OGH 6Ob148/00h

OGH6Ob148/00h28.6.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. Gerhard B*****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei Dr. Margot T*****, wegen Feststellung und Unterlassung, über den ordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 22. März 2000, GZ 2 R 30/00z-13, womit der Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 7. Februar 2000, GZ 22 Cg 9/00s-5, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen und der beklagten Partei die mit S 4.058,88 S (darin 676,48 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Primararzt eines Krankenhauses, das von einer Patientin wegen einer durch den Kläger durchgeführten Operation auf Schadenersatz geklagt worden war. Die nun beklagte Rechtsanwältin legte das in diesem Vorverfahren eingeholte Sachverständigengutachten (im Folgenden nur Gutachten) als Rechtsvertreterin einer anderen Patientin, die ebenfalls das Krankenhaus wegen einer behaupteten fehlerhaften Operation des Klägers belangt hatte, als Beweismittel vor.

Der Kläger begehrte nun mit seiner Klage gegenüber der Beklagten 1. die Feststellung, dass die Vorlage des Gutachtens durch die Beklagte gegen das Datenschutzgesetz (DSG) verstoße und rechtswidrig sei und

2. die Beklagte der Unterlassung für schuldig zu erkennen, die im Gutachten enthaltenen Daten zu übermitteln und weiterzugeben. Mit seinem Sicherungsantrag begehrte er ein gleichlautendes Unterlassungsgebot. In dem im Vorprozess eingeholten Gutachten sei die Krankengeschichte der Patientin im Detail dargestellt worden. Der Kläger werde als behandelnder Arzt angeführt, das Gutachten enthalte somit auch sensible Daten des Arztes; er habe ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse und sei durch die Vorlage des Gutachtens in seinem Recht auf Datenschutz verletzt worden. Es seien sensible Daten wie Arztbriefe, Krankengeschichten, Behandlungsmethoden und der Name des Klägers als behandelnder Arzt rechtswidrig weitergegeben worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrages. Das Gutachten sei im zweiten Zivilprozess zum Beweis dafür vorgelegt worden, dass die Nichterkennung der Harnleiterdurchtrennung einer Patientin ein schwerer Arztfehler gewesen sei. Die Klägerinnen beider Zivilverfahren seien in der Abteilung des Klägers behandelt worden. Ihnen sei unbemerkt der Harnleiter durchtrennt worden, was zu qualvollen Folgen geführt habe. Das Gutachten sei zum Beweis vorgelegt worden, dass die Nichterkennung der Durchtrennung des Harnleiters ein grober Kunstfehler gewesen sei. Die Beklagte sei gemäß § 9 RAO berechtigt gewesen, zu Gunsten ihrer Mandantin Beweismittel vorzulegen. Insoweit sich der Kläger auf Daten des Krankenhauses und anderer behandelnder Ärzte beziehe, fehle es ihm an der Aktivlegitimation. Der Kläger könne nicht darlegen, welche seine Person betreffenden Daten im Gutachten übermittelt worden seien. Sein Name und seine Berufsbezeichnung seien keine sensiblen Daten. Es fehle an einem schutzwürdigen Interesse an der Geheimhaltung. Die Klägerin im Vorprozess habe ihre Zustimmung zur Vorlage des Gutachtens gegeben. Durch die Vorlage eines kopierten Gutachtens werde der Tatbestand des Übermittelns von Daten nicht erfüllt.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es stellte aus dem Gutachten die Passagen fest, die unter namentlicher Anführung des Klägers (also mit direktem Bezug zu diesem) den medizinisch zu beurteilenden Sachverhalt und die Aussagen des Klägers dazu darstellen.

Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Beklagte das Gutachten als Rechtsvertreterin ihrer Mandantin vorgelegt habe und daher nicht passiv legitimiert sei. Selbst bei Bejahung dieser Frage hätte die Beklagte aber nicht rechtswidrig gehandelt. Die Rechtsanwältin sei gemäß § 9 RAO verpflichtet gewesen, sämtliche verfügbaren Beweismittel vorzulegen. Einem Dritten könne auch ohne Zustimmung der Parteien Akteneinsicht gestattet werden, wenn er ein berechtigtes rechtliches Interesse glaubhaft mache. Dieses Interesse sei zu bejahen, wenn die Kenntnis des Akteninhaltes zur Durchsetzung oder Abwehr eines Rechtsanspruches erforderlich sei. Es liege keine Verletzung sensibler Daten des Klägers vor. Das Geheimhaltungsinteresse werde dann nicht verletzt, wenn überwiegende berechtigte Interessen des Auftraggebers oder eines Dritten die Verwendung der Daten erforderlich mache. Dies sei hier der Fall.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Das Datenschutzgesetz 2000 BGBl I 1999/165 sei gemäß § 60 DSG erst am 1. 1. 2000 in Kraft getreten, hier aber bereits anzuwenden, weil ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht werde, auf den nach der Übergangsbestimmung des § 61 Abs 3 DSG die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz Anwendung finde. Das Grundrecht auf Datenschutz gewähre jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran bestehe. Der Begriff "personenbezogene Daten" sei weit gefasst. Dazu gehöre auch der Name und der Beruf einer Person. Die geschützten sensiblen Daten seien im § 4 Z 2 DSG taxativ aufgezählt. Betroffener sei jede vom Auftraggeber verschiedene Person, deren Daten verwendet worden seien. Das strittige Gutachten enthalte keine sensiblen, wohl aber personenbezogene Daten des Klägers. Das Grundrecht nach § 1 DSG gelte auch für die Verwendung von Daten außerhalb einer automationsunterstützten Datenanwendung. Grundsätzlich könne das schutzwürdige Interesse des Klägers auf Geheimhaltung der ihn betreffenden Daten aus dem Gutachten bejaht werden. § 1 Abs 2 DSG bestimme aber, dass Beschränkungen des Anspruches auf Geheimhaltung zur Wahrung überwiegender Berechtigter Interessen eines Anderen zulässig seien. Es lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen, dass der Anspruch auf Datenschutz nur gegenüber einer Partei und nicht gegenüber dem Vertreter der Partei zustünde. Die Passivlegitimation der Beklagten sei zu bejahen. Es sei im Sinne des § 1 Abs 2 iVm § 8 DSG eine Interessenabwägung vorzunehmen. Dem Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seiner Daten sei das Interesse der von der Beklagten vertretenen Prozesspartei an der Verwendung des Gutachtens gegenüberzustellen. Das DSG diene vor allem dem Schutz des Privat- und Familienlebens. Durch die Vorlage des Gutachtens, das berufsbezogene Daten des Klägers enthalte, werde der angeführte Privatbereich nicht wesentlich beeinträchtigt. Demgegenüber sei das Interesse der Beklagten und ihrer Mandantin, im Prozess alles vorbringen und Beweise anbieten zu dürfen, höher einzuschätzen. Der Kläger gestehe sogar zu, dass das Gutachten geeignet sein könnte, eine günstigere Beweislage für die von der Beklagten vertretene Prozesspartei zu schaffen.

Das Rekursgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand nicht und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Kläger gerade noch erkennbar die Abänderung dahin, dass dem Sicherungsantrag stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Entgegen der in der Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Auffassung hat das Rekursgericht den Entscheidungsgegenstand zutreffend nicht bewertet. Bei der Verletzung von höchstpersönlichen Rechten, die einer Bewertung durch Geld unzugänglich sind (SZ 55/186), hat ein Bewertungsausspruch des Gerichtes zweiter Instanz gemäß § 500 Abs 2 ZPO (§ 526 Abs 3 ZPO) zu entfallen. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels hängt vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ab (RZ 1994/51).

Zutreffend ist auch die (nicht bekämpfte) Ansicht des Rekursgerichtes, dass auf den vorliegenden Unterlassungsanspruch im Provisorialverfahren schon die Bestimmungen des am 1. 1. 2000 in Kraft getretenen DSG 2000 anzuwenden sind (§ 61 Abs 3 DSG).

Das Grundrecht auf Datenschutz war schon vor der in Umsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr; im Folgenden nur DS-RL) erfolgten Novellierung des DSG unabhängig von der Art der Datenverarbeitung. Auch nach altem Recht wurde Schutz gegen die Verwendung von Daten aus manuellen Datensammlungen gewährt (Dohr/Pollierer/Weiss, DSG Anm 12 zu § 1). § 1 Abs 3 DSG dehnt nunmehr richtliniengemäß die Rechte des Betroffenen auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung von Daten auf manuelle Dateien aus. Obwohl das Gesetz dies weder im § 1 DSG idgF noch in den Begriffsbestimmungen des § 4 DSG ausdrücklich zum Ausdruck bringt, ist es nach der systematischen und teleologischen Interpretation nicht zweifelhaft, dass das Recht auf Datenschutz gemäß § 1 leg cit nur solche personenbezogenen Daten (§ 4 Z 1 leg cit) betreffen kann, die in einer Datei aufscheinen, also nach der gesetzlichen Begriffsdefinition in einer strukturierten Sammlung von Daten, die nach mindestens einem Suchkriterium zugänglich sind (§ 4 Z 6 DSG). Das Gesetz ist richtlinienkonform auszulegen. Art 3 Abs 1 der DS-RL stellt den Anwendungsbereich klar. Der Schutz ist von der für die Sammlung der Daten verwendeten Technik unabhängig, weil sonst ernsthafte Risken der Umgehung (durch manuelle Datenbanken) bestünden (Erwägungsgrund 27 der DS-RL; Ghali, Datenschutz 240). Die DS-RL gilt also auch für manuell hergestellte Dateien, die auch die Richtlinie als strukturierte Sammlung personenbezogener Daten definiert, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, gleichgültig ob diese Sammlung zentral, dezentralisiert oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten aufgeteilt geführt wird (Art 2 lit c DS-RL). Eine Struktur der Sammlung liegt vor, wenn sie - im Gegensatz zu einem Fließtext - eine äußere Ordnung aufweist, nach der die verschiedenen Arten von Daten in einer bestimmten räumlichen Verteilung auf dem oder den manuellen Datenträgern oder in einer bestimmten physikalischen oder logischen Struktur dargestellt sind. Darüber hinaus müssen die Daten nach bestimmten Kriterien zugänglich sein, d.h. es bestehen vereinfachte Möglichkeiten der inhaltlichen Erschließung, beispielsweise durch alphabetische oder chronologische Sortierung oder durch automatisierte Erschließungssysteme (Ghali aaO 240, P 13.). Unter Datei sind daher Karteien und Listen, nicht aber Akten und Aktenkonvolute zu verstehen (Mayer-Schönberger/Brandl, DSG 2000, 62 f; Ghali aaO 240 P 7.), wie dies auch der Erwägungsgrund 27 der DS-RL (abgedruckt bei Ghali aaO 228 f) klar zum Ausdruck bringt. Datenschutz setzt das Vorliegen einer Datei voraus (Art 3 Abs 1 DS-RL; Dammann/Simitis EG-Datenschutzrichtli- nie 110), die sich durch den schon erwähnten bestimmten Organisationsgrad auszeichnet, der den Zugang und die Auswertung der Daten erleichtert (Dammann aaO 121).

Zu fragen ist daher, ob das von der beklagten Rechtsanwältin in einem Zivilprozess als Beweismittel vorgelegte Gutachten eines medizinischen Sachverständigen aus einem Vorprozess überhaupt eine Datei im Sinne des DSG ist, also das angeführte Mindesterfordernis von zumindest einem Suchkriterium aufweist. Schon dazu fehlt es an jeglicher Behauptung des Klägers. Der Sachverständige hat im Vorprozess ein Gutachten erstattet, das zwar unstrittig personenbezogene Daten über den Kläger und seine ehemalige Patientin enthält. Dies allein reicht aber noch nicht aus, das Gutachten als Datei qualifizieren zu können. Grundsätzlich wird ein Prozessgutachten mangels Suchkriterium keine Datei sein, genausowenig wie ein Zeitungsbericht oder ein Buch, sofern nicht auch das für eine Datensammlung (Datei) charakteristische Spezifikum hinzutritt. Ohne dieses Erfordernis müssten auch Akten aus einem behördlichen Verfahren als Datei qualifiziert werden, was der gesetzlichen Definition und den angeführten Erwägungen zur Datenschutzrichtlinie widerspricht und eine uferlose Ausweitung des Datenschutzes bedeuten würde. Ein Gutachten ist Bestandteil eines Aktes und wie dieser grundsätzlich keine Datei. Gegenteiliges hätte der für den Anspruch nach Datenschutzrecht bescheinigungspflichtige Kläger nachzuweisen gehabt. Schon das Fehlen jeglicher Parteibehauptungen zu diesem Thema und die zu weite Fassung des Sicherungsbegehrens müssen zu dessen Abweisung führen. Der Kläger strebt die Unterlassung der im Gutachten enthaltenen Daten an, ohne diese im Sicherungsantrag näher zu bezeichnen. Sein Antrag läuft darauf hinaus, der Beklagten die Verwendung des gesamten Gutachtens, also inklusive auch der Daten der Patientin, zu verbieten. Hinsichtlich dieser den Kläger nicht betreffenden Daten ist er auch nicht aktiv legitimiert.

Im Ergebnis zielt der Sicherungsantrag auf ein Beweismittelverbot im Zivilprozess. Ob ein solches mit Datenschutzrecht begründet werden kann, ist (auch) eine Frage der Interessenabwägung, wie das Rekursgericht zutreffend aus § 1 Abs 2 und § 8 DSG ableitete. Die Beklagte hat ihre Interessen mit den Rechten und Pflichten des Rechtsanwalts zu einem unumwundenen Prozessvorbringen im Interesse des Klienten begründet (§ 9 RAO). Entgegen der Auffassung des Klägers ist dieses Recht des Rechtsanwalts und das dahinter stehende Recht der vom Rechtsanwalt vertretenen Partei durchaus in die erforderliche Interessenabwägung einzubeziehen. Das Gesetz selbst stellt den schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen des Betroffenen das Recht des Auftraggebers auf Verwendung von Daten gegenüber, die er zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen vor einer Behörde benötigt (§ 8 Abs 3 Z 5 DSG), was auch für die Verwendung sensibler Daten gilt (§ 9 Z 9 DSG). Ob die gebotene Interessenabwägung (zu dieser näher 6 Ob 2228/96g = SZ 70/42) hier im Sinne der Rechtsausführungen des Rekursgerichtes zu Gunsten der Beklagten ausschlägt, hängt von der Wichtigkeit des Beweisthemas und des Beweismittels ab, dessen Verwendung - das Vorliegen einer Datei vorausgesetzt - notwendigerweise auch einen Eingriff in das Recht auf Datenschutz bedeutet. Hier wurde das Gutachten aus dem Vorprozess von der beklagten Rechtsanwältin im Folgeprozess offenkundig nicht zum unmittelbaren Beweisthema, sondern nur als Hilfsbeweis zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Klägers vorgelegt. Ob dies gegenüber dem Geheimhaltungsanspruch des Klägers gerechtfertigt war, muss hier nicht näher untersucht werden, weil der Sicherungsantrag aus den oben dargestellten Erwägungen zu Recht abgewiesen wurde. Es ist daher hier nur der Auffassung des Revisionsrekurswerbers entgegenzutreten, dass § 9 RAO und das rechtliche Interesse der Prozesspartei an ungehinderter Prozessführung (Prozessvorbringen und Stellen von Beweisanboten) gegenüber dem Recht auf Datenschutz in jedem Fall, also ohne Interessenabwägung, zurücktreten müsste. An dieser Stelle genügt dazu ein Hinweis auf die Judikatur zum vergleichbaren Fall einer Ehrenbeleidigung durch Prozessvorbringen (EvBl 1970/70; SZ 67/10; 6 Ob 305/98s = MR 1999, 22 [Korn]).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf den §§ 402 und 78 EO iVm §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte