European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050NC00020.21T.0929.000
Spruch:
Der Akt wird dem Bezirksgericht Fürstenfeld als Vorlagegericht ohne Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN zurückgestellt.
Begründung:
[1] Die Obsorge für dieMinderjährigen kommt den Eltern gemeinsam zu.
[2] Mit Eingabe vom 7. 9. 2021 beantragte der Vater, ihm die Obsorge alleine zu übertragen und die Kinder an den bisherigen gemeinsamen Wohnort im Sprengel des Bezirksgerichts Fürstenfeld zurückzuführen. Dazu brachte er vor, dass die Mutter mit den beiden Minderjährigen am 4. 9. 2021 in den Sprengel des Bezirksgerichts Neusiedl am See verzogen sei.
[3] Das Bezirksgericht Fürstenfeld übertrug die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache gemäß § 111 Abs 1 JN dem Bezirksgericht Neusiedl am See. Das Bezirksgericht Neusiedl am See verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit mit der Begründung, es könne nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Minderjährigen in Hinkunft dauerhaft im Sprengel dieses Gerichts aufhältig sein werden, weil der Vater die alleinige Obsorge anstrebe.
[4] Das Bezirksgericht Fürstenfeld legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
[5] Der Akt ist dem Vorlagegericht zurückzustellen:
Rechtliche Beurteilung
[6] 1. Voraussetzung für die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN ist in formeller Hinsicht, dass das übertragende Gericht ursprünglich zuständig ist (RIS‑Justiz RS0109369; Fucik in Fasching/Konecny³ I § 111 JN Rz 2; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 111 JN Rz 1 je mwN).
[7] 2.1 Zur Besorgung von Pflegschaftssachen ist örtlich das Gericht berufen, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt, mangels eines solchen seinen tatsächlichen Aufenthalt hat (§ 109 Abs 1 JN). Örtlich zuständig ist daher jenes Gericht, in dessen Sprengel der Minderjährige am Tag der Einleitung des Pflegschaftsverfahrens seinen (rechtmäßig begründeten) Aufenthalt hat (Mayr aaO § 109 JN Rz 3 mwN).
[8] 2.2 Hat sich die Mutter mit den Kindern an einem bestimmten Ort mit der Absicht niedergelassen, nicht mehr zum früheren Wohnsitz zurückzukehren, dann ist damit auch für die minderjährigen Kinder, eine dauerhafte Beziehung zu diesem neuen Ort hergestellt, die zur Beurteilung als „gewöhnlicher Aufenthalt“ im Sinn des § 66 Abs 2 JN hinreicht (1 Nd 502/98).
[9] 3. Die Obsorge über die beiden Minderjährigen kommt der Mutter gemeinsam mit dem Vater zu. Nach dem Akteninhalt haben die Mutter und die beiden Minderjährigen seit 6. 9. 2021 ihren Hauptwohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Neusiedl. Laut einer Auskunft der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld als dem bislang zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger beabsichtigt die Mutter, mit den Minderjährigen dort auf Dauer zu wohnen. Der Antrag des Vaters, ihm die alleinige Obsorge für die beiden Minderjährigen zu übertragen, stammt vom 7. 9. 2021, wobei er geltend machte, dass die Mutter mit den beiden Minderjährigen bereits am 4. 9. 2021 an ihren nunmehrigen Wohnort im Sprengel des Bezirksgerichts Neusiedl am See verzogen sei. Nach der Aktenlage hatten die Minderjährigen am Tag des Einlangen des Antrags daher ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr im Sprengel des Vorlagegerichts, sodass das Bezirksgericht Fürstenfeld zur Behandlung dieser Pflegschaftssache nach § 109 Abs 1 JN nicht zuständig ist. Eine Delegierung der Pflegschaftssache vom örtlich unzuständigen Bezirksgericht an das Bezirksgericht Neusiedl am See, in dessen Sprengel die Kinder nunmehr ihren (rechtmäßig begründeten) gewöhnlichen Aufenthalt haben, kommt nicht in Betracht.
[10] 4. Der Akt ist somit dem Bezirksgericht Fürstenfeld als Vorlagegericht ohne Beschlussfassung gemäß § 111 Abs 2 JN zurückzustellen. Das Vorlagegericht wird gemäß § 44 JN vorzugehen haben.
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