OGH 6Ob18/95

OGH6Ob18/9531.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schinko, Dr.Baumann und Dr.Prückner als weitere Richter in der zu FN 131576w anhängig gemachten Firmenbuchssache der Cristina S*****, vertreten durch Dr.Christian Girardi und Dr.Markus Seyrling, Rechtsanwälte in Innsbruck, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 4. April 1995, AZ 3 R 68/95 (ON 5), womit der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 27.Februar 1995, GZ 19 Fr 944/95y-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Am 21.2.1995 beantragte Cristina S***** beim Erstgericht die Eintragung der Einzelfirma "C*****-Boutique, C*****" mit dem Sitz in S***** und der Geschäftsanschrift ***** in das Firmenbuch. Als Geschäftszweig wurde der Einzelhandel mit Textilien, Bijouterie- und Lederwaren angegeben.

Zur Bescheinigung, daß das betriebene Unternehmen über den Umfang eines Kleingewerbes hinausgehe, legte die Antragstellerin die Stellungnahme der Wirtschaftskammer für Tirol vom 16.2.1995 vor, in welcher unter anderem angeführt wird, daß der Betrieb der Antragstellerin über den Umfang eines Kleingewerbes hinausgehe und aufgrund folgender Merkmale einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere: "1. Jahresumsatz S 3,500.000,--, 2. Wert des Betriebsvermögens: S 1,850.000,--, 3.

Gewinn: S 245.000,--, 4. Zahl der Dienstnehmer: 3 (1), 5.

Buchhaltung: doppelte", da auch das Prinzip der Firmenausschließlichkeit gewahrt sei, bestünden gegen die Eintragung keine Bedenken.

Das Erstgericht wies den Eintragungsantrag ab. Für das Unternehmen ergebe sich aufgrund des angegebenen Umsatzes keine Buchführungsverpflichtung gemäß § 189 HGB bzw. § 125 Abs.1 lit.a BAO, welche nur für einen Vollkaufmann zwingend vorgesehen sei. Nach den angegebenen Merkmalen handle es sich bei dem Unternehmen um einen Minderkaufmann im Sinne des § 4 HGB.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin keine Folge. Ob ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb erforderlich sei oder nicht, sei nach der ständigen Rechtsprechung und herrschender Lehre nach qualitativen und quantitativen Kriterien zu beurteilen, die einer kumulativen Betrachtung zu unterziehen seien. Die im § 4 Abs.3 HGB vorgesehenen Bestimmungen, durch welche die Grenze des Kleinbetriebes als Grundlage der nach dem Geschäftsumfang bemessenen Steuerpflicht oder in Ermangelung einer solchen Besteuerung nach anderen Merkmalen näher festgesetzt werden sollte, seien vom zuständigen Normengeber nie erlassen worden. In der Praxis bilde aber die Bestimmung des § 125 BAO über die Buchführungspflicht aus dem Gesichtspunkt des Steuerrechtes einen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Voraussetzung des Vorliegens der Vollkaufmannseigenschaft nach § 2 HGB. Danach sei davon auszugehen, daß Unternehmen, die die in § 125 Abs.1a BAO festgesetzte Höhe des Betriebsumsatzes nicht erreichten, über den Umfang eines Kleingewerbes nicht hinausgingen. Seit der 1993 geltenden Fassung des § 125 BAO seien die Voraussetzungen der Buchführungspflicht für die Antragstellerin nicht gegeben, weil der Jahresumsatz die dort festgelegte Grenze von S 5 Mill. nicht übersteige. Aus der Stellungnahme der Wirtschaftskammer für Tirol sei nicht zu entnehmen, daß sie Erhebungen gepflogen habe, ob das Unternehmen der Antragstellerin tatsächlich einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere, diese orientiere sich offensichtlich nur an den Angaben der Antragstellerin zu den unter den Punkten 1 bis 5 angeführten Positionen. Diese Stellungnahme sei daher nicht geeignet, die Vollkaufmannseigenschaft des zu beurteilenden Unternehmens zu belegen.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage des Vorliegens der Vollkaufmannseigenschaft unter dem Aspekt eines Jahresumsatzes in der in § 125 Abs.1 lit.a BAO vorgesehenen Höhe noch nicht Stellung genommen habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen auch berechtigt.

Wie auch das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, entspricht es der ständigen Rechtsprechung und Lehre (vgl. Straube in Straube HGB Rz 4 und 5 zu den §§ 2 und 4 und die dort angeführten Nachweise) ist die Beurteilung, ob ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb erforderlich ist oder nicht, nach quantitativen und qualitativen Kriterien vorzunehmen. In jedem Einzelfall sind die tatsächlichen Umstände aufgrund einer Gesamtbetrachtung des konkreten Unternehmens maßgeblich. Den Vorinstanzen ist zwar zuzustimmen, daß der Buchführungsgrenze des § 125 BAO maßgebliche Bedeutung zukommt, die Entscheidung darf aber nicht ausschließlich von dieser Grenze abhängig gemacht werden. Neben der Umsatzgröße sind auch der Wert der Geschäftsvorgänge, der Gewinn, das Investititonsvolumen, die Trennung von Anlage- und Umlaufvermögen, Art und Wert des Anlagevermögens, Inanspruchnahme von Krediten, Kontokorrentverkehr, Rechnungsverkehr, Zahl der Betriebsstätten, Zahl und Art der Beschäftigten, Betriebseinrichtung und ähnliche wirtschaftliche und kaufmännische Kriterien maßgeblich. Entscheidend ist das Gesamtbild des Unternehmens, das seiner Art nach kaufmännische Einrichtungen tatsächlich erfordert oder nicht. Das Rekursgericht, das diese Gesichtspunkte selbst als maßgeblich erachtet, führt in der Folge aber aus, der Stellungnahme der Wirtschaftskammer für Tirol sei nicht zu entnehmen, daß diese eigene Erhebungen gepflogen, sondern sich offensichtlich nur an den Angaben der Antragstellerin zu den in den Punkten 1 bis 5 angeführten Positionen orientiert habe. Eine Gesamtbeurteilung des konkreten Betriebes ist bisher nicht erfolgt. Es ist der Rechtsmittelwerberin zuzustimmen, daß sie im Hinblick auf die vorgelegte positive Stellungnahme der Wirtschaftskammer - hier ist insbesondere auf § 14 FBG zu verweisen - zunächst keine Notwendigkeit sehen mußte, weiteres Vorbringen zur Darlegung ihrer Vollkaufmannseigenschaft zu erstatten und Bescheinigungsmittel vorzulegen. Da die Vorinstanzen allein aufgrund der unüberprüft gebliebenen Angaben in den Punkten 1 bis 5 der Stellungnahme zu einer von dieser abweichenden Beurteilung gelangten, wäre es im Rahmen der amtswegigen Prüfungspflicht geboten gewesen, die Antragstellerin vor der endgültigen Entscheidung zur Erbringung weiterer Nachweise ihrer Vollkaufmannseigenschaft im Sinne der oben angeführten Kriterien aufzufordern. Dies wird nunmehr nachzuholen sein. In Stattgebung des Revisionsrekurses war daher wie im Spruch zu entscheiden.

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