Spruch:
Nach Testamentskundmachung ist ein Vergleichsabschluß ohne Rücksicht darauf zulässig, ob den Parteien der Inhalt der letztwilligen Anordnung bekannt war.
Entscheidung vom 13. Juli 1964, 6 Ob 198/64. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die am 25. August 1939 in der Heilanstalt Am Steinhof verstorbene Henriette Z., geborene L., war zu 3/10-Anteilen Eigentümerin der Liegenschaft EZ. 847 der Katastralgemeinde W., Haus in W., W.-Gasse
1. Sie setzte mit Testament vom 5. Februar 1936 ihre Adoptivtochter Rita L. und mit Testament vom 10. Dezember 1936 ihren Bruder Israel
L. zu Universalerben ihres ganzen Vermögens ein. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien, bei dem die Abhandlung zu 2 A 9/40 anhängig war, nahm die Erbserklärungen beider Testamentserben zu Gericht an und wies Rita L. die Klägerrolle zu. Eine Erbrechtsklage wurde nach Inhalt des Verlassenschaftsaktes erhoben, aber wieder zurückgezogen.
Am 23. Dezember 1954 schlossen die Streitteile in Tel Aviv ein Übereinkommen, in dem sie festhielten, daß sie als Neffe und Nichte der Henriette Z., deren gesetzliche Erben seien und daß deren Vermögen, falls es einem der Streitteile zufallen sollte, so aufgeteilt werde, daß nach Abzug der Gebühren und Kosten ein Drittel der Kläger und zwei Drittel die Beklagte erhalte. Diese Vereinbarung sollte auch für den Fall gelten, als ein Testament aufgefunden würde, auf Grund dessen das ganze Vermögen dem einen oder anderen Teil zukommen sollte. Für den Fall, daß aus irgendeinem Grund die Erbschaft keiner der Parteien zufallen würde, sollte der Kläger seine Unkosten ohne Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte allein tragen. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine unwiderrufliche Vollmacht zur Vornahme aller Schritte, die er oder der von ihm zu bestellende österreichische Anwalt zwecks Antretung der Erbschaft für notwendig und zweckmäßig erachten würde. Sollte die Vollmacht doch aus einem nicht in der Person des Klägers liegenden Grund widerrufen werden, so sollte sein Anspruch auf ein Drittel der Erbschaft dennoch zu Recht bestehen.
In der Folge wurden die 3/10-Anteile der Henriette Z. an der eingangs genannten Liegenschaft dem Israel L. und nach diesem auf Grund unbedingter Erbserklärung seiner Tochter, der Beklagten, mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8. Oktober 1957 eingeantwortet.
Der Kläger begehrt nun auf Grund des Übereinkommens vom 23. April 1950, die Beklagte schuldig zu erkennen, in die Einverleibung seines Eigentumsrechtes an einem Drittel der ihr zugefallenen 3/10-Anteile der Liegenschaft, somit 1/10-Anteil an der ganzen Liegenschaft einzuwilligen.
Das Erstgericht wies dieses Begehren mit folgender Begründung ab:
Die Einwendungen der Beklagten, die Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 habe sich nur auf eine Entlohnung des Klägers für seine Bemühungen bezogen und die Beklagte sei der deutschen Sprache nicht genügend mächtig gewesen, um die Vereinbarung zu verstehen, sei allerdings durch die Verfahrensergebnisse widerlegt. Vielmehr stehe fest, daß die vom Zeugen Dr. B. verfaßte und von beiden Parteien unterfertigte Urkunde den wahren Willen der Parteien wiedergebe.
Da beide Streitteile israelische Staatsbürger sind und der Vertrag in Israel geschlossen wurde, sei gemäß § 37 ABGB. zunächst israelisches Recht anzuwenden. Auf Grund des zufolge Ersuchens des Erstgerichtes durch das Bundesministerium für Justiz eingeholten Rechtsgutachtens des Rechtsanwaltes und Notars Doktor Franz St. in Haifa sei nach israelischem Recht die lex rei sitae, somit - da die streitige Liegenschaft in Österreich liegt - österreichisches Recht anzuwenden.
Gemäß § 1383 Satz 1 ABGB. könne über den Inhalt einer letztwilligen Anordnung vor deren Bekanntmachung kein Vergleich geschlossen werden. Nun sei zwar das Testament der Henriette Z. schon am 14. November 1939 gerichtlich kundgemacht worden. Die Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 sei also nach der Bekanntmachung des Testamentes, jedoch in einem Zeitpunkt geschlossen worden, in dem die Vertragsteile weder vom Inhalt des Testamentes noch vom Erbrechtstitel oder vom Umfang der Erbschaft Kenntnis hatten. Auf einen solchen Fall sei die Bestimmung des § 1383 Satz 1 ABGB. gleichfalls anzuwenden. Die dennoch getroffene Vereinbarung gelte nach Satz 2 der Gesetzesstelle als Wette, sei nach den Vorschriften über Glücksverträge zu beurteilen und begrunde daher gemäß § 1271 ABGB. nur eine unklagbare Naturalobligation. Würde aber der Vertrag vom 23. Dezember 1954 als Erbschaftskauf oder -schenkung aufgefaßt, so sei er mangels notarieller Form (§ 1278 (2) ABGB.) unklagbar.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Es billigte die erstrichterliche Beweiswürdigung, übernahm die darauf gegrundeten Feststellungen und pflichtete auch der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes durch das Erstgericht bei. Es fügte noch hinzu, daß die Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 auch deswegen keinen Klagegrund bilden könne, weil sie unter der Voraussetzung geschlossen worden sei, daß die Streitteile gesetzliche Erben der Henriette Z. seien oder daß sich ein Testament vorfinde, auf Grund dessen dem einen oder anderen Teil das ganze Vermögen testamentarisch vermacht worden sei. Da keine dieser Voraussetzungen erfüllt sei, Henriette Z. vielmehr ihren Bruder Israel als Erben eingesetzt habe, sei die Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 ungültig.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof vermag sich allerdings der Auslegung des § 1383 ABGB. durch die Vorinstanzen nicht anzuschließen. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, daß über den Inhalt einer letztwilligen Anordnung vor ihrer Bekanntmachung kein Vergleich geschlossen werden könne, ergibt sich der zwingende Umkehrschluß, daß nach der Bekanntmachung Vergleiche hierüber gültig geschlossen werden können. Es ist zwar richtig, daß die Entscheidung SZ. XIV 14 einen vor der Bekanntmachung der letztwilligen Anordnung abgeschlossenen Vergleich für gültig erklärt hat, weil den Parteien der Inhalt der noch nicht kundgemachten Anordnung bekannt war, doch läßt sich diese Ansicht die - wie jene Entscheidung selbst ausführt - in der Lehre sehr umstritten ist, immerhin noch mit der Begründung mit dem Gesetz vereinbaren, daß die Ungewißheit, die sonst mit der Kundmachung als beseitigt gilt, infolge der Kenntnis beider Parteien vom Inhalt der letztwilligen Anordnung schon vorher nicht mehr bestanden hat.
Ist aber die letztwillige Anordnung einmal kundgemacht, so gilt die Ungewißheit als beseitigt und ist der Abschluß eines Vergleiches darüber zulässig, ohne Rücksicht darauf, ob den Parteien der Inhalt der letztwilligen Anordnung bekannt war oder nicht; es genügt, daß er auf solche Art bekannt sein konnte (Wolff in Klang[2] VI S. 278, Ehrenzweig[2] I/1 S. 356, Zeiller, Komm. IV S. 69, Stubenrauch, Komm.[8] II S. 789, Nippel, Komm. zu § 1383 ABGB. S. 34 f.).
Da feststeht, daß das Testament der Henriette Z. schon am 14. November 1939 gerichtlich kundgemacht wurde, stunde somit der § 1383 ABGB. der Gültigkeit der Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 nicht entgegen.
Ob und inwieweit der weiteren Begründung des Berufungsgerichtes, daß das Klagebegehren deshalb nicht begrundet sei, weil die Voraussetzungen, unter denen die Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 geschlossen wurde, nicht gegeben seien, weil weder die Streitteile gesetzliche Erben der Henriette Z. seien noch deren Vermögen einem von ihnen testamentarisch vermacht wurde, Berechtigung zukommt, kann dahingestellt bleiben, da die Klage aus dem Gründe des § 1278 ABGB. jedenfalls abzuweisen ist.
Nach dem Gutachten des Dr. Franz St. gilt nach israelischem Recht auch bezüglich der Formvorschriften für Verträge die lex rei sitae.
Nach dem somit anzuwendenden § 1278 (2) ABGB. bedarf der Kauf (und ebenso die Schenkung: SZ. XXX 64) einer vom Verkäufer angetretenen oder ihm wenigstens angefallenen Erbschaft, um gültig zu sein, eines Notariatsaktes. Aus dem zu 1 A 121/53 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien anhängigen Verlassenschaftsakt nach Israel L. geht hervor, daß dieser mit Beschluß vom 15. November 1952 mit 31. Dezember 1946 für tot erklärt wurde. Damit ist seine Verlassenschaft, zu der auch der Nachlaß nach Henriette Z. gehörte (§ 547 ABGB.), der Beklagten als gesetzlicher Erbin nach ihrem Vater Israel L. angefallen.
Gleichviel, ob man die Zusage der Beklagten in der Vereinbarung vom 23. Dezember 1954, dem Kläger ein Drittel des Nachlasses nach Henriette Z. zu überlassen, als Schenkung oder als Entgelt für die vom Kläger zwecks Erlangung der Erbschaft zu erbringenden Leistungen auffaßt, hätte die Vereinbarung somit, um klagbar zu sein, der notariellen Form bedurft. Es läßt sich auch nicht der Standpunkt vertreten, daß hier bloß eine nicht formbedürftige Ausschlagung der Erbschaft zugunsten eines gesetzlichen Erben vorliege. Eine Ausschlagung der Erbschaft gemäß §§ 726, 805, 808 und 809 ABGB. ist nur dann anzunehmen, wenn der Ausschlagende schlechthin auf den ihm angefallenen Nachlaß verzichtet mit der Wirkung, daß der Anfall als nicht erfolgt gilt, sodaß die Erbschaft nicht ihm, sondern denjenigen Personen anfällt, die berufen gewesen wären, wenn er bereits vor dem Anfall weggefallen wäre. Wird hingegen auf die Erbschaft zugunsten bestimmter Personen verzichtet, denen die Erbschaft des Verzichtenden bei seinem Wegfall nicht zur Gänze zugefallen wäre, liegt keine Ausschlagung, sondern Erbschaftskauf bzw. im Falle der Unentgeltlichkeit Erbschaftsschenkung vor (SZ. XXIII 46, JBl. 1954 S. 174 u. a.). Im vorliegenden Falle nun hätte der Kläger bei Wegfall der Beklagten als Erbin keinesfalls den ihm in der erwähnten Vereinbarung zugedachten Anteil auf Grund des Gesetzes erhalten, da ja nach den eigenen Behauptungen des Klägers eine Adoptivtochter Rita L. vorhanden war, die auch im Verlassenschaftsverfahren u. a. die Erbserklärung auf Grund des Gesetzes abgegeben hat, und weil, selbst wenn diese Adoptivtochter aus irgend einem Gründe als Erbin weggefallen wäre, nach der nicht bekämpften auf die Parteienerklärungen und den Inhalt des Verlassenschaftsaktes gegrundeten Feststellung des Erstgerichtes der Kläger wegen Vorhandenseins mehrerer gesetzlicher Erben, nicht das ihm in der Vereinbarung zugedachte Drittel erhalten hätte. Die Zuwendung eines Drittels der Erbschaft an den Kläger ist daher als Erbschaftskauf allenfalls als Erbschaftsschenkung zu betrachten und hätte daher zu ihrer Gültigkeit des Notariatsaktes bedurft. Ein solcher liegt - wie sich gleichfalls aus dem Gutachten des Dr. Franz St. ergibt (Punkt XVII 2) - nicht vor, weshalb der Vereinbarung vom 23. Dezember 1954 die Klagbarkeit fehlt.
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