OGH 5Ob586/84

OGH5Ob586/8411.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Pflegschaftssache der am ***** geborenen Martina K*****, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Vera Maria K*****, vertreten durch Dr. Otto Rolle, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 16. August 1984, GZ 13 R 582/84‑99, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 26. Juni 1984, GZ 3 P 334/75‑93, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0050OB00586.840.1211.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Begründung

Die 1970 geborene Minderjährige befindet sich seit der 1974 erfolgten Scheidung der Ehe ihrer Eltern bei der Mutter, die den Beruf einer Lehrerin ausübt, in L*****; der Vater, von Beruf Postbeamter, wohnt in S*****. Die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten ist der Mutter zugewiesen. Das Recht des Vaters auf persönlichen Verkehr mit seiner Tochter war zuletzt durch die vom Obersten Gerichtshof bestätigte (5 Ob 668/82) Entscheidung des Landesgerichts Linz vom 26. 4. 1982 (ON 55) bestimmt: Der Vater durfte das Kind an jedem vierten Wochenende im Monat von Samstag 13:00 Uhr bis Sonntag 18:30 Uhr und zusätzlich in den Sommer‑Schulferien auf die Dauer von drei Wochen zu sich nehmen. Ergänzend dazu sprach das Erstgericht (ON 70) aus, dass dem Vater bei Verhinderung der Minderjährigen an einem Besuchswochenende das Besuchsrecht ersatzweise am darauffolgenden Wochenende zustehe. Die Mutter begehrte am 16. 3. 1983 eine Beschränkung des Besuchsrechts des Vaters auf jeden vierten Sonntag im Monat von 08:30 Uhr bis 18:30 Uhr. Sie begründete diesen Antrag im Wesentlichen damit, dass das Kind den Vater am liebsten gar nicht mehr sehen möchte (ON 69): es „mag den Vater einfach nicht und will nicht mit ihm zusammentreffen“. Sie, die Mutter, fände „es einfach nicht richtig, dass (sie) das Kind ständig dazu nötigen muss“, mit dem Vater nach S***** zu fahren. Das dazu gehörte Kind wiederholte die Angaben der Mutter („Am liebsten wäre es mir, meinen Vater gar nicht mehr sehen zu müssen ... . Ich kann nur sagen, dass ich jetzt, da ich älter bin, meinen Vater einfach nicht mehr sehen möchte ... . Ich wünschte, ich könnte ausschließlich bei meiner Mutter bleiben ... . Ich hänge nicht an meinem Vater“), äußerte, schon zu glauben, dass der Vater sie „ganz gern mag“, konnte aber keinen sachlichen und konkreten Grund für die Abneigung gegen ihn vorbringen.

Der Vater sprach sich gegen die Einschränkung seines Rechts auf persönlichen Verkehr mit seiner Tochter aus und vertrat die Ansicht, dass die Mutter jeden Kontakt des Kindes mit ihm verhindere und dadurch sowie aufgrund ihres psychischen Zustands das Wohl des Kindes gefährde; er beantragte seinerseits, ihm die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten zu übertragen.

Das Erstgericht gab dem Antrag der Mutter statt und wies das Begehren des Vaters ab.

Das Rekursgericht wies den Antrag der Mutter ab und bestätigte die Abweisung des Begehrens des Vaters.

In der Begründung seiner, den Antrag der Mutter abweisenden Entscheidung zum Recht des Vaters auf persönlichen Verkehr mit seiner Tochter zitierte das Rekursgericht die tragenden Gründe des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs in dem Beschluss 5 Ob 668/82 (= EFSlg 40.722, 40.728, 40.733, 40.739, 40.749, 40.758 und 40.759), der hier zur letzten Regelung dieses Verkehrs erging, und führte dann aus:

An der Sachlage, die der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zugrunde liege, habe sich seither nur das eine geändert, nämlich dass die Minderjährige nunmehr Besuche beim Vater ablehne. Auffällig sei freilich, dass die Minderjährige, die zuvor nichts gegen die Besuche beim Vater einzuwenden gehabt habe, bereits sieben Monate nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der auf eine natürliche Zuneigung des Kindes zu beiden Elternteilen verwiesen habe, plötzlich eine entschiedene Ablehnung dieser Besuche beim Vater bekundet habe, ohne hiezu konkrete Gründe vorbringen zu können; diese seien erst Monate später beim Gespräch mit dem Psychologen für Familien‑ und Jugendberatung ‑ in wenig überzeugender Weise ‑ „ergänzt“ worden. Dies lege den Schluss nahe, dass die Ablehnung der Besuche beim Vater durch die Minderjährige auf zumindest psychologischen Druck der Mutter zurückzuführen sei. Bestätigt werde diese Annahme durch die Stellungnahme des Jugendamts Linz und durch die Ausführungen des Psychologen, wonach die Minderjährige die Besuche beim Vater in erster Linie wegen des dadurch ausgelösten Verhaltens ihrer Mutter ablehnt und nicht mehr in der Lage sei, die Konfliktsituation zu bewältigen, in die sie von ihrer Mutter gebracht worden sei. Der einzige Grund für die Ablehnung der Besuche durch die Minderjährige liege demnach darin, dass ihre Mutter, anstatt ihr Verhalten im Sinne der zitierten oberstgerichtlichen Entscheidung einzurichten, sie mit Schuldgefühlen belaste. Dies könne jedoch zu keiner Einschränkung des bisher im Wesentlichen klaglos ausgeübten Besuchsrechts des Vaters führen, weil eine solche Einschränkung nur in besonders schweren Konfliktsfällen gerechtfertigt sei. Bemühe sich aber die Mutter darum, einen solchen Konfliktsfall herbeizuführen, so müsse sie darauf hingewiesen werden, dass sie im Interesse der Minderjährigen alles zu unternehmen habe, was für einen positiven Verlauf des Besuchs notwendig sei, und das Kind nicht mit Schuldgefühlen ihr gegenüber belasten dürfe. Aufgrund ihrer Bildung und Intelligenz könne von ihr soviel Beherrschung verlangt werden, dass sie ihre Konflikte mit dem Vater des Kindes nicht auf dieses übertrage. Sollte sie hiezu aber nicht Willens oder ‑ sei es auch unverschuldet ‑ nicht in der Lage sein, könne dies unter Umständen zu einer Gefährdung des Wohles der Minderjährigen und im Extremfall zu einer Maßnahme gemäß § 176 ABGB führen (EFSlg 38.236, 40.735).

Diese Entscheidung bekämpft die Mutter mit Revisionsrekurs; sie begehrt, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Der Kern der Ausführungen in dem Rechtsmittel konzentriert sich auf den nunmehrigen Wunsch des Kindes, seinen Vater nicht mehr sehen zu wollen, und auf die daraus gezogene Folgerung, es widerstreite dem Wohl des Kindes, diesen Wunsch nicht zu respektieren.

Der Oberste Gerichtshof verweist zunächst noch einmal (vgl die Vorentscheidung 5 Ob 668/82) darauf, dass beide Elternteile das wesentliche Verhaltensgebot trifft, die Liebe und Zuneigung des Kindes zu beiden Elternteilen in gleicher Weise zu fördern, und dass die Befolgung dieses Gebots gerade nach der Zerstörung der Ehe für das richtig verstandene Wohl des Kindes, seine Charakterbildung und sein seelisches Gleichgewicht von ganz besonderer Bedeutung ist. Er fügt hinzu, dass auch das Kind selbst zur Achtung der Persönlichkeit und der aus dem Familienband entspringenden Rechte beider Elternteile verpflichtet (§ 137 Abs 2 ABGB) und von dem Verhaltensgebot der Liebe und Zuneigung zu beiden Teilen betroffen ist. Das Kind soll deshalb auch das Recht des Vaters, der von ihm getrennt lebt, auf den zur Pflege und Förderung der zwischenmenschlichen Beziehungen, des wechselseitigen Verständnisses, des Bands der familiären Liebe und Zuneigung und der Charakterbildung unentbehrlichen und notwendigen persönlichen Verkehr (§ 148 Abs 1 Satz 1 ABGB) respektieren. Es hat dies auch bis zu der oben angeführten Vorentscheidung des Obersten Gerichtshofs immer getan. Da sich seither ohne eine andere objektivierbare Ursache sein Verhalten zum Vater grundlegend und im ablehnenden Sinne geändert hat, kann dies offenkundig nur auf die Einwirkungen seiner Mutter zurückzuführen sein, deren vielfach geäußerte Abneigung und geradezu abnormalen Ausbrüche von Hass gegen den Vater des Kindes den Akten entnommen werden können (S 271: „Der ‑ Anm.: Vater des Kindes ‑ war so gemein zu mir und da muss ich mein Kind zu dem hinunter schicken, das ist kein Vater“. S 263: „Ich halte ihn ‑ Anm.: Vater des Kindes ‑ ... für einen miesen Charakter“ ... „Unter diesen Umständen mein Kind etwa zu zwingen, zum Vater zu gehen, kann man von mir jedenfalls nicht verlangen“. S 264: „Ich weiß mich meiner Haut zu wehren“ und „ich könnte mir ... nicht vorstellen, dass unter den derzeitigen Umständen das Kind durch eine Entscheidung des Gerichts gezwungen würde, den Vater zu besuchen“. S 265: „Ich vermag ... auch den Vorstellungen meines Exgatten mehr Widerstand entgegenzusetzen“ und „ich glaube jedenfalls, dass es für das Kind am besten wäre, wenn jeder Kontakt zum Vater eingestellt werden kann und wir zusammen ungestört leben können“. Ferner die eingestandene „Aufklärung“ des Kindes über die Ursachen der Ehescheidung, die in Wahrheit aus beiderseitigem Verschulden erfolgte, als Antwort auf die Frage des Vormundschaftsrichters, wie das geänderte Verhalten des Kindes zum Vater zu erklären sei). Es ist unter diesen Umständen unzulässig nur auf den vom Kind geäußerten (angeblichen) Willen Rücksicht zu nehmen, den eigenen Vater nicht mehr sehen zu wollen, weil diese Äußerung ganz offensichtlich doch nur die Folgen der Willenslenkung durch die Mutter sind. Gerade darin liegt ja das Wesen der Unmündigkeit, dass der Unmündige sich seines eigenen Verstandes nicht ohne der Leitung durch einen anderen bedienen kann. Deshalb bedarf das unmündige Kind der verantwortungsbewussten und vernünftigen Leitung seines Verstandes durch seine Eltern bzw durch den Elternteil, dem die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten zugewiesen ist. Werden die daraus erwachsenden Pflichten und Verhaltensgebote nachhaltig und beharrlich verletzt und die daraus zustehenden Rechte in eigennütziger und für das richtig verstandene Wohl des Kindes schädlicher Weise missbraucht, dann werden im Falle der Erfolglosigkeit ernstlicher Abmahnung und Pflichterinnerung des betroffenen Elternteils die gebotenen gesetzlichen Konsequenzen (§ 176 ABGB), auf die schon das Rekursgericht hingewiesen hat, auch im vorliegenden Falle unvermeidlich sein.

Aus den dargelegten Erwägungen muss der Revisionsrekurs der Mutter der Minderjährigen erfolglos bleiben.

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