OGH 6Nc27/13t

OGH6Nc27/13t20.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj R***** K*****, geboren am *****, wohnhaft bei der Kindesmutter C***** K*****, über Aktenvorlage durch das Bezirksgericht Linz wegen Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 und 2 JN an das Bezirksgericht St. Pölten wird genehmigt.

Text

Begründung

Der Kindesvater beantragte am 18. Dezember 2012 die Regelung des Besuchsrechts im gesetzlichen Ausmaß. In der mündlichen Verhandlung vom 23. Jänner 2013 wurde eine Besuchsrechtsvereinbarung abgeschlossen. Demnach ist der Vater berechtigt den mj R***** jeweils Sonntag von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr im Familiencafe „A*****“ in L***** zu sehen.

Mit Stellungnahme vom 30. April 2013 teilte das Amt für Soziales, Jugend und Familie mit, dass der Vater einen liebevollen Umgang mit dem Minderjährigen zeige und sich die Mutter auch keine Sorgen bei Besuchskontakten zum Vater mache. Der Vater äußerte, dass der Minderjährige von der Mutter gut versorgt werde. Beide Eltern erklärten sich bereit, die gerichtliche Regelung fortzusetzen. Am 28. Mai 2013 teilte der Kindesvater mit, dass die Besuchskontakte seit einem Monat nicht mehr funktionierten und ersuchte um Anberaumung eines Verhandlungstermins.

In der Verhandlung vom 4. Juli 2013 kam keine Einigung zustande, jedoch wurde für den 18. Juli 2013 ein Vergleichsversuchstermin für eine einvernehmliche Scheidung vereinbart.

Am 12. Juli 2013 teilte die Kindesmutter mit, dass sie sich mit ihrem Sohn nunmehr in P***** aufhalte und ersuchte, den Akt an das Bezirksgericht St. Pölten zur weiteren Bearbeitung weiterzuleiten.

Am 18. Juli 2013 kam keine einvernehmliche Scheidung zustande; auch der Versuch, das Besuchsrecht einvernehmlich zu regeln, scheiterte. Der Kindesvater hat zwischenzeitig eine Scheidungsklage eingebracht.

Am 2. August 2013 beantragte die Mutter, das Verfahren an das Bezirksgericht St. Pölten zu übertragen, weil sich der ständige Aufenthalt des Minderjährigen in P***** befinde. Außerdem beantragte die Kindesmutter, ihr die alleinige Obsorge zu übertragen.

Das Bezirksgericht Linz wies den Antrag auf Übertragung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht St. Pölten ab. Beim Bezirksgericht Linz seien bereits Verhandlungen geführt und das Linzer Jugendamt mit Erhebungen beauftragt worden. Darüber hinaus sei das Scheidungsverfahren der Eltern beim Bezirksgericht Linz anhängig.

Das Landesgericht Linz gab dem Rekurs der Kindesmutter Folge und genehmigte die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN. In der Regel sei ein örtliches Naheverhältnis zwischen Pflegschaftsgericht und Minderjährigen zweckmäßig. Offene Anträge seien nach ständiger Rechtsprechung kein grundsätzliches Übertragungshindernis.

Das Bezirksgericht St. Pölten lehnte die Übernahme des Verfahrens ab. Entgegen der Ansicht des Landesgerichts Linz teile es die Ansicht des Bezirksgerichts Linz, wonach es zweckmäßig erscheine, wenn die Pflegschaftssache weiterhin beim Bezirksgericht Linz geführt werde. Den Anträgen sei eine längere Vorgeschichte vorangegangen. Seit der Übersiedlung der Kindesmutter nach P***** gebe es kaum Kontakt zwischen den Kindeseltern. Wenn daher Erhebungen zu den wechselseitigen Vorwürfen zu pflegen seien, müssten sich diese auf den Zeitraum vor der Übersiedlung beziehen. Diesfalls würden sich aber allfällige Zeugen, informierte Stellen oder sonstige Auskunftspersonen eher in Linz befinden. Außerdem sei in Linz das Scheidungsverfahren der Kindeseltern anhängig. Das Bezirksgericht Linz habe bereits auch umfangreiche Erhebungen geführt.

Aufgrund des „bestehenden negativen Kompetenzkonflikts“ ergehe das Ersuchen, den Akt dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit vorzulegen.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Entscheidendes Kriterium für die Zuständigkeitsübertragung ist das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0047074, RS0046929; Fucik in Fasching 2 § 111 JN Rz 2 mwN).

§ 111 JN bezweckt die Sicherstellung der wirksamsten Handhabung des pflegschaftsbehördlichen Schutzes (Fucik aaO § 111 JN Rz 3 mwN). Die Bestimmung nimmt darauf Bedacht, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und den Pflegebefohlenen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist (Fucik aaO). Daher ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 111 JN in der Regel zu bejahen, wenn die Pflegschaftssache an jenes Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes liegt (RIS-Justiz RS0047300).

Die Übertragung nach § 111 JN wurde insbesondere dann bejaht, wenn die neue Umgebung des Kindes erhoben werden soll (EFSlg 66.891 ua) und wenn jeder Anknüpfungspunkt zum bisherigen Gericht wegfällt (OLG Wien EFSlg 54.962).

Der Umstand, dass noch offene Anträge im Akt erliegen, ist grundsätzlich kein Übertragungshindernis (RIS-Justiz RS0047032). Im vorliegenden Fall haben zwar mehrere Tagsatzungen stattgefunden; das Erstgericht hat jedoch noch keine förmliche Beweisaufnahme (dazu EFSlg 79.113 uva) durchgeführt.

Der Einschätzung des Rekursgerichts im Anlassfall, wonach das Verfahren über die Obsorge ganz am Anfang stehe und im Besuchsrechtsverfahren die Weiterungen noch nicht abzusehen sind, ist daher zuzustimmen. Zutreffend verwies das Landesgericht Linz in seiner Rekursentscheidung darauf, dass im Obsorgeverfahren das Jugendamt die aktuelle Lebenssituation des Minderjährigen zu erforschen haben werde, sodass in diesem Verfahrensstadium eine Übertragung zweckmäßiger ist. Im Hinblick auf die zwischenzeitig aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Ausübung des Besuchsrechts steht auch das Besuchsrechtsverfahren wieder ganz am Anfang. Damit war aber die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht St. Pölten gemäß § 111 Abs 2 JN spruchgemäß zu genehmigen.

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