OGH 6Ob2211/96g

OGH6Ob2211/96g24.10.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter P*****, vertreten durch Dr.Josef Dengg und Dr.Milan Vavrousek, Rechtsanwälte in St.Johann im Pongau, wider die beklagte Partei Dr.Johann H*****, vertreten durch Dr.Reinhard Steger, Rechtsanwalt in St.Johann im Pongau, wegen 76.000 S und Feststellung (Streitwert 20.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 9.Mai 1996, GZ 22 R 96/96p-18, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens wird abgewiesen.

Text

Begründung

Beim Kläger war von Kindheit an die Fehlstellung eines Zahnes gegeben. Der beklagte Zahnarzt entfernte diesen Zahn am 14.6.1994. Dafür war eine sogenannte Leitungsanästhesie erforderlich, bei der eine Blockade des nervus mandibularis vorgenommen wird. Dabei wurde der gesamte linke Unterkiefer betäubt. Auch bei sachgerechter Durchführung der Anästhesie kann es zu einer Schädigung des nervus lingualis verbunden mit einem Taubheitsgefühl der Zunge kommen. Eine solche Komplikation ist sehr selten, trat aber beim Kläger ein. Wegen der Taubheit der linken Zungenseite und am linken Unterkiefer biß er sich häufig in die Zunge. Es kam zu Bißverletzungen, Sprechstörungen und Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme.

Der Kläger begehrt mit der am 12.4.1995 beim Erstgericht eingelangten Klage 75.000 S Schmerzengeld, die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche aus der Zahnbehandlung vom 14.6.1994 bereits entstandenen und künftig entstehenden Folgen sowie die Bezahlung von "pauschalen Unkosten" in der Höhe von 2.000 S (letzteres Begehren wurde auf 1.000 S eingeschränkt).

Der Kläger stützte sein Begehren darauf, daß eine ärztliche Fehlbehandlung infolge nicht fachgerechter Verabreichung der Betäubungsspritze vorliege und daß die ärztliche Aufklärungspflicht verletzt worden sei.

Der Beklagte bestritt das Klagevorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte im wesentlichen vor, daß weder eine Fehlbehandlung noch eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vorliege. Der Kläger sei vor Behandlungsbeginn auf die mit der Zahnziehung im Zusammenhang stehenden typischen Gefahren und Risken aufgeklärt worden. Deshalb sei sogar ein vorgesehener Behandlungstermin verschoben worden. Der Kläger habe der Ziehung des Zahnes bei Verabreichung der üblichen Leitungsanästhesie zugestimmt. Es sei eine schicksalhafte Behandlungskomplikation vorgelegen, die lediglich einmal bei einigen zehntausenden Fällen von Injektionen auftreten könne.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Sie gingen dabei davon aus, daß eine Fehlbehandlung des beklagten Zahnarztes nicht festgestellt werden könne und daß eine Aufklärung über das Behandlungsrisiko nicht erfolgt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil die oberstgerichtliche Rechtsprechung bei der Beurteilung der ärztlichen Aufklärungspflicht gerade im Zusammenhang mit typischen Risken nicht ganz einheitlich sei.

Mit seiner Revision beantragt der Kläger die Abänderung dahin, daß der Klage stattgegeben werde.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof vertritt die Auffassung, daß sich keine allgemeinen Richtlinien dafür aufstellen lassen, ab welchem Häufigkeitsgrad von Komplikationen eine Aufklärungspflicht besteht. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an (SZ 55/114, 57/207, 59/18). In ständiger Rechtsprechung wird weiters die Ansicht vertreten, daß die Aufklärungspflicht des Arztes umso umfassender ist, je weniger dringlich der Eingriff aus der Sicht des verständigen Patienten ist. Bei dringend gebotenen Behandlungen ist zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der ärztlichen Hilfeleistungspflicht abzuwägen. Der dringend einer Operation oder einer sonstigen ärztlichen Behandlung bedürftige Patient soll durch die Aufklärung über das Risiko nicht unnötig verunsichert werden (so schon SZ 55/114). Dieser Gesichtspunkt fehlt bei einer nicht dringlichen Heilbehandlung. Hier tritt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in den Vordergrund. Der Arzt muß auf typische Risken der Behandlung hinweisen (SZ 62/18 und 154). Die Typizität ergibt sich nicht aus der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet (SZ 62/154). Der oberstgerichtlichen Rechtsprechung läßt sich allerdings nicht der uneingeschränkte Rechtssatz entnehmen, daß auf typische Gefahren der geplanten Behandlung oder Operation in jedem Fall hinzuweisen wäre. Die Begründung in mehreren Entscheidungen, wonach ein zu vernachlässigender Häufigkeitsgrad (Seltenheit) einer Komplikation (SZ 57/207), ein geradezu ganz seltenes Risiko (SZ 55/114), ein nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegendes Risiko (SZ 59/18), ein äußerst selten eintretender Fall von Schädigungen (SZ 62/154) jeweils im Einzelfall gegen eine Aufklärungspflicht sprechen könne, spricht für den Standpunkt des Berufungsgerichtes. Es ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob sich ein verständiger Patient auch bei Aufklärung über das geringe Behandlungsrisiko der Anästhesie zu dieser oder aber dazu entschlossen hätte, von der Zahnextraktion Abstand zu nehmen oder diese ohne Betäubung durchführen zu lassen. In der Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß im vorliegenden Fall das Risiko als so unerheblich zu werten sei, daß ihm die Eignung fehle, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (JBl 1995, 245 und 453), liegt keine rechtliche Fehlbeurteilung. Die Entscheidung entspricht der zur ärztlichen Aufklärungspflicht ergangenen oberstgerichtlichen Judikatur. Die Revision ist daher mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Da der Revisionsgegner in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht hingewiesen hat, ist sein Kostenersatzantrag abzuweisen. Die Ausführungen in der Rechtsmittelgegenschrift können nicht als zur Rechtsverfolgung zweckentsprechend im Sinne des § 41 ZPO angesehen werden.

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