OGH 6Ob2208/96s

OGH6Ob2208/96s21.11.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz B*****, vertreten durch Mag.Ursula Eichler, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Ing.M. S*****, vertreten durch Dr.Hubert Köllensperger, Rechtsanwalt in Wels, wegen 77.000 S, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 8.Mai 1996, GZ 22 R 265/96v-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 13.Februar 1996, GZ 2 C 264/95z-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte führte als Subunternehmerin auf einer Baustelle Bau- und Zimmererarbeiten durch. In einer Höhe von vier Metern wurde ein Querbalken aufgelegt, aber noch nicht endgültig befestigt, weil dies erst anläßlich der noch durchzuführenden Verschalung geschehen hätte sollen. Der Kläger führte im Auftrag seines Arbeitgebers (eines weiteren Subunternehmers auf der Baustelle) am 1.9.1994 Malerarbeiten durch, lehnte seine Leiter an den erwähnten Balken und kam durch dessen Wegrutschen zu Sturz.

Mit der am 12.4.1995 eingelangten Klage begehrte der Kläger ein Schmerzengeld von 70.000 S, das er auf 77.000 S ausdehnte (S 3 in ON 15). Die Malerarbeiten seien freigegeben worden. Der Kläger sei davon ausgegangen, daß der Balken ordnungsgemäß befestigt gewesen sei und habe seine Aluminiumleiter an den Querbalken gelehnt. Mangels einer Befestigung sei der Balken weggerutscht, weshalb der Kläger mit seiner Leiter aus etwa 9 m Höhe abgestürzt sei und sich schwer verletzt habe. Die Beklagte hafte gemäß § 1319 ABGB und aufgrund der Schaffung einer Gefahrenquelle.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß der Kläger am Unfallstag Malerarbeiten nicht hätte durchführen dürfen. Die Beklagte habe damit nicht rechnen müssen, daß am 1.9.1994 bereits Malerarbeiten durchgeführt würden. Sie sei vom Beginn dieser Arbeiten nicht in Kenntnis gesetzt worden. Es treffe sie kein Verschulden. Der Kläger habe Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung verletzt, insbesondere habe er sich nicht angeseilt.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Aus seinen auf den S 7 bis 13 in ON 20 ersichtlichen Feststellungen ist folgender Sachverhalt hervorzuheben:

Es hätten wöchentlich Baubesprechungen stattgefunden. Anläßlich der Baubesprechung vom 23.8.1994 sei zwischen den Parteien vereinbart worden, daß die Malerarbeiten frühestens in drei Wochen beginnen könnten und daß die Beklagte ihr "Gewerk" für diese Malerarbeiten herrichten hätte sollen. Bei Malerarbeiten an der Außenfassade hätten die Arbeiter grundsätzlich die Gerüste der Beklagten benutzt. Ein früherer Arbeitsbeginn der Malerarbeiten als in der Baubesprechung vom 23.8.1994 vorgesehen, sei nicht vereinbart worden. Die Zimmerer der Beklagten hätten am 29.8.1994 im Rahmen der Zwischendachkonstruktion einen Querbalken auf seinen Bestimmungsort gelegt, aber noch nicht endgültig befestigt, weil dies erst im Zuge der Außenschalung erfolgen hätte sollen. Danach hätten die Arbeiter der Beklagten das Gerüst abgebaut. Beim Querbalken sei keine Warnvorrichtung angebracht worden. Die Beklagte habe nicht damit gerechnet, daß an der unfertigen Konstruktion Malerarbeiten durchgeführt würden. Der Kläger habe den Auftrag erhalten, auf der Baustelle bestimmte Anstreicherarbeiten an der Untersichtschalung auszuführen. Sein Arbeitgeber habe die Freigabe der Maler- und Anstreicherarbeiten durch die Bauleitung angenommen. Die Arbeiten der Beklagten seien weder übergeben noch freigegeben worden. Über den Beginn der Malerarbeiten sei die Beklagte nicht informiert worden. Der Kläger habe sich auf der Baustelle nicht erkundigt, ob die Zimmererarbeiten abgeschlossen seien. Er habe seine Leiter an den in einer Höhe von vier Metern befindlichen Querbalken gelehnt, aber nicht bemerkt, daß der Querbalken nicht befestigt gewesen sei. Er sei wegen Herausrutschens des Querbalkens ca acht bis neun Meter tief in eine ausgehobene Erdgrube gestürzt. Dadurch sei er verletzt worden und habe mehrere Wochen an Schmerzen gelitten.

Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, daß den Kläger kein Verschulden treffe, andererseits aber auch der Beklagten kein Verschulden nachgewiesen habe werden können. Eine Freigabe der Maler- und Anstreicherarbeiten sei nicht erfolgt. Die Beklagte hätte nicht davon ausgehen müssen, daß ohne Vereinbarung und ohne vorherige Freigabe der Malerarbeiten ein Arbeiter eines anderen Unternehmens den Querbalken bei seinen Arbeiten benützen werde.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß der Klage stattgegeben wurde. Das Berufungsgericht erledigte die Rüge der unrichtigen und mangelhaften Tatsachenfeststellungen und der unrichtigen Beweiswürdigung nicht. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, daß es dahingestellt bleiben könne, ob die Malerarbeiten an der Außenfassade des Gebäudes entgegen den Feststellungen des Erstgerichtes bereits freigegeben gewesen seien und ob die Beklagte hierüber Kenntnis gehabt habe, weil die Haftung der Beklagten sich schon aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ergebe. Der Kläger habe sein Begehren auch darauf gestützt, daß die Beklagte durch das provisorische Verankern des Querbalkens eine Gefahrenquelle geschaffen habe und ihr eine Sorgfaltswidrigkeit zur Last falle. Wenn ein Besteller mehrere Unternehmer mit der Herstellung eines Werkes beauftrage, so werde in ständiger Rechtsprechung eine Aufnahme der Unternehmer und ihre Leute in den von den Interessen und Rechtspflichten des Bestellers umfaßten Kreis geschützter Dritter bejaht. Jeder Unternehmer habe sich so zu verhalten, daß ein weiterer bei der Werkerstellung tätiger Unternehmer oder dessen Leute nicht zu Schaden kommen. Wenn ein Unternehmer oder seine Leute die zugunsten Dritter bestehenden Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzten, so könne der geschädigte Dritte direkt gegen den für seine Erfüllungsgehilfen haftenden weiteren Unternehmer Schadenersatzansprüche geltend machen. Auch bei der Verletzung von Sorgfaltspflichten gelte die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB. Die Beklagte hätte den Querbalken sofort endgültig befestigen müssen. Bei den anderen auf der Baustelle beschäftigten Werkunternehmern und deren Leuten sei der Eindruck entstanden, daß die Zimmermannsarbeiten zumindest vorerst abgeschlossen und alle Steher und Balken ordnungsgemäß fixiert worden seien. Die Leute der Beklagten hätten damit rechnen müssen, daß andere auf der Baustelle Beschäftigte Gegenstände wie beispielsweise Leitern an den Querbalken anlehnen würden, dies unabhängig davon, ob die Anstreicherarbeiten bereits tatsächlich freigegeben worden seien oder ob die Beklagte davon Kenntnis gehabt habe. Auf einer größeren Baustelle könne nicht ausgeschlossen werden, daß aufgrund von Koordinationsmängeln mit bestimmten Arbeiten bereits vor deren Freigabe begonnen werde, insbesondere wenn durch den Abbau eines Gerüsts der Eindruck erweckt werde, daß bestimmte Arbeiten fertiggestellt worden seien. Den Kläger treffe kein Mitverschulden am Unfall. Er habe keinerlei Bestimmungen zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei der Ausführung von Bauarbeiten verletzt.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Gerichtes zweiter Instanz zulässig; sie ist auch berechtigt.

Mehrere auf einer Baustelle tätige Unternehmer haften für die Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten. In den Schutzkreis der einzelnen Werkverträge sind jeweils auch die bei einem anderen Unternehmen beschäftigten Dienstnehmer einbezogen. Diese können Schäden direkt gegen den für seinen Erfüllungsgehilfen haftenden weiteren Unternehmer geltend machen (3 Ob 520/93 = ecolex 1994, 13 mwN). Die Gewährleistung der Sicherheit auf einer Baustelle ist eine vertragliche Nebenverpflichtung des Werkvertrages. Auch für die Verletzung von Nebenpflichten gilt die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB. Die Beklagte hatte also ihr mangelndes Verschulden am eingetretenen Schaden zu beweisen. Im Gegensatz zur Rechtsansicht des Gerichtes zweiter Instanz ist ihr dies nach den Feststellungen des Erstgerichtes auch gelungen. Der Baubesprechung vom 23.8.1994 kommt nämlich entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Damals wurde zwischen den beiden Subunternehmern vereinbart, daß die Malerarbeiten frühestens in drei Wochen beginnen könnten und daß die Beklagte ihr Gewerk für diese Malerarbeiten entsprechend herrichten hätte sollen (S 8 in ON 20). Mangels weiterer Absprachen durfte die Beklagte am 1.9.1994 davon ausgehen, daß am noch nicht fertiggestellten Werk Malerarbeiten nicht begonnen werden. Es hieße die Schutz- und Sorgfaltspflichten zu überspannen, wenn man auch in einem solchen Fall verlangte, daß der Bauunternehmer auf die von ihm geschaffene Gefahrenquelle mit einer Warntafel hinzuweisen gehabt hätte. Eine Warnpflicht ist immer nur bei entsprechender Zumutbarkeit zu Warnmaßnahmen anzunehmen. Es liegt in der Natur der Sache, daß auf einer Baustelle im Zuge des Baufortschrittes immer wieder Gefahrenquellen geschaffen werden. Ob jeweils Warnmaßnahmen erforderlich sind, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Sicherlich sind immer dann Warnmaßnahmen erforderlich, wenn mit dem Zutritt von Personen zu rechnen ist, die mit den auf der Baustelle lauernden Gefahren nicht vertraut sind. Im Hinblick auf die getroffene Vereinbarung durfte die Beklagte jedoch hier darauf vertrauen, daß mit den Malerarbeiten noch nicht begonnen werde. Mit dem Zutritt von Malerarbeitern auf der Baustelle und der Benutzung des noch nicht fertiggestellten Bauwerkes für diese Malerarbeiten mußte nicht gerechnet werden. Die Aufstellung einer Warntafel war daher entbehrlich. Auf der Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen wäre der Beklagten der Entlastungsbeweis gelungen. Das Berufungsgericht hat sich aufgrund der vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsauffassung nicht mit der Beweisrüge des Klägers beschäftigt. Mit dieser strebt er Feststellungen dahin an, daß vereinbart gewesen sei, daß die Malerarbeiten an der Außenfassade freigegeben werden und daß die Beklagte davon Kenntnis gehabt habe (S 3 in ON 22). Bei Feststellung eines derartigen Sachverhaltes ergäbe sich tatsächlich eine andere rechtliche Beurteilung, weil dann der Beklagten ein Verschulden am Unfall angelastet werden müßte. Der Zutritt von Malerarbeitern auf der Baustelle und die Benützung des Querbalkens für Malerarbeiten wäre unter diesen Umständen vorhersehbar gewesen. Eine Warnpflicht der Beklagten könnte in diesem Fall nicht mehr verneint werden. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist daher zur Verfahrensergänzung aufzuheben. Das Berufungsgericht wird die Beweisrüge des Klägers zu behandeln und danach neuerlich zu entscheiden haben.

Der Vorbehalt der Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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