Spruch:
Der Anspruch nach § 970 ABGB. steht grundsätzlich dem Gast zu, auch wenn es sich bei den von ihm eingebrachten Sachen um fremdes Eigentum handelt.
Entscheidung vom 29. Mai 1959, 6 Ob 135/59.
I. Instanz: Bezirksgericht Montafon; II. Instanz: Landesgericht Feldkirch.
Text
Der Beklagte ist Eigentümer eines an der nach S. führenden Straße gelegenen Gasthofes in P. Zwischen dem Gebäude und der Fahrbahn liegt ein etwa 2 m breiter Streifen. In einem Abstand von etwa 7 m vom Gasthofgebäude entfernt steht, ebenfalls längs der Straße, das Wirtschaftsgebäude, in welchem nach der Aktenlage der Beklagte und seine Familie, aber auch sein Personal wohnt. Zwischen beiden Gebäuden befindet sich also eine Art Hof.
In diesem Gasthof weilte im März 1956 der Zeuge Karl L., Generalagent der klagenden Partei, einer Versicherungs-AG. in M., als Gast. Die klagende Partei hatte ihm einen PKW. zur Verfügung gestellt, der am Vormittag des 20. März 1956 im Hof zwischen dem Gasthof und dem Wirtschaftsgebäude stand und von einer infolge Sonnen- und Föhneinwirkung vom Dach des Wirtschaftsgebäudes abgehenden Schneelawine verschüttet und beschädigt wurde. Im vorliegenden Prozeß belangte die klagende Partei den Beklagten auf Schadenersatz, wobei sie behauptete, daß dem Zeugen L der Platz im Hof ausdrücklich zum Parken zugewiesen worden und von ihm mehrfach hiezu benützt worden sei und der Beklagte, als seine Versicherungsgesellschaft eine Leistung wegen Prämienverzuges verweigerte, seine Ersatzpflicht ausdrücklich anerkannt und Schadenersatz aus eigenen Mitteln zugesagt habe.
Der Erstrichter sprach mit Zwischenurteil aus, daß der Anspruch der klagenden Partei dem Gründe nach zu Recht bestehe. Seine Begründung läßt sich wie folgt zusammenfassen: L. sei in Begleitung des Zeugen Anton M., der damals beim Beklagten als Buchhalter beschäftigt war und sich nach der Aktenlage auch um die Gäste kümmerte, kurze Zeit vor dem Abgang der Dachlawine mit dem PKW. von einer Fahrt zurückgekommen und habe ihn an der Stelle abgestellt, an der er dann verschüttet wurde; Rosina P., die Gattin des Beklagten, habe dies von einem Fenster des Wirtschaftsgebäudes beobachtet und habe den beiden in ihrer Mundart zugerufen, sie dürften den Wagen wegen der Dachlawine dort nicht stehenlassen, sie seien verantwortlich, wenn etwas passiere; L. und M., die beide angeheitert waren, hätten sich darum aber nicht gekümmert; Rosina P. habe es unterlassen, sich zu vergewissern, daß L. ihre Warnung verstanden habe, obgleich sie seine Alkoholisierung bemerkt hatte; tatsächlich habe L. die Warnung nicht verstanden; ob M. sie verstanden habe, sei unerheblich; bei diesem Sachverhalt sei die Haftung des Beklagten nach § 970 ABGB. begrundet.
Das Berufungsgericht wies hingegen nach Beweiswiederholung das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß L. den Zuruf der Rosina P. gehört und verstanden, aber mit der Hand eine abweisende Geste gemacht und sich mit M. entfernt habe; der Wagen sei also verbotswidrig im Hof abgestellt gewesen und nicht als eingebracht im Sinn des Gesetzes anzusehen, weshalb der Beklagte nach § 970 ABGB. nicht zu haften habe; er hafte aber auch nicht nach § 1311 ABGB., obgleich er gegen das Abgehen von Schnee und Eis vom Dach des Wirtschaftsgebäudes keine Schutzvorkehrungen getroffen habe, weil sich beim Augenschein aus den "örtlichen Begebenheiten" ergeben habe, daß der Platz zwischen dem Gasthof und dem Wirtschaftsgebäude weder für den allgemeinen Verkehr noch für die Gäste des Beklagten bestimmt gewesen sei; Schutzvorkehrungen seien aber nur dort zu fordern, wo eine Gefahr für Personen und Sachen entstehen könne, die sich berechtigterweise dort befänden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Träger des Anspruches aus § 970 ABGB. ist - womit sich die Unterinstanzen nicht beschäftigt haben - grundsätzlich der Gast, auch wenn es sich bei den von ihm eingebrachten Sachen um fremdes Eigentum handelt (vgl. Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 663 f.; Palandt, BGB., 19. Aufl. zur analogen Bestimmung des § 701 BGB. unter Anm. 3). Da aber der tatsächlich anspruchsberechtigte L. von der Prozeßführung der Klägerin weiß und offensichtlich mit ihr einverstanden ist, besteht kein Grund, das Begehren schon deshalb abzuweisen (SZ. XXIV 158 u. a.), zumal die Klagelegitimation förmlich nicht bestritten wurde.
Selbst wenn in rechtlicher Beziehung weiter zugunsten der klagenden Partei unterstellt wird, der Wagen sei doch als eingebracht im Sinn des Gesetzes anzusehen - sei es, daß der Hof nach der Verkehrsauffassung doch als für die Gäste des Beklagten bestimmt anzusehen wäre (vgl. hiezu Gschnitzer a. a. O. 665), sei es, daß bei Auswertung aller Verfahrensergebnisse feststellbar wäre, der Platz im Hof sei dem Beklagten zum Abstellen des Wagens von dem damals beim Beklagten beschäftigten Zeugen M. angewiesen worden (was er selbst als Zeuge bekundete) -, wäre für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen, weil die Nichtbeachtung der Warnung der Rosina P. vor der Dachlawine durch den Zeugen L. ein so schweres und weitaus überwiegendes Mitverschulden des L. darstellen würde, daß dadurch die Haftung des Beklagten im Sinn der §§ 970 Abs. 1 Satz 2 bzw. 1304 ABGB. praktisch aufgehoben würde (GlUNF. 5993, 2 Ob 201/ 52 u. a.).
Dessenungeachtet mußte das angefochtene Urteil in Stattgebung der Revision aufgehoben werden, weil das Berufungsgericht übersehen hat, daß das Klagebegehren auch darauf gestützt worden war, daß der Beklagte Ersatz des Schadens ausdrücklich zugesagt haben soll. Ob es einer Fortsetzung der mündlichen Berufungsverhandlung bedarf, um die Sache auch in diesem Belang spruchreif zu machen, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben.
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