OGH 6Nc10/03b

OGH6Nc10/03b3.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marina A*****, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GesmbH, *****, Bundesrepublik Deutschland, wegen 21.365,81 EUR samt Anhang, infolge Anrufung des Obersten Gerichtshofes nach § 28 JN, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag der Klägerin, eine zur Verhandlung und Entscheidung über ihre Klage zuständiges Gericht zu bestimmen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die in Österreich wohnhafte Klägerin begehrt mit der am 7. 3. 2003 beim Handelsgericht Wien zu 25 Cg 16/03y eingelangten Klage von der beklagten Gesellschaft mbH mit Sitz in Deutschland Zahlung von 21.365,81 EUR samt Anhang. Sie sei Verbraucherin und habe von der beklagten Partei, die einen Warenversandhandel betreibe, eine an sie persönlich gerichtete Zusendung erhalten, die eine Gewinnzusage im Sinn des § 5j KSchG enthalten habe. Aufgrund der Gestaltung und des Inhalts dieser Gewinnzusage habe sie nach sorgfältigen Studium den Eindruck gehabt, tatsächlich 294.000 ATS gewonnen zu haben, wenn sie das Gewinnzertifikat rechtzeitig zurückschicke. Dies habe sie gemacht und gleichzeitig eine Testbestellung vorgenommen. Laut Auszahlungsbescheid habe sie zwischen monatlichen Zahlungen a 4.900 ATS oder einer Einmalauszahlung in Höhe von 294.000 ATS wählen können. In diesem Fall hätte die Gesamtsumme am 1. 1. 2001 ausgezahlt werden sollen. Sie habe sich für die Einmalauszahlung entschieden. Die Gewinnausschüttung sei jedoch nicht erfolgt.

Mit Schriftsatz vom 17. 3. 2003 beantragte die Klägerin, die Klage dem Obersten Gerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen.

Rechtliche Beurteilung

Der Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.

Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts im Sinne dieses Gesetzes oder einer anderen Rechtsvorschrift nicht gegeben oder nicht zu ermitteln, so hat der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für diese Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn - soweit hier relevant - Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrags zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist (§ 28 Abs 1 Z 1 JN). Prämisse einer Ordination ist sohin das Fehlen eines Gerichtsstands im Inland, was der ordinierende Gerichtshof - in sinngemäßer Anwendung des § 41 Abs 1 und 2 JN - von Amts wegen auf Grund der Angaben des Antragstellers bzw auf Grund der Aktenlage zu prüfen hat (9 Nc 110/02d; Matscher in Fasching2 I § 28 JN Rz 11 mwN).

Am 1. 3. 2002 trat die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO [Brüssel I-Verordnung]) in Kraft. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß dem Vertrag zur Gründung der europäischen Gemeinschaft unmittelbar in den Mitgliedstaaten (Art 76). In dieser Verordnung bedeutet der Begriff "Mitgliedstaat" jeden Mitgliedstaat mit Ausnahme des Königreichs Dänemark (Art 1 Abs 3). Die EuGVVO ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt (Art 1 Abs 1). Die Vorschriften dieser Verordnung sind auf Klagen anzuwenden, die nach dem Inkrafttreten der Verordnung erhoben worden sind. Die EuGVVO tritt nach ihrem Art 68 Abs 1 im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten an die Stelle des Brüsseler Übereinkommens (EuGVÜ).

Gemäß Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO bestimmt sich für Klagen aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, die Zuständigkeit unbeschadet des Art 4 und Art 5 Z 5 - nach dem 4. Abschnitt dieser Verordnung ("Zuständigkeit bei Verbrauchersachen"), wenn der andere Vertragspartner dieses Vertrags in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgend einem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.

Zu dem Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO inhaltlich entsprechenden Art 13 Abs 1 Nr 3 EuGVÜ hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 11. Juli 2002, Rs C-96/00 , Rudolf Gabriel, erkannt, dass eine Klage, mit der ein Verbraucher in dem Vertragsstaat, in dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat, nach dem Recht dieses Staats von einer in einem anderen Vertragsstaat niedergelassenen Versandhandelsgesellschaft die Herausgabe eines Gewinns verlangt, wenn er von dieser Gesellschaft eine an ihn persönlich adressierte Zusendung erhalten hat, die den Eindruck erweckt, das er einen Preis erhalten werde, sofern er für einen bestimmten Betrag Waren bestellt, und er tatsächlich eine solche Bestellung aufgegeben hat, ohne diesen Gewinn zu erhalten, als Klage aus einem Vertrag nach Art 13 Abs 1 Z 3 EuGVÜ zu qualifizieren ist.

Der Begriff des Verbrauchers ist vertragsautonom zu bestimmen (9 Nc 110/02d; 8 Nd 508/01 ua). Von der erforderlichen Privatbezogenheit ist nach den hier maßgeblichen (§ 41 Abs 2 JN) Angaben der Klägerin auszugehen. Da nach diesen Angaben auch die weiteren in der genannten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften angeführten Kriterien erfüllt sind, liegt eine Verbrauchersache im Sinne des Art 15 EuGVVO vor.

Art 16 Abs 1 EuGVVO lässt dem Verbraucher die Wahl. Er kann die Klage gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Da Art 16 Abs 1 EuGVVO mit dem Verweis auf "das Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat" auch die örtliche Zuständigkeit regelt, ist eine Ordination gemäß § 28 JN nicht mehr erforderlich (9 Nd 502/02; 2 Nd 505/02; 9 Nc 110/02d).

Da somit ein Gerichtsstand im Inland vorliegt, ist der Ordinationsantrag als unbegründet abzuweisen (Matscher aaO § 28 JN Rz 12 mwN).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte