Normen
ABGB §366
ABGB §523
JN §1
Landesstraßenverwaltungsgesetz für Steiermark 1964 §2
Landesstraßenverwaltungsgesetz für Steiermark 1964 §3
ABGB §366
ABGB §523
JN §1
Landesstraßenverwaltungsgesetz für Steiermark 1964 §2
Landesstraßenverwaltungsgesetz für Steiermark 1964 §3
Spruch:
Trotz § 3 des LandesstraßenverwaltungsG. für Steiermark 1964 haben im Streit über Eigentums- oder Servitutsrechte an einem öffentlichen Weg die Gerichte zu entscheiden
Entscheidung vom 4. Mai 1966, 6 Ob 101/66
I. Instanz: Bezirksgericht Hartberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz
Text
Die Gemeinde H. begehrt mit der von ihr eingebrachten Klage 1. die Feststellung, daß jener Teil der Wegparzelle 1809/3, Katastralgemeinde H., der grundbücherlich unter VZ. XIX, Katastralgemeinde H., eingetragen ist, der von der Abzweigung der Parzelle 658/2, Katastralgemeinde H. nach Norden bis zum Grundbesitz der Ehegatten Franz und Anna G. in H. Nr. 63 führt und beiderseits von Grundstücken der Liegenschaft EZ. 237, Katastralgemeinde H., der Beklagten begrenzt wird, öffentliches Gut (Gemeindegut) ist, und 2. die Beklagten schuldig zu erkennen, die am Beginn dieses Wegstückes im Bereich der Abzweigung der Wegparzelle 658/2, Katastralgemeinde H., von ihnen aufgestellte allgemeine Verbotstafel sowie auch die quer über dieses Wegstück gelegten Eisentraversen und sonstiges Gerümpel wieder zu entfernen, im übrigen alle Handlungen zu unterlassen, die eine Behinderung des Gehens, Fahrens und Viehtreibens über dieses Wegstück 1809/3, Katastralgemeinde H., bewirken könnten.
Sie begrundete ihr Begehren im wesentlichen damit, daß die Beklagten den Standpunkt vertreten, das gegenständliche Wegstück sei durch Ersitzung in ihr Eigentum übergegangen, und daß sie auf diesem Wegstück eine Verbotstafel aufgestellt und durch Lagerung von Gegenständen die Benützung desselben verhindert haben.
Die Beklagten haben Unzulässigkeit des Rechtsweges eingewendet und sich im übrigen in der Sache selbst auf eine vierzigjährige Ersitzung als Eigentumstitel berufen.
Das Erstgericht hat über die erhobene Einrede verhandelt und mit Beschluß die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen.
Es grundete seinen Beschluß auf § 3 des Steiermärkischen Landesstraßenverwaltungsgesetzes vom 15. Juli 1964, LGBl. Nr. 154. Nach dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle gehöre der anhängig gemachte Rechtsstreit nicht vor die ordentlichen Gerichte, sondern es sei über die Frage der Öffentlichkeit des strittigen Wegstückes bzw. des Umfanges des Gemeingebrauches vom zuständigen Gemeinderat in erster Instanz zu entscheiden. In diese Richtung gingen auch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes, denen zufolge die Verwaltungsbehörden unter Ausschluß des Rechtsweges über die Grenzen des Gemeingebrauches der öffentlichen Wege sowie über Störungen und Eingriffe entscheiden, auch wenn der Grund im Privateigentum stehe. Es gehöre demnach der vorliegende Rechtsstreit nicht zu jenen bürgerlichen Rechtssachen, welche gemäß § 1 JN. den ordentlichen Gerichten zugewiesen seien, weshalb gemäß § 42 JN. die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen gewesen sei.
Infolge Rekurses der Klägerin änderte das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß die von den Beklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges verworfen und dem Erstgericht aufgetragen wurde, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund das gesetzliche Verfahren über die Klage fortzusetzen.
Ausgehend von der Klagsbehauptung, daß die Beklagten an dem fraglichen Stück des als öffentliches Gut eingetragenen Weges 1809/3 der Katastralgemeinde H. Eigentumsrechte behaupten, die sie durch Ersitzung erworben hätten, handle es sich bei der vorliegenden Klage um eine von der Gemeinde H. (Klägerin) als Verwalterin des in ihrem örtlichen Bereich liegenden öffentlichen Gutes angestrengte Eigentumsfreiheitsklage, mit der die zivilrechtliche Eigentumsanmaßung der beklagten Parteien abgewehrt werden solle. Wenn § 1 (2) des LStVG. 1964 bestimme, daß Eigentumsrechte oder sonstige auf einem Privatrechtstitel beruhende Rechte dritter Personen an der Grundfläche von Straßen, worunter auch Wege fallen (§ 2), jederzeit gerichtlich geltend gemacht werden können, könne es der zuständigen Gemeinde als Verwalterin des öffentlichen Gutes nicht verwehrt werden, ihrerseits vor den ordentlichen Gerichten die Feststellung des Nichtbestandes dieser von dritter Seite behaupteten Rechte, sei es durch eine Eigentumsfreiheitsklage, sei es durch eine Negatorienklage, geltend zu machen.
§ 3 LStVG. könne schon deshalb zur Begründung der erhobenen Einrede nicht herangezogen werden, weil von der im übrigen unbestrittenen Klagsbehauptung auszugehen sei, daß das fragliche Wegstück bereits als öffentliches Gut bestehe und als solches auch grundbücherlich erfaßt sei.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Auszugehen ist davon, daß die ordentlichen Gerichte die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen ausüben, sofern hiezu nicht kraft Gesetzes andere Behörden berufen werden. Bürgerliche Rechtssachen sind solche, denen privatrechtliche Verhältnisse zugrunde liegen. Ob ein solches Verhältnis einem Rechtsstreit zugrunde liegt, ist, wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, nach dem Wortlaut des Klagebegehrens und der Natur des geltend gemachten Anspruches zu beurteilen (2 Ob 187/61 = ZVR. 1962 Nr. 27 u. a.). Die klagende Gemeinde bringt vor, daß die Wegparzelle 1809/3 als öffentliches Gut unter VZ. XIX, Katastralgemeinde H., eingetragen sei (§ 1 (2) AllGAG., § 62 (1) Z. 3 GV.), daß die Beklagten an dem strittigen Teil dieser Wegparzelle ein durch vierzigjährige Ersitzung erworbenes Eigentum behaupteten und daß sie durch das Aufstellen einer allgemeinen Verbotstafel sowie durch die Lagerung verschiedener Fahrnisse auf dem Weg dessen Benützung verhinderten. Das Urteilsbegehren geht dahin, 1. festzustellen, daß der strittige Wegteil "öffentliches Gut (Gemeindegut)" sei, und 2. die Beklagten schuldig zu erkennen, die von ihnen aufgestellte Verbotstafel und die quer über das Wegstück gelegten Fahrnisse zu entfernen sowie alle Handlungen zu unterlassen, welche eine Behinderung in der Benützung dieses Wegstückes bewirken könnten. Es geht sohin im wesentlichen darum, ob die Klägerin Eigentümerin des strittigen Teiles der Wegparzelle ist oder nicht, und es geht nicht darum, ob es sich bei der Wegparzelle um einen öffentlichen Weg handelt. Dies ergibt sich mit ausreichender Deutlichkeit aus dem Klagsvorbringen und dem Klagebegehren, da nicht nur der Ausdruck "öffentliches Gut" schlechthin gebraucht wird, sondern daneben in Klammer "Gemeindegut" angeführt bzw. darauf verwiesen wird, daß es sich um Gemeindegut handelt, sohin um eine im Eigentum der Klägerin stehende Wegparzelle.
Die von den Beklagten behauptete Ersitzung wird dadurch, daß es sich nach den Klagsbehauptungen um ein als öffentlicher Weg dienendes Grundstück handelt, nicht schlechthin ausgeschlossen; wiederholt wurde entschieden, daß auch an derartigen Liegenschaften Privatrechte durch Ersitzung entstehen können (SZ. V 56, SZ. XIII 185, SZ. XXIII 331, SZ. XXXI 71).
Was das von der Klägerin behauptete Eigentum betrifft, so ist hinsichtlich dieser Frage auf die Entscheidung SZ. XXXII 64 zu verweisen. Demnach ist die Unterscheidung zwischen öffentlichem Gut und Gemeindegut in den §§ 286 bis 288 ABGB. veraltet. Nach herrschender Lehre sind öffentliches Gut alle Sachen, die dem Gemeingebrauch gewidmet sind, weshalb, sofern sich weder aus dem Grundbuch noch aus dem Gesetz ergibt, daß ein Grundstück als öffentliches Gut im Eigentum einer bestimmten Gebietskörperschaft steht, Eigentum der Republik Österreich, des Landes oder der Gemeinde möglich ist, in deren Gebiet sich das Grundstück befindet (in diesem Zusammenhang siehe auch die Entscheidungen vom 12. April 1910 und 29. Oktober 1901, GlUNF. 5030 und 1605). Der Umstand, daß es sich um ein öffentliches Gut handelt, das nach den Klagsbehauptungen als öffentlicher Weg dient, ändert nichts an dem sich aus § 354 ABGB. ergebenden Eigentumsbegriff, sondern hat nur zur Folge, daß das Eigentumsrecht jenen Beschränkungen unterliegt, welche sich aus der Widmung der Parzelle zum allgemeinen Gebrauch unumgänglich ergeben. Diese Beschränkungen sind Angelegenheiten der öffentlichen Verwaltung. Nur darauf bezieht sich im vorliegenden Fall die Bestimmung des § 3 LStVG. 1964, nach welcher dann, wenn Zweifel darüber bestehen, ob eine Straße als öffentlich anzusehen ist oder in welchem Umfang sie der allgemeinen Benützung freisteht (Gemeingebrauch), der Gemeinderat entscheidet. Hingegen entscheiden im Streit über Eigentums- oder Servitutsrechte an einem öffentlichen Weg die Gerichte (Entscheidungen vom 12. April 1910 und 29. Oktober 1901, GlUNF. 5030 und 1605, ferner Klang im Klang-Komm.[2] II 5 unten und 6 oben zu § 288 ABGB., Hawelka, Das Recht an öffentlichen Wegen in Österreich, Wien- Leipzig 1910, S. 39 - 41). Dem stehen auch nicht die im Revisionsrekurs zitierten Entscheidungen entgegen, denenzufolge die Verwaltungsbehörden unter Ausschluß des Rechtsweges über die Grenzen des Gemeingebrauches der öffentlichen Wege sowie über Störungen und Eingriffe entscheiden, auch wenn der Grund im Privateigentum steht. Im vorliegenden Fall wird nämlich aus dem Titel des Eigentums der Klägerin an der Wegparzelle, sohin aus einem Privatrechtstitel und nicht aus einem aus einem Akt der Verwaltungsbehörde entspringenden öffentlich-rechtlichen Titel, gegen das von den Beklagten aus dem Rechtsgrund der Ersitzung an einem Teil dieser Wegparzelle behauptete Eigentum angekämpft, sohin eine Eigentumsklage nach § 366 ABGB. erhoben, über welche die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben. Dagegen spricht auch nicht die Bestimmung des § 1 (2) LStVG. 1964, nach welcher das Eigentumsrecht oder sonstige auf einem Privatrechtstitel beruhende Rechte dritter Personen an der Grundfläche von Straßen, auf die dieses Gesetz anzuwenden ist, jederzeit gerichtlich geltend gemacht werden können. Wenn auch in dieser Bestimmung nur von dritten Personen die Rede ist, so schließt dies nicht aus, daß auch eine Gebietskörperschaft ihr Eigentumsrecht an einem öffentlichen Gut mit den ihr nach dem bürgerlichen Recht zustehenden Rechtsbehelfen (z. B. Klagen nach §§ 366 ff., 523 ABGB.) im Rechtsweg durchsetzen kann, denn es handelt sich dabei, wie oben dargelegt wurde, um ein privatrechtliches Verhältnis.
Aus dem geltend gemachten Eigentumsanspruch folgt aber auch das Recht der Klägerin, von den Beklagten die Beseitigung der am strittigen Grundstücksteil befindlichen Hindernisse und die Unterlassung einer weiteren Behinderung zu begehren, da es sich dabei, wie auch im Revisionsrekurs erkannt wurde, um Folgen handelt, die sich aus dem im § 354 ABGB. normierten Inhalt des Eigentumsrechtes ergeben. Daß daneben die Klägerin als Verwaltungsbehörde berechtigt ist, im Verwaltungsweg die Öffentlichkeit eines Weges festzustellen, und daß die Bezirksverwaltungsbehörde darüber zu wachen hat, daß niemand in der bestimmungsgemäßen Benützung der öffentlichen Wege behindert wird (§§ 5 und 12 LStVG. 1964), ändert nichts an der Zulässigkeit des Rechtsweges hinsichtlich des Begehrens Punkt 2, da dieses gleichfalls auf den Privatrechtstitel des Eigentums gegrundet wird und nicht auf den öffentlich-rechtlichen Titel, daß ein öffentlicher Weg vorliegt. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenem, welcher der Entscheidung 7 Ob 344/63 = ZVR. 1964 Nr. 142 zugrunde liegt, bei welchem die wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesene Klage ausschließlich auf einen aus einem Akt der Verwaltungsbehörde entspringenden öffentlich-rechtlichen Titel gestützt wurde.
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