Wetter herrschte, ein heiterer Tag war, in dessen Verlauf die Temperatur plus 1.6 Grad erreichte. In dieser Erwärmung, merklich über dem Gefrierpunkt, liegt auch die Ursache für den Absturz der Schneemassen. Diese deutliche Änderung der Witterung mußte auch die Beklagte bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen und, zumal das Dach ihres Hauses auch steiler ist als etwa das des benachbarten Hauses, welche Eigenart ihrer Liegenschaft sie ebenfalls kennen mußte (SZ. XVIII 3), in Betracht ziehen, daß Teile der abgelagerten Schneemassen von dem Blechdach abrutschen und bei einem Sturz auf die öffentliche Straße Schaden verursachen können. Um dies zu erkennen, bedurfte es keineswegs überdurchschnittlicher Fähigkeiten. Dazu genügte die gewöhnliche Aufmerksamkeit. Der Hinweis der Beklagten, daß auch andere Liegenschaftseigentümer Schutzmaßnahmen unterlassen haben, kann nicht für sie sprechen, da sie sich einerseits nicht damit entschuldigen kann, daß allenfalls auch andere die erforderliche Sorgfalt vernachlässigten, andererseits aber die festgestellte stärkere Neigung des Daches ihres Hauses wegen der dadurch erhöhten Gefahr eines Absturzes der lagernden Schneemassen auch größere Sorgfalt notwendig machte. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die grundsätzliche Haftung der Beklagten für den dem Kläger durch die abstürzenden Schneemassen zugefügten Schaden angenommen.
Damit ist aber auch auf die Frage eines Mitverschuldens des Klägers einzugehen. Denn die Beklagte hat, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, eine solche Einwendung erhoben. Ihre Ausführungen, für sie sei eine von den Schneemassen auf dem Dache ausgehende Gefahr nicht zu erkennen gewesen, wenn dies aber der Fall gewesen sein sollte, hätte auch der Kläger die drohende Gefahr erkennen müssen, können nur in diesem Sinne aufgefaßt werden. Diese Frage und die weitere, in welchem Ausmaß dem Kläger ein Schaden entstanden ist, mit welchen sich das Erstgericht von seiner abweichenden rechtlichen Beurteilung ausgehend nicht befaßte, bedürfen daher noch der Erörterung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)