OGH 504Präs36/21k

OGH504Präs36/21k13.10.2021

Beschluss

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:504PRA00036.21K.1013.000

 

Spruch:

Der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck ist von der Entscheidung über die Ausgeschlossenheit von Richtern des Oberlandesgerichts Innsbruck betreffend die Entscheidung über den Einspruch des ***** gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz vom 16. Juni 2021, AZ 15 St 70/20h, ausgeschlossen.

Infolge Ausgeschlossenheit weiterer Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck wird die Entscheidung über den Einspruch in diesem Strafverfahren dem Oberlandesgericht Graz übertragen.

 

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Graz legt ***** in ihrer Anklageschrift vom 16. Juni 2021 (15 St 70/20h) das Vergehen der staatsfeindlichen Verbindung nach § 246 Abs 3 erster und zweiter Fall StGB, das Verbrechen der versuchten Nötigung von Mitgliedern einer Regierung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB, das Verbrechen der versuchten Erpressung nach §§ 15, 144 StGB, das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und das Verbrechen der versuchten Bestimmung zum Missbrauch der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB zur Last. Die dem Angeklagten zur Last gelegte versuchte Bestimmung zum Amtsmissbrauch bezieht sich ua auf mehrere namentlich bezeichnete Richter des Oberlandesgerichtssprengels Innsbruck, darunter auch auf den Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck: Danach habe der Angeklagte im Mai 2017 den Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck als zuständiges Dienstaufsichtsorgan in einem gegen den Angeklagten geführten, näher bezeichneten Exekutionsverfahren aufgefordert, dem Vorsteher des zuständigen Bezirksgerichts die Weisung zu erteilen, das Exekutionsverfahren einzustellen. Auch die zur Last gelegte versuchte Erpressung (Punkt III. der Anklageschrift) umfasst Tathandlungen gegenüber Richtern des Sprengels; die versuchte Nötigung (Punkt IV. der Anklageschrift) bezieht sich darüber hinaus auch auf im Sprengel des Oberlandesgerichts Innsbruck tätige Staatsanwälte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Anklageschrift erhob der Angeklagte Einspruch, über den das Oberlandesgericht Innsbruck zu entscheiden hätte (7 Bs 201/21y).

Unter Anschluss der Befangenheitsanzeigen sämtlicher Richter und Richterinnen des Oberlandesgerichts Innsbruck (mit Ausnahme des Vizepräsidenten) betreffend die Entscheidung über diesen Einspruch des Angeklagten gegen die Anklageschrift zeigte der Präsident des Oberlandesgerichts Innsbruck nach § 44 Abs 2 StPO zu AZ 8 Ns 19/21w seine Ausgeschlossenheit an.

Die Richter des Oberlandesgerichts Innsbruck begründen ihre Ausgeschlossenheit mit einer freundschaftlich/kollegialen Beziehung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts, der ihnen auch in der Dienstaufsicht übergeordnet sei, teilweise auch mit einer freundschaftlichen Beziehung zu anderen, jeweils namentlich bezeichneten Richtern und Staatsanwälten des Sprengels des Oberlandesgerichts Innsbruck, auf die sich die Tathandlungen laut Anklageschrift ebenfalls bezogen haben sollen.

Betreffend den Präsidenten des Oberlandesgerichts Innsbruck liegt zwar der Ausschließungsgrund nach § 43 Abs 1 Z 2 2. Fall StPO zumindest derzeit nicht vor, weil das Tatbestandsmerkmal „als Zeuge vernommen werden soll“ erst dann verwirklicht ist, wenn eine entsprechende Beschlussfassung erfolgte. Andernfalls unterläge es der Parteienwillkür, einen Ausschlussgrund herbeizuführen (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 8 mwN). Auch der Ausschließungsgrund des § 43 Abs 1 Z 2 erster Fall StPO ist nicht verwirklicht, weil der Präsident im Rahmen seiner Dienstverrichtung Zeuge der in Frage stehenden Handlung wurde.

Allerdings besteht Ausgeschlossenheit nach der Generalklausel des § 43 Abs 1 Z 3 StPO. Dabei ist darauf abzustellen, dass sich eine der dem Angeklagten vorgeworfenen Tathandlungen auf den Präsidenten selbst bezieht, andere Tathandlungen wiederum auf mehrere Richter und Staatsanwälte, die im Sprengel des Oberlandesgerichts Innsbruck tätig sind. Nach dem maßgeblichen äußeren Anschein können diese Umstände in ihrer Gesamtheit für einen verständig würdigenden objektiven Beurteiler (RS0097086 [T5]) Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Präsidenten erwecken, der naturgemäß als im Rahmen der Dienstaufsicht weisungsbefugtes Organ die Richter und Richterinnen seines Sprengels auch persönlich näher kennt, wodurch der Anschein entstehen könnte, er könne wegen der persönlichen Betroffenheit dieser Richter nicht mit voller Unbefangenheit an die Sache herangehen.

Dies gilt auch für die anderen Richterinnen und Richter dieses Oberlandesgerichts, die sich im Wege einer Selbstmeldung als befangen bezeichneten. Da somit kein ordentlich besetzter Senat zur Entscheidung über den Einspruch mehr gebildet werden kann, weil mit Ausnahme des Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts alle Richter ausgeschlossen sind, war die Zuständigkeit zur Entscheidung über diesen Einspruch dem Oberlandesgericht Graz zu übertragen (zur Übertragungskompetenz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs vgl 1 Präs 2690-3149/15x; RS0125943 [T1]).

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