OGH 6Ob1/95

OGH6Ob1/959.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Schiemer, Dr.Pimmer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 11.Jänner 1992 verstorbenen Alois H*****, infolge Revisionsrekurses des erblasserischen Sohnes Alois H*****, vertreten durch Dr.Friedrich Krall, Rechtsanwalt in Kufstein, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 22. November 1994, AZ 51 R 142/94 (ON 48), womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kufstein vom 15.Juni 1994, GZ A 1294/92i-44, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin entschieden, daß der Beschluß des Erstgerichtes, mit welchem Alois H***** zum Anerben bestimmt worden ist, wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Der am 6.10.1921 geborene Alois H***** war grundbücherlicher Eigentümer des geschlossenen Hofes "T*****", EZ ***** der Hofabteilung des Grundbuches *****; er ist am 11.1.1992 verstorben. Seine Witwe (Gattin aus zweiter Ehe) und die sieben ehelichen, allesamt bereits volljährigen Kinder, darunter fünf Töchter und die beiden Söhne Alois (geboren am 11.5.1948) und Josef (geboren am 23.10.1958), nahmen die Formungültigkeit des fremdhändigen Testamentes vom 6.6.1988, in welchem der Sohn Josef zum "Haupterben" bestimmt worden war, zur Kenntnis und gaben aufgrund des Gesetzes bedingte Erbserklärungen zu einem Drittel (die Witwe) bzw zu je 2/21tel (die Kinder) ab. Diese Erbserklärungen sind mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 15.4.1992 zu Gericht angenommen worden (ON 9).

Der geschlossene Hof "T*****" kann bei ca. 4,4 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche und ca. 4 ha Wald von der inneren und der äußeren Verkehrslage her auch als Nebenerwerbshof geführt werden; er ist aufgrund des zwischen den Ehegatten geschlossenen Vertrages vom 28.1.1985 an die Witwe verpachtet.

Weder die Witwe noch die fünf Töchter des Erblassers haben ihre Bestimmung zum Anerben beantragt, wohl aber die beiden Söhne Alois und Josef. Die Miterben konnten sich nicht einigen, welcher der beiden Söhne Anerbe werden soll.

Beide Söhne sind zur Land- und Forstwirtschaft erzogen worden und auf dem Hof aufgewachsen. Der Sohn Alois übt den Beruf eines Briefträgers aus, der Beruf des Sohnes Josef ist schon in der Todfallsaufnahme der Gemeinde L***** vom 16.1.1992, aber auch in den späteren Protokollen des Gerichtskommissärs jeweils mit "Glasbläser" angegeben; er war bis ca. Jänner 1992 bei der Firma R*****-Glas in K***** als Hilfsarbeiter beschäftigt, hat aber dieses Dienstverhältnis nach eigener Angabe aufgekündigt, weil er die Dämpfe gesundheitlich nicht mehr ertrug (ON 32). Seither lebt und arbeitet er am Hof "T*****", den er zusammen mit der Witwe (Pächterin) bewirtschaftet.

Daraus folgerte das Erstgericht, daß keiner der beiden Söhne "noch unversorgt" ist und bestimmte nach der Regel des § 15 Abs.3 TirHöfeG den älteren Sohn Alois zum Anerben.

Das Rekursgericht faßte einen Aufhebungsbeschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- S übersteige und der Revisionsrekurs zulässig sei. Für den vom Erstgericht gezogenen Schluß, daß beide Söhne "versorgt" sind, reichten die Feststellungen noch nicht aus, lebe und arbeite danach doch der Sohn Josef nach Kündigung seiner Arbeitsstelle aus "offensichtlich gesundheitlichen Gründen" seit ca. zweieinhalb Jahren am Hof "T*****". Die Bestimmung des § 15 Abs.2, letzter Halbsatz, TirHöfeG habe grundsätzlich Miterben im Auge, welche aufgrund ihres Alters noch am Hof wohnen und arbeiten und deshalb "noch unversorgt" sind. Dennoch sei nach den Erläuternden Bemerkungen zur RV wohl auch der soziale Aspekt zu berücksichtigen, demzufolge Miterben, welche in einem vom Hof unabhängigen Beruf ein auskömmliches Einkommen haben und daher versorgt sind, nicht zu Lasten vom Hof Abhängiger bevorzugt werden sollen. Es werde daher noch zu klären sein, aus welchen Gründen der bereits 36jährige Sohn Josef keinem vom Hof unabhängigen Beruf (mehr) nachgeht und ob er seine Stelle als Hilfsarbeiter bei der Firma R*****-Glas tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben habe; dann wäre zu hinterfragen, welche Schritte er gesetzt hat, um eine andere Beschäftigung (Einkommensquelle) zu erlangen und ob und für welche Zeit er Arbeitslosenunterstützung erhalten habe. Sollte er danach die Suche nach einer neuen Beschäftigung unterlassen haben, wären auch etwaige familiäre Motive für ein solches Verhalten (zB das ungültige fremdhändige Testament, in welchem er als Hofübernehmer vorgesehen war) zu berücksichtigen. Wenngleich ein unversorgter Miterbe nicht uneingeschränkt zur Ergreifung eines einkommenverschaffenden Berufes "angespannt" werden könne, entspreche demgegenüber eine von einem Miterben "provozierte" Unversorgtheit doch nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Sohnes Alois ist zulässig und berechtigt.

Mit der Vorschrift des § 15 Abs.2 TirHöfeG hat das Bundesgesetz vom 13. Dezember 1989, mit dem das Gesetz betreffend die besonderen Rechtsverhältnisse geschlossener Höfe geändert wird, BGBl. 1989/657, vollkommen neue Ausleseregeln für die Auswahl des Anerben bei der gesetzlichen Erbfolge eingefügt. Sie entsprechen inhaltlich jenen, wie sie gleichzeitig mit § 6 Abs.1 Z 4 des KrntErbhöfeG 1990, BGBl. 1989/658, eingeführt worden sind. Der - wörtlich gleichlautende - letzte Halbsatz beider Bestimmungen lautet: "unter mehreren solchen Miterben gehen diejenigen vor, die noch unversorgt sind." Diese Bestimmungen weichen daher deutlich von der Formulierung des § 3 Abs.1 Z 4 AnerbenG in der Stammfassung (nunmehr § 3 Abs.1 Z 3 AnerbenG idF BGBl. 1989/659) ab, wird doch hier von "Miterben, die ... anderweitig versorgt sind" bzw. "nicht anderweitig versorgt sind", gesprochen. Nur am Sinngehalt des Wortes "anderweitig" hat sich aber der von Kathrein, Anerbenrecht 23, 62 und 101 referierte Meinungsstreit zwischen Edelbacher (ÖJZ 1980, 631 [632]) und Kralik (Erbrecht3 384) entzündet, weshalb daraus für die hier zu beantwortende Frage, wann ein Miterbe "noch unversorgt ist", auch nichts Entscheidendes gewonnen werden kann. Zur Ausleseregel des letzten Halbsatzes des § 6 Abs.1 Z 4 KrntErbhöfeG und des § 15 Abs.2 TirHöfeG wird jeweils in den ErlBem zur RV ausgeführt, daß die noch nicht versorgten Miterben "nicht gegenüber Miterben benachteiligt werden sollen, die auf die Übernahme des Hofes nicht angewiesen sind, weil ihre Existenz bereits gesichert ist (beispielsweise durch einen festen Beruf, aber auch durch Heirat)" (462 BlgNR 17.GP, 12), bzw daß die noch nicht versorgten Miterben "nicht gegenüber anderen benachteiligt werden sollen, die auf die Übernahme des Hofes nicht mehr angewiesen sind, weil sie sich eine vom Hof unabhängige Existenz, etwa durch eine Heirat oder durch eine vom Hof unabhängige Dauerstellung, geschaffen haben. Es wäre unbillig, wenn Miterben aufgrund des § 15 Abs.3 vorgingen, obwohl sie ihre Beziehungen zum Hof schon abgebrochen haben" (859 BlgNR 17.GP, 9 f).

Damit ist aber klargestellt, daß der Gesetzgeber unter mehreren land- oder forstwirtschaftlich ausgebildeten und mit dem Hof vertrauten Miterben nur diejenigen vorgehen lassen wollte, die sich bisher - aus welchen Gründen auch immer - noch keine vom Hof unabhängige Existenz schaffen konnten. War dies aber schon einmal der Fall, indem der Miterbe einen vom Hof unabhängigen Beruf ergriffen und ausgeübt hatte, so ist er demnach auch dann nicht mehr "noch" unversorgt, wenn er diesen Beruf später aufgibt und allenfalls sogar auf den Hof zurückkehrt. Die Aufgabe oder der Verlust einer bereits innegehabten, vom Hof unabhängigen Dauerstellung kann nämlich - ganz abgesehen von den aus einem solchen Dienstverhältnis dann entspringenden sozialrechtlichen Ansprüchen - nur zur Folge haben, daß der Miterbe schlechtestenfalls wieder unversorgt ist. Die historische Auslegung bestätigt daher die reine Wortinterpretation, welche gleichermaßen das Ergebnis zeitigt, daß die Bedeutung des Ausdruckes "noch" nicht mit dem Sinngehalt von "wieder" gleichzusetzen ist. Auch die objektiv-teleologische Interpretation läßt keinen anderen Lösungszweck als denjenigen erkennen, daß nur ein solcher Miterbe bevorzugt werden soll, der im Hinblick auf sein Alter oder auf seine noch nicht abgeschlossene hofunabhängige Berufsausbildung oder aus sonstigen Gründen überhaupt noch nicht in die Lage versetzt worden war, sich eine vom Hof unabhängige Existenz zu sichern, nicht aber derjenige, der eine solche vom Hof unabhängige Dauerstellung bereits innegehabt, sie aber später wieder aufgegeben oder verloren hat.

Letzteres trifft aber auf den Sohn Josef zu, hat dieser doch nach den Feststellungen jedenfalls bereits einmal einen vom Hof unabhängigen festen Beruf als Hilfsarbeiter (Glasbläser) bei der Firma R*****-Glas in K***** ausgeübt und sich damit eine hofunabhängige Existenz geschaffen, mag er daneben auch noch dem Vater und dessen zweiter Ehegattin bei der Bewirtschaftung des Hofes geholfen haben. Der vom Rekursgericht angenommene rechtliche Feststellungsmangel liegt daher nicht vor. Vielmehr erweist sich die rechtliche Schlußfolgerung des Erstgerichtes, daß keiner der beiden Anerbenanwärter "noch unversorgt ist", als zutreffend, weshalb die Ausleseregelung des § 15 Abs.3 TirHöfeG den Ausschlag geben muß. Daß dieses Ergebnis im Hinblick auf die Bestimmung des Sohnes Josef als "Haupterben" im formungültigen fremdhändigen Testament vom 6.6.1988 unbillig erscheinen mag, hat der Gesetzgeber aus Gründen der Voraussehbarkeit der Hofnachfolge ausdrücklich in Kauf genommen (859 BlgNR 17.GP, 10).

Diese Erwägungen führen bereits dazu, daß in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen war.

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