OGH 6Ob126/21d

OGH6Ob126/21d6.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz zu FN * eingetragenen M* GmbH mit dem Sitz in *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 23. April 2021, GZ 4 R 98/21w‑9, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132659

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die in §§ 277 ff UGB statuierte Offenlegungspflicht sieht keine Ausnahmen für Fälle vor, in denen einzelne Bilanzpositionen mit Unsicherheit behaftet sind. Vielmehr enthält das Rechnungslegungsrecht ausreichend Möglichkeiten, gegenüber Dritten wahrscheinlich bestehende Verbindlichkeiten oder drohende Verluste aus schwebenden Geschäften auszuweisen. In diesem Sinne ordnet § 201 Abs 2 Z 4 UGB an, dass erkennbare Risken und drohende Verluste in die Bilanz aufzunehmen sind, sobald sie entstanden und erkennbar geworden sind, obgleich der endgültige Eintritt oder das endgültige Ausmaß der Belastung ungewiss ist. Nach dieser Bestimmung darf ein Unternehmer für die am Stichtag bestehenden, dem Betrag nach aber noch nicht feststehenden Schulden sowie für zu erwartende Aufwendungen und Verluste Rückstellungen in der Bilanz ansetzen. Dabei gebietet das Vorsichtsprinzip, auch solche Schulden auszuweisen, die mit Elementen der Ungewissheit behaftet sind (6 Ob 225/11y).

[2] 2. Grundsätzlich nichts Anderes gilt für – hier von der Gesellschaft behauptete, aber bestrittene – Forderungen: Forderungen, die bestritten werden, sind ab rechtlicher Durchsetzbarkeit (Rechtskraft eines Urteils oder Unwiderruflichkeit eines Vergleichs) auszuweisen. Soweit bloß die Fälligkeit bestritten wird, weil zB noch Gewährleistungsarbeiten gefordert werden, oder lediglich die Höhe strittig ist, zB wegen Preisminderungsansprüchen, ist die Forderung grundsätzlich auszuweisen und das Risiko durch eine Rückstellung zu berücksichtigen (Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter,UGB II/RLG3 § 196 Rz 37; Hilber in U. Torggler, UGB3 § 196 Rz 12).

[3] Aus diesen Grundsätzen folgt, dass die Gesellschaft die behaupteten Forderungen, sofern sie – wie es scheint – sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach strittig sind, (derzeit) nicht aktivieren darf. Jedenfalls ergibt sich aus der Unsicherheit von Forderungen keineswegs die Notwendigkeit, im Jahresabschluss „Fantasiebeträge“ auszuweisen.

[4] 3. Die Rechtsansicht der Gesellschaft, sie könne wegen der Unsicherheit von Forderungen keinen Jahresabschluss erstellen und offenlegen, würde dazu führen, dass die Offenlegung des Jahresabschlusses überhaupt unterbleibt und damit die Gläubiger bzw andere interessierte Dritte keinerlei Informationen über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft erhielten. Ein derartiges Verständnis des Gesetzes läuft aber dem Zweck der Bilanzpublizität diametral zuwider (6 Ob 225/11y).

[5] 4. Entgegen der Befürchtung der Gesellschaft kann aus der Aufnahme oder Nichtaufnahme einer Forderung in den Jahresabschluss allein eine besondere zivilrechtliche Wirkung gegenüber einem Dritten (wie etwa Anerkenntnis oder Verzicht) nicht abgeleitet werden (8 ObA 340/97a = DRdA 1998, 429 [Geist]; vgl auch 9 ObA 121/00k; Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 § 194 Rz 4 mwN).

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