Spruch:
Sämtliche Rekurse werden zurückgewiesen.
Die Zweitbeklagte, die Fünftbeklagte und der Sechstbeklagte sind zur ungeteilten Hand schuldig, den Klägern binnen 14 Tagen die mit 1.359,72 EUR (darin enthalten 226,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Rekursbeantwortung zu ersetzen. Erstbeklagter, Zweitbeklagte, Fünftbeklagte und Sechstbeklagter haben die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Kläger sind Mit- und Wohnungseigentümer der EZ 1196 GB *****. Die Beklagten bildeten bei Eintritt der Streitanhängigkeit die Gesamtheit aller Mit- und Wohnungseigentümer der EZ 1197 GB *****.
Zur EZ 1196 GB ***** gehören die GST-NR 743/14 und .1322 mit dem Haus *****, K*****. Zum grundbücherlichen Gutsbestand der EZ 1197 GB ***** gehören GST-NR 743/16 (383 m²) und .1417 mit dem Haus *****, E*****. Keines der genannten Grundstücke ist im Sinn der §§ 15 ff VermG im Grenzkataster eingetragen.
Die Kläger begehren gestützt auf den Rechtstitel der Ersitzung primär die Feststellung ihres Eigentumsrechts an einer Teilfläche des GST-NR 743/16 im Flächenausmaß von 238 m² entsprechend ihren jeweiligen Miteigentumsanteilen an der EZ 1196 GB *****, hilfsweise zu jeweils einem Neuntel. Eventualbegehren der Kläger sind auf Feststellung und grundbücherliche Einverleibung einer Dienstbarkeit der Duldung der Benützung besagter Teilfläche gerichtet.
Die Beklagten - mit Ausnahme der Viertbeklagen, die den Begehren der Kläger nicht entgegen trat - wenden im Wesentlichen ein, dass die Kläger die Ersitzungsvoraussetzungen nicht erfüllt hätten. Der Erstbeklagte sei bis 1984 auch Miteigentümer der (nunmehr) den Klägern gehörenden Liegenschaft gewesen. Hildegard O*****, eine Rechtsvorgängerin der Kläger, sei bis 1981 Miteigentümerin der EZ 1197 GB ***** gewesen. Die Ersitzungszeit habe erst danach beginnen können, weil Eigentum an eigener Sache nicht ersessen werden könne.
Das Erstgericht bejahte den Eigentumserwerb an der Teilfläche des GST-NR 743/16 infolge Ersitzung durch Rechtsvorgänger der nunmehrigen Kläger und gab deshalb dem Hauptbegehren statt.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Erstbeklagten sowie jener des Zweitbeklagten, der Fünftbeklagten und des Sechstbeklagten Folge und hob das Ersturteil zur neuerlichen Entscheidung des Erstgerichts nach allfälliger Verfahrensergänzung auf. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Erstgericht der Frage nach einem möglichen gutgläubigen Erwerb durch einzelne Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ 1197 GB ***** nicht ausreichend nachgegangen sei.
Das Berufungsgericht sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 20.000 EUR und der ordentliche Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig. Ob das gleichzeitige Miteigentum zweier früherer Miteigentümer der EZ 1196 auch an der EZ 1197 je GB ***** die Ersitzung hindere, lasse sich anhand der Entscheidung 9 Ob 2020/96s, die keinen völlig gleichartigen Sachverhalt betreffe, nicht eindeutig klären. Sonstige, einen vergleichbaren Sachverhalt betreffende Entscheidungen seien - soweit überblickbar - nicht vorhanden.
Gegen den Beschluss des Berufungsgerichts richten sich der Revisionsrekurs (richtig: Rekurs) der Kläger, sowie der Rekurs des Erstbeklagten und der Rekurs der Zweitbeklagten, der Fünftbeklagten und des Sechstbeklagten.
Die Kläger machen unrichtige rechtliche Beurteilung und unrichtige Tatsachenfeststellung geltend und streben die Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils an. Erstbeklagter sowie Zweitbeklagte, Fünftbeklagte und Sechstbeklagter machen unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und begehren die Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn der Abweisung der Klagebegehren. Hilfsweise stellen alle Rechtsmittelwerber auch Aufhebungsanträge.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts sind sämtliche Rekurse mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig, was wie folgt - kurz (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO) - zu begründen ist:
1.1. Klarstellend ist zunächst vorauszuschicken, dass nach den als Tatsachenannahmen zu wertenden Ausführungen des Erstgerichts (s Ersturteil S 19, 24, 29 und 31) Hildegard O*****, Irmgard H***** und Eveline T*****, die im Verlauf der Jahre auch alle Miteigentumsanteile an der EZ 1196 GB ***** auf sich bzw ihre Gesamtrechtsnachfolger vereinen konnten, und ihre Familien seit dem Ableben ihres Vaters im Jahre 1954 die eingezäunte Gartenfläche auf dem GST-NR 743/16 der EZ 1197 GB ***** als Hausgarten benützten. Die 30-jährige Ersitzungszeit könnte demnach grundsätzlich - vorbehaltlich der Ergebnisse der vom Berufungsgericht aufgetragenen Entscheidungsergänzung und der unten zu widerlegenden Rekursausführungen der Beklagten - bereits im Jahre 1984 vollendet gewesen sein. Danach folgte das anteilige Miteigentum an der ersessenen Gartenfläche den jeweiligen Miteigentumsanteilen an der EZ 1196 GB *****, als deren Teil sie die Miteigentümer dieser Liegenschaft verstanden.
1.2. Soweit nach Streitanhängigkeit und erfolgter Klagsanmerkung (§§ 70 f GBG) weitere Personen an der EZ 1197 GB ***** Miteigentumsanteile erworben haben, gilt für diese § 234 ZPO (vgl 1 Ob 63/99t; 5 Ob 165/00a = JBl 2001, 115 = EvBl 2001/12, 62 = SZ 73/116 = immolex 2001/73, 116 = wobl 2001/12, 20 [Oberhofer] = MietSlg 52/23).
2. Die Kläger halten in ihrem Rekurs die Verfahrensergebnisse bereits für ausreichend, um die Gutgläubigkeit beim Eigentumserwerb durch einzelne Miteigentümer der EZ 1197 GB ***** ausschließen zu können. Das Berufungsgericht hat sich zu dieser Frage auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung gestützt, wonach der Erwerb im Vertrauen auf das öffentliche Buch eine vollendete Ersitzung wirkungslos macht, eine laufende Ersitzung unterbricht und auch die Besitzanrechnung hindert (vgl RIS-Justiz RS0034754). Gegen die Richtigkeit dieser Rechtsansicht tragen die Kläger nichts vor. Wenn in einem solchen Fall das Berufungsgericht einen Bedarf nach Sachverhaltsergänzung erkennt, dann fußt dies auf einer einzelfallbezogenen Auslegung des Parteivorbringens (vgl dazu RIS-Justiz RS0042828 [T13 und T16]; RS0044273 [T41, T56]) und im Übrigen handelt es sich dabei um die Klärung von Tatfragen, die sich der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzieht (vgl RIS-Justiz RS0042179 [insb T19]).
3.1. Erstbeklagter, Zweitbeklagte, Fünftbeklagte und Sechstbeklagter machen in ihren Rekursen - insofern übereinstimmend - geltend, dass Hildegard O***** bis 1981 Miteigentümerin der Liegenschaft EZ 1197 GB ***** gewesen sei und daher nicht Eigentum an einer eigenen Sache habe ersitzen können. Daraus folge, dass der Ersitzungsbeginn erst ab 1981 möglich gewesen sei und die 30-jährige Ersitzungszeit daher noch nicht abgelaufen sein könne. Dies betreffe insbesondere jene Kläger, welche Rechtsnachfolger der Hildegard O***** seien, doch gelte dies infolge notwendiger Streitgenossenschaft gegenüber allen Klägern.
3.2. Freilich konnte Hildegard O***** ihren „eigenen" Miteigentumsanteil an der EZ 1197 GB ***** nicht ersitzen, doch ändert dies nichts an der rechtlichen Möglichkeit, die „übrigen" (ideellen) Miteigentumsanteile ersitzen zu können. Diese Möglichkeit hat das Berufungsgericht im Einklang mit bereits vorliegender Judikatur (6 Ob 92/66 = JBl 1966, 564 = ImmZ 1967, 215 = SZ 39/77; 9 Ob 2020/96s) und Lehre (M. Bydlinski in Rummel³, § 1455 ABGB Rz 2 mwN; Mader/Janisch in Schwimann³, § 1455 ABGB Rz 6) bejaht. Substanzielle inhaltliche Argumente gegen diese Rechtsprechung tragen Erstbeklagter, Zweitbeklagte, Fünftbeklagte und Sechstbeklagter nicht vor. Mit der Frage, inwieweit die spezifischen Miteigentumsverhältnisse für die Quote des Anteilserwerbs am zu ersitzenden Grundstück relevant sein könnten, befassen sich die Rekurswerber ebenfalls nicht.
4.1. Der Erstbeklagte führt in seinem Rekurs noch zusätzlich gegen eine mögliche Ersitzung ins Treffen, dass er selbst von 1966 bis 1984 Miteigentümer der EZ 1196 GB ***** gewesen sei. Es fehlten ausreichend exakte Behauptungen und Feststellungen darüber, „welche Benützungshandlungen im Einzelnen die einzelnen Miteigentümer und ihre jeweiligen Vorleute in welchem Zeitraum gesetzt haben". Schließlich habe das Erstgericht zu seiner Behauptung, er habe fallweise mit einem Schlafsack im fraglichen Garten übernachtet, eine negative Feststellung getroffen, womit den Klägern als insoweit beweisbelastete Ersitzungsbesitzer der Nachweis einer ausschließlichen Benützung nicht gelungen sei.
4.2. Ob der Erstbeklagte über einen gewissen Zeitraum Miteigentümer der Liegenschaft EZ 1196 GB ***** war, ist für die Frage der Ersitzung einer Teilfläche aus der EZ 1197 GB ***** ohne Belang, hängt doch dieser originäre Eigentumserwerb rechtlich nicht vom (Fehlen des) Miteigentum(s) an der Nachbarliegenschaft ab.
Es liegen - zusammengefasst und wie schon zu 1.1. angesprochen - erstgerichtliche Feststellungen vor, wonach die Familien O*****, H***** und T***** die fragliche - umzäunte - Fläche seit dem Ableben von Rudolf H***** sen. als Hausgarten nutzten, instand hielten, über einen Zugangsschlüssel verfügten und keine anderen Personen einen derart bestimmungsgemäßen Gebrauch von dieser Gartenfläche machten. Eine Notwendigkeit zur weiteren Präzisierung dieser Besitzausübung ist nicht zu erkennen.
Betreffend die vom Erstbeklagten behaupteten, aber nicht erwiesenen fallweisen Gebrauchshandlungen (Übernachten im Garten mit Schlafsack) verkennt er die Beweislastverteilung. Es ist Sache des Gegners, hier also des Erstbeklagten, einen im Verlauf der Ersitzungszeit (vermeintlich) eingetretenen Verlust des Besitzes oder eine Unterbrechung der Ersitzung zu beweisen (vgl RIS-Justiz RS0034251 [insb T1]). Aus besagter Negativfeststellung vermag der Erstbeklagte also nichts für sich zu gewinnen.
5. Dass der Oberste Gerichtshof einen mit der sehr spezifischen Konstellation des vorliegenden Falls (mehrfache Rechtsnachfolgen; wechselndes Ausmaß der Miteigentumsanteile) gleichgelagerten Sachverhalt bislang noch nicht beurteilt hat, reicht - entgegen der vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung vertretenen Ansicht - für das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ebenfalls nicht aus. Es stellt sich damit insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, weshalb alle Rekurse zurückzuweisen sind.
6. Die Kostenentscheidung gründet hinsichtlich des Kostenzuspruchs an die Kläger auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Kläger haben in ihrer Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Zweitbeklagten, der Fünftbeklagten und des Sechstbeklagten hingewiesen. Der richtige Tarifansatz beträgt 503,60 EUR (anstatt 659,60 EUR). Kostenbemessungsgrundlage ist nämlich weiterhin der in der Klage angegebene Streitwert und nicht der Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts (5 Ob 46/90).
Hinsichtlich der Rekursbeantwortungen des Erstbeklagten, der Zweitbeklagten, der Fünftbeklagten und des Sechstbeklagten beruht die Kostenentscheidung auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Erstbeklagter, Zweitbeklagte, Fünftbeklagte und Sechstbeklagter haben in ihren Rekursbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses (richtig: Rekurses) der Kläger im Hinblick auf das Fehlen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht konkret hingewiesen.
Im Verfahren über den Rekurs findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0035976 [T2]; RS0035962 [T24]).
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