OGH 5Ob164/18f

OGH5Ob164/18f28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in den verbundenen außerstreitigen Mietrechtssachen der Antragstellerin B* AG, *, vertreten durch Charim Rechtsanwälte GesbR in Wien, gegen die Antragsgegnerin V* AG, *, vertreten durch Hule Bachmayr‑Heyda Nordberg Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen §§ 12a Abs 3, 37 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Juni 2018, GZ 38 R 54/18z‑30, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0050OB00164.18F.0828.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Anwendung des § 12a Abs 3 MRG vertritt die jüngere, als gefestigt anzusehende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nunmehr übereinstimmend die Ansicht, dass ein Kippen der Mehrheitsverhältnisse den Machtwechsel zwar indiziert, die konkreten Auswirkungen aber jeweils im Einzelfall zu prüfen sind. Ergibt eine solche Prüfung, dass trotz Änderung der rechtlichen Verhältnisse keine wirtschaftliche Änderung eintritt, weil am Ende eines Vorgangs unveränderte Machtverhältnisse stehen, ist kein Anhebungsrecht bewirkt (RIS‑Justiz RS0125715).

2. Die Antragsgegnerin und Vermieterin stützt ihre (neuerlichen) Begehren auf Anhebung des Hauptmietzinses auf die Übertragung der Unternehmensanteile in den Jahren 2003 und 2005.

3. Die Vorinstanzen sahen darin keinen Machtwechsel, weil die Mehrheitsaktionärin bereits im Jahr 2000 einer österreichischen Privatstiftung das Fruchtgenussrecht an ihren Aktien und die Berechtigung zur Verfügung über den Bilanzgewinn und die Stimmrechtsausübung eingeräumt habe. Dieser erst ab 20. 12. 2010 kündbare Fruchtgenussbestellungsvertrag sei unverändert aufrecht. Der Fruchtgenussberechtigten komme daher nach wie vor der entscheidende Einfluss auf die Gesellschaft zu.

4. Diese Auffassung zur gesellschaftsrechtlich begründeten, wirtschaftlichen Einflussmöglichkeit der Fruchtgenussberechtigten hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Zu 5 Ob 262/02v stellte der Oberste Gerichtshof klar, dass mit der Einräumung eines (unwiderruflichen) Fruchtgenusses samt Stimm-rechtsübertragung dem Fruchtnießer die gesamten wesentlichen gesellschaftsrechtlichen Herrschafts‑ und Vermögensrechte eines Aktionärs zukommen. Auch im Schrifttum wird dem Stimmrecht entscheidende Bedeutung für den Machtwechsel zuerkannt, weil dieses die Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft vermittelt (Auer/Böhm in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht [2018], § 12a MRG Rz 110).

5. Als wesentlich sieht die Revisionsrekurswerberin den Umstand, dass, anders als in dem zu 5 Ob 262/02v entschiedenen Fall, das Fruchtgenussrecht nach Ablauf der Periode des vereinbarten Kündigungsverzichts ab Dezember 2010 nicht mehr „unwiderruflich“ gewesen sei. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt sie damit jedoch nicht auf. Nach § 12a Abs 3 Satz 1 MRG letzter Halbsatz MRG muss zwar die entscheidende Änderung nicht auf einmal geschehen. Es könnten deshalb auch Umstände, die nach den beiden, der Anhebung zugrunde gelegten Veräußerungsvorgängen eingetreten sind, eine Anhebung des Hauptmietzinses bewirken, wenn sie in Verbindung mit der jeweils vorangegangenen Einzelrechtsnachfolge zum entscheidenden Machtwechsel führten. Die hypothetische Möglichkeit, den Fruchtgenussvertrag zu kündigen und damit die Einflussmöglichkeit der Fruchtgenussberechtigten zu beenden, zählt jedoch nicht dazu. Maßgeblich ist eine tatsächliche Änderung der Machtverhältnisse. Dass der Fruchtgenussbestellungsvertrag nach den Übertragungen der Aktienmehrheit aufrecht blieb und der Fruchtgenussberechtigten die Rechte der jeweiligen neuen Mehrheitsaktionärin im eingeräumten Umfang nach wie vor zustanden, gesteht die Antragsgegnerin in ihrer Argumentation zu.

6. Für die Annahme eines Abschlusses des Fruchtgenussbestellungsvertrags mit dem Ziel, das Anhebungsrecht der Vermieterin zu verhindern, bieten die – den Obersten Gerichtshof bindenden – Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen keine Grundlage.

7. Ein rechtsmissbräuchliches Unterlassen der Auflösung dieses Vertrags zum Nachteil der Vermieterin zeigt die Revisionsrekurswerberin in ihrer Argumentation gerade nicht auf, wenn sie in der unterlassenen Kündigung des Fruchtgenussrechts einen Befugnismissbrauch des Stiftungsrats zu Lasten der Stiftung als (neue) Hauptaktionärin und Fruchtgenussrechtsbestellerin sieht. Es besteht auch kein Grund, die neue Hauptaktionärin zur Auflösung dieses Vertrags zu zwingen, (nur) um der Vermieterin die Anhebung des Mietzinses zu ermöglichen.

8. Die Bedeutung der Definition des „wirtschaftlichen Eigentümers“ in a) Art 3 Z 6 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 2016 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, b) in dem diese Richtlinie umsetzenden Finanzmarkt‑Geldwäschegesetz, sowie c) im Wirtschaftlichen Eigentümerregistergesetz für die Beurteilung des Anhebungsrechts der Vermieterin erschließt sich nicht.

9. Die im Revisionsrekurs geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 12a Abs 3 MRG teilt der erkennende Senat nicht.

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