Spruch:
Die Berufung auf die clausula rebus sic stantibus bei Unterhaltsvergleichen ist ohne ausdrückliche Regelung im Vergleich nur dann ausgeschlossen, wenn die Parteien bei Vergleichsabschluß von der Erwartung der Änderung der Verhältnisse ausgegangen sind, nicht aber dann, wenn sie nur mit dem allenfalls möglichen Eintritt der Änderung rechneten.
Entscheidung vom 1. Juni 1962, 5 Ob 53/62.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Streitteile schlossen am 6. Mai 1954 in der Berufungsverhandlung ihres Scheidungsprozesses, der mit der Scheidung der Ehe aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden endete, einen Unterhaltsvergleich folgenden Inhaltes: "Der Kläger verpflichtet sich, der Beklagten einen monatlichen Unterhalt von 1500 S, beginnend am 10. Mai 1954, die folgenden Unterhaltsbeträge jeweils am 10. der folgenden Monate bis einschließlich 9. Juli 1955 und von 850 S, beginnend am 10. Juli 1955, die folgenden Unterhaltsbeträge jeweils am 10. der folgenden Monate im vorhinein bei Exekution zu bezahlen."
Das Erstgericht hat das Erlöschen der Alimentationsverpflichtung aus diesem Unterhaltsvergleich mit der Begründung festgestellt, der Kläger habe zur Zeit des Abschlusses des Vergleiches, bei welchem auf die Umstandsklausel nicht verzichtet worden sei, die Gesamteinkünfte aus der Garage, Wien II, S.-Gasse 4, bezogen, während nunmehr im Prozeß 2 Cg 76/54 des Landesgerichtes für ZRS. Wien das gleichteilige Eigentumsrecht beider Streitteile an der Garage festgestellt worden sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In der Revision wird das Urteil des Berufungsgerichtes unter Berufung auf die Ausführungen Gschnitzers in Klang[2] IV S. 339, mit der Begründung bekämpft, es könne sich eine Partei auf eine Änderung des als dauernd vorausgesetzten Sachverhaltes dann nicht berufen, wenn die Änderung keine unvorhergesehene ist, wenn vielmehr mit der Möglichkeit einer Änderung gerechnet werden mußte. Ein solcher Sachverhalt sei hier gegeben, weil dem Kläger bei Abschluß des Vergleiches vor dem Oberlandesgericht Wien bekannt gewesen sei, daß die Beklagte an der Garage bzw. den Einkünften aus dem Garagenunternehmen die Hälfte für sich beanspruchte und diesen Anspruch bereits im Zuge eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht habe. Es habe daher der Kläger zu diesem Zeitpunkt mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß die Beklagte bei Gericht mit ihrem Rechtsstandpunkt durchdringen könne und demgemäß durch gerichtliche Entscheidung festgestellt werden könnte, daß die Beklagte an dem Garagenunternehmen Hälfteanteil besitzt und somit sich auch in absehbarer Zeit die Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf seiner Seite zu seinem Nachteil ändern können.
Dabei wird aber in der Revision übersehen, daß für den Spezialfall des Unterhaltsvergleiches, wie sich auch aus den Ausführungen Gschnitzers ergibt, etwas Besonderes gilt. Wollte man auch für den Fall des Unterhaltsvergleiches den Standpunkt vertreten, daß eine Berufung auf eine Änderung der Sachlage, mit deren Möglichkeit gerechnet werden mußte, ausgeschlossen sei, so käme man im Gegensatz zu Lehre und Rechtsprechung zu dem Ergebnis, daß eine Berufung auf die clausula rebus sic stantibus in Unterhaltssachen in der Regel ausgeschlossen ist; denn bei dem Abschluß eines Unterhaltsvergleiches muß stets mit der Möglichkeit einer Änderung, sei es in den Einkommensverhältnissen der Vergleichschließenden, sei es in ihrem Gesundheitszustand und in dem Grade ihrer Arbeitsfähigkeit, gerechnet werden. Man muß daher den erwähnten Grundsatz dahin einschränken, daß eine Berufung auf die einem Unterhaltsvergleich in der Regel innewohnende clausula rebus sic stantibus nur dann ausgeschlossen ist, wenn entweder diese Klausel in dem Vergleich ausgeschlossen wurde oder wenn bei Vergleichsabschluß beide Vertragsschließenden von der Erwartung ausgegangen sind, daß die Änderung, die nun zur Bekämpfung der Wirksamkeit des Vergleiches geltend gemacht wird, eintreten werde, z. B., wenn als Änderung die Wiederverheiratung eines der beiden Ehegatten geltend gemacht wird, von der schon bei Vergleichsabschluß beiden Ehegatten bekannt war, daß sie erfolgen werde. Die Geltendmachung von Änderungen hingegen, mit deren allenfalls möglichem Eintritt die Parteien bei Abschluß des Vergleiches rechnen konnten, ist nicht ausgeschlossen. Hier gilt der Grundsatz, daß es nicht sinngemäß wäre, außergerichtliche Unterhaltungsvereinbarungen anders zu behandeln als gerichtliche Entscheidungen über den Unterhalt, sofern aus dem Inhalt der Unterhaltsvereinbarung nicht etwas anderes hervorgeht (Gschnitzer a. a. O. S. 340). Im vorliegenden Falle bezog der Kläger zur Zeit des Unterhaltsvergleiches die Einkünfte aus dem Garagenunternehmen. Es bestand damals schon Streit über das Eigentum an diesem Unternehmen und die Einkünfte davon. Aber den Miteigentumsanspruch der Beklagten hatte der Kläger entschieden bestritten. Die Feststellung, daß die Beklagte Miteigentümerin der Garage sei und die damit verbundene Änderung in den beiderseitigen Einkommensverhältnissen war zwar möglich, aber keineswegs mit Sicherheit zu erwarten. Die Beklagte hätte daher, um den Ausschluß der clausula rebus sic stantibus zu erwirken, den Ausschluß dieser Klausel mit dem Kläger vereinbaren und sich den Unterhalt auch für den Fall zusichern lassen müssen, daß sie als Miteigentümerin des Garagenunternehmens festgestellt würde. Da eine solche Vereinbarung nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht getroffen wurde, ist der Kläger berechtigt, sich auf die clausula rebus sic stantibus, nämlich darauf zu berufen, daß der Beklagten nunmehr die halben Einkünfte aus dem Garagenunternehmen zustehen und sie von ihm einen Vorschuß von monatlich 850 S erhält.
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