Spruch:
Bei Erwerb eines Kraftwagens ohne Einsichtnahme in den Kraftfahrzeugbrief (Typenschein) haftet der Käufer als unredlicher Erwerber für den entstandenen Schaden solidarisch mit demjenigen, der ihm den Wagen trotz bestehenden Eigentumsvorbehaltes verkauft hat.
Entscheidung vom 22. Dezember 1961, 5 Ob 407, 408/61.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zum Erlag von 4575.88 DM samt 4% Zinsen seit 1. Mai 1959, zahlbar in inländischer Währung zum Warenkurs der Oesterreichischen Nationalbank zur Zahlungszeit auf ein bei der A.-Sparkasse zugunsten der klagenden Partei zu errichtendes Sperrkonto, sowie zum Ersatz der Prozeßkosten. Hiezu stellt es folgendes fest:
Die klagende Partei, die in Heilbronn einen Autohandel betreibt, habe am 17. Dezember 1958 einen Gebrauchtwagen der Type Mercedes-Benz 180 D an einen gewissen Ewald B. verkauft. Der Kaufpreis von 5000 DM sei durch Wechsel gesichert worden und sollte binnen drei Monaten fällig sein. Bis zu dessen Berichtigung habe sich die klagende Partei das Eigentumsrecht vorbehalten; außerdem habe sie den Kraftfahrzeugbrief zurückbehalten.
Am 21. Februar 1959 habe Ewald B., der bis dahin nur 1200 DM auf den Kaufpreis gezahlt hatte, diesen Wagen zusammen mit zwei weiteren dem Beklagten um 12.500 DM verkauft. In den Kaufvertrag seien weder Motor- noch Fahrgestellnummer eingesetzt worden, und außerdem habe Ewald B. dem Beklagten eröffnet, daß er den Kraftfahrzeugbrief für diesen Wagen nicht bei sich habe. Er habe zwar versprochen, die Eigentumspapiere binnen sechs Wochen dem Beklagten zu übersenden, sie seien aber niemals eingelangt. Der Beklagte, der zum Handel mit Altfahrzeugen befugt ist, habe den Wagen dann an einen gutgläubigen Dritten weiterverkauft.
Die Restforderung der klagenden Partei von 3800 DM sei uneinbringlich, da Ewald B. wegen verschiedener Betrügereien verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe von 20 Monaten verurteilt wurde, die er derzeit verbüße. Durch die Klage und die Exekutionsführung gegen B. seien der klagenden Partei Kosten in der Höhe von 579.77 DM erwachsen. Außerdem seien ihr dadurch, daß sie durch ihren Vertreter Albin M. in Wien Nachforschungen nach dem Verbleib des Wagens anstellen ließ, Auslagen von 196.11 DM entstanden.
Beim Erwerb eines Gebrauchtwagens sei der Händler nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs verpflichtet, sich den Kraftfahrzeugbrief, in dem der Eigentümer des Wagens eingetragen ist, vorlegen zu lassen. Die Vorlage des Kraftfahrzeugscheins genüge nicht, dies gelte auch dann, wenn der Verkäufer dem Käufer seit längerer Zeit bekannt sei. Der Beklagte sei daher infolge Außerachtlassung der pflichtgemäßen Sorgfalt beim Erwerb des Wagens unredlich gewesen und hafte demnach für den bei B. uneinbringlichen Kaufpreisrest von 3800 DM sowie für die der klagenden Partei erwachsene Prozeß-, Exekutions- und Nachforschungskosten.
Das Berufungsgericht hob hinsichtlich eines Teilbetrages von 196.11 DM das Ersturteil sowie das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage insoweit zurück. Im übrigen bestätigte es das Ersturteil hinsichtlich eines Teilbetrages von 290.95 DM s. A., änderte es hinsichtlich eines weiteren Betrages von 280.82 DM s. A. dahin ab, daß es das diesbezügliche Klagebegehren abwies, und hob es im übrigen auf, in welchem Umfang es die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies.
Es pflichtete der Beweiswürdigung des Erstgerichtes bei, übernahm auch dessen Feststellungen und bejahte demnach grundsätzlich die Schadenersatzpflicht des Beklagten. Die Kosten der durch Albin M. gepflogenen Erhebungen im Betrag von 196.11 DM seien vorprozessuale Kosten, die nicht im Klageweg, sondern nur als Teil des Kostenanspruchs geltend gemacht werden könnten. Insofern sei der Rechtsweg unzulässig und das Ersturteil sowie das vorangegangene Verfahren nichtig.
Die Kosten der Klage gegen Ewald B. in der Höhe von 280.82 DM habe der Beklagte nicht verschuldet, daher sei das Ersatzbegehren der klagenden Partei in diesem Punkt unbegrundet. Wohl aber habe der Beklagte die Kosten der von der klagenden Partei gegen B. erwirkten einstweiligen Verfügung und der zur Herausgabe des Kraftwagens versuchten Pfändung im Betrag von zusammen 290.95 DM verschuldet.
Den Ersatz des Restkaufpreises von 3800 DM könne die klagende Partei nur dann begehren, wenn sie nicht auf den Wagen selbst greifen könne, wenn sie also den Käufer des Wagens nicht ausfindig machen oder ihn von diesem gemäß § 367 ABGB. nicht herausverlangen könne. Während die erste Möglichkeit überhaupt nicht untersucht worden sei, hätten die Parteien zur zweiten außer Streit gestellt, daß "der Beklagte als ein zum Handel mit alten Fahrzeugen befugter Händler den Wagen an einen gutgläubigen Dritten weiterverkauft habe". Darin liege aber keine Außerstreitstellung tatsächlicher Umstände, sondern die einer Rechtsfrage, deren Beantwortung Sache des Gerichtes sei. Diese Außerstreitstellung könne keine Urteilsgrundlage bilden, weshalb das erstgerichtliche Verfahren in diesem Punkt an einer Mangelhaftigkeit leide, die zur Urteilsaufhebung führen müsse.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere ZVR. 1958 Nr. 204, 3 Ob 166/60 u. a.) ist der Käufer eines deutschen Kraftwagens verpflichtet, sich durch Einsichtnahme in den Kraftfahrzeugbrief, der dem österreichischen Typenschein entspricht, von der Rechtmäßigkeit des Besitzes des Verkäufers zu überzeugen. Nicht genügt hiefür die Einsichtnahme in den Kraftfahrzeugschein, der dem österreichischen Zulassungsschein entspricht, noch weniger aber ein Attest der Zollbehörde.
Es ist allgemein bekannt, daß immer wieder Kraftwagen gestohlen werden, die teils mit, teils ohne Veränderungen als Gebrauchtwagen in Nachbarstaaten verbracht und dort verkauft werden. Der Beklagte als Gebrauchtwagenhändler mußte sich dessen bewußt sein, und er hätte daher in Anbetracht des Fehlens wichtiger Papiere einen Verdacht gegen die Rechtmäßigkeit des Besitzes des Ewald B. hegen müssen und den Wagen nicht erwerben dürfen. Hat er dies dennoch getan, so gilt er gemäß § 368 ABGB. als unredlicher Erwerber.
Zu Unrecht wirft die Revision den Untergerichten eine Verwechslung oder Vermengung der Begriffe "Sorgfalt eines redlichen Kaufmannes" und "guter Glaube" vor. Das Vorliegen eines der im § 368 ABGB. angeführten Umstände verpflichtet jeden Käufer, insbesondere aber einen branchenkundigen Kaufmann, zur Erkündigung und zur Nachforschung (SZ. XXIII 379, SZ. XX 182, 5 Ob 181/61 u. a.). Erwerb im guten Glauben findet überall dort nicht statt, wo irgendein Merkmal den Erwerbsakt als objektiv verdächtig erscheinen läßt (Klang 2. Aufl. II 227).
Mit Recht haben die Untergerichte auch verneint, daß es sich hier um einen Drittschaden handle. Der Schaden der klagenden Partei ist dadurch entstanden, daß Ewald B. den Wagen dem Beklagten verkauft und daß dieser ihn gekauft hat. Das Tätigwerden des Beklagten ist zum Entstehen des Schadens ebenso unmittelbar kausal wie das des Ewald B., Der Beklagte haftet daher gemäß §§ 1301 f. ABGB. gemeinsam mit Ewald B. für den ganzen Schaden (vgl. Wolff in Klang 2. Aufl. VI 53; GlUNF. 6818, GlUNF. 2291 u. a.).
Da somit die Unredlichkeit des Beklagten schon wegen der Vernachlässigung seiner Sorgfaltspflicht beim Erwerb des Kraftwagens zu bejahen ist, ist auch die Mangelhaftigkeit des Verfahrens, die darin liegen soll, daß der vom Beklagten beantragte Zeuge Dr. Gustav G. über seine Gutgläubigkeit nicht vernommen wurde, nicht gegeben.
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