Normen
ABGB §1452
ABGB §1470
Servitutenpatent 1853 §1 Z2
Servitutenpatent 1853 §43
Wald- und Weideservituten-Landesgesetz für Kärnten §53
ABGB §1452
ABGB §1470
Servitutenpatent 1853 §1 Z2
Servitutenpatent 1853 §43
Wald- und Weideservituten-Landesgesetz für Kärnten §53
Spruch:
Der Erwerb von Weideservituten durch Ersitzung ist seit Inkrafttreten des Servitutenpatents vom 5. Juli 1853 ausgeschlossen; wird Erwerb durch Ersitzung geltend gemacht, muß die Vollendung der Ersitzungszeit vor dem Inkrafttreten des Servitutenpatentes nachgewiesen werden.
Entscheidung vom 20. Juni 1962, 6 Ob 129/62.
I. Instanz: Bezirksgericht Gmund in Kärnten: II. Instanz; Landesgericht Klagenfurt.
Text
Die Kläger sind Eigentümer bäuerlichen Liegenschaften und behaupten, sie und ihre Vorbesitzer hätten seit unvordenklichen Zeiten auf dem sogenannten Sonnberg, das ist die Flurbezeichnung eines Waldkomplexes, in welchem Waldparzellen der Streitteile und noch weiterer bäuerlicher Besitzer gelegen sind, ihr Vieh weiden lassen, ebenso wie es der Beklagte bzw. seine Besitzvorgänger aber auch weitere Besitzer getan hätten, deren Parzellen gleichfalls am Sonnberg gelegen sind. Nach Behauptung der Kläger handelt es sich somit um ein wechselseitiges Weiderecht der einzelnen Eigentümer der am Sonnberg gelegenen Waldparzellen an den am Sonnberg gelegenen Waldparzellen der übrigen Eigentümer nach Art der sogenannten Koppelweide. Eine Regulierung dieser wechselseitigen Weiderechte nach dem Servitutenpatent vom 5. Juli 1853 ist nicht erfolgt; der Versuch einer einvernehmlichen Regelung dieser Weide durch die Agrarbezirksbehörde Villach im Jahre 1957 ist gescheitert. Da der Beklagte nach einer während des zweiten Weltkrieges erfolgten Kahlschlägerung seiner am Sonnberg gelegenen Parzellen und deren Wiederaufforstung sich einer Ausübung eines Weiderechtes widersetzt und dieses auch bestreitet, wird er von den Klägern auf Feststellung des Bestandes der Weidedienstbarkeit zugunsten der klägerischen Liegenschaften an den dem Beklagten gehörigen, am Sonnberg gelegenen Waldparzellen und auf Einwilligung in die bücherliche Einverleibung dieser Weidedienstbarkeit belangt.
Die Kläger stützen ihre Behauptungen vom Bestand eines unvordenklichen wechselseitigen Weiderechtes insbesondere auf eine von ihnen als "Bergbrief" bezeichnete Urkunde, wonach schon am letzten Oktober 1801 vor dem Pfleg- und Landgerichte Gmund sämtliche "Nutznießer des Sonnberger Gemeindeberges" erschienen sind, und zwar 15 in der Urkunde mit Namen und Vulgarnamen angeführte Hubenbesitzer und 4 namentlich nicht angeführte Keuschler, welche wegen widerrechtlicher Übertreibung des Sonnbergs mit Rind- und Schafvieh um eine Regelung vorstellig wurden, worauf das Landgericht Erhebungen nach dem Viehstand der vorigen Inhaber des Gemeinberges anstellte und (am 21. Mai 1802) zum Ergebnis gekommen ist, daß jede Hube 2 Rinder und 23 Schafe auftreiben dürfe, "bei welchen es immer und auf ewige Weltzeiten sein Verbleiben haben solle". Die Urkunde enthält auch die Wendung, daß sich die Nachbarn unter sich einhellig und frei verglichen haben, daß keiner von ihnen fremde Schafe aufnehmen, sondern nur solche aus der Nachbarschaft und bei Fehlen von Rindern 5 Schafe an Stelle eines Rindes auftreiben dürfe.
(Die Streitteile sind die Besitznachfolger der im Bergbrief angeführten Besitzer)
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt.
Der dagegen seitens des Beklagten erhobenen Berufung wurde Folge gegeben und das Ersturteil im Sinn der Klagsabweisung abgeändert.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Laut dem in Photokopie und Abschrift vorliegenden sogenannten "Bergbrief" d. d. 21. Mai 1802, als welcher der Extrakt aus dem Pfleg- und Landgerichtsprotokoll bezeichnet wird, sind eine Reihe von Personen, welche als "samments-Nuznüsser des Sonberger Gemeinberg" bezeichnet werden, beim Landgericht in Gmund vorstellig geworden, daß einige "Nachbarn" den "besagten Gemeinberg mit Rind- und Schaafvieh wiederrechlich übertreibeten". Die Antragsteller haben gebeten, "eine Verhältnismäsige billige Austheilung zumachen, daß keiner mehr, oder weniger als sein bestimmtes Vieh aufzutreiben haben solle". Daraufhin hat das Landgericht den ganzen Viehstand der "vorherigen Inhaber des Gemeinberges" zum Maßstab genommen und hierdurch genau eingesehen, daß ob einer Hube zwei Stück Rindvieh und 23 Stück Schaf aufzutreiben wären. Bei diesem Verhältnis ist es daher auch bestimmt worden, "daß für die Zukunft keiner mehr als ob jeder Hube zwei Stück Rindviech und 23 Stück Schaaf aufzutreiben haben solle, bei welchen es immer und auf ewige Weltzeiten sein Verbleiben haben solle". Weiter wurde ausgesprochen, daß im Falle der Überschreitung "das mehrere Vieh abgepfändet und jeder für ein Stück dem Landgericht in eine Strafe von 30 Kr verfallen sei". "Übrigens hätten sich die Nachbarn unter sich einhellig und frei verglichen, daß keiner von ihnen, der nicht die genügende Zahl von Schaafen selbst besitzt, berechtigt wäre, fremde Schafe aufzunehmen, sondern bloß solche aus der Nachbarschaft." An Stelle eines Rindes sollte jeder befugt sein, 5 Schafe aufzutreiben. All dies genau einzuhalten, wurde von den "all vorigen" die Angelobung geleistet.
Schon die Ausdrücke "samments-Nuznüsser" gleichbedeutend mit:
Gesamtnutzungsberechtigte, "Sonberger Gemeinberg" offensichtlich gleichbedeutend mit: Gemeindebesitz, schließlich die Ausdrücke:
"Nachbarn" und "Nachbarschaft" weisen darauf hin, daß es sich um eine Regelung des Auftriebsrechtes einer agrarischen Gemeinschaft in ihrer ältesten Rechtsform, bei welcher Gemeindegut von allen oder einer Gruppe von Gemeindemitgliedern benutzt wird, handelt. Diese Form der alten Dorfgemeinschaft, die neben anderen Gemeinschaftstypen aus der altdeutschen Allmende hervorgegangen ist, erhielt erst durch die Gemeindegesetzgebung um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihre letzte Gestalt. Neben diesen alten Formen der agrarischen Gemeinschaften gibt es eine zweite Gruppe, welche erst durch die gemäß dem Kaiserlichen Patent vom 5. Juli 1853, RGBl. Nr. 130, durchgeführte Regulierung und Ablösung der Holz-, Weide- und Forstproduktenbezugsrechte entstanden ist. Diese Weisen u. a. den Gemeinschaftstyp auf, daß Wald und Weide im Eigentum einer Anzahl von Gemeindegenossen stehen. Diese bilden eine organisierte Gemeinschaft, die das Bild einer Korporation bietet. Das Vermögen gehört nicht ihr, sondern den einzelnen Teilgenossen. Die Anteile sind an das Eigentum bestimmter Höfe gebunden. Daß der vorliegende "Bergbrief" vom Jahre 1802 nur als eine von Gerichts wegen getroffene und für die Beteiligten verbindliche Regelung des gemeinsamen Nutzungsrechtes einer alten Dorfgemeinschaft am Gemeindegut zu verstehen ist, ergibt sich demnach schon aus dem Zeitpunkt der Errichtung dieser Urkunde (vgl. Klang[2] II S. 150 ff. und die dort zitierte Literatur). Für die Richtigkeit dieser Urkundenauslegung spricht aber vor allem der Umstand, daß die nach den Feststellungen bereits im Jahre 1826 als Eigentum der "Ortschaft Sonnberg" eingetragene Parzelle 921 = EZ. 115, KG. Eisentratten, welche gleichfalls einen Gemeinschaftsbesitz (Agrargemeinschaft) der Nachbarschaft Sonnberg-Densdorf und Plessnitz darstellt und mit Erkenntnis der Agrarbezirksbehörde Spittal-Drau vom 26. Februar 1931 hinsichtlich der gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte einer Neuregulierung unterzogen wurde, mit Ausnahme der Auswechslung von zwei Vulgarnamen die gleichen, mit ihren Vulgarnamen bezeichneten, nach dem Regulierungsplan derzeit Anteilsberechtigten aufweist, welche bereits im Bergbrief vom Jahre 1802 als "Nuznüsser des Sonberger Gemeinberges" genannt sind. Dies läßt aber in weiterer Folge darauf schließen, daß die Rechtsvorgänger der Kläger und des Beklagten auch an den im Bergbrief als "Sonberger Gemeinberg" bezeichneten, im Jahre 1802 noch Gemeindegut bildenden, Weideflächen in Form einer Agrargemeinschaft nutzungsberechtigt waren. Die vom Erstgericht aus dem Text und Sinn der Urkunde vom 21. Mai 1802 gezogene gegenteilige Schlußfolgerung, daß mit der Bezeichnung "Sonberger Gemeinberg" deswegen nur die gesamten Waldparzellen am Sonnberg zu verstehen seien, weil in der Urkunde auf Gemeinschaftsgut (Nachbarschaft) nicht Bezug genommen wurde, dort aber auch von "Inhabern des Gemeinberges" gesprochen werde, ist keineswegs zwingend, weil das Vorliegen einer Agrargemeinschaft schon durch die Bezeichnung "Nuznüsser des Sonberger Gemeinberges" zum Ausdruck kommt, aber auch unter der Bezeichnung "Inhaber des Gemeinberges" zwanglos eine Form des Nutzungsrechtes am Gemeindegut verstanden werden kann. Das gleiche gilt von der gebrauchten Bezeichnung: "ihr besagter Gemeinberg". Aus dem "Bergbrief" geht aber auch mit hinreichender Deutlichkeit hervor, daß nicht etwa die Regelung bereits bestehender, wechselseitig ausgeübter und anerkannter Weiderechte am eigenen Grund und Boden, sondern die Begrenzung des allen Beteiligten gemeinsam zustehenden Rechtes der Viehweide am Gemeinschaftsbesitz (Nachbarschaft) durch Regelung des Viehauftriebes dem Umfange nach Zweck der Urkundenverfassung war, so daß daraus auch nicht die seither ständige Ausübung von Weiderechten seitens der Kläger bzw. ihrer Rechtsvorgänger auf den klagsgegenständlichen Parzellen abgeleitet werden kann. Der Urkundeninhalt rechtfertigt nur die Annahme, daß unter "Sonberger Gemeinberg", welcher keine genau abgrenzbare Flurbezeichnung darstellt, diejenigen Bergteile zu verstehen sind, welche im Jahre 1802 Eigentum der Gemeinde Sonnberg gebildet haben. Nun läßt aber die nahezu gänzliche Übereinstimmung der nunmehrigen Anteilsberechtigten an der Gemeinschaftsparzelle 921 mit den im "Bergbrief" genannten Nutznießern ohne Rücksicht darauf, ob Identität mit dem letztgenannten Gemeinschaftsbesitz anzunehmen ist oder nicht, mit hinlänglicher Sicherheit den Rückschluß zu, daß es sich auch in Ansehung des in der Urkunde genannten "Sonberger Gemeinberges" um eine Agrargemeinschaft der dort angeführten Gemeindemitglieder handelt, welche zur gemeinsamen Nutzung am Gemeindegut durch Ausübung der Viehweide berechtigt waren.
Da sohin weder eine wechselseitige Ausübung von Weiderechten seitens der Kläger und des Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgänger an den ihnen eigentümlich gehörigen am Sonnberg gelegenen Parzellen durch den Bergbrief vom Jahre 1802 erwiesen werden konnte, noch ein nach Kundmachung des Patentes vom 5. Juli 1853 stattgefundener vertraglicher Rechtserwerb behauptet wurde, müßte der Beweis eines dennoch stattgefundenen allfälligen Rechtserwerbes durch Ersitzung (§ 1498 ABGB.) auf andere Weise erbracht werden, wobei der Beweis der Ersitzungsvoraussetzungen gleichfalls den Klägern obliegt. Es müßte daher zumindestens der Bestand des "rechtlichen" Besitzes durch Ausübung der in Anspruch genommenen Rechte am Beginn und am Ende der dreißigjährigen Ersitzungszeit dargetan werden (§§ 1460, 1470 ABGB.; vgl. Klang[2] VI S. 578). Nun bestimmt bereits das Kaiserliche Patent vom 5. Juli 1853 im § 43, daß vom Tage der Kundmachung dieses Patentes Rechte von der Art, welche nach der Bestimmung des § 6 lit. a Amts wegen in Verhandlung gezogen werden müssen, nicht mehr ersessen werden können und ein bereits früher angefangener, jedoch nicht bis zur Vollendung der Ersitzung fortgesetzter Besitz mit jenem Zeitpunkt für unterbrochen zu erachten ist. Im § 6 lit. a ist auf die im § 1 Z. 1, 2 und 3a sowie auf die im § 2 angeführten Rechte Bezug genommen. Im § 1 Z. 2 ist das Weiderecht auf fremdem Grund und Boden ausdrücklich genannt. Das Kaiserliche Patent vom 5. Juli 1853 ist mit dem XVII. Stück des Reichsgesetzblattes für das Kaisertum Österreich am 14. Juli 1853 versendet worden. Das Landesgesetz für Kärnten vom 10. März 1920, veröffentlicht im Landesgesetzblatt für Kärnten, XXII. Stück, ausgegeben und versendet am 6. Juli 1920, betreffend die Ablösung, Regelung und Neuregelung der Wald-, Weide- und Felddienstbarkeiten, LGBl. Nr. 41, ist gemäß § 52 am ersten Tag des auf seine Kundmachung folgenden Kalendermonates, sohin am 1. August 1920, in Kraft getreten und am gleichen Tage das vorerwähnte Kaiserliche Patent vom 5. Juli 1853 außer Wirksamkeit getreten. Im § 53 des Landesgesetzes vom 10. März 1920 wird bestimmt, daß vom Beginn der Wirksamkeit dieses Gesetzes an die den Gegenstand desselben bildenden Dienstbarkeiten nicht mehr ersessen werden können. Schon nach der Präambel des Gesetzes unterliegen den Bestimmungen u. a. die Weiderechte auf fremdem Grund. Dieses Landesgesetz ist noch heute in Gültigkeit. Sohin konnte eine Weidedienstbarkeit seit 14. Juli 1853 nicht mehr ersessen und eine früher begonnene Ersitzung nicht mehr vollendet werden. Mit Rücksicht auf die im § 1470 ABGB. geforderte dreißigjährige Ersitzungszeit müßten demnach die Kläger die tatsächliche Ausübung des Weiderechtes auf den klagsgegenständlichen Parzellen des Beklagten durch sie bzw. ihre Rechtsvorgänger (§ 1493 ABGB.) seit 14. Juli 1823 nachweisen.
Hiezu hat das Erstgericht auf Grund der Durchführung eines umfangreichen Zeugenbeweises die Feststellung getroffen, daß die Kläger bzw. deren Rechtsvorgänger auf den klagsgegenständlichen Parzellen in dem in der Klage genannten Ausmaß "seit unvordenklichen Zeiten Vieh geweidet haben, und zwar seit mindestens einer Zeit, in welcher bereits die Ersitzung nach dem Landesgesetz vom 10. März 1920 beendet gewesen wäre". Da das Erstgericht, wie sich aus seiner Begründung ergibt, offensichtlich von der rechtsirrigen Meinung ausgegangen ist, daß erst das Landesgesetz vom 10. März 1920 die Ersitzung der in Anspruch genommenen Dienstbarkeit ausgeschlossen habe, kann jedoch diese Feststellung nur dahin verstanden werden, daß die Weiderechte seitens der Kläger bzw. ihrer Rechtsvorgänger zumindestens während eines vom Wirksamkeitsbeginn dieses Gesetzes 1. August 1920) 30 Jahre zurückzurechnenden Zeitraumes auf den klagsgegenständlichen Parzellen des Beklagten tatsächlich ausgeübt wurden. Eine andere Auslegung der Feststellung des Erstgerichtes würde den Denkgesetzen widerstreiten, da der Beweis einer dreißigjährigen Rechtsausübung der in Anspruch genommenen Dienstbarkeit seitens der Rechtsvorgänger der Kläger vor Inkrafttreten des Servitutenpatentes durch Zeugen überhaupt nicht erbracht werden kann. Der vom Erstgericht festgestellte Zeitraum der Rechtsausübung der beanspruchten Dienstbarkeit vermag aber nach dem Vorgesagten den Rechtserwerb durch Ersitzung (§ 1470 ABGB.) nicht darzutun. Entgegen der Auffassung der Kläger könnte auch die ungehinderte Ausübung von Weiderechten während der letzten 60 Jahre zu einer Rechtsbegründung nicht führen, da ansonsten das im Servitutenpatent vom 5. Juli 1853 sowie auch im Landesgesetz für Kärnten, LGBl. Nr. 41/1920, ausdrücklich statuierte Ersitzungsverbot illusorisch wäre. Der Annahme eines konkludenten Rechtserwerbes (§ 863 ABGB.) allein schon durch ungestörte Ausübung einer Dienstbarkeit stehen aber grundsätzlich die Ersitzungsbestimmungen entgegen.
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