Spruch:
Die Finanzprokuratur darf nach § 1 Abs. 3 ProkG. eine Entscheidung nur anfechten, wenn sich das öffentliche Interesse unmittelbar auf den Gegenstand der Entscheidung bezieht.
Entscheidung vom 17. September 1958, 5 Ob 167/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Mödling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
In der Verlassenschaftssache nach dem am 4. September 1951 verstorbenen Privatangestellten Johann S. wurde der diesem grundbücherlich zugeschriebene 1/3-Anteil an der Liegenschaft EZ. 98; GB. M. aus dem Verfahren ausgeschieden, weil die Beteiligten angaben, daß dieser Anteil bereits auf Grund eines, allerdings nicht verbücherten und angeblich infolge der Kriegsereignisse in Verlust geratenen, Kaufvertrages vom 30. April 1943 außerbücherlich auf Margarethe B., die Tochter des Erblassers und dessen nunmehrige Alleinerbin, übergegangen sei. Die berichtigte Einantwortungsurkunde vom 28. Jänner 1956, 1 A 606/51-35, mit der der Nachlaß auf Grund des Gesetzes und der Erbsentschlagung der erblasserischen Witwe sowie des erblasserischen Sohnes der erwähnten Tochter des Erblassers, die eine bedingte Erbserklärung abgegeben hatte, zur Gänze eingeantwortet wurde, enthält daher hinsichtlich dieses Liegenschaftsanteiles keine Verfügung.
Mit einer am 9. Jänner 1958, 13 Uhr 47, beim Grundbuchsgericht eingelangten Eingabe beantragte Margarete B., ihr die Einverleibung des Eigentumsrechtes an diesem 1/3-Liegenschaftsanteil auf Grund einer von ihr selbst ausgestellten und gerichtlich beglaubigten Erklärung vom 14. Dezember 1956 zu bewilligen. In dieser Erklärung bestätigt sie, daß sie im Jahre 1945 den Liegenschaftsanteil von ihrem Vater gekauft habe; der Kaufvertrag sei von Dr. Otto Sch., damals Rechtsanwalt in W., errichtet und mit den Unterschriften beider Vertragsteile versehen worden; die Unterschrift ihres Vaters habe der Notar Franz L. unter Urkundenrolle Zl. 490 aus 1943 beglaubigt; der Kaufvertrag sei beim Finanzamt für Gebühren und Verkehrssteuern angezeigt, die vorgeschriebene Gründerwerbssteuer sei bezahlt worden. Doch sei der Vertrag infolge der politischen Verfolgungen des Rechtsanwaltes Dr. Sch. nicht grundbücherlich eingetragen worden und durch die Kriegsereignisse in Verlust geraten. Da ihr Vater verstorben und das Verlassenschaftsverfahren bereits abgeschlossen sei, erkläre sie als Alleinerbin nach dem Vater ihr Einverständnis, daß ihr Eigentum auf dem Liegenschaftsanteil einverleibt werde.
Das Grundbuchsgericht wies diesen Antrag mit dem Beschluß vom 10. Jänner 1958 ab und ordnete die grundbücherliche Anmerkung dieser Abweisung an.
Das Rekursgericht gab dem Rekurse der Antragstellerin Folge und bewilligte die Einverleibung.
Mittlerweile hatte das Finanzamt M., vertreten durch die Finanzprokuratur, mit einer am 9. Jänner 1958, 16 Uhr, beim Grundbuchsgericht eingelangten Eingabe gegen den am 4. September 1951, verstorbenen Johann S. zu Handen der bedingt erbserklärten Erbin Margarethe B. zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Steuerforderung von 23.375 S 22 g s. A. die Exekution mittels zwangsweiser Pfandrechtsbegründung durch Einverleibung des Pfandrechtes auf dem 1/3-Liegenschaftsanteil beantragt. Der Antrag blieb bisher unerledigt, weil der Entscheidung darüber die Anmerkung der Abweisung des Einverleibungsgesuches der Antragstellerin im Wege stand.
Der Oberste Gerichtshof wies den von der Finanzprokuratur zur Wahrung öffentlicher Interessen erhobenen Revisionsrekurs zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Finanzprokuratur behauptet nicht, daß ihr oder dem Finanzamt M., in dessen Namen sie einschreitet, in diesem Grundbuchsverfahren eine Parteirolle zukäme. Sie stützt ihre Berechtigung zum Rekurs auf § 1 Abs. 3 ProkG., wonach sie - neben ihren sonstigen Aufgaben - berufen sei, zum Schutze öffentlicher Interessen vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden einzuschreiten, wenn sie von der zuständigen Behörde hiefür in Anspruch genommen werde oder die Dringlichkeit des Falles ihr sofortiges Einschreiten erfordere. Sie behauptet, deshalb ein öffentlich-rechtliches Interesse an der Behebung des angefochtenen Beschlusses zu haben, weil vom Finanzamt M. zur Hereinbringung von Steuerschulden des Johann S. auf den Liegenschaftsanteil Exekution geführt werde.
Der Oberste Gerichtshof vermag die Ansicht der Finanzprokuratur, daß sie in diesem Falle als Wahrerin öffentlicher Interessen zum Einschreiten befugt sei, nicht zu teilen. Durch den angefochtenen Beschluß, mit dem die Einverleibung des Eigentumsrechtes für Margarethe B. auf dem dem Johann S. zugeschriebenen Liegenschaftsanteil bewilligt wurde, werden keine Interessen berührt, die aus öffentlichen Rücksichten oder aus Gründen des Allgemeinwohles schutzbedürftig wären, weil es vom Standpunkte dieser Interessen aus gleichgültig ist, ob in Ansehung des Liegenschaftsanteiles Johann S. oder Margarethe B. als Eigentümer eingetragen ist. Das Finanzamt M. wird nur mittelbar durch diese Eintragung betroffen, weil infolge des Eigentümerwechsels der Exekutionsantrag abzuweisen sein wird. Auf den Schutz solcher nur mittelbarer Interessen kann aber die Befugnis der Finanzprokuratur zum Einschreiten nach § 1 Abs. 3 ProkG. nicht ausgedehnt werden. Eine solche ausdehnende Auslegung würde zur Folgerung führen, daß die Finanzprokuratur in jedem Falle ein Rekursrecht hätte, wenn ein Steuerschuldner Liegenschaften veräußert oder belastet. Eine solche Praxis entspräche nicht dem Zweck des § 1 Abs. 3 ProkG. Beim Einschreiten der Finanzprokuratur im Sinne dieser Gesetzesstelle muß gefordert werden, daß sich das öffentliche Interesse unmittelbar auf den Gegenstand der Entscheidung bezieht. Bloß mittelbare Auswirkungen der Entscheidung vermögen eine solche Befugnis nicht zu begrunden. Die Voraussetzungen für ein Einschreiten der Finanzprokuratur sind daher im vorliegenden Falle nicht gegeben, weshalb ihr Rekurs als unzulässig zurückgewiesen werden mußte.
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