European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00103.23Z.0621.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der Antragsgegner (Vater) zeigt in seinem Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der Rückführungsentscheidung des Erstgerichts keine Rechtsfrage der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität auf:
[2] 1. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RS0108449 [T2]; RS0006737; RS0006379 [T4]; zum Verfahren über die Rückführung nach dem HKÜ vgl 1 Ob 194/10a; 6 Ob 242/20m). Es besteht daher eine Bindung an die Beweiswürdigung der Vorinstanzen und an deren Feststellungen (6 Ob 54/23v [ErwGr 3.2.]). Eine rechtliche Überprüfung der bekämpften Entscheidung im Rahmen des Rechtsmittelgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof setzt daher voraus, dass der Rechtsmittelwerber auf Basis des festgestellten Sachverhalts argumentiert (vgl RS0043312 [T12]) und ihn auch – soweit für eine bestimmte Frage wesentlich – vollständig berücksichtigt.
[3] 2. Der Vater zitiert den Sachverhalt aber nur auszugsweise (so nur jene Feststellungen, wonach die Eltern im Herbst 2022 vereinbart hatten, dass die Tochter [zumindest] eine Woche beim Vater und beim Bruder in Österreich verbringen soll, die Mutter nach wenigen Tagen mit ihr wieder nach Rumänien zurückkehren wollte und sich von der Tochter überzeugen ließ, dass sie noch beim Vater bleiben dürfe) und meint, danach habe die Mutter das Kind nicht nur freiwillig nach Österreich verbracht, sondern es auch dort „zurückgelassen“; es liege also kein widerrechtliches Verbringen vor.
[4] Eine Zustimmung der Mutter (Antragstellerin) zu einem dauerhaften Verbleib des Kindes iSd Art 13 Abs 1 lit a HKÜ im Anschluss an den – wie schon das Rekursgericht hervorgehoben hat – als Kurzurlaub geplanten Aufenthalt in Österreich (wiewohl diese Zustimmung grundsätzlich auch formfrei erklärt oder durch konkludentes Verhalten erfolgen kann [siehe 6 Ob 25/21a]) lässt sich daraus schon für sich nicht ableiten, keinesfalls aber aus dem gesamten festgestellten Sachverhalt. Der Vater verschweigt, dass direkt daran die Feststellung anschließt, dass er „in der Folge“ die Rückführung verweigerte, der anschließende Versuch der Mutter, das Kind selbständig abzuholen, am Widerstand des Vaters scheiterte und höchst emotional endete. Ebenso geht er darüber hinweg, dass schon eingangs der Feststellungen festgehalten ist, dass er „ohne Einverständnis und ohne Zustimmung der mitobsorgeberechtigten Mutter die Tochter bei sich im väterlichen Haushalt wohnsitzgemeldet“ hat.
[5] Wenn die Vorinstanzen aus dem gesamten Sachverhalt auf ein widerrechtliches Zurückhalten nach Art 3 HKÜ schlossen, liegt darin keinesfalls eine Fehlbeurteilung. Entgegen seinen Ausführungen hat sich das Rekursgericht auch mit dieser Frage beschäftigt, also vorab eine Prüfung nach Art 12 HKÜ vorgenommen, und ihn auf die mittlerweile eingetretene Rechtskraft der Entscheidung des rumänischen Gerichts verwiesen, mit der die Änderung des Wohnsitzes (Verlegung nach Österreich) abgelehnt wurde, sowie auch darauf, dass seine in Österreich gestellten Anträge, mit denen er eine Obsorgeübertragung bzw den Aufenthaltswechsel des Kindes erwirken wollte (welche Anträge aber wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurückgewiesen wurden) gescheitert sind.
[6] 3. Es steht fest, dass das Kind nach wie vor beiden Elternteilen emotional verbunden, es aber durch die diametral erhaltenen (ausschließlich negativen) Botschaften seiner Eltern über den jeweils anderen Elternteil massiv verunsichert ist. Das Verhalten beider Elternteile führte in Verbindung mit der beginnenden Pubertät beim Kind zu massiven depressiven Verstimmungen, die in Österreich auch einer Behandlung zugeführt wurden. Die Mutter ist in der Lage und auch willens sowohl auf physische als auch psychische Beeinträchtigungen ihres Kindes adäquat zu reagieren. Dass die Rückführung des Kindes mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt, konnte das Erstgericht nicht feststellen.
[7] Der Vater unterstellt dazu (gegenteilig), dass eine „erwiesene Suizidgefahr“ bestätigt sei, insbesondere für den Fall, dass das Kind wieder zur Mutter nach Rumänien zurückkehren müsse. Dies ist dem festgestellten Sachverhalt ebenso wenig zu entnehmen wie feststünde, dass es im Fall der Rückführung des Kindes nach Rumänien „zusätzlich zur bereits vorliegenden Suizidgefahr wegen des Herausreißens aus [seinen] sozialen Bindungen und dem bisherigen Lebensraum (seit Herbst 2022) zu einer zusätzlichen erheblichen (gemeint offenbar iS einer nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ als 'schwerwiegend' zu qualifizierenden) psychischen Belastung käme“. Darauf, dass die Mutter in der Lage und auch Willens ist, sowohl auf physische als auch psychische Beeinträchtigungen des Kindes adäquat zu reagieren, geht der Vater nicht ein. Mit solchen Ausführungen gelingt es ihm nicht, zur Verneinung des Vorliegens eines Rückführungshindernisses nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ durch beide Vorinstanzen einen Korrekturbedarf im Einzelfall (vgl RS0074568 [T1]; RS0074552 [T3]) aufzuzeigen.
[8] 4. Zuletzt meint der Vater, es hätte dem „offen geäußerten“ Wunsch des Kindes, bei ihm und dem Bruder zu bleiben, mehr Gewicht zukommen müssen. Wiederum lässt er alle Begleitumstände außer Acht. Er berücksichtigt nicht, dass das 12‑jährige Kind noch vor rund einem Jahr vor dem zuständigen rumänischen Gericht erklärt hatte, „jedenfalls bei der Mutter“ zu bleiben. Das Erstgericht schloss diesbezüglich zwar nicht aus, dass dieser Wunsch auf eine einseitige Beeinflussung der Mutter zurückzuführen gewesen sein könnte, hielt aber – abseits der schon erwähnten (allgemeinen) wechselseitigen negativen Botschaften der Eltern über den jeweils anderen – auch fest, dass eine massive Beeinflussung von „väterlicher bzw brüderlicher Seite“ vorliege und im väterlichen Haushalt auch nicht davor zurückgeschreckt werde, das Handy des Mädchens zu kontrollieren, höchstpersönliche und vertrauliche Gedanken eines pubertierenden und durch das Verhalten beider Eltern belasteten Mädchens zum eigenen Vorteil zu interpretieren und dieses auf Schritt und Tritt zu überwachen.
[9] Angesichts der wechselseitigen Beeinflussung durch die Eltern liegt keine erhebliche Rechtsfrage darin, dass die Vorinstanzen dem Wunsch des Kindes, beim entführenden Elternteil bleiben zu wollen (wie er gerade im Verfahren über die Rückführung nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen von dem dann regelmäßig beim Entführer lebenden Kind typischerweise geäußert wird) keine ausschlaggebende Bedeutung einräumten.
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