Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Stadt Graz schrieb im Jahr 1998 die Herstellung und Lieferung von bituminösem Heißmischgut im offenen Verfahren nach den Bestimmungen des Steiermärkischen Vergabegesetzes 1998 europaweit aus. Die im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften und in der Grazer Zeitung veröffentlichte Ausschreibungsbekanntmachung nannte als Ort der Leistungserbringung „Graz, Österreich“ und als „kurze Beschreibung (Art der Leistungen, allgemeine Merkmale, Zweck des Bauwerkes oder Bauleistung)“ die Lieferung von bituminösem Heißmischgut für das Jahr 1999. Schließlich heißt es in der Ausschreibungsbekanntmachung in der Rubrik Fristen für die Leistungserbringung „Beginn: 1. März 1999, Ende: 20. 12. 1999".
Die Vertragsgrundlagen umfassten einen rechtsgültig unterfertigten Annahmegeschäftsbrief, das mit Preisen versehene Leistungsverzeichnis mit den Angebotsbedingungen sowie die Ö-Norm A 2060.
Die Angebotseröffnung ergab 14 Anbote. Bestbieterin war das Bauunternehmen H***** GmbH. Wenn dieses Unternehmen ausgeschieden worden wäre, wäre den gemeinsam anbietenden Klägerinnen der Zuschlag zu erteilen gewesen.
Die Bestbieterin hatte ihrem Anbot ein Begleitschreiben beigelegt, mit dem sie „ergänzend" mitteilte, dass ihre neue Asphaltmischanlage, die in den nächsten Wochen im Gemeindegebiet von G***** errichtet werden würde, ab 17. 5. 1999 betriebsbereit sein werde. Von diesem Schreiben wussten die Klägerinnen nichts, sie konnten davon auch durch Akteneinsicht nichts erfahren, weil das Anbot durch den Vergabekontrollsenat von der Akteneinsicht ausgenommen worden war.
Die Klägerinnen leiteten am 5. 5. 1999 ein Nachprüfungsverfahren ein, in dem sie ausführten, die Bestbieterin verfüge in der Steiermark über keine Heißmischanlage, die Durchführung des ausgeschriebenen Auftrags sei daher technisch unmöglich, der Bestbieterin fehle es damit an der erforderlichen Eignung, ihr Angebot müsse ausgeschieden werden. Unter anderem beantragten sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung.
Mit Bescheid vom 10. 6. 1999 wies der Vergabekontrollsenat sämtliche Anträge der Klägerinnen ab, darunter auch den Antrag, ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten, sowie den Antrag, die Bestbieterin sogleich auszuscheiden. Die Bestbieterin verfüge über eine Gewerbeberechtigung für das Gewerbe der Asphaltierer; das Verlangen, dass die Heißmischanlage zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung bereits besteht, führe zu einer „derart strengen Beurteilung, dass diese in keinem Verhältnis zum Gegenstand des Auftrags steht“; dies würde auch „den Usancen im Wirtschaftsleben zuwiderlaufen“; die Leistungserbringung müsse erst innerhalb der für die Erbringung der Leistung vorgesehenen Frist möglich sein und nicht bereits mit dem Ablauf der Angebotsfrist.
Daraufhin erteilte die Beklagte der Bestbieterin den Auftrag. Allerdings hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. 10. 2002 über Beschwerde der Klägerinnen den Bescheid des Vergabekontrollsenats als rechtswidrig auf; die Bestbieterin habe ein von der Ausschreibung abweichendes Anbot gelegt, weil die Frist für die Erbringung der Leistung vom 1. 3. bis 20. 12. 1999 gelaufen wäre, die neue Asphaltmischanlage der Bestbieterin jedoch erst ab 17. 5. 1999 zur Verfügung stand.
Mit Bescheid vom 23. 4. 2003 sprach der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark aus, dass die Beklagte infolge Verstoßes gegen das Steiermärkische Vergabegesetz 1998 den Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt habe.
Die Klägerinnen begehren aus dem Titel des Schadenersatzes von der Beklagten 300.000 EUR. Das Anbot der Bestbieterin hätte von der Beklagten aufgrund eines unbehebbaren Mangels ausgeschieden werden müssen, dann wären die Klägerinnen zum Zug gekommen. Die Organe der Beklagten hätten schuldhaft gehandelt, weil das dem Anbot beiliegende Schreiben der Bestbieterin von der Ausschreibung abgewichen sei, was die Beklagte zu überprüfen gehabt hätte. Der Bescheid des Vergabekontrollsenats könne die Beklagte nicht entlasten, sie habe auf eigene Gefahr gehandelt.
Der Nebenintervenient wirft der Beklagten vor, sie hätte die Rechtskraft des Bescheids des Vergabekontrollsenats vor Auftragserteilung abwarten müssen; im Übrigen sei das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs unrichtig, weshalb die Zivilgerichte dieses nicht beachten dürften.
Die Beklagte wendet demgegenüber ein, sie sei an den Bescheid des Vergabekontrollsenats gebunden gewesen; eine allfällige Rechtswidrigkeit dieses Bescheids sei dem Rechtsträger hinter dem Vergabekontrollsenat, also dem Nebenintervenienten zuzurechnen. Ihre Organe hätten damit nicht schuldhaft gehandelt.
Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil fest, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht besteht. Die Beklagte habe schuldhaft gehandelt, weil ein erkennbarer Angebotsmangel vorgelegen sei, sie eine ordnungsgemäße Anbotsprüfung nicht durchgeführt und den Zuschlag während der „Rechtsmittelfrist“ (Beschwerdefrist an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Vergabekontrollsenats vom 10. 6. 1999) an die Bestbieterin erteilt habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage eines Verschuldens des Auftraggebers trotz Vorliegens einer seiner Sichtweise entsprechenden Entscheidung einer Vergabekontrollbehörde zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung. In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die Gerichte seien zwar an die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuschlagserteilung durch die Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenats vom 23. 4. 2003 gebunden und auch die Frage der Kausalität dieses rechtswidrigen Verhaltens der Beklagten für den von den Klägerinnen erlittenen Schaden sei aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu deren Gunsten entschieden. Allerdings sei noch das Verschulden der Beklagten zu prüfen. Dieses sei darin zu sehen, dass die Beklagte, ohne an die Entscheidung des Vergabekontrollsenats vom 10. 6. 1999 gebunden gewesen zu sein, bereits am 14. 6. 1999 der Bestbieterin den Zuschlag erteilte, ohne darauf Bedacht zu nehmen, dass die Bestbieterin aufgrund ihrer eigenen Angaben im Begleitschreiben zu ihrem Anbot die in der Ausschreibungsbekanntmachung genannten Fristen für die Leistungserbringung nicht einhalten konnte, obwohl dieser Umstand vom Vergabekontrollsenat bei seiner Entscheidung offensichtlich nicht erörtert worden war.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark stellte mit unangefochtenem Bescheid vom 23. 4. 2003 fest, dass die Beklagte im gegenständlichen Vergabeverfahren infolge Verstoßes gegen das (damals noch anzuwendende) Steiermärkische Vergabegesetz 1998 - StVergG, LGBl 1998/74, den Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt habe. Daran sind die ordentlichen Gerichte bei der Beurteilung von Schadenersatzforderungen übergangener Bieter, hier also der Klägerinnen, gemäß § 118 Abs 2 StVergG gebunden (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0115618). Einer Erörterung der Frage, inwieweit der Verwaltungsgerichtshof bei seiner Entscheidung vom 9. 10. 2002 allenfalls (wie vor allem der Nebenintervenient meint) die Rechtslage verkannt und den Bescheid des Vergabekontrollsenats vom 10. 6. 1999 zu Unrecht aufgehoben haben könnte, bedarf es daher nicht.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wäre den Klägerinnen der Zuschlag zu erteilen gewesen, wenn die Beklagte (rechtsrichtig) die Bestbieterin ausgeschlossen hätte. Den Klägerinnen ist somit auch der Beweis der Kausalität der rechtswidrigen Zuschlagserteilung durch die Beklagte für den von ihnen behaupteten Schaden gelungen.
2. § 115 Abs 1 StVergG nennt als weitere Voraussetzung für den Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Kosten sowie eines allenfalls entgangenen Gewinns eine „schuldhafte Verletzung dieses Gesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen durch Organe der vergebenden Stelle“. Darauf beruft sich die Beklagte und meint, sie beziehungsweise ihre Organe treffe kein Verschulden, weil sie sowohl nach Gemeinschaftsrecht als auch nach österreichischem Recht an den formell rechtskräftigen Bescheid des Vergabekontrollsenats vom 10. 6. 1999 gebunden gewesen sei; dieser habe jedoch entschieden, dass weder ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten noch die Bestbieterin auszuscheiden sei.
Die Klägerinnen und ihr Nebenintervenient bestreiten eine derartige Bindung der Beklagten und sehen das Verschulden der Beklagten vor allem darin, dass sie den Zuschlag vor Ablauf der Beschwerdefrist gegen den Bescheid vom 10. 6. 1999 erteilt und dessen inhaltliche Unrichtigkeit nicht erkannt beziehungsweise beachtet habe.
Darauf kommt es jedoch nicht an:
2.1. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat aufgrund eines vom Obersten Gerichtshof zu 6 Ob 268/08t am 2. 7. 2009 eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 234 EG mit Urteil vom 30. 9. 2010 (RS C-314/09 ) ausgesprochen, dass die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung, die den Schadenersatzanspruch wegen Verstoßes eines öffentlichen Auftraggebers gegen Vergaberecht von der Schuldhaftigkeit des Verstoßes abhängig macht, auch dann entgegensteht, wenn bei der Anwendung dieser Regelung ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers vermutet wird und er sich nicht auf das Fehlen individueller Fähigkeiten und damit auf mangelnde subjektive Vorwerfbarkeit des behaupteten Verstoßes berufen kann. Der EuGH begründete dies insbesondere damit (RNr 35), dass der Wortlaut der Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1, 6 und 6 sowie des 6. Erwägungsgrundes der Richtlinie 89/665/EWG keinerlei Hinweis darauf enthält, dass der Verstoß gegen die Vergaberegelung, der einen Schadenersatzanspruch des Geschädigten begründen kann, besondere Merkmale aufweisen müsste, wie etwa dass er mit einem erwiesenen oder vermuteten Verschulden des öffentlichen Auftraggebers verknüpft ist. Die in Art 2 Abs 1 Buchstabe c der Richtlinie 89/665/EWG vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit könne nicht davon abhängig sein, dass ein Verschulden des öffentlichen Auftraggebers festgestellt wird.
2.2. Nach der Entscheidung des EuGH C-15/04 (Koppensteiner gegen BIG) haben Gerichte nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, die es daran hindern, die Verpflichtungen aus den Bestimmungen der Richtlinie 89/665/EWG zu beachten. Damit ist § 115 Abs 1 StVergG aber so zu lesen, dass bei Verletzung dieses Gesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen durch Organe der vergebenden Stelle ein übergangener Bewerber oder Bieter gegen den Auftraggeber, dem das Verhalten der Organe der vergebenden Stelle zuzurechnen ist, Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der durch die Teilnahme am Vergabeverfahren entstandenen Kosten hat. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es hingegen nicht an.
Da - wie bereits dargelegt - den Klägerinnen aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen der Beweis gelungen ist, dass die Beklagte im gegenständlichen Vergabeverfahren infolge Verstoßes gegen das (damals noch anzuwendende) Steiermärkische Vergabegesetz 1998 - StVergG, LGBl 1998/74, den Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt hat, sondern vielmehr den Klägerinnen der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, wenn die Beklagte (rechtsrichtig) die Bestbieterin ausgeschlossen hätte, haben die Vorinstanzen letztlich im Ergebnis zutreffend dem Schadenersatzbegehren dem Grunde nach stattgegeben.
3. Der Revision kommt somit keine Berechtigung zu. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)