Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Der Vater der Minderjährigen, der derzeit unbekannten Aufenthaltes ist, wurde zuletzt auf Grund seines monatlichen Durchschnittsnettoeinkommens von S 11.295 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.970 ab 18.12.1985 an die im Kopf dieser Entscheidung genannte Minderjährige verpflichtet (ON 66).
Die der Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse von monatlich S 1.970 (ON 75 und 92) waren mit Beschluß vom 27.12.1990 (ON 103) für die Zeit vom 1.10.1990 bis 31.5.1993 im Hinblick auf das monatliche Nettoeinkommen der Minderjährigen von S 4.400 (monatliches Taschengeld 14 x jährlich S 2.129 und Sachbezüge von monatlich S 1.920 als Krankenpflegeschülerin) auf monatlich S 1.000 herabgesetzt worden.
Die Minderjährige war am 16.1.1991 aus der Krankenpflegeschule des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien (Internatsschule) ausgetreten (ON 107). Seit 9.9.1991 besucht sie als externe Schülerin die Allgemeine Krankenpflegeschule am Kaiserin Elisabeth Spital der Stadt Wien. Sie erhält ein monatliches Taschengeld von S 2.255 (14 x jährlich), ein Verpflegsgeld von S 59 pro Tag sowie Sachbezüge von S 1.920 pro Monat (Bestätigung ON 110).
Das Erstgericht hat daraufhin per 30.9.1991 den Unterhaltsvorschuß von zuletzt monatlich S 1.000 eingestellt.
Das Erstgericht begründete dies damit, daß die Minderjährige wegen ihres monatlichen Nettodurchschnittseinkommens von S 6.320 als selbsterhaltungsfähig anzusehen sei, weil sie bereits mehr als die Hälfte des zuletzt der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegten Einkommens des Vaters beziehe.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
§ 6 Abs. 1 UVG begrenze nur den im Einzelfall gewährten monatlichen Unterhaltsvorschuß, reguliere aber nicht den Unterhaltsanspruch selbst. Demgemäß sei der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom 8.10.1991, 4 Ob 549/91, von der früheren, wenn auch vereinzelt gebliebenen Rechtsprechung (7 Ob 568/91; 6 Ob 598/90), wonach einem Lehrling dann keine Unterhaltsvorschüsse gebührten, wenn die ihm zukommende Lehrlingsentschädigung den Richtsatz des § 6 Abs. 1 UVG erreiche oder überschreite, wieder abgegangen.
Unterhaltsvorschüsse dürften aber kein Ergebnis bringen, das nach den Kriterien des § 140 ABGB als überhöht anzusehen wäre. Unterhaltsvorschüsse seien daher im Wege der §§ 7 Abs. 1, 19 Abs. 2 und 20 Abs. 1 Z 4 lit b UVG entsprechend zu korrigieren. Dabei diene zur Lösung der Frage, ob ein Lehrling selbsterhaltungsfähig sei, ein Vergleich seines Einkommens mit der Höhe der Mindestpension nach § 293 Abs. 1 lit a/bb ASVG als Orientierungshilfe. Ausgehend von dem der letzten Unterhaltsbemessung zugrunde gelegten Einkommen des Vaters von monatlich S 11.295 sowie den festgestellten Einkommensverhältnissen der Minderjährigen (monatlich S 6.329, richtig nach ON 110: S 6.320) hätte die demnach als selbsterhaltungsfähig anzusehende Minderjährige keinen Anspruch auf weiteren monatlichen Unterhalt von S 1.000 und damit auch nicht auf Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse in dieser Höhe.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von der im § 14 Abs. 1 AußStrG beschriebenen Qualifikation nicht zu lösen seien.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und ihr weiterhin Unterhaltsvorschuß in der Höhe von monatlich S 1.000 zu gewähren.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
a) Zur Zulässigkeit:
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht einerseits die von der Minderjährigen in ihrem Rechtsmittel als zulässige Neuerung vorgebrachten Behauptungen, in den Sachbezügen von monatlich S 1.920 - im Rekurs sowie in der Rekursentscheidung ist offenbar infolge eines Schreibfehlers der Betrag von S 1.290 genannt - sei der Wert von zur Verfügung gestellter Kleidung und von Schulsachen enthalten, vollkommen unbeachtet ließ, obgleich es sich dabei um nicht als Einkommen anzurechnende Kosten der Berufsausbildung handeln könnte (ÖA 1991, 77 ua), und weil es ferner die Selbsterhaltungsfähigkeit bei einem Einkommen von S 6.320 annahm, obgleich dieses damit nicht einmal den nur für einfachste Verhältnisse maßgebenden Richtsatz für die "Mindestpension" nach § 293 Abs. 1 lit a/bb ASVG erreichte.
b) Zur Sachentscheidung:
Unterhaltsvorschüsse sind gemäß § 20 Abs. 1 Z 4 lit b UVG einzustellen bzw gemäß § 19 Abs. 1 UVG herabzusetzen, wenn sie nach § 7 Abs. 1 UVG zur Gänze bzw teilweise zu versagen sind, so - wie in diesem Fall zu beurteilen ist - wenn im Falle eines sogenannten Titelvorschusses nach § 3 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Unterhaltsvorschüsse nach § 3 UVG sind also einerseits begrenzt durch die Höhe des nach § 140 ABGB bestehenden Unterhaltsanspruches, auch wenn der Unterhaltstitel noch auf einen höheren Betrag lautet, andererseits durch den im § 6 Abs. 1 UVG vorgesehenen Höchstbetrag. Bei dem letztgenannten Betrag handelt es sich jedoch um eine fiskalische Auszahlungsgrenze, nicht um eine Unterhaltsgrenze. Daß nämlich durch § 6 Abs. 1 UVG nicht nur der monatliche Auszahlungsbetrag begrenzt, sondern auch der Anspruch auf Vorschüsse derart beschränkt werden sollte, daß eigene Einkünfte auf den Richtsatzbetrag anzurechnen sind und mit dem Erreichen dieser Einkommensgrenze jeder Anspruch auf "Titelvorschüsse" (ohne Rücksicht auf ungedeckt bleibende Teile eines höheren Unterhaltsanspruches) erlischt, ist weder dem Gesetz noch den Materialien hiezu zu entnehmen; der Vorschußgewährung würde im Widerspruch zu § 7 Abs. 1 Z 1 UVG bei einer solchen dem Gesetz nicht zu entnehmenden Auslegung nicht die Höhe des durch die Einkünfte des Kindes - nicht zwingend im selben Maß - geminderten Unterhaltsanspruches, sondern die Höhe des Richtsatzes zugrunde gelegt (Entscheidung 4 Ob 549/91, der das Rekursgericht folgte).
Maßgebend ist also, ob die Minderjährige wegen erlangter Selbsterhaltungsfähigkeit keinen Unterhaltsanspruch und damit auch keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse mehr hat, oder ob und in welchem Ausmaß ihr Unterhaltsanspruch gegenüber dem Vater wegen eigenen, die volle Selbsterhaltungsfähigkeit jedoch nicht begründenden Einkommens, und damit auch ihr Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse gemindert ist.
Gemäß § 140 Abs. 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen und Fähigkeiten etc nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Dieser Unterhalt kann durch Zahlung von Geldbeträgen (Geldunterhalt) oder durch Erbringung von Betreuungsleistungen erbracht werden, wobei der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er mit dem Kind lebt, dadurch grundsätzlich seinen (vollen) Beitrag leistet, das heißt den auf ihn entfallenden Anteil voll erbringt.
Gemäß § 140 Abs. 3 ABGB mindert sich der Unterhaltsanspruch des Kindes (gegen jeden Elternteil - s 6 Ob 624/90; 5 Ob 513/91) insoweit, als es Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.
Selbsterhaltungsfähigkeit im vollen Sinn des Begriffes ist erst gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse im Rahmen der bestimmten konkreten Lebensverhältnisse aus eigenen Kräften zu finanzieren imstande ist (EFSlg 62.644 = ÖA 1991, 53; 5 Ob 513/91), und zwar auch außerhalb des elterlichen Haushaltes (EFSlg 62.608; 10 Ob S 19/90; 5 Ob 513/91). Im Falle solcher Selbsterhaltungsfähigkeit vermindert sich der Unterhaltsanspruch gegen jeden Elternteil auf Null, fällt also weg. Davon zu unterscheiden ist der Fall, daß das Kind durch eigene Einkünfte einen Teil seiner Unterhaltsbedürfnisse decken kann, manchmal auch als "Teilselbsterhaltungsfähigkeit" bezeichnet, geregelt in § 140 Abs. 3 Fall 1 ABGB. In einem solchen Fall ist zu prüfen, wie sich das vom unterhaltsberechtigten Kind, das im Haushalt seiner Mutter betreut wird, bezogene Einkommen auf die Höhe des vom Vater zu leistenden Geldunterhaltes auswirkt.
Welches Einkommen zur Deckung aller Bedürfnisse eines Kindes - einschließlich der finanziellen Abgeltung der Betreuungsleistungen - erforderlich ist, läßt sich zwar nicht allgemein beantworten, doch bietet der Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage nach § 293 Abs. 1 lit a/bb ASVG, die sogenannte "Mindestpension", als sogenanntes "sozialversicherungsrechtliches Existenzminimum" (im Jahre 1991 gemäß Art I Z 6 lit a BGBl 1990/741 S 6.000 14 x jährlich, daher im Monatsdurchschnitt ca S 7.000) eine Richtschnur für einfachste Lebensverhältnisse (EFSlg 62.610; 5 Ob 513/91).
Die von der in Ausbildung befindlichen Minderjährigen als Krankenpflegeschülerin bezogenen Leistungen (Taschengeld, Verpflegskostenbeitrag, Sachleistungen) sind wie eine Lehrlingsentschädigung zu behandeln. Sie sind daher wie diese in voller Höhe als Eigeneinkommen des Kindes, soweit es nicht als Ausgleich für einen berufsbedingten Mehraufwand, seien es Kosten der Berufsausbildung oder Kosten der Berufsausübung, benötigt wird, anzusehen (ÖA 1991, 77 betreffend Behandlung der Lehrlingsentschädigung als Einkommen des Kindes).
Ferner darf im Falle bloß teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit
das vom Minderjährigen erzielte eigene Einkommen nicht einseitig
bloß zur Verminderung der vom Geldunterhaltspflichtigen zu
erbringenden Leistung führen. Es ist daher, wie der Oberste
Gerichtshof in seiner Entscheidung 6 Ob 624/90 (= EFSlg 62.644
= ÖA 1991, 53) ausführte und in der Entscheidung 5 Ob 513/91
wiederholte, wie folgt vorzugehen:
Zuerst ist unter Berücksichtigung der konkreten Lebensverhältnisse des Minderjährigen sein gesamter Unterhaltsbedarf einschließlich der Ausbildungskosten zu ermitteln. Dann muß der durch die eigenen Kräfte des Minderjährigen, insbesondere sein Nettoeinkommen (abzüglich der Werbungskosten), nicht abdeckbare Teil des Unterhaltsbedarfes festgestellt werden. Daraus läßt sich die Quote der teilweisen Selbsterhaltungsfähigkeit und jene des fortbestehenden Unterhaltsanspruches ermitteln. Die letztgenannte Quote ist auf die Leistungspflicht beider Elternteile anzuwenden. Unrichtig wäre es - weil es im Verhältnis der Eltern untereinander so zu gelten habe - die ungemessenen Betreuungsleistungen des obsorgenden Elternteiles wertmäßig den Geldzahlungen des anderen gleichzusetzen. Vielmehr ist der nicht durch Naturalleistungen gedeckte Unterhaltsbedarf betraglich zu ermitteln und mit der Quote des fortbestehenden Unterhaltsanspruches zu multiplizieren. Das ergibt den Geldunterhaltsbedarf, der, soweit er in der Leistungsfähigkeit des geldzahlungspflichtigen Elternteiles Deckung findet, von diesem auch trotz teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit zu leisten ist. Dabei ist zu beachten, daß mit fortschreitendem Alter der geschuldete Betreuungsaufwand einen immer geringeren Geldwert gegenüber dem zur Deckung der anderen Bedürfnisse erforderlichen Geldbetrag aufweisen wird (vgl diesbezüglich 5 Ob 513/91, betreffend einen 16jährigen Lehrling, bei dem der Betreuungsaufwand keineswegs mehr als ein Drittel der Gesamtbedürfnisse ausmachen könne).
Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren entsprechend den dargelegten Grundsätzen Tatsachenfeststellungen über das von der Minderjährigen nach Abzug der Berufsausbildungskosten tatsächlich erzielte Nettoeinkommen, den zur Deckung aller Unterhaltsbedürfnisse erforderlichen Betrag, aufgeschlüsselt nach Geldunterhalt und Betreuungsleistungen zu treffen haben. Erst dann wird errechnet werden können, in welchem Ausmaß noch ein Geldunterhaltsanspruch der Minderjährigen und damit auch ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuß besteht. Aufklärungsbedürftig ist insbesondere, woraus die mit S 1.920 bewerteten Sachleistungen bestehen. Es ist nämlich auffällig, daß dieser Betrag auch seinerzeit angenommen wurde, als die Minderjährige internatsmäßig untergebracht war, also von der Ausbildungsstätte Kost und Quartier erhielt, wogegen sie jetzt nicht internatsmäßig untergebracht ist und für Verpflegskosten eine eigene Abgeltung erhält (vgl ON 101 und 110).
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
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