OGH 5Ob121/71

OGH5Ob121/7119.5.1971

SZ 44/78

Normen

AußStrG §2 Abs3 Z5
AußStrG §8
Geschäftsordnung für die Gerichte I, und II. Instanz §169 Abs2
Geschäftsordnung für die Gerichte I, und II. Instanz §169 Abs3
ZPO §219 Abs3
ZPO §316
AußStrG §2 Abs3 Z5
AußStrG §8
Geschäftsordnung für die Gerichte I, und II. Instanz §169 Abs2
Geschäftsordnung für die Gerichte I, und II. Instanz §169 Abs3
ZPO §219 Abs3
ZPO §316

 

Spruch:

Urkunden, die von einem Beteiligten dem vom Gericht bestellten Sachverständigen übermittelt wurden, sind nach der Beendigung des Abhandlungsverfahrens demjenigen auszufolgen, der sie vorgelegt hatte

OGH 19. 5. 1971, 5 Ob 121/71 (LGZ Wien 44 R 426/70; BG Innere Stadt Wien 10 A 268/66)

Text

Johann S starb am 20. 2. 1966 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Im Zuge des Abhandlungsverfahrens wurde im Zusammenhang mit der Errichtung des Inventars nach einem Kanzleivermerk am 26. 9. 1967 von einem unbekannten Überbringer in der Einlaufstelle des BG Innere Stadt Wien ein Paket mit Belegen abgegeben.

Das Erstgericht nahm mit Beschluß v 28. 1 1. 1969 ua das gesetzliche Erbrecht der Witwe des Erblassers, Maria S zu 1/4 und das gesetzliche Erbrecht der Tochter des Erblassers, Leopoldine W zu 3/4 als ausgewiesen an und erklärte die Verlassenschaftsabhandlung für beendet. Das Erstgericht verfügte ferner, daß nach Rechtskraft des Beschlusses das am 26. 9. 1967 erlegte Paket mit Belegen beiden Erbinnen gemeinsam oder an eine Erbin mit Zustimmung der Miterben ausgefolgt werde.

Mit der Einantwortungsurkunde v 28. 11. 1969 wurde der Nachlaß nach Johann S den auf Grund des Gesetzes bedingt erbserklärten Erben, uzw der erblasserischen Witwe Maria S zu 1/4 und der erblasserischen Tochter Leopoldine W zu 3/4-Anteilen, eingeantwortet.

Am 14. 4. 1970 stellte Sophie L den Antrag, ihr das Paket mit den Belegen auszufolgen, da sie am 26. 9. 1967 die für den im Abhandlungsverfahren vernommenen Sachverständigen Dipl-Kfm Otto K erforderlichen Unterlagen vorgelegt habe.

Das Erstgericht verfügte daraufhin mit Beschluß v 14. 4. 1970. daß das am 26. 9. 1967 abgegebene Paket mit Belegen an Sophie L ausgefolgt werde.

Das Rekursgericht hob auf Grund eines Rekurses der Erben den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Das Gericht zweiter Instanz ging davon aus, daß ein Abgehen von der im Beschluß v 28. 11. 1969 getroffenen Verfügung, daß die Belege den Erben auszufolgen seien, ohne die Erben zu dem Ausfolgungsantrag der Sophie L zu hören, nicht möglich sei. Von Belang sei es auch, von wem am 26. 9. 1967 das Paket mit den Belegen zum Akt gegeben worden sei.

Das Erstgericht verfügte mit Beschluß v 22. 9. 1970 neuerdings, daß das am 26. 9. 1967 in der Einlaufstelle abgegebene Paket mit Belegen an Sophie L ausgefolgt werde. Der Antrag der Witwe des Erblassers Maria S, das Paket ihr auszufolgen, wurde abgewiesen. Das Erstgericht stellte fest, daß das Paket mit den Unterlagen dem Sachverständigen Dipl-Kfm Otto K vom Bevollmächtigten der Sophie L, Gabriel W, vorgelegt wurde. Nach der Abgabe des Gutachtens wurde das Paket vom Sachverständigen, der es zur Gutachtenerstellung verwendete, in der Einlaufstelle des BG Innere Stadt Wien abgegeben. Das Paket wurde sodann dem seinerzeitigen Machthaber der Witwe des Erblassers, Rechtsanwalt Dr A, vom Gericht übersendet. Dr A stellte es in der Folge im Einverständnis mit seiner Mandantin dem Gericht als ihm irrtümlich zugekommen zurück.

Rechtlich würdigte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß das Paket mit den Belegen Sophie L auszufolgen gewesen sei, weil sie es seinerzeit dem Sachverständigen übergeben habe. Die Erbin Maria S hingegen werde ihre Ansprüche im Zivilrechtsweg durchzusetzen haben.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß das am 26. 9. 1967 in der Einlaufstelle des BG Innere Stadt Wien abgegebene Paket mit Belegen an die Witwe des Erblassers Maria S zu Handen ihres Vertreters Dr Walther B ausgefolgt werde. Hingegen wurde der Antrag der Sophie L, ihr das Paket auszufolgen, abgewiesen. Das Gericht zweiter Instanz, das die erstgerichtlichen Feststellungen übernahm, ging davon aus, daß der Erblasser Eigentümer eines Geschäftsbetriebes mit dem Standort Wien 6. B-gasse 4, gewesen sei. Betriebsleiterin und kaufmännische Angestellte des Unternehmens des Erblassers sei Sophie L gewesen, die das Unternehmen nunmehr weiterführe. Als mit Beschluß v 21. 6. 1967 der Sachverständige Dipl-Kfm Otto K mit dem Auftrag bestellt worden sei, die Todfallsbilanz zu überprüfen und das erblasserische Unternehmen zu bewerten, sei von dem Bestellungsbeschluß auch Sophie L benachrichtigt und in der Folge von ihr, uzw durch ihren Bevollmächtigten Gabriel W das Paket mit den Belegen an den Sachverständigen ausgefolgt worden. Daraus folge aber, daß es sich bei den dem Sachverständigen überlassenen Belegen um Geschäftsunterlagen des erblasserischen Betriebes handle, auf Grund deren der Sachverständige die Todfallsbilanz zu überprüfen und das erblasserische Unternehmen zu bewerten gehabt habe. Das Verfügungsrecht über die erblasserischen Geschäftsunterlagen komme den Erben des Unternehmens zu. Da die Witwe des Erblassers auf Grund des Notariatsaktes v 27. 5. 1970 das alleinige Verfügungsrecht über den Nachlaß von der Miterbin Leopoldine W, der Tochter des Erblassers, erhalten habe, stehe ihr allein der Anspruch auf Ausfolgung der Belege zu.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Sophie L Folge und stellte den Beschluß des Erstgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurden die Belege dem vom Gericht bestellten Sachverständigen Dipl-Kfm Otto K vom Bevollmächtigten der Sophie L Gabriel W, zur Erstattung des Gutachtens übermittelt. Der Sachverständige legte mit seinem schriftlichen Gutachten auch die dazugehörigen Unterlagen dem Erstgericht vor. Sophie L, der im übrigen der Nachlaß rechtskräftig an Zahlungs Statt überlassen wurde und die das Unternehmen des Erblassers im eigenen Namen fortführt, hat die Urkunden dem Sachverständigen überlassen. Es sind somit Schriftstücke und Urkunden von Sophie L zwar nicht unmittelbar dem Gericht, jedoch dem vom Gericht bestellten Sachverständigen, der aber, wie der OGH ausgesprochen hat (SZ 16/157), bezüglich der ihm zur Erstattung des Gutachtens übergebenen Hilfsmittel dem Gericht gleichzustellen ist, überlassen worden, wobei die Vorlage an das Gericht durch den Sachverständigen erfolgte.

Das Verfahren außer Streitsachen enthält keine Regelung über die Ausfolgung vorgelegter Urkunden und Schriftstücke. Es sind mangels einer anderweitigen Regelung sinngemäß die Bestimmungen der ZPO heranzuziehen (Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen 27 f; Gögl, Der Beweis im Verfahren außer Streitsachen, ÖJZ 1956, 345 f; Ott, Rechtsfürsorgeverfahren Vorwort V).

Nach § 219 Abs 3 ZPO sind die von einer Partei dem Gericht übergebenen Schriftstücke dieser Partei auf ihr Begehren wieder auszufolgen, wenn der Zweck der Aufbewahrung entfallen muß. Selbst Urkunden, deren Echtheit bestritten ist oder deren Inhalt verändert sein soll, können gemäß § 316 ZPO nur bis zur rechtskräftigen Erledigung des Prozesses bei Gericht zurückgehalten werden. Im Einklang mit den bei den angeführten Vorschriften der Prozeßordnung bestimmt auch § 169 Abs 2 Geo, daß in bürgerlichen Rechtssachen die Geschäftsstelle, wenn das Verfahren rechtskräftig beendet oder zum Stillstand gekommen ist, die beim Akt befindlichen Urkunden den Parteien, welche die Urkunden eingelegt haben, auch ohne richterlichen Auftrag auszufolgen hat. Gemäß § 169 Abs 3 Geo sind die Vorschriften des Abs 2 auch auf Augenscheinsgegenstände und Auskunftssachen entsprechend anzuwenden. Daraus folgt aber, daß kraft ausdrücklicher gesetzliche Anordnung Urkunden demjenigen auszufolgen sind, der sie vorgelegt hat (Fasching II Anm 6 zu § 219 ZPO). Das war aber im vorliegenden Fall Sophie L, die insofern auch am Verfahren beteiligt war, als ihr mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß v 29. 4. 1966 der Nachlaß an Zahlungs Statt überlassen wurde. Ihr wurde auch bei Lebzeiten des Erblassers das Inventar des Unternehmens übertragen. Sie benützt die Geschäftsräume und führt das Unternehmen im eigenen Namen weiter. Desgleichen wurden ihr die ratenrechtlichen Ansprüche überlassen.

Es trifft zu, daß die Ausfolgung der Beilagen nach § 169 Geo in der Regel die Geschäftsstelle ohne Weisung durchführt. Eine Weisung ist nur einzuholen, wenn eine Fortsetzung des Verfahrens möglich ist. Allein im vorliegenden Fall wurde in P 6 des in Rechtskraft erwachsenen Beschlusses v 28. 1 1. 1969 eine dem Gesetz nicht entsprechende Verfügung getroffen. Diese konnte auf Antrag der Beteiligten Sophie L vom Erstgericht entsprechend den bestehenden Vorschriften abgeändert werden. Das umso mehr, als der Vertreter der gesetzlichen Erbinnen die ihm vom Erstgericht übermittelten Urkunden dem Erstgericht zurückgestellt hat.

Es war daher dem Revisionsrekurs Folge zu geben und der erstgerichtliche Beschluß zur Gänze wiederherzustellen.

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