Spruch:
Ausgleichsanspruch nach § 364 ABGB bei Beschädigung eines Flugdaches durch eine vom Nachbarhaus abgehende Schneelawine
Bei der Bemessung dieses Ausgleichsanspruches können Billigkeitserwägungen nicht berücksichtigt werden
OGH 25. 1. 1972, 5 Ob 337/71 (OLG Linz 5 R 121/71; KG Wels 1 Cg 129/70)
Text
Das Erstgericht gab dem auf Zahlung von S 15.050.- samt 4% Zinsen seit 1. 4. 1970 gerichteten Klagebegehren teilweise statt und verurteilte den Beklagten, den Klägern S 14.887.50 samt 4% Zinsen seit 1. 4. 1970 zu bezahlen. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen. Der zugesprochene Betrag entspricht den Kosten der Instandsetzung eines Flugdaches der Kläger, das durch eine vom Dach eines Nebengebäudes des Beklagten abgegangene Schneelawine beschädigt worden war.
Während die Kläger die Abweisung ihres Mehrbegehrens unbekämpft ließen, erhob der Beklagte gegen das Urteil des Erstgerichtes Berufung. Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge und änderte - ohne Rücksicht auf die bereits rechtskräftige Teilabweisung des Klagebegehrens - das angefochtene Urteil dahin ab, daß der Beklagte schuldig erkannt wurde, den Klägern S 7443.75 samt 4% Zinsen seit 1. 4. 1970 zu bezahlen; das Mehrbegehren von S 7606.25 wurde abgewiesen. Der den Klägern vom Berufungsgericht zugesprochene Betrag entspricht der Hälfte ihres durch die Dachlawine entstandenen Schadens.
Dieser Entscheidung liegt nachstehender Sachverhalt zugrunde:
Unmittelbar an der Grenze der Grundstücke der Streitteile in S steht auf der Liegenschaft des Beklagten dessen Wirtschaftsgebäude, das bis zur Dachtraufe 6.60 m hoch ist. Von der Dachtraufe steigt in einer Länge von rund 12 m das 35 Grad geneigte Dach bis zu dem 6 m über der Dachtraufe liegenden Giebel. Die Kläger errichteten mit Zustimmung des Beklagten und baubehördlicher Genehmigung an der Hauswand des Wirtschaftsgebäudes des Beklagten, jedoch über ihrem Grundstück, ein Flugdach für einen PKW-Abstellplatz. Das Flugdach besteht aus einer mit Welleternit eingedeckten Holzkonstruktion. Der (Höhen-)Abstand der Eindeckung bis zur Dachtraufe des Wirtschaftsgebäudes beträgt rund 3 m. Die Tragfähigkeit des Flugdaches entspricht nicht der vorgeschriebenen Ö-Norm, da die verwendeten Dachsparren einen zu geringen Querschnitt haben. Obwohl im Dezember 1969 und im Jänner 1970 in S große Mengen Schnee fielen, ließ weder der Beklagte den Schnee vom Dach seines Wirtschaftsgebäudes entfernen, noch entfernten die Kläger den Schnee von ihrem Flugdach. Die Streitteile sprachen nie darüber, daß der Schnee vom Dach des Wirtschaftsgebäudes des Beklagten auf das Flugdach der Kläger herabfallen könnte; der Erstkläger erklärte aber entgegen der Behauptung des Beklagten niemals, das diesbezügliche Risiko auf sich zu nehmen. An jener Stelle, wo die Kläger das Flugdach errichteten, hatten die Voreigentümer ihrer Liegenschaft eine Holzhütte. Mit Zustimmung des Beklagten ließen sie auf dem Dach seines Wirtschaftsgebäudes oberhalb ihrer Holzhütte einen Schneefang anbringen, der in der Folge beschädigt wurde. Es ist nicht erwiesen, daß die Kläger Kenntnis von dieser Maßnahme ihrer Rechtsvorgänger hatten. In der Nacht vom 17. auf den 18. 1. 1970 rutschte nach einem Tauwettereinbruch fast der gesamte Schnee vom Dach des Nebengebäudes des Beklagten auf das Flugdach der Kläger, wodurch dieses einbrach und erheblich beschädigt wurde. Die Kosten der Instandsetzung dieses Flugdaches betrugen S 14.887.50. Der vor dem Abgehen der Schneelawine vom Nachbarhaus auf dem Flugdach der Kläger befindliche Schnee hätte dieses trotz seiner zu schwachen Konstruktion nicht eingedrückt. Dagegen hätte die Schneelawine das Flugdach auch dann beschädigt, wenn dieses die vorgeschriebene Tragfähigkeit gehabt hätte.
Diesen Sachverhalt beurteilten beide Untergerichte übereinstimmend dahin, daß den Klägern unabhängig vom Verschulden des Beklagten gemäß § 364 Abs 2 ABGB ein Ausgleichsanspruch für den erlittenen Schaden gebühre. Während das Erstgericht diesen Anspruch der Kläger in der vollen Höhe des erlittenen Schadens bejahte, vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, daß sich der Ausgleichsanspruch der Kläger auch der Höhe nach von einem Schadenersatzanspruch unterscheide und daß bei Zuerkennung dieses Anspruches Billigkeitsgrundsätze zu berücksichtigen seien. Da nun die Kläger das Flugdach zur vollständigen Ausnützung ihres Eigentumsrechtes an ihrer Liegenschaft bis zu deren Grenze hin errichtet hätten, durch das Flugdach aber die Schneeräumung vom Dach des Nebengebäudes des Beklagten fast unmöglich gemacht worden sei, die Schneelawine vom Dach des Beklagten aber dann keinen Schaden verursacht hätte, wenn das Flugdach der Kläger nicht unmittelbar an der Grundstücks grenze errichtet worden wäre und beide Streitteile keine Sicherungen gegen derartige Dachlawinen getroffen bzw verlangt hätten, sei es unbillig, dem Beklagten, dessen Interessen durch den geduldeten Anbau des Flugdaches beschränkt worden sei, den Ersatz des gesamten durch den Abgang der Dachlawine verursachten Schadens aufzuerlegen. Es entspreche vielmehr der Billigkeit, den Schaden zwischen beiden Nachbarn in der Form auszugleichen, daß jeder die Hälfte dieses Schadens zu tragen habe.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger Folge und stellte die Entscheidung des Erstgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Für Schäden, die durch vom Dach eines Hauses herabfallende Schneemassen verursacht werden, wird allerdings in der Regel die Haftung des Hauseigentümers deshalb in Anspruch genommen, weil dieser eine ihm obliegende Pflicht verletzt habe. Das besagt jedoch nicht, daß der Liegenschaftseigentümer für solche Schäden dann keinesfalls haftet, wenn ihn kein Verschulden trifft. Es bestehen daher grundsätzlich keine Bedenken gegen die Auffassung der Untergerichte, den diesfalls geltend gemachten Anspruch der Kläger aus dem Nachbarrecht (§ 364 ABGB) abzuleiten. Da die vom Dach des Beklagten abgerutschten Schneemassen auf dem Nachbargrundstück einen nicht unerheblichen Schaden verursachten, kommt es auch auf die Einmaligkeit der Einwirkung nicht an (vgl RZ 1937, 52; ebenso MietSlg 23.036). Im übrigen hat sich der Beklagte durch diese Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes nicht beschwert erachtet. Der Beklagte hat auch den ihm obliegenden Beweis, daß der Eingriff die vom Gesetz gezogenen Grenzen nicht überschritt (vgl EvBl 1970/18), nicht einmal angetreten. Damit wurde aber der Anspruch der Kläger auch mit Recht als ein unabhängig vom Verschulden des Beklagten bestehender Ausgleichsanspruch angesehen, dessen Rechtsnatur mit dem Anspruch auf Entschädigung wegen Enteignung verwandt ist (vgl Klang[2] II 176; Lachout in ÖJZ 1953, 590; SZ 32/88; SZ 37/ 106; EvBl 1971/16 uva). Bezüglich des Ausmaßes dieses Ersatzanspruches bestehen zwar im Schrifttum voneinander abweichende Meinungen darüber, ob nur der positive Schaden zu ersetzen ist oder auch Entschädigung für entgangenen Gewinn gefordert werden kann (vgl Klang aaO 177 und die in FN 32 ebendort angeführten Belegstellen). Diesfalls bedarf es keiner Stellungnahme zu dieser Frage, weil die Kläger ohnehin nur den Ersatz ihres positiven Schadens verlangen. Im übrigen war die Rechtsprechung aber bisher stets und einheitlich der Auffassung, daß bei der Bemessung des Ausgleichsanspruches nach § 364 ABGB die Vorschriften des § 1324 ABGB nicht anzuwenden sind, vielmehr ist nach ständiger Rechtsprechung stets, wenn eine Immission iS des § 364 Abs 2 ABGB vorliegt, "volle Genugtuung" zu leisten (EvBl 1971/16; JBl 1966, 319).
In jüngster Zeit stellt jedoch Herz den Charakter des Ausgleichsanspruches nach Nachbarrecht in Frage und fordert, daß bei der Bemessung des Ausgleichsanspruches Billigkeitsgrundsätze als dem Nachbarrecht "immanent" zu berücksichtigen seien (vgl Herz, Gedanken zum nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch, ÖJZ 1967, 6; derselbe, Ausdehnung des Nachbarrechts, ÖJZ 1968, 343; derselbe, Einschränkung und Ausdehnung des Nachbarrechtsgedankens, ÖJZ 1970, 432). Dieser Auffassung hat sich das Berufungsgericht angeschlossen. Soweit übersehen werden kann, wurde ein solcher Gedanke vom OGH bisher nicht ausgesprochen. Es besteht dazu auch keine Notwendigkeit: Auf die Verhältnisse des besonderen Falles ist - soweit es sich nicht um eine unmittelbare Einwirkung handelt - bei der Beantwortung der Frage Rücksicht zu nehmen, ob die (mittelbare) Einwirkung nach den örtlichen Verhältnissen das gewöhnliche Maß übersteigt und ob durch diese Einwirkung die ortsübliche Benützung des Nachbargrundstückes wesentlich beeinträchtigt wird. Nur wenn diese Fragen zu bejahen sind, liegt eine unzulässige mittelbare Immission vor.
Von einer unmittelbaren Immission, die in jedem Falle unzulässig wäre, kann im vorliegenden Fall freilich nicht gesprochen werden, da nicht einmal behauptet wurde, daß der Beklagte eine auf den eingetretenen Schaden gerichtete Tätigkeit entwickelte, eine solche Tätigkeit aber Voraussetzung der unmittelbaren Immission ist (vgl Klang aaO 167). Wenn also, wie hier bereits unbestritten, eine unzulässige Immission vorliegt, dann kann der in seinem Eigentumsrecht verletzte Gründeigentümer vom Nachbarn jedenfalls Ersatz des erlittenen Schadens, und zwar ungekürzt und ohne Rücksicht auf die sonstige beiderseitige Interessenlage, begehren.
Es war daher der Revision Folge zu geben und in Abänderung des angefochtenen Urteils die Entscheidung des Erstrichters wiederherzustellen.
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