OGH 5Ob553/76

OGH5Ob553/7627.4.1976

SZ 49/59

Normen

ABGB §986
ABGB §986

 

Spruch:

Zur Auslegung einer an einen Wertsicherungsmaßstab gebundenen Wertsicherungsklausel mit Mindestschwankungsklausel (Schwellwertklausel)

OGH 27. April 1976, 5 Ob 553/76 (LGZ Wien 45 R 516/75; BG Innere Stadt Wien 38 C 61/74)

Text

Die beklagte Partei hat der Klägerin auf Grund eines Leibrentenvertrages als Entschädigung für den Verzicht auf die weitere Ausübung der Konzession zur, Errichtung und zum Betrieb einer Kraftfahrlinie ab 1. September 1969 eine monatliche Leibrente auf Lebenszeit zu bezahlen. Diese Leibrente ist im Punkt IV des Vertrages mit folgender Bestimmung wertgesichert:

"Damit keiner der Vertragsteile aus einer Veränderung der Kaufkraft des österreichischen Schilling einen Vorteil zieht oder Nachteil erleidet, wird die monatliche Leibrente dergestalt wertgesichert, daß sich die Höhe der monatlichen Leibrente analog dem vom Österreichischen Statistischen Zentralamt monatlich verlautbarten Index der Verbraucherpreise 1966 erhöht oder ermäßigt, wobei Schwankungen in der Höhe von 5% (fünf Prozent) auf oder ab bis zur Erreichung dieser 5%igen Änderung unberücksichtigt bleiben.

Bei Überschreitung der Schwankungen von 5% wird jedoch die gesamte Änderung berücksichtigt. Die Basis zur Berechnung der jeweiligen Höhe der Leibrente ist die Indexziffer für September 1969.

Sollte die Indexberechnung durch das Österreichische Statistische Zentralamt geändert oder überhaupt eingestellt werden, so gilt der an die Stelle des Index der Verbraucherpreise 1966 tretende Index oder die Verlautbarungen jener Stelle,durch welche das Österreichische Statistische Zentralamt ersetzt werden sollte.

Sollten auch derartige Verlautbarungen nicht vorgenommen werden, sind im Falle des Auftretens von Streitigkeiten die zu bezahlenden Leibrentenbeträge vom Bezirksgericht Innere Stadt-Wien festzusetzen, wobei die Berechnung nach den gleichen Grundsätzen zu erfolgen hat, wie sie der Indexberechnung heute zugrunde liegen.- Zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob diese Wertsicherungsklausel dahin auszulegen sei, daß sie ab erstmaliger Überschreitung der 5%- Schwelle (Oktober 1970) ständig der jeweiligen Indexbewegung angepaßt zum Zug kommen soll oder ob bei Überschreitung der 5% - Schwelle die solcherart erhöhten Leibrentenbeträge jeweils so lange gleich zu bleiben hätten, bis die Indexerhöhung neuerlich 5% übersteigt.

Die klagende Partei begehrte mit der am 13. Mai 1974 eingebracht unter Zugrundelegung der erstgenannten Auffassung den Betrag von 7 750 S samt Anhang, der sich als Differenz zwischen den von der beklagten Partei vom Oktober 1970 bis Feber 1974 erbrachten Leibrentenzahlungen von insgesamt 373 762 S zu dem Betrage von 381 512 S ergebe, den die beklagte Partei bei richtiger Auslegung der Wertsicherungsklausel zu zahlen gehabt hätte. Der Index der Verbraucherpreise 1966 des Österreichischen Statistischen Zentralamtes habe im September 1969 110.6 betragen. Die 5%-Schwelle sei im Oktober 1970 (116.5) überschritten worden und von diesem Zeitpunkt an sei ohne weitere 5%-Schwellen wertgesichert zu bezahlen.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung, wobei sie aber die Richtigkeit der von der Klägerin durchgeführten Berechnungen und genannten Ziffern vorbehaltlich ihres Rechtsstandpunktes zugestand.

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei den Klagsbetrag zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab.

Der eingangs wiedergegebene Wortlaut der maßgeblichen Vertragsbestimmung ist unstrittig. Den Entscheidungen der Untergerichte liegen folgende weitere Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

Die Klägerin beauftragte den Rechtsanwalt Dr. M mit der Verfassung des Leibrentenvertrages. Nach Besprechungen beim zuständigen Referenten erfolgte die Abschlußbesprechung bei Stadtrat N, wo es auch zu einer Einigung über die Höhe der Leibrente kam. Die Parteien einigten sich dann auf eine 5%-Klausel. Nach dieser Besprechung formulierte Dr. M den Vertrag. Erörterungen über das Problem, ob die Wertsicherung nur das erste Mal oder jeweils nach der Überschreitung der 5%-Hürde zum Tragen kommen sollte, fanden anläßlich des Vertragsabschlusses weder zwischen der Klägerin und Dr. M noch zwischen den Vertragsteilen statt.

Das Erstgericht beurteilte dies rechtlich dahingehend, daß sich schon aus dem Wortlaut der Vertragsbestimmung ergebe, daß die Wertsicherung voll zum Zuge kommen sollte, wenn die Wertschwankung 5% vom Septemberindex 1969 überschreite. Auf eine Einschränkung der Wertsicherung, wie sie etwa bei anderen Wertsicherungsvereinbarungen der Post- und Telegraphendirektion festgehalten sei, habe die Klägerin niemals verzichtet.

Das Berufungsgericht war zunächst der Auffassung, daßstreitentscheidende Feststellungsmängel nicht vorlägen. Wenn auch bei der Besprechung davon die Rede gewesen sein mochte, eine Prozentklausel einzubauen, damit nicht jeden Monat eine Änderung verlangt werden könne, habe dies wohl den Einbau einer Schwellwertklausel an sich betroffen, aber noch nicht eindeutig klargestellt, ob dies nur für einen erstmaligen Schwellwert von 5% oder jeweils für weitere solche Werte nach entsprechender Indexentwicklung zu gelten habe. Auch im erstgenannten Falle wäre zumindest für eine gewisse Zeit die Notwendigkeit ständiger Werterhöhungsberechnungen fortgefallen. Mangels mündlicher Erörterung der Schwellwertklausel zwischen den Parteien stehe für die Auslegung nach § 914 ABGB nur der Vertragstext selbst zur Verfügung. Dieser sei aber nicht im Sinne des § 915 zweiter Halbsatz ABGB undeutlich. Es sei darin ausdrücklich von "Schwankungen in der Höhe von 5% auf oder ab bis zur Erreichung der 5%igen Änderung" und weiters von einer Überschreitung "der Schwankungen von 5%" die Rede. Dies könne nur dahin verstanden werden, daß auch wiederholte Schwankungen in der Höhe von jeweils 5% auf oder ab vorgesehen waren, wobei Schwankungen unterhalb der 5%-Schwelle unberücksichtigt bleiben sollten. Derartige, der Auffassung der beklagten Partei entsprechende Sprungklauseln seien seit den Jahren höherer Inflationsraten üblich, um den Abrechnungsschwierigkeiten zu begegnen, die durch eine allmonatlich geänderte, aber erst etwa zwei Monate nach Fälligkeit der jeweiligen Leibrente bekannt gewordene Indexziffern entstunden. Die weitere Vereinbarung, daß die Wertsicherung bei Überschreitung der 5%-Schwelle voll zu berücksichtigen sei, biete keine Auslegungshilfe für die Annahme der Klägerin, daß monatlich variabel selbst kleinste Indexschwankungen zur Anrechnung kommen sollten, soferne nur die Basisindexziffer einmal eine Erhöhung um 5% erfahren habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den Feststellungen der Untergerichte wurde der Anwendungsbereich der 5% -Klausel anläßlich des Vertragsabschlusses nicht erörtert. Es fehlt auch jeder Anhaltspunkt dafür, daß beide Parteien übereinstimmend etwas anderes wollten, als dem Wortlaut der schriftlichen Vertragsbestimmung entspricht. Es ist daher dieser und seine Auslegung streitentscheidend. Die Auslegung einer Urkunde ist das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung. Es ist dabei zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen (vgl. Koziol - Welser[4], Grundriß I, 76). Es ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß die Verwendung des Begriffes "Schwankung" in der Mehrzahl eher daraufhin deutet, daß sich der Sperrwert von 5% nicht nur auf diese erste Wertschwankungsrate, sondern auch auf die weiters folgenden beziehen sollte. Der Revisionswerberin ist aber zuzugestehen, daß diese Annahme im Hinblick auf die ausdrückliche Bezugnahme auf Erhöhungen und Ermäßigungen der Indexziffer nicht zwingend ist. Nach § 914 ABGB ist aber bei der Auslegung von Verträgen nicht an den buchstäblichen Sinn des Ausdruckes zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Unter der "Absicht der Parteien" im Sinne der angeführten Gesetzesstelle ist keineswegs etwa die Auffassung einer Partei oder ein nicht erklärter und nicht kontrollierbarer Parteiwille, sondern nichts anderes als der Geschäftszweck zu verstehen, den jeder der vertragschließenden Teile redlicherweise der Vereinbarung unterstellen muß. Es ist also die dem Erklärungsgegner erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen (vgl. Gschnitzer in Klang[2] IV/1.404; Koziol - Welser, 76). Die praktische Bedeutung der sogenannten Schwellwertklausel liegt nun unzweifelhaft darin, daß sie die Vertragspartner von der Notwendigkeit ständiger Werterhöhungsberechnungen befreit, die durch die erst nachträgliche Verlautbarung der entsprechenden Indexzahlen erschwert wird. Es mag zutreffen, daß jetzt dieser Vorteil in erster Linie dem Schuldner zukommt. Es kann aber nicht übersehen werden, daß auch für den Gläubiger die entsprechenden Kontrollmöglichkeiten erleichtert sind, so daß von seiner Seite her eine gewisse verzögerte Nachziehung ansteigender Indexzahlen in Kauf genommen werden kann. Es ist zudem noch zu bedenken, daß dem Gläubiger in Zeiten sinkender Indexzahlen ein Vorteil daraus erwüchse und die Wertsicherungsklausel im vorliegenden Falle ausdrücklich auf beide Möglichkeiten abgestellt ist. Da aus der Sicht der Zeit des Vertragsabschlusses (September 1969) schon mit Erhöhungen der Indexzahlen zu rechnen war, die innerhalb von ein bis zwei Jahren jeweils die 5%-Grenze überschreiten würden, ist kein Grund zu erkennen, warum die mit einer fortdauernd wirkenden Sprungklausel verbundene Vereinfachung der Abwicklung der Leibrentenzahlungen nicht dem Parteiwillen entsprechen sollte. Es fehlen auch diesbezügliche Prozeßbehauptungen der klagenden Partei, was offenbar darauf zurückzuführen ist, daß dem Vertragsverfasser Dr. M ohnehin die Handhabung der 5%-Klausel in einer Art vorschwebte, daß die Basis für die Neuberechnung der jeweils neue Betrag sei.

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