Spruch:
Die Wirkung der von einzelnen notwendigen Streitgenossen erhobenen Unzuständigkeitseinrede erstreckt sich auch auf die anderen.
Überweisung gemäß § 261 Abs. 6 ZPO. setzt voraus, daß der Kläger in seinem Überweisungsantrag das Gericht ausdrücklich bezeichnet, an das überwiesen werden soll.
Entscheidung vom 16. April 1958, 5 Ob 13/58.
I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Der Kläger und die zweit- bis fünftbeklagten Parteien sind persönlich haftende Gesellschafter der erstbeklagten Partei, einer offenen Handelsgesellschaft in Liquidation in S. Die zweit- bis fünftbeklagten Parteien haben ihren Sitz außerhalb des Gerichtssprengels des Landesgerichtes Salzburg.
Der Kläger begehrt den Beklagten gegenüber die urteilsmäßige Feststellung, daß er und die zweit- bis fünftbeklagten Parteien mit einem bestimmten Hundertsatz am Gesellschaftsvermögen und am Reingewinn der erstbeklagten Gesellschaft beteiligt seien. Bei der ersten Tagsatzung wendeten der Zweitbeklagte und die Fünftbeklagte die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes mit der Begründung ein, daß die beklagten Parteien keine einheitliche Streitpartei bildeten. Der Kläger erachtete die Zuständigkeit des Erstgerichtes für gegeben, stellte aber für den Fall, als sich das Gericht dennoch für unzuständig erklären sollte, den Antrag, die Sache gemäß § 261 Abs. 6 ZPO. an das zuständige Gericht zu überweisen, ohne jedoch dieses Gericht zu nennen. Diesen Antrag wiederholte der Kläger in einem vorbereitenden Schriftsatz, dessen Inhalt er bei der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 11. Jänner 1957 vortrug. Der Drittbeklagte anerkannte in einem Schriftsatz das Klagebegehren; diese Prozeßhandlung wurde bisher in der mündlichen Streitverhandlung nicht wiederholt. Die Fünftbeklagte zeigte im Einverständnis mit dem Kläger im Schriftsatz vom 17. Oktober 1957 dem Gericht an, daß sie und der Kläger Ruhen des Verfahrens vereinbart hätten.
Das Erstgericht gab der vom Zweitbeklagten erhobenen Einrede der örtlichen Unzuständigkeit Folge und wies die Klage gegen die genannte Partei zurück; es wies ferner den Überweisungsantrag des Klägers ab.
Das Rekursgericht änderte diesen Beschluß in den angeführten Absätzen dahin ab, daß es die Einrede des Zweitbeklagten verwarf und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens gegen diese Partei auftrug. Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, daß die Bestimmung des § 261 Abs. 6 ZPO., derzufolge die Entscheidung über die Unzuständigkeit nur im Kostenpunkte bekämpfbar ist, nicht anwendbar sei, weil der vom Kläger gestellte Überweisungsantrag der angeführten Gesetzesbestimmung nicht entspreche. Der Kläger habe das Gericht, an das die Streitsache bei Stattgebung der Unzuständigkeitseinrede zu überweisen sei, nicht namhaft gemacht. Das Erstgericht habe aus diesem Gründe eine Überweisung nicht vornehmen können. Es sei daher auch der Beschluß, mit dem der Einrede der örtlichen Unzuständigkeit stattgegeben und die Klage zurückgewiesen wurde, nach den allgemeinen Bestimmungen der ZPO. anfechtbar. Das Rekursgericht erachtete den Rekurs des Klägers für begrundet. Der allgemeine Gerichtsstand offener Handelsgesellschaften bestimme sich gemäß § 75 Abs. 1 JN. nach ihrem Sitz, das sei hier also S. Die Zuständigkeit für die zweitbeklagte Partei, die ihren allgemeinen Gerichtsstand mit Rücksicht auf die Wohnung beim sachlich zuständigen Gerichtshof erster Instanz in Wien hätte, ergebe sich aus § 93 JN. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung könnten mehrere Personen, welche ihren allgemeinen Gerichtsstand vor verschiedenen Gerichten haben, sofern nicht ein besonderer gemeinschaftlicher Gerichtsstand begrundet sei, als Streitgenossen vor jedem inländischen Gericht geklagt werden, bei welchem einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen habe, es sei denn, daß das Gericht auch durch Vereinbarung der Parteien nicht zuständig gemacht werden könne. § 93 JN. setze jedoch nach einhelliger Rechtslehre und Rechtsprechung (vgl. Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 4. Aufl. I S. 230; SZ. XXVI 157, SZ. XVIII 175, ZBl. 1928 Nr. 204) eine eigentliche Streitgenossenschaft im Sinne des § 11 Z. 1 ZPO. voraus. Diese sei hinsichtlich der beiden ersten Beklagten gegeben, weil sie aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Gründe verpflichtet seien. Es sei daher nach § 93 JN. für diese Klage das für die erstbeklagte Partei örtlich und sachlich zuständige Landesgericht Salzburg auch für die zweitbeklagte Partei zuständig. Die Frage der Klagslegitimation hinsichtlich der beklagten Gesellschaft könne jedoch nicht schon im Zuständigkeitsstreit geklärt werden.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei Folge, hob die Beschlüsse beider Untergerichte auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede der zweit- und fünftbeklagten Parteien auf
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof vermag die Ansicht nicht zu teilen, daß der erstrichterliche Beschluß, mit dem die örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichtes hinsichtlich des Zweitbeklagten ausgesprochen und die Klage gegen diese Partei zurückgewiesen wurde, vom Kläger nicht angefochten werden könne, weil dieser den Antrag gestellt hatte, die Klage an das zuständige Gericht zu überweisen. Der Zweitbeklagte übersieht, daß nur dann, wenn ein der Bestimmung des § 261 Abs. 6 ZPO. entsprechender Überweisungsantrag vorliegt (der Kläger also das Gericht nennt, an das die Streitsache überwiesen werden soll) und dem Antrag des Klägers stattgegeben wird, der Verlust des Rechtsmittels gegen die Zuständigkeitsentscheidung eintritt.
Es ist davon auszugehen, daß sich die oHG., deren Gesellschafter der Kläger und die zweit- bis fünftbeklagten Parteien sind, in Liquidation befindet. Nach § 155 Abs. 1 HGB. haben die Liquidatoren das Vermögen der Gesellschaft nach den Kapitalanteilen, wie sie sich auf Grund der Schlußbilanz ergeben, unter die Gesellschafter zu verteilen. Ein Gewinn ist nicht auszuschütten. Daß etwa auf Grund einstimmigen Beschlusses der Gesellschafter (§ 152 HGB.) die vorläufige Verteilung und auch die Schlußverteilung auf einer anderen Grundlage, etwa im Sinne der den Gesellschaftern gemäß getroffener Vereinbarung gebührenden Gewinnanteile, vorzunehmen sei, behauptet der Kläger nicht. Es ist daher während der Abwicklung das entbehrliche Geld nach den Kapitalanteilen vorläufig zu verteilen (s. Weipert im Reichsgerichtsräte-Kommentar zum HGB., 2. Aufl. II S. 524 f. Anm. 5 und 6 zu § 155 HGB.). Besteht zwischen den Gesellschaftern Streit über die Höhe der ihnen zustehenden Kapitalanteile oder über die Gewinnanteile, falls diese als Verteilungsschlüssel zugrunde zu legen wären, dann kann eine Zuteilung durch die Abwickler nicht erfolgen. Sie müssen vielmehr die Verteilung bis zur Entscheidung des Rechtsstreites aussetzen. Die Klage ist weder gegen die Abwickler, noch gegen die Gesellschaft, sondern gegen die den Anspruch bestreitenden Gesellschafter zu richten (Weipert a. a. O. S. 528 f. Anm. 17 zu § 155 HGB.; Baumbach - Duden, HGB., 12. Aufl. S. 510 Anm. 4 zu § 156 HGB.). Finden sich die Abwickler auch auf Grund der im Prozesse der Gesellschafter ergangenen Urteiles zur Verteilung nicht bereit, dann steht den Gesellschaftern eine Klage zu. Ob diese gegen die Abwickler (so RGZ. 47. 16) oder gegen die Gesellschaft zu richten ist, kann dahingestellt bleiben. Aus den obigen Erwägungen ergibt sich, daß dem Kläger ein klagbarer Anspruch auf Feststellung der Kapital- und Gewinnanteile gegen die Gesellschaft fehlt; steht aber dem Kläger ein solcher Anspruch nicht zu, dann kann von einer Streitgenossenschaft der Gesellschaft und der beklagten Gesellschafter weder im Sinne des § 11 noch im Sinne des § 14 ZPO. gesprochen werden.
Das bedeutet, daß für die beklagten Gesellschafter, die ihren ordentlichen Gerichtsstand nicht im Sprengel des Erstgerichtes haben, der Gerichtsstand des § 93 JN. nicht in Frage kommt.
Die Feststellung des dem Kläger zukommenden Gewinn- und Kapitalanteiles mit einem bestimmten Hundertsatz ist nur möglich, wenn dieser mit den gleichzeitig festzusetzenden Anteilen der anderen Gesellschafter 100% ausmacht, mit anderen Worten, die Feststellung des Kapital- und Gewinnanteiles eines Gesellschafters kann immer nur mit Wirksamkeit gegen alle anderen Gesellschafter festgestellt werden. Die Gesellschafter, die nicht auf der Klägerseite auftreten, müssen daher auf Seite der beklagten Partei aufscheinen, weil nur ein einheitliches, gegen alle Gesellschafter wirkendes Urteil gefällt werden kann. Die Gesellschafter selbst bilden sonach sowohl auf der Klägerseite als auch auf der Beklagtenseite eine einheitliche Streitpartei nach § 14 ZPO. Das hat zur Folge, daß ein von einem beklagten Gesellschafter abgegebenes Anerkenntnis ebenso wie eine von einem beklagten Gesellschafter getroffene Vereinbarung, das Verfahren ruhen zu lassen, mangels Zustimmung der Streitgenossen nicht wirksam ist (vgl. Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes, 2. Aufl. S. 201; Neumann a. a. O. I S. 440; Petschek, Die Zwangsvollstreckung in Forderungen, S. 256 f; Skedl, Das österreichische Zivilprozeßrecht, I S. 104 und 210; ZBl. 1933 Nr. 268.)
Es war nun zu untersuchen, ob die von den zweit- und fünftbeklagten Parteien erhobene Unzuständigkeitseinrede für und gegen alle notwendigen Streitgenossen Wirkung erzeugt. Nach Schruttka ist diese Frage nur zu bejahen, wenn durch die Erhebung der Einrede die Prozeßlage für alle Streitgenossen verbessert würde (s. Schruttka, Grundriß des Zivilprozeßrechtes, 2. Aufl. S. 87). Mit Recht lehnt Pollak a. a. O. diese Auffassung als im Gesetze nicht begrundet ab. Er läßt Willenserklärungen eines Streitgenossen mit Wirkung für alle zu, sofern keiner der anderen rechtzeitig widerspricht oder eine damit unvereinbare Willenserklärung abgibt. Ob man nun Pollak folgt oder sich Skedl anschließt, der wie Truttner (Über prozessualische Rechtsgeschäfte, S. 125) zwischen prozessualen Rechtsgeschäften und reinen Prozeßanträgen unterscheidet, zu welchen die Unzuständigkeitseinrede zu zählen wäre (Skedl a. a. O. S. 202 und 204, insbesondere Anm. 10 auf S. 201), ist im Ergebnis gleich; denn sowohl die Vereinbarung über das Ruhen des Verfahrens als auch das abgegebene Anerkenntnis sind als Prozeßhandlungen unwirksam. Unwirksame Prozeßhandlungen vermögen aber andere Prozeßhandlungen, also hier die Einrede der Unzuständigkeit, nicht um ihre Wirkung zu bringen. Nach Skedl erstreckt sich die Wirkung der reinen Prozeßanträge, wozu die Unzuständigkeitseinrede zu rechnen ist, auch wenn sie nur von einem der Streitgenossen erhoben wurde, auf alle notwendigen Streitgenossen.
Der Oberste Gerichtshof vertritt im Anschlusse an Pollak und Skedl die Auffassung, daß die Wirkung der von den zweit- und fünftbeklagten Parteien erhobenen Unzuständigkeitseinrede sich auf alle notwendigen Streitgenossen, in diesem Prozesse also auf die zweit- bis fünftbeklagten Parteien, erstreckt. Es kann daher über die erhobene Unzuständigkeitseinrede nur nach einer gemäß § 261 Abs. 1 ZPO. anzuordnenden Verhandlung, zu der alle notwendigen Streitgenossen zu laden sind, entschieden werden. Da dies bisher nicht geschehen ist, mußten die von den Untergerichten über die Unzuständigkeitseinrede gefällten Entscheidungen aufgehoben werden.
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