OGH 5Nc13/11y

OGH5Nc13/11y22.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätin Dr. Lovrek sowie den Hofrat Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Marie Andrea G*****, geboren am *****, derzeit aufhältig in *****, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache der mj Marie Andrea G*****, geboren am *****, durch das Bezirksgericht Bruck an der Mur an das Bezirksgericht Wels wird nicht genehmigt.

Text

Begründung

Die mj Marie Andrea G*****, geboren am *****, ist eines von drei ehelichen Kindern der Barbara und des Christian G*****. Ab 1995 war die Familie in Bruck an der Mur ansässig. Der Vater verstarb am 4. 7. 2000. Die Minderjährige war dann ab 2005 in der Familienwohngruppe „Pro Juventute“ in ***** (Sprengel des Bezirksgerichts Graz-Ost) untergebracht.

Das Bezirksgericht Bruck an der Mur entzog mit Beschluss vom 30. 10. 2006 (ON S35) der Mutter die Obsorge für die Minderjährige hinsichtlich des Teilbereichs der Pflege und Erziehung einschließlich der gesetzlichen Vertretung in diesem Bereich und übertrug diese dem Land Steiermark, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur.

Seit Mitte Mai 2011 hält sich die Minderjährige bei den väterlichen Großeltern Wilhelm und Silvia G***** in W***** (Sprengel des Bezirksgerichts Wels) auf.

Die väterlichen Großeltern sprachen am 17. 5. 2011 beim Bezirksgericht Wels vor und beantragten die Übertragung der Obsorge für die Minderjährige an sie. Das Kind sprach sich ausdrücklich für diesen Antrag aus.

Mit Eingabe vom 8. 7. 2011 beantragte die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als Jugendwohlfahrtsträger die Betrauung mit der gesamten Obsorge für die Minderjährige.

Die Mutter des Kindes ist in K***** wohnhaft; zwischen ihr und der Tochter bestehen fallweise Besuchskontakte. Die Minderjährige hat auch einen 22 Jahre alten, in H***** wohnhaften Halbbruder, der ihr angeboten hat, bei ihm bleiben zu können.

Der weitere Ausbildungsweg des Kindes ist derzeit noch unentschieden. Die Minderjährige hat in der Steiermark die Krankenschwesternvorbereitungsschule besucht; diese Ausbildung möchte die Minderjährige fortsetzen, hat dafür aber in Oberösterreich die Anmeldefrist versäumt. Auch eine handwerkliche Lehre kann sich die Minderjährige vorstellen.

Spezifische Erhebungen zu den offenen Anträgen sind bislang nicht erfolgt.

Das Bezirksgericht Bruck an der Mur übertrug mit Beschluss vom 23. 5. 2011 (ON S45) gemäß § 111 Abs 1 JN seine Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Wels mit der wesentlichen Begründung, dass inzwischen drei von vier beteiligten Parteien im Zuständigkeitsbereich des Bezirksgerichts Wels aufhältig seien.

Das Bezirksgericht Wels verweigerte die Übernahme der Pflegschaftssache mit der wesentlichen Begründung, dass das Verfahren bislang hauptsächlich vom Bezirksgericht Bruck an der Mur geführt worden und derzeit nicht bekannt sei, ob der Obsorgeträger einem Aufenthalt der Minderjährigen in Oberösterreich zustimme.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist nicht zu genehmigen.

§ 111 Abs 1 JN ordnet an, dass das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen kann, wenn das im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Das ist in der Regel erst dann der Fall, wenn der Aufenthalt des Pflegebefohlenen und der Mittelpunkt seiner Lebensführung in jenen Gerichtssprengel verlegt wurde, an dessen Gericht die Pflegschaftssache übertragen werden soll (5 Nc 22/07s mwN JusGuide 2007/50/5297; 4 Nc 20/09t). Abgelehnt wird daher von der Rechtsprechung eine Zuständigkeitsverlagerung, solange der Aufenthalt des Betreffenden noch nicht stabil ist (5 Nc 22/07s mwN JusGuide 2007/50/5297; 4 Nc 20/09t; Mayr in Rechberger³ § 111 JN Rz 2 mwN).

Auch im vorliegenden Fall kann derzeit von einem voraussichtlich stabilen Aufenthalt der Minderjährigen bei den väterlichen Großeltern in W***** (noch) nicht ausgegangen werden. Die Minderjährige ist erst seit Mitte Mai 2011 bei den väterlichen Großeltern aufhältig, über die anhängigen Obsorgeanträge ist bislang nicht entschieden und auch der künftige berufliche Ausbildungsweg der Minderjährigen ist derzeit nicht absehbar. Unter diesen Umständen ist eine Delegierung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Wels jedenfalls derzeit nicht zweckmäßig.

Die Übertragung der Pflegschaftssache war daher nicht zu genehmigen.

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