OGH 5Ob83/63

OGH5Ob83/6314.6.1963

SZ 36/84

Normen

ABGB §1096
ABGB §1298
ABGB §1096
ABGB §1298

 

Spruch:

Beweislastumkehrung nach § 1298 ABGB., wenn der Bestandgeber dem Bestandnehmer nicht den bedungenen Gebrauch der Bestandsache verschafft.

Entscheidung vom 14. Juni 1963, 5 Ob 83/63.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die Klägerin ist Eigentümerin des Flughafens X. Die Beklagte, die von dort aus mit mehreren Flugzeugen einen Flugdienst betreibt, hat von der Klägerin mehrere Büro- und Werkstättenräume sowie Abstellplätze im Hangar gemietet. Außerdem zahlt sie für die Benützung des Flugfeldes, ebenso wie jedes andere Flugunternehmen, Start- und Landegebühren.

In der Zeit vom September 1959 bis Ende 1960 ließ die Klägerin durch die "Arbeitsgemeinschaft Flughafenerweiterung" die Startbahn, die Zurollwege, die Abstellfläche sowie die Unterführung neu herstellen. Die "Arbeitsgemeinschaft" wurde beauftragt, ihre Arbeiten so einzuteilen, daß immer die nötigen Flächen benützbar waren. Die Klägerin übertrug die Bauaufsicht einem ihr verantwortlichen Fachmann. Zwischen ihm, der Klägerin und der Beklagten wurde immer abgesprochen, welche Strecken jeweils benützbar waren.

Bei den Bauarbeiten wurde zunächst Material ausgehoben, dann schichtenweise Schotter aufgeführt und festgewalzt. Wenn die Beschaffenheit des jeweiligen Rollweges es nicht gestattete, die über Nacht im Hangar eingestellten Maschinen morgens mit Motorkraft zur Abstellfläche zu rollen, wurde dies von der Klägerin bekannt gemacht. Auf Ersuchen der Beklagten wurden dann die Maschinen durch Arbeitskräfte der Klägerin über die kritischen Stellen gezogen.

Dem Betriebsleiter der Klägerin Hans M. oblag die Überwachung der ordnungsgemäßen Abwicklung des Flugbetriebes sowie die Kontrolle der Bodenanlagen. Er wurde jeweils von der Bauleitung verständigt, über welche Strecken gerollt werden dürfe. Nebenberuflich war er in seiner Freizeit bei der Beklagten als Berufsflugzeugführer tätig. In dieser Eigenschaft führte er am 22. Mai 1960 eine Cessna-Maschine der Beklagten aus dem Hangar auf die Abstellfläche. Über die ihm von der Bauleitung freigegebene Rollfläche waren schon vorher mehrere Maschinen gerollt. Dennoch vergewisserte sich Hans. M. noch einmal, daß diese Fläche eben und benützbar war. Der erste Teil des Rollweges sowie die Abstellfläche waren schon betoniert, die dazwischenliegende Strecke war bereits mehrfach geschottert und gewalzt. Die Niveauunterschiede waren ausgeglichen, eine Stufe war nicht zu überwinden.

Als Hans M. die Maschine sehr langsam bis etwa 5 m vor die betonierte Abstellfläche gerollt hatte, sank sie plötzlich mit dem Bugrad vorne ein, wobei gleichzeitig ein metallisch klingender Schlag wahrnehmbar war. Wie nachher zu sehen war, hatte sich aus nicht feststellbarer Ursache in der Schotterdecke eine 7 cm tiefe Delle gebildet. Durch das Einsinken des Bugrades berührte der Propeller den Boden und wurde beschädigt.

Das Erstgericht gab der auf Zahlung von 35.622 S 95 g samt Nebengebühren gerichteten Klage statt, indem es ausführte:

Daß ein Rückstand des Bestandzinses der Beklagten in dieser Höhe bestehe, sei unbestritten. Eine Gegenforderung in gleicher Höhe aus dem Titel des Schadenersatzes stehe ihr nicht zu. Den Piloten Hans M. treffe kein Verschulden, da er sich vorher vom Zustand der Rollstrecke überzeugt und das Flugzeug vorsichtig gerollt habe. Auch ein Verschulden der ausführenden Baufirma sei nicht erkennbar, da die freigegebene Strecke in Ordnung war und nicht festgestellt werden konnte, daß das Bugrad wegen eines technischen Fehlers eingesunken sei. Mangels eines Verschuldens der Baufirma bestehe aber auch keine Haftung der Klägerin nach § 1313a ABGB. Schließlich sei auch ein Verschulden der Organe der Klägerin oder der Beklagten nicht erwiesen. Der Schaden der Beklagten sei somit durch Zufall entstanden und daher nach § 1311 ABGB. von ihr selbst zu tragen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Die Klägerin sei gemäß § 1096 ABGB. verpflichtet, der Beklagten die Bestandobjekte in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten und sie im bedungenen Gebrauch nicht zu stören. Hiezu gehöre auch die Verpflichtung, die Rollwege zum und vom Hangar in einen Zustand zu versetzen, in dem sie von den Flugzeugen ohne Gefahr befahren werden können. Es sei gleichgültig, ob es sich hiebei um eine unmittelbare Vertragsverletzung oder eine Verletzung einer vertraglichen Nebenverpflichtung handle. Für die mangelhafte Befestigung eines von ihr zur Benützung freigegebenen Teiles der Rollfläche hafte die Klägerin, zumal sie den ihr gemäß § 1298 ABGB. obliegenden Beweis, daß sie kein Verschulden hieran treffe, nicht erbracht habe. Sie müßte auch beweisen, daß ihrem Erfüllungsgehilfen, der "Arbeitsgemeinschaft Flughafenerweiterung" kein Verschulden zur Last falle.

Da die Klägerin, von ihrem Rechtsstandpunkt ausgehend, gar keine Prozeßbehauptungen darüber aufgestellt habe, daß weder sie noch die "Arbeitsgemeinschaft" ein Verschulden treffe, und ein derartiger Beweis nach der Lage der Dinge heute auch gar nicht mehr geführt werden könne, müsse der Schadenersatzanspruch der Beklagten und damit deren aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung dem Gründe nach als zu Recht bestehend angesehen werden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat die beklagte Partei nicht nur Büro- und Werkstättenräume sowie Abstellplätze im Hangar gemietet, sondern sie bezahlt auch für die Benützung des Flugfeldes Start- und Landegebühren. Selbst wenn man diesen zweiten Teil der Vertragsbeziehungen zwischen den Streitteilen als Vertragsverhältnis eigener Art ansieht, so besteht doch kein Zweifel, daß es einem Bestandvertrag sehr nahe kommt, da die klagende Partei damit gegen Entgelt die Benützung der Start- und Landeflächen einräumt. Beide Vertragsbeziehungen stehen miteinander in einem unlösbaren Zusammenhang, da ja die beklagte Partei mit ihren Flugzeugen weder unmittelbar vom Hangar aus starten noch direkt dort landen kann. Sie bedarf unbedingt aller dieser Flächen, zu denen auch die Abstellflächen gehören. Die klagende Partei kann daher nicht ernstlich bestreiten, daß sie verpflichtet ist, der beklagten Partei den bedungenen Gebrauch aller dieser Flächen und damit auch der Verbindungsrollwege zu erhalten.

Besteht aber eine solche Vertragsverpflichtung, so findet - da die beklagte Partei bewiesen hat, daß ihr bei dem bedungenen Gebrauch infolge der mangelhaften Beschaffenheit eines Rollweges ein Schaden entstanden ist - die Beweisregel des § 1298 ABGB. Anwendung. Es wird daher ein Verschulden der klagenden Partei vermutet und dieser obliegt der Beweis, daß weder ihr noch der "Arbeitsgemeinschaft" für die sie gemäß § 1313a ABGB. haftet, ein Verschulden zur Last fällt. Wenn daher das Erstgericht ein Verschulden der Organe der klagenden Partei nicht als erwiesen angenommen hat, so ist dies nicht genügend, um die klagende Partei von der Schadenersatzpflicht freizusprechen; vielmehr müßte die klagende Partei beweisen, daß sie kein Verschulden trifft.

Was den Einwand betrifft, die Beweislastumkehrung nach § 1298 ABGB. trete nur bei gänzlicher Nichterfüllung des Vertrages, nicht aber bei Schlechterfüllung ein, so beziehen sich die unter Nr. 1 bei § 1298 ABGB. Ausgabe 1960 zitierten Entscheidungen auf Kauf- und Werkverträge, bei denen im Sinne der §§ 932 und 1167 ABGB. im Anschluß an Gewährleistungsansprüche bei Verschulden auch noch Schadenersatzansprüche entstehen können. Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Erwägungen können jedoch auf Bestandverträge und ähnliche Verträge nicht angewendet werden, da bei diesen eine Schlechterfüllung, die bei Verschulden auch zu Schadenersatz verpflichten könnte, begrifflich nicht denkbar ist. Die klagende Partei hat der beklagten Partei gemäß § 1096 ABGB. den bedungenen Gebrauch zu verschaffen. Tut sie dies nicht, dann erfüllt sie eben den Vertrag nicht. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, daß es nicht gerechtfertigt wäre, dem zu Schaden gekommenen Bestandnehmer den oft kaum möglichen Beweis dafür aufzuerlegen, daß den vom Bestandgeber als Erfüllungsgehilfen verwendeten Baumeister oder sonstigen Unternehmer ein Verschulden treffe.

Daß andere Flugzeuge schon vorher ungefährdet denselben Rollweg benützt haben, besagt nichts, da die entstandene Vertiefung, die den Schaden verursachte, nur klein war. Es ist also ohneweiters möglich, daß die Räder der anderen Flugzeuge diese Stelle nicht berührten.

Auch der Umstand, daß der jeweilige Rollweg zwischen den Parteien einvernehmlich festgelegt wurde, ist ohne Bedeutung. Damit hatte die beklagte Partei zwar die Möglichkeit, den Rollweg mitzubestimmen, sie befreite aber dadurch nicht die klagende Partei von ihrer Haftung für dessen Tauglichkeit zum bedungenen Gebrauch.

Mit dem Hinweis darauf, daß nach der Aussage des Zeugen Sp. zwischen dem bloß gewalzten und dem schon betonierten Teil des Rollweges ein Niveauunterschied von zirka 30 cm. bestand und daß der Zeuge Hans M. mit dem Propeller gegen diese Stufe gestoßen sei, entfernt sich der Rekurs von den untergerichtlichen Feststellungen, nach welchen die Niveauunterschiede ausgeglichen waren und keine Stufe zu überwinden war.

Der Rekurswerberin ist aber insofern beizupflichten, als sie hinsichtlich des ihr sonach gemäß § 1298 ABGB. obliegenden Beweises in erster Instanz Behauptungen aufgestellt und Beweise angeboten hat. Sie hat nämlich behauptet, die Verdichtung des Schotterbelages sei am Unfallstag ausreichend, fachgemäß und gleichmäßig gewesen. Zum Beweise dafür hat sie sich auf das Bautagebuch, die Herren der örtlichen Bauleitung sowie auf einen Sachverständigen aus dem Bauwesen berufen.

Das Erstgericht hat diese Beweise nicht aufgenommen, da es den Zustand der Rollfläche für nicht mehr feststellbar erachtete und überdies aus anderen Gründen zur Klagsstattgebung gelangte. Mit dieser Annahme, die einer aktenmäßigen Grundlage entbehrt, hat das Erstgericht in unzulässiger Weise die von der klagenden Partei angebotenen Beweise vorgreifend gewürdigt und dadurch Feststellungen, die auf Grund dieser Beweise möglicherweise hätten getroffen werden können, unmöglich gemacht. Dies kann von der klagenden Partei auch im Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes geltend gemacht werden, da sie in erster Instanz obsiegt hat und daher keinen Anlaß hatte, das Ersturteil zu bekämpfen.

Dem angefochtenen Beschluß kann daher darin nicht gefolgt werden, daß die Gegenforderung der beklagten Partei schon dem Gründe nach zu Recht bestehe. Vielmehr ist die Sache aus den vorangeführten Gründen auch in diesem Punkte noch nicht entscheidungsreif. Dies zieht aber gleichfalls die Notwendigkeit der Aufhebung des Ersturteils und der Verfahrensergänzung nach sich, sodaß dem Rekurs der klagenden Partei im Ergebnis kein Erfolg beschieden sein kann.

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