Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 749,70 (darin EUR 124,95 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende (Wohnungs-)Eigentümergemeinschaft begehrte von der beklagten Wohnungseigentümerin die Zahlung von zuletzt EUR 20.639,01 sA, darin EUR 11.884,39 für den Fensteraustausch. Dieser Austausch sei von der Mehrheit, nämlich von 1040/2022-Anteilen, rechtswirksam mittels Umlaufbeschlusses vom 4. 4. 2002 beschlossen worden. Ein versehentlich nicht vorgelegter Abstimmungsbogen einer Miteigentümerin werde erstmals im Verfahren vorgelegt, sodass sich daraus eine Mehrheit von sogar 1047/2022-Anteilen ergebe.
Die Beklagte wendete gegen die Klagsposition "Fensteraustausch" im Wesentlichen ein, dass ein wirksamer Beschluss der erforderlichen Anteilsmehrheit nicht zustande gekommen sei. Der Fragebogen der Wohnungseigentümerin Wanda P***** sei nicht versehentlich bisher nicht vorgelegt worden, sondern habe Frau P***** den Fragebogen erst vor ca 14 Tagen unterfertigt. Sie habe seinerzeit deponiert, dass sie sich der Mehrheit anschließe. Ohne ihre Stimme sei die Mehrheit gegen die Fenstersanierung, sodass die Stimme von Wanda P***** tatsächlich den nicht Zustimmenden zuzurechnen sei.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Bezahlung von EUR 19.852,19 sA, darin an anteiligen Fenstersanierungskosten EUR 11.884,39. Das Mehrbegehren von EUR 786,80 sA wurde abgewiesen.
Zur im Rechtsmittelverfahren noch strittigen Klagsposition "Fenstersanierungskosten" traf das Erstgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Die Fenster und Balkontüren der Wohnungseigentumsanlage waren in einem schlechten Zustand. Bei einer früheren Hausversammlung war eine Sanierung bereits abgelehnt worden. In der Folge haben sich einige Wohnungseigentümer bei der Hausverwaltung gemeldet und gesagt, dass die Fenster so schlecht seien, dass schon Wasser hineinrinne. Unter dem Eindruck dieser Mitteilungen fragte die Hausverwaltung mit einem Rundschreiben vom 4. 4. 2001 bei den Liegenschaftseigentümern an, ob sie mit der Erneuerung der Fenster und Balkontüren der Wohnungen (mit Ausnahme der Geschäftslokale) einverstanden seien. Diesem Schreiben waren entsprechende Fragebögen angeschlossen, die an die einzelnen Wohnungseigentümer gerichtet wurden und die (auszugsweise) wie folgt lauteten: "Ich bin mit der Erneuerung der Fenster der Wohnungen - vorläufig mit Ausnahme der Geschäftslokale - einverstanden/nicht einverstanden ....".
Diese Fragebogen wurden von den einzelnen Wohnungseigentümern nur sehr zögerlich beantwortet. Zurückgeschickt haben den Fragebogen mit der Zustimmung zur Sanierung Miteigentümer, die insgesamt 975 Miteigentumsanteile repräsentierten. Eine derjenigen, die den Fragebogen (vorerst) nicht zurückschickte, war Wanda P*****, die 72/2022 (ohne halbe Doppelgarage rechnerisch 65/2022) Miteigentumsanteile besitzt. Mit dieser telefonierte eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung am 14. 5. 2001 und fragte sie nach ihrer Einstellung zur Fenstersanierung. Wanda P***** sagte, sie schließe sich der Mehrheit an. Sie hat in dieser Anlage zwei Wohnungen, die beide vermietet sind. In einer waren die Fenster ihrer Ansicht nach in Ordnung, bei der anderen wären sie zu sanieren gewesen, sodass es Wanda P*****, wenn die Mehrheit gesagt hätte, die Fenster seien zu sanieren, genauso recht gewesen wäre, wie wenn von solchen Sanierungsmaßnahmen Abstand genommen worden wäre, sodass sie sich daher unter diesem Eindruck der "Mehrheit" anschloss.
Mit Schreiben vom 15. 5. 2001 verständigte die Hausverwaltung alle Miteigentümer davon, dass sich 1040/2022-Anteile für die Fenstersanierung ausgesprochen haben. Wanda P***** wurde als zustimmend betrachtet. In diesem Schreiben hieß es weiter, dass die unterliegende Minderheit der Eigentümer die Möglichkeit habe, innerhalb einer Frist von vier Wochen ab Erhalt dieser Information beim Außerstreitgericht gegen diesen Mehrheitsbescheid zu berufen, was nicht geschehen ist. Erst nachdem sich im Zuge dieses Verfahrens herausstellte, dass - jedenfalls ohne Wanda P***** - eine Mehrheit für die Sanierung nicht zu erreichen ist, suchte eine Mitarbeiterin der Hausverwaltung im Oktober 2002 Wanda P***** auf und präsentierte ihr den bereits dargestellten Fragebogen, den Wanda P***** mit "einverstanden" unterschrieb.
Rechtlich vertrat das Erstgericht zusammengefasst die Auffassung, dass ein wirksamer Umlaufbeschluss für die Fenstersanierung zustande gekommen sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge, und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte im Wesentlichen folgendes aus:
Ein Umlaufbeschluss werde auch nach der hier anzuwendenden, 1999 novellierten Fassung des § 13b WEG 1975 erst in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem den Miteigentümern das Ergebnis der Beschlussfassung bekannt gegeben worden sei, weil davor eine Bindung an das Abstimmungsverhalten nicht eintrete und daher die Zustimmung widerrufen werden könne. Diese Rechtswirkung sei daher mit der festgestellten Verständigung der Miteigentümer durch das Schreiben vom 15. 5. 2001 eingetreten. Da eine Verletzung des Anhörungsrechtes nicht vorliege, weil allen Wohnungseigentümern das Umfrageformular mit einer enthaltenen Fristsetzung zugestellt worden sei, stelle sich auch nicht die Frage, ob bei Verletzung des Anhörungsrechtes ein bloß innerhalb der Frist anfechtbarer oder ein nichtiger Beschluss vorliege.
Die Besonderheit im vorliegenden Fall liege aber darin, dass nicht eine "Nein-Stimme" falsch zugeordnet und damit fälschlicherweise ein Mehrheitsbeschluss begründet und bekanntgegeben worden sei, sondern dass die Äußerung einer Wohnungseigentümerin, sie schließe sich der Mehrheit an, als Stimmabgabe im Sinn einer Zustimmung gewertet worden sei, weil die Verwalterin die Voraussetzung für die Annahme einer Zustimmung, nämlich das Vorhandensein einer (relativen) Mehrheit erfüllt gesehen habe. In diesem Fall könne nicht von einem absoluten Nichtbeschluss oder Scheinbeschluss die Rede sein, der nach § 13b Abs 2 Satz 2 WEG 1975 nicht zustande gekommen wäre, weil im vorliegenden Fall eine Verletzung des Anhörungsrechtes nach den Feststellungen nicht vorliege. Der hier in Rede stehende unstrittige Sachverhalt hätte aber den Miteigentümern gemäß § 13b Abs 4 WEG 1975 die Möglichkeit eröffnet, diesen Beschluss im Außerstreitverfahren anzufechten. Der Unterschied liege nämlich darin, dass im Gegensatz zu den vorangeführten nichtigen Beschlüssen bloß anfechtbare Beschlüsse heilen würden, wenn nicht in den materiellen Fristen des § 13b Abs 4 WEG 1975 vor dem Außerstreitrichter die Anfechtung eingebracht werde. Werde aber die Anfechtungsfrist versäumt, dann könne die Frage der richtigen Deutung des Stimmverhaltens der betreffenden Wohnungseigentümerin auch nicht mehr als Vorfrage vom Zivilrichter aufgerollt werden. Denn die Mangelhaftigkeit eines Beschlusses sei vom Zivilrichter nicht als Vorfrage - im Übrigen lediglich mit Bindungswirkung zwischen den streitverfangenen Parteien - aufzurollen; er habe auch nicht die Rechtswirksamkeit des Zustandekommens eines Mehrheitsbeschlusses als Vorfrage zu klären. Auch aus Gründen der Verwaltungssicherheit sei eine Sanierung eines mangelhaften Beschlusses wegen Ablaufes der absoluten Anfechtungsfrist geboten; dass dies auch den Intentionen des Gesetzgebers entspreche, gehe auch aus den WEG 2002 hervor, wo nunmehr klargestellt werde, ab wann die Frist auch für die Anfechtung im Falle der Nichtanhörung zu laufen beginne, nämlich erst ab Bekanntgabe der Beschlussfassung. Insoweit sei den einzelnen übergangenen Minderheitseigentümern ausreichend Gelegenheit zur Wahrung ihrer Minderheitenrechte gegeben und könnten sie einen Mehrheitsbeschluss auf seine Rechtswirksamkeit beim Außerstreitrichter überprüfen lassen. Dies habe im Übrigen auch für die Nichteinhaltung einer für die Stimmabgabe vorgesehen Form zu gelten, etwa bei Nichteinhaltung der gebotenen Schriftlichkeit.
Da nach den Feststellungen von einer ordnungsgemäßen Verständigung aller Anteilsberechtigten über den Inhalt der Beschlussfassung auszugehen sei, müsse die Beklagte wegen Verstreichens der Anfechtungsfrist den Beschluss gegen sich gelten lassen. Aus diesen Gründen erübrige sich ein Eingehen darauf, ob bei einem Umlaufbeschluss in einer mündlichen Äußerung "ich schließe mit der Mehrheit ein" überhaupt eine wirksame Stimmabgabe vorliege und ob diese im Falle einer Mehrdeutigkeit einer korrigierenden bzw klärenden Auslegung durch Ermittlung des Parteiwillens zugänglich wäre.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, inwieweit die Heilung mangelhafter oder zufolge unrichtiger Wertung einer Stimmabgabe zustandegekommener Umlaufbeschlüsse wegen Verstreichens der Frist zur Anrufung des Außerstreitrichters nach § 13b Abs 4 WEG 1975 möglich sei, eine höchstgerichtliche Judikatur nicht vorliege.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das noch strittige Klagebegehren von EUR 11.884,39 sA abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, da eine Wohnungseigentümerin deponiert habe, sie schließe sich der Mehrheit an, hätte sie mit ihrem Anteil nicht als zustimmend gewertet werden dürfen, weil eine Mehrheit nicht vorgelegen habe. Es sei daher nicht ein (im Außerstreitverfahren) anfechtbarer Beschluss, sondern nur ein Beschluss der Minderheit erfolgt, der ein rechtliches Nichts sei, jedenfalls kein im Sinne des § 13b Abs 4 WEG 1975 anfechtbarer Beschluss. Der Beschluss sei nichtig, weil keine Anteilsmehrheit zustandegekommen sei. Es könne nicht auf die Wertung der Stimmabgabe durch die Hausverwaltung, sondern nur auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommen. Wäre die gegenteilige Auffassung richtig, würden etwaige "Zählfehler" der Hausverwaltung einen Beschluss nach Ablauf der Anfechtungsfrist unanfechtbar machen.
Hiezu wurde erwogen:
Zutreffend sind die Parteien und die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall § 13b Abs 4 WEG 1975 anzuwenden ist, weil der Beschluss der (Wohnungs-)Eigentümergemeinschaft vor dem 1. 7. 2002 bekannt gemacht wurde (§ 56 Abs 9 WEG 2002).
Der erkennende Senat hat vor kurzem zu 5 Ob 306/02i = EvBl 2003/117 Folgendes ausgeführt: Gemäß § 26 Abs 1 Z 4 WEG 1975 ist über die Rechtswirksamkeit eines Beschlusses der Mehrheit auf Antrag im Außerstreitverfahren zu entscheiden. Anders als im Aktienrecht (§§ 195 ff, §§ 199 ff AktG) unterscheidet das Gesetz hier nicht zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen. Auch die Nichtigkeit ist grundsätzlich im Außerstreitverfahren zu bekämpfen, wofür der in § 26 Abs 1 Z 4 WEG 1975 enthaltene Verweis auf § 13b WEG 1975 ins Treffen geführt wird, somit auch die Verletzung des Anhörungsrechtes eingeschlossen ist. Dementsprechend hat der erkennende Senat in 5 Ob 497/97t = wobl 1998/157 (Call) = MietSlg 50.583 ausgesprochen, dass die Unwirksamkeit eines Beschlusses wegen Kompetenzüberschreitung der Wohnungseigentümergemeinschaft im Außerstreitverfahren gemäß § 26 Abs 1 Z 4 WEG 1975 geltend gemacht werden kann. Nur dann, wenn - wie etwa damals im Fall einer "Miterrichtergemeinschaft" - nicht einmal der Anschein eines Beschlusses der Wohnungseigentümergemeinschaft besteht, kann eine solche Antragstellung nicht erfolgen (und wäre allenfalls mit Feststellungsklage vorzugehen).
Vom Grundgedanken dieser Rechtsprechung (vgl auch 5 Ob 2124/96f = SZ 70/34 = MietSlg 49/9 = wobl 1997/94 [Niedermayr]; 5 Ob 64/00y = wobl 2001 [Call]; Würth/Zingher, Wohnrecht 94, § 13b WEG Anm 10) ist auch bei der Abgrenzung von befristet bekämpfbaren anfechtbaren Beschlüssen zu unbefristet bekämpfbaren nichtigen Beschlüssen auszugehen: Besteht der Anschein (Rechtsschein) eines Mehrheitsbeschlusses, ist eine fristgerechte Anfechtung erforderlich, bei deren Unterbleiben der Mangel heilt. Besteht ein solcher Anschein nicht - wie etwa dann, wenn die Minderheit unter Ausschluss der Mehrheit einen Beschluss fasst - ist unheilbare Nichtigkeit anzunehmen.
Ob ein entsprechender Anschein gegeben ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. In Zweifelsfällen ist bei der Zulässigkeit des Außerstreitverfahrens zur Erleichterung einer Klarstellung Großzügigkeit angebracht; bei der Abgrenzung zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen wird sodann im Zweifel im Interesse der Rechtssicherheit für (befristete) Anfechtbarkeit zu entscheiden sein (vgl auch Würth in Rummel3 II/5 § 24 WEG 2002 Rz 9).
Fehlerhafte Stimmenauszählung oder Mehrheitsberechnung wurde bereits in der Lehre zu § 13b Abs 4 WEG 1975 (bloß) als Anfechtungsgrund aufgefasst (Löcker, Die Wohnungseigentümergemeinschaft 242; Niedermayr in Schwimann2 Band 4 § 13b WEG Rz 21; anders wohl Kletecka, Probleme der Willensbildung in der Wohnungseigentümergemeinschaft, wobl 1995, 82, 86; derselbe, Die Beschlussfassung in der Wohnungseigentümergemeinschaft im Lichte der Rechtsentwicklungen der letzten Jahre, NZ 2001, 259, 261, der bei Fehlen der Anteilsmehrheit immer Nichtigkeit anzunehmen scheint). Nunmehr wurde in § 24 Abs 6 des hier noch nicht anwendbaren WEG 2002 klargestellt, dass das Fehlen der erforderlichen Mehrheit einen - grundsätzlich binnen Monatsfrist geltend zu machenden - Anfechtungsgrund darstellt (vgl Löcker in Hausmann/Vonkilch § 24 WEG 2002 Rz 63, 83, weiters Rz 84, worin ebenfalls auf den Rechtsschein eines Mehrheitsbeschlusses abgestellt wird; nur teilweise ähnlich Kletecka, Die Beschlussfassung nach dem WEG 2002, wobl 2002, 143, 147 unter Berufung auf den JAB, gegen den wiederum Würth in Rummel 3 II/5 § 24 WEG 2002 Rz 9 Bedenken äußert).
Im vorliegenden Fall ist die Deutung des Stimmverhaltens einer Wohnungseigentümerin zweifelhaft. Deren Äußerung, sie schließe sich der Mehrheit an, könnte mangels damals gegebener absoluter Mehrheit als Stimmenthaltung und damit im Ergebnis als Gegenstimme oder als Anschluss an die vorhandene relative Mehrheit, wodurch erst eine absolute Mehrheit zustandekäme, verstanden werden. Diese Frage wäre nach fristgerechter Anfechtung im außerstreitigen Verfahren zu klären gewesen, weil unter den festgestellten Umständen jedenfalls der Anschein eines Mehrheitsbeschlusses bestand. Da eine Anfechtung unterblieben ist, wurde ein allfälliger Beschlussmangel geheilt. Um einen krassen Verstoß gegen die Rechtsordnung, der zur Bejahung einer absoluten Nichtigkeit des Beschlusses zwingen würde, handelt es sich bei der allenfalls unrichtigen Zuordnung einer unterschiedlich deutbaren Stimme nicht.
Die Vorinstanzen haben die Rechtsfrage somit richtig gelöst, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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