OGH 5Ob564/93

OGH5Ob564/9323.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Klinger, Dr.Schwarz und Dr.Floßmann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Guntram D*****, vertreten durch Dr.Manfred Ammann, Rechtsanwalt in Rankweil, wider die beklagte Partei Sigrid D*****, vertreten durch Dr.Hannes Grabher, Rechtsanwalt in Lustenau, wegen Herabsetzung des Unterhaltes, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 13.April 1993, GZ 1 a R 150, 151/93-16, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 11.November 1992, GZ 9 C 77/92k-5, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt die Herabsetzung des anläßlich der Scheidung der Ehe der Streitteile (am 20.12.1988 gemäß § 55a EheG) vereinbarten monatlichen Unterhaltes von S 4.500,- auf S 1.000,- ab 1.9.1992.

Im Jahre 1988 habe der Verlust des vom Kläger geführten Installationsbetriebes S 452.000,- betragen, in den folgenden drei Jahren zwischen S 174.000,- und S 900.000,-. Der Kläger habe den Unterhalt für die Beklagte zunächst aus Ersparnissen und aus Beiträgen seiner jetzigen Ehegattin geleistet. Wegen des im Dezember 1992 zur Welt kommenden Kindes werde jedoch seine jetzige Ehegattin ihre Berufstätigkeit aufgeben; dann werde er sowohl für sie als auch für das Kind sorgen müssen. Überdies seien für die inzwischen älter gewordenen Kinder aus erster Ehe höhere Unterhaltsbeiträge zu leisten (ON 1).

Die Beklagte wendete ein, der Kläger sei nach wie vor in der Lage, den vereinbarten Unterhalt zu leisten (ON 3).

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf Grund folgender Tatsachenfeststellungen statt:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Beschluß vom 20.12.1988 gemäß § 55a EheG geschieden. Mit gerichtlichem Vergleich vom selben Tag verpflichtete sich der Kläger, der Beklagten vom 1.1.1989 bis 31.12.1994 monatlich S 4.500,- an Unterhalt zu leisten, ferner für die beiden Kinder aus dieser Ehe S 2.700,- und S 2.300,-. Für den Fall, daß der Beklagten nach dem 31.12.1994 die Aufnahme einer Beschäftigung nicht zumutbar sei, bestehe der für sie vereinbarte Unterhaltsanspruch weiter.

Bei Abschluß dieses Vergleiches ging der Kläger davon aus, daß er seine Unterhaltsverpflichtungen aus den Ersparnissen und den zu erwartenden Gewinnen aus seinem Unternehmen werde bezahlen können. Der Beklagten war derartiges aber nicht bekannt.

Der Kläger erwirtschaftete in seinem Unternehmen in den Jahren 1983 bis 1987 einen immer geringer werdenden Gewinn (im Jahre 1987 nur noch in der Größenordnung der damals aufgelösten Investitionsrücklage).

Im Jahre 1988 brachte dieses Unternehmen einen Verlust von S 452.812,87; abzüglich der Dotierung des Investitionsfreibetragskontos mit S 17.029,- ergab das Betriebsergebnis für 1988 einen Negativbetrag von S 435.788,87. Die Betriebsergebnisse der Jahre 1989 bis 1991 ergaben Verluste von S 169.310,35, S 872.991,41 und S 289.849,21.

An Privatentnahmen tätigte der Kläger im Jahre 1988 S 210.750,60, im Jahre 1989 S 273.898,75, im Jahre 1990 S 551.194,77 und im Jahre 1991 S 511.677,32.

Die Ertragslage des Installationsunternehmens hat sich seit 1988 nicht gebessert. Man rechnete zwar damals mit einer gewissen Durststrecke, doch war nicht absehbar, daß sich diese über mehrere Jahre hinziehen werde. Der Kläger nahm daher Umstrukturierungen vor und veränderte das Geschäftsgebiet, um in absehbarer Zeit wieder ausgeglichen bilanzieren zu können. Mit einer ausgeglichenen Bilanz für 1992 kann gerechnet werden.

Der Kläger steht seit dem Jahre 1986 mit einem türkischen Produktionsbetrieb von Installationsmaterial in Geschäftsverbindung. Es handelt sich dabei um eine Kapitalgesellschaft, an welcher der Kläger mit S 1,500.000,- beteiligt war. Infolge von Marktänderung, Absatzschwierigkeiten und starkem Absinken der Preise sowie auf Grund der Mentalität des türkischen Geschäftspartners brachte auch dieses Geschäft recht bald Verluste, die nicht aus den Erträgnissen aus dem Installationsbetrieb abgedeckt werden konnten. Der Kläger leistet seit dem Jahre 1990 monatliche Kreditrückzahlungen für dieses Geschäft in Höhe von S 52.000,- wobei er das Geld hiefür aus den (oben festgestellten) Privatentnahmen nimmt.

Da das Installationsunternehmen dieses türkische Geschäft nicht mitumfaßt, sind die Verluste daraus auch nicht in den Bilanzen dieses Unternehmens enthalten.

Zum Zeitpunkt des Scheidungsvergleiches hatte der Kläger noch Ersparnisse von etwa S 100.000,-. Daraus leistete er den Unterhalt für die Beklagte und die Kinder aus erster Ehe. Auch verpfändete er drei Bausparverträge; die dafür erhaltenen S 60.000,- verwendete er ebenfalls für Unterhaltszahlungen. Auch seine jetzige Frau unterstützte den Kläger bei der Erfüllung seiner Unterhaltsverpflichtungen.

In der Zwischenzeit ist auch auf dem Privatkonto des Klägers ein Negativsaldo von S 217.000,- aufgelaufen. Da dieses Konto nicht mehr abgedeckt wird, führt die Bank den Dauerauftrag, mittels welchem die Unterhaltszahlungen an die Beklagte erfolgten, nicht mehr durch.

Im Mai 1991 heiratete der Kläger zum zweiten Mal. Seine jetzige Ehegattin war bis September 1992 als Sekretärin ganztägig beschäftigt. Da sie im Dezember 1992 ein Kind vom Kläger erwartet, befindet sie sich derzeit in Mutterschutz und wird anschließend Karenzurlaub nehmen.

Anläßlich der Ehescheidung überließ die Beklagte dem Kläger ihre Anteile an einem Haus, wogegen der Kläger der Beklagten eine 1 1/2 Zimmer große Eigentumswohnung kaufte. Da die Beklagte nach wie vor in dem - größeren - Haus wohnt, wird die Eigentumswohnung vom Kläger um monatlich S 5.500,- vermietet. Die Rückzahlungsraten hiefür betragen aber monatlich S 6.500,-, wobei der Fehlbetrag gleichfalls aus Firmengeldern aufgebracht wird.

Für die von ihr bewohnte Wohnung in dem genannten Haus zahlt die Beklagte nur die Betriebskosten. Sie verrichtet neben ihrer Tätigkeit im Haushalt stundenweise Bügelarbeiten mit einem monatlichen Zusatzeinkommen von ca. S 1.000,-. Sie verfügt über keine Ausbildung, war allerdings vor der Ehescheidung sechs Jahre lang beim Kläger als Sekretärin beschäftigt. Im Jahre 1989 arbeitete sie noch bei einer Firma und von Feber 1990 bis Juni 1990 halbtags als Haushaltshilfe.

Der Kläger selbst lebt derzeit von den Privatentnahmen aus seinem Unternehmen und vom Einkommen seiner Frau. Er ist sorgepflichtig für die Kinder aus erster Ehe (geboren 1977 und 1979).

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, es liege eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor. Infolge der dauernden Erzielung von Verlusten über einen Zeitraum von mehreren Jahren, wobei dieses Betriebsergebnis nicht auf schuldhaftem Verhalten des Klägers beruhe, er also derzeit kein für die Unterhaltsbemessung heranziehbares Einkommen erziele, sei sein Begehren auf Unterhaltsherabsetzung gerechtfertigt. Ein fiktives Einkommen dürfe der Unterhaltsbemessung nicht zugrundegelegt werden, weil der Kläger seine beruflichen Möglichkeiten durch ernsthafte Umstrukturierungen und Verlegung des Geschäftsgebietes zwecks Erlangung ausgeglichener Bilanzen ausgeschöpft habe. Auch die Fehlinvestition in das Geschäft in der Türkei könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, weil er die schlechte Marktsituation nicht habe vorhersehen können.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes in klageabweisendem Sinn ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus:

Die von den Parteien im Zusammenhang mit der Scheidung ihrer Ehe getroffene Unterhaltsregelung unterliege der Umstandsklausel. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes liege aber eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse, die eine Änderung der vom Kläger zu erbringenden Unterhaltsleistung zur Folge hätte, nicht vor. Zunächst seien nicht beide Parteien von der Annahme ausgegangen, daß die Ersparnisse im Zusammenhang mit der Besserung der Ertragssituation zur Bezahlung des Unterhaltes ausreichten. Nach den Feststellungen sei nämlich allein der Kläger davon ausgegangen. Der Beklagten hingegen sei nicht bekannt gewesen, aus welchem Einkommen der Kläger seine Unterhaltsverpflichtungen erfüllen würde. Auch für den Kläger sei aber von vornherein absehbar gewesen, daß die zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses vorhandenen Ersparnisse von S 100.000,- und der aus den Bausparverträgen erzielbare Erlös von S 60.000,- nur für die Abdeckung seiner Unterhaltspflichten (gegenüber der Beklagten und den Kindern von zusammen S 9.500,-) monatlich nur für knapp 17 Monate ausreichen würden. Andererseits sei aber auch für den Kläger damals noch nicht absehbar gewesen, wann und in welchem Ausmaß eine Besserung in der Ertragssituation seines Unternehmens eintreten werde. Er konnte nicht davon ausgehen, daß nach Erschöpfung der Ersparnisse sein Unternehmen wieder in dem Ausmaß Gewinne abwerfen werde, daß er daraus die Unterhaltsleistungen werde erbringen können; der Beklagten war die wirtschaftliche Situation des Klägers und die Ertragslage seines Unternehmens überhaupt unbekannt. Diese Umstände seien daher nicht Vergleichsgrundlage für beide Parteien gewesen.

Auch sei eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des Klägers gegenüber derjenigen zur Zeit des Vergleichsabschlusses nicht eingetreten. Zur Beteiligung des Klägers an einem Unternehmen mit Sitz in der Türkei lägen keine unternehmensbezogenen Daten vor, aus denen sich ableiten ließe, daß in diesem Bereich zwischen 1988 und 1992 eine gravierende und wesentliche Verschlechterung eingetreten wäre. Dazu komme, daß der Kläger auch jetzt - wie zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses - seinen Lebensunterhalt in gleicher Weise aus Privatentnahmen bestreitet. In einem solchen Fall müsse der Kläger, auch wenn sein Unternehmen zunächst Verluste erwirtschafte, auch die ihm gegenüber unterhaltsberechtigte frühere Ehegattin an dem durch seine Privatentnahmen aufrechterhaltenen Lebensstandard teilhaben lassen.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt werde; hilfsweise stellte der Kläger Aufhebungsanträge.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

a) Zur Zulässigkeit:

Die Revision ist schon deswegen zulässig, weil die festgestellten Tatsachen zur verläßlichen Beurteilung der Berechtigung des Klagebegehrens bei richtiger rechtlicher Beurteilung nicht ausreichen.

b) Zum Aufhebungsbeschluß:

Rechtliche Beurteilung

Einer Unterhaltsvereinbarung wohnt die Umstandsklausel als eine im redlichen Verkehr geltende Gewohnheit inne (EFSlg 66.465 uva); sie ist selbstverständliches Element jeder Unterhaltsverpflichtung (EFSlg 60.298). Geänderte Verhältnisse sind entweder überhaupt neue oder alte, jedoch zur Zeit des Verlgeichsabschlusses unbekannte Tatsachen (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 10a zu § 94). Solche geänderte Verhältnisse sind auch gegeben, wenn zwar zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses objektiv mit einer gewissen Dauer der "Durststrecke" (= Unternehmen bringt keinen Gewinn) zu rechnen war, nicht aber damit, daß sich diese über mehrere Jahre hinziehen werde. Die objektiv geänderten Verhältnisse sind in einem solchen Fall darin gelegen, daß der schlechte Geschäftsgang unerwarteterweise anhält, sodaß der Unterhaltspflichtige weit länger als von ihm zunächst geplant die Unterhaltszahlungen aus anderen Quellen als aus den Früchten seiner Erwerbstätigkeit leisten muß (hier: aus Ersparnissen oder durch freiwillige Leistungen seiner jetzigen Ehegattin). Auf die Kenntnis der Beklagten als unterhaltsberechtigter Vergleichspartnerin vom damaligen Geschäftsgang des vom Kläger betriebenen Unternehmens und der damals bestehenden Chancen einer Besserung desselben kommt es wegen des objektiven Charakters der geänderten Verhältnisse nicht an. Nur die beiderseits bestimmte Erwartung einer - dann auch eingetretenen - Änderung wäre dem Ausschluß der Umstandsklausel gleichzuhalten (vgl Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 10a zu § 94).

Richtig ist, daß der Unterhaltspflichtige, der aus dem verlustbringenden Unternehmen Privatentnahmen zur Aufrechterhaltung seines Lebensstandards tätigt, auf dieser Basis auch die Unterhaltsberechtigten an seinen Lebensverhältnissen teilhaben lassen muß (Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 235 mwN). Das Erstgericht stellte Privatentnahmen in bestimmter Höhe fest, allerdings auch, daß daraus die Rückzahlungen für einen zu Geschäftszwecken aufgenommenen Kredit geleistet wurden, nämlich zum Erwerb einer nun angeblich wertlos gewordenen Geschäftsbeteiligung in der Türkei. In einem solchen Fall dürfen jedoch die Privatentnahmen nicht in voller Höhe der Unterhaltsbemessung zugrundegelegt werden, wenn sie nicht in voller Höhe der privaten Lebensführung dienten. Soweit sie nämlich der Rückzahlung des zu Geschäftszwecken aufgenommenen Kredites dienen, vermindern sie wie sonstige Betriebsausgaben die Unterhaltsbemessungsgrundlage.

Das Erstgericht hat sich damit begnügt, die Beweisergebnisse zur Frage der verlustbringenden Geschäftsbeteiligung seiner Entscheidung zugrundezulegen, ohne daß dieser Fragenkomplex vorher mit den Parteien erörtert und ohne daß der im Verfahren erster Instanz nicht anwaltlich vertretene Kläger diesbezüglich zu konkreten Behauptungen angeleitet worden wäre. Diese Beweisergebnisse finden jedoch im allgemeinen Klagegrund (= schlechter Geschäftsgang) Deckung. Das Berufungsgericht begnügte sich damit, auf die diesbezüglich unvollständige Tatsachengrundlage zu verweisen. Solange jedoch nicht konkrete Tatsachenfeststellungen getroffen sind, auf Grund welcher beurteilt werden kann, ob die Investition in das Geschäft in der Türkei als zur geschäftlichen Erwerbstätigkeit des Klägers gehörend zu beurteilen ist und ob wegen der konkreten Ursachen für den Fehlschlag die noch erforderlichen Aufwendungen hiefür als Betriebsausgaben anzusehen sind, steht auch nicht fest, mit welcher Höhe die Privatentnahmen des Klägers der Unterhaltsbemessung zugrundezulegen sind.

Das Verfahren ist daher schon in erster Instanz im Sinne der aufgezeigten Umstände ergänzungsbedürftig. Auf Grund der zu treffenden Feststellungen wird sodann im Sinne der dargelegten Rechtsansicht neu zu entscheiden sein.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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