Spruch:
Die Ersatzzustellung eines eingeschriebenen Briefes an die Lebensgefährtin ist gemäß §§ 174, 176 PostO. zulässig und wirksam.
Entscheidung vom 30. Mai 1962, 6 Ob 125/62.
I. Instanz: Bezirksgericht Salzburg: II. Instanz: Landesgericht Salzburg.
Text
Der Beklagte pachtete mit Vertrag vom 27. August 1959 das dem Erstkläger und der Zweitklägerin gehörige Gasthaus sowie die Gast- und Schankgewerbekonzession der Drittklägerin, einer Tochter des Erstklägers und der Zweitklägerin, mit Wirkung ab 15. September 1959 auf die Dauer eines Jahres. Im Punkt IV des Vertrages wurde vereinbart, daß sich das Pachtverhältnis auf unbestimmte Zeit verlängere, wenn bis 14. Juni 1960 keine Kündigung erfolge. Für den Fall einer solchen Verlängerung wurde beiden Teilen für die Folgezeit das Recht zugestanden, das Pachtvertragsverhältnis jeweils mit einer dreimonatigen Frist zum Ende eines jeden Monates mit eingeschriebenem Brief aufzukundigen.
Im vorliegenden, seit 4. Mai 1961 anhängigen Prozeß belangten die Kläger den Beklagten auf Räumung, wobei sie geltend machten, sie hätten im Sinne des Punktes IV des Vertrages mit eingeschriebenem Brief vom 26. Jänner 1961 das Pachtverhältnis, gerechnet vom 31. Jänner 1961 zum 30. April 1961 aufgekundigt.
Der Beklagte wendete ein, es sei ihm eine rechtswirksame Kündigung nicht zugegangen.
Der Erstrichter gab dem Klagebegehren statt. Er nahm als erwiesen an, daß die Aufkündigung mit einem Schreiben des Klagevertreters vom 26. Jänner 1961 das noch am gleichen Tage eingeschrieben und zu eigenen Handen des Beklagten zur Post gegeben worden sei, zum 30. April 1961 erfolgt sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, nachdem es Erhebungen über den Zeitpunkt der Zustellung des eingeschriebenen Briefes des Klagevertreters vom 26. Jänner 1961 eingeleitet hatte; zur Zeit der Fällung seines mit 29. Dezember 1961 datierten Urteils lag ihm der im Amtsvermerk vom gleichen Tage festgehaltene Bericht des Postamtes X. vor, der Brief sei am 27. Jänner 1961 zugestellt worden, es müsse aber erst noch erhoben werden, ob der Brief, wie vom Absender begehrt worden sei, dem Beklagten tatsächlich zu eigenen Händen oder zu Handen seiner Lebensgefährtin zugestellt worden sei. Das Berufungsgericht begrundete seine Entscheidung im wesentlichen nur damit, daß das Kündigungsschreiben dem Beklagten am 27. Jänner 1961 zugestellt worden sei; eine Zustellung zu eigenen Handen sei nicht vereinbart und daher auch nicht erforderlich gewesen; zufolge Zustellung am 27. Jänner 1961 sei das Kündigungsschreiben rechtzeitig gewesen; es habe zwar nicht den Erfordernissen der §§ 562 (1), 565 (2 ZPO) . entsprochen und daher keinen Exekutionstitel bilden können, sei aber im Sinne wiederholter Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes geeignet gewesen, den Pachtvertrag materiellrechtlich zu beenden.
Das Berufungsgericht sprach gemäß § 500 (2) ZPO. aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte macht geltend, es sei aktenwidrig, daß das Postamt bekanntgegeben habe, der Brief des Klagevertreters sei ihm am 27. Jänner 1961 zugestellt worden; vielmehr habe das Postamt mitgeteilt, daß der Einschreibebrief vom 27. Jänner 1961 von der Lebensgefährtin des Beklagten übernommen worden sei.
Diese Ausführungen des Beklagten sind zunächst gar nicht auf die Entscheidungsgrundlage abgestellt, auf die sich das Berufungsgericht bei seinem Urteil stützte. Denn diese bestand - wie bereits ausgeführt wurde - lediglich in der im Amtsvermerk vom 29. Dezember 1961 festgehaltenen Mitteilung des Postamtes, daß der eingeschriebene Brief mit Aufgabetag 26. Jänner 1961 am 27. Jänner 1961 zugestellt worden sei; es müsse erst erhoben werden, ob der Brief, wie vom Absender begehrt, tatsächlich zu eigenen Handen des Beklagten oder zu Handen seiner Lebensgefährtin zugestellt worden sei. Für die Überprüfung des angefochtenen Urteils genügt aber, daß laut Bericht des Postamtes vom 29. Dezember 1961 außer der Zustellung an den Beklagten persönlich nur eine Zustellung an seine Lebensgefährtin in Betracht kam, so daß lediglich die Frage zu beurteilen ist, ob eine allfällige Zustellung an die Lebensgefährtin im Sinne der postrechtlichen Bestimmungen ordnungsgemäß war.
Mit Recht ist nun das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß aus einer Nichteinhaltung des vom Klagevertreter auf seinem eingeschriebenen Brief gebrachten Vermerkes, die Zustellung solle an den Beklagten zu eigenen Handen erfolgen, für dessen Prozeßstandpunkt nichts gewonnen werden kann. Dies deshalb, weil er nach den vertraglichen Vereinbarungen keinen Anspruch auf eine Zustellung zu eigenen Handen hatte. Gewiß ist die Kündigung empfangsbedürftig, doch brauchten nach den von den Streitteilen getroffenen Vereinbarungen im vorliegenden Fall nur die postrechtlichen Vorschriften über die Zustellung eines eingeschriebenen Briefes zur Bewerkstelligung des Empfanges der Kündigung eingehalten zu werden. Nach den postrechtlichen Bestimmungen ist auch bei eingeschriebenen Briefen grundsätzlich eine Ersatzzustellung zulässig. Aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 18 PostG. (BGBl. Nr. 58/1957) und 174 ff. PostO. (BGBl. Nr. 110/1957 i. d. Fassung d. Vdg. BGBl. Nr. 6/1960) ergibt sich, daß eine Ersatzzustellung - soweit nicht besondere gesetzliche Anordnungen (§ 146 PostO.), Bestimmungen einer Anstaltsordnung (§ 148 PostO.), eine Postvollmachterteilung (§ 150 PostO.) oder eine Postübernahmskartenausstellung (§ 154 PostO.) vorliegen, was alles gar nicht behauptet wurde - an solche erwachsene Personen erfolgen kann, die zur Familie des Empfängers gehören und mit ihm im gemeinsamen Haushalt leben oder welche Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers sind. Es besteht kein Bedenken, die Lebensgefährtin des Empfängers im Sinne des hier maßgebenden § 176 PostO. als eine zu seiner Familie gehörige Person anzusehen (s. dazu Schaginger - Trpin, Anm. 2 zu § 176 PostO. in Verbindung mit Anm. 2 zu § 174 PostO.; auch Fasching, Anm. 4 zu § 102 ZPO. und Anm. 6 zu § 103 ZPO., welch letztere Vorschriften zu einer ähnlichen Fragestellung führen). Der Oberste Gerichtshof teilt daher die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Zustellung des eingeschriebenen Briefes des Klagevertreters am 27. Jänner 1961, mag sie auch nur ersatzweise an die Lebensgefährtin des Beklagten erfolgt sein, ordnungsgemäß war, so daß die vereinbarte Kündigungsfrist eingehalten erscheint.
Ist aber das Pachtverhältnis rechtswirksam zum 30. April 1961 aufgelöst worden, so war der Beklagte seither titellos, so daß die Voraussetzungen für die Stattgebung des Räumungsbegehrens gegeben waren.
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