Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag der klagenden Partei auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, womit der beklagten Partei zur Sicherung des Anspruches der klagenden Partei auf Unterlassung von berechtigte Interessen des Klägers verletzender Veröffentlichung und/oder Verbreitung von Bildnissen des Klägers geboten werde, es ab sofort zu unterlassen, Bildnisse des Klägers im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein gegen den Kläger anhängiges Strafverfahren wegen Mordes zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, abgewiesen wird.
Der Kläger hat der Beklagten die mit S 53.424 (darin S 8.904 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Gegen den Kläger ist beim Landesgericht für
Strafsachen Wien ein Strafverfahren wegen Verdachts des Mordes anhängig, in welchem er am 24.6.1997 des Mordes für schuldig erkannt und zu 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; der Kläger befindet sich in Untersuchungshaft.
Die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung "N*****". In der Ausgabe vom 14.8.1996 veröffentlichte die "N*****" einen Artikel, in dem sie auf Ersuchen der Kriminalabteilung ein von dieser zur Verfügung gestelltes Lichtbild des Klägers veröffentlichte und ausführte, der Kläger sei auf der Flucht, um Hinweise werde gebeten.
In einer weiteren Ausgabe der "N*****" vom 16.4.1997 (nach Verhaftung des Klägers) erschien ein Bericht über einen Prozeß gegen einen angeblichen Fluchthelfer des Klägers, wobei neuerlich das Personenbildnis des Klägers veröffentlicht wurde. Dabei berichtete die Beklagte, daß der angebliche Fluchthelfer dem "mutmaßlichem Mörder Peter St" - der zugleich erkennbar abgebildet war - zur Flucht verholfen haben solle. Es sei seinem Tip zu verdanken, daß der mutmaßliche Täter bei seiner Rückkehr in Wien habe verhaftet werden können.
In der weiteren Ausgabe der "N*****" vom 24.6.1997 wurde unter der Überschrift "Anklage: 'Es war eine Hinrichtung'" über das gegen den Kläger anhängige Verfahren berichtet. Er habe 15 Schüsse auf den Geliebten seiner Exfreundin abgegeben und beteuere, er habe ihn nicht töten wollen. Der Bericht stellt den Standpunkt des Staatsanwaltes, wonach es sich um eine "Hinrichtung" gehandelt habe, jenem des Angeklagten gegenüber, der nicht bestreite, den neuen Geliebten seiner Ex-Freundin erschossen zu haben, aber beteuere, er habe in Notwehr gehandelt. Dem Bericht war ein Bildnis des Klägers angeschlossen.
Am 25.6.1997, dem Tag nach der Verurteilung, erschien neuerlich ein Bild des Klägers anläßlich eines Berichts über seine Verurteilung in der "N*****". Die Überschrift lautete: "20 Jahre Gefängnis für Mord an Rivalen". "11 Kugeln für den neuen Geliebten der Exfreundin, Täter beruft gegen das Urteil". Geschildert wird, daß sich der Kläger mit Notwehr verantworte, der Staatsanwalt jedoch auf lebenslange Haft wegen Mordes plädiert habe. Berichtet wird über die Entscheidung der Geschworenen (20 Jahre Freiheitsentzug wegen Mordes) sowie darüber, daß der Kläger berufen habe. Dem Prozeßbericht war ein Bildnis des im Verhandlungssaal sitzenden Klägers angeschlossen.
Zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches begehrt der Kläger der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, Bildnisse des Klägers im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren wegen Mordes zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten. Mit den Bildnisveröffentlichungen vom 16.4., 24. und 25.6.1997 habe die Beklagte gegen seine berechtigten Interessen im Sinn des § 78 UrhG verstoßen. Den Veröffentlichungen komme keinerlei Informationswert zu. Solange der Abgebildete nicht rechtskräftig wegen der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlung verurteilt sei, werde vermutet, daß er unschuldig sei.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrages. Sie habe über die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe wahrheitsgemäß berichtet und die Unschuldsvermutung gewahrt. Eine Person verliere spätestens dann jegliches berechtigtes Interesse an der Unterlassung einer Bildnisveröffentlichung, wenn sie wie der Kläger zu einer 20-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Das Bildnis des Klägers habe schon durch die Fahndung und die auf Ersuchen der Sicherheitsbehörden vorgenommene Veröffentlichung allgemeine Bekanntheit erlangt, die nach seiner Verhaftung erfolgte Veröffentlichung habe der Beruhigung der Bevölkerung gedient.
Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Es ging von einer Verletzung berechtigter Interessen des Abgebildeten aus. Dieser werde in tendenziöser Weise verdächtigt, eine strafbare Handlung begangen zu haben; den Fotos komme kein eigener Nachrichtenwert zu. Seine Interessen, nicht vorzeitig an den Pranger gestellt zu werden, hätten Vorrang vor den Interessen des Medieninhabers, den Bericht mit einem Lichtbild auszuschmücken.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 260.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Kläger sei noch nicht rechtskräftig verurteilt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß es aufgrund des erhobenen Rechtsmittels zu einem Freispruch komme. Es bestehe kein Zweifel daran, daß in diesem Fall das Fortkommen des Klägers sowohl in gesellschaftlicher als auch in beruflicher Hinsicht unverhältnismäßig beeinträchtigt werden könnte. Damit liege die nach herrschender Auffassung verpönte "Prangerwirkung" vor, die nicht durch die schon zuvor erfolgte Veröffentlichung der Bilder im Zusammenhang mit der Fahndung nach dem Kläger ausgeschlossen werden könne. Mit der Ergreifung des als mordverdächtig gesuchten Klägers sei das Veröffentlichungsinteresse der Beklagten bzw der Allgemeinheit in den Hintergrund getreten. Der Berichterstattung über "den weiteren Verlauf der Geschehnisse" komme im Rahmen der Interessenabwägung kein höherer Stellenwert zu als dem Interesse des Verdächtigten, im Zusammenhang mit gravierenden, noch nicht rechtskräftig bestätigten strafrechtlichen Vorwürfen nicht bildlich dargestellt zu werden. Der Vorwurf, ein Kapitalverbrechen begangen zu haben, berühre jedenfalls berechtigte Interessen des im Rahmen der Berichterstattung abgebildeten Klägers. Ein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, zumal die Bildnisveröffentlichung weder der Aufklärung weiterer Straftaten noch einer Warnung der Bevölkerung dienen sollte bzw konnte.
Das Unterlassungsgebot sei auch nicht zu weit gefaßt. Der Beklagten werde verboten, Bildnisse des Klägers im Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren wegen Mordes zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten. Daß Berichte über ein wegen Mordes anhängiges Strafverfahren nach üblicher Verkehrsauffassung abträglichen Sinngehalt aufweisen, könne nicht ernstlich bezweifelt werden. Dabei sei nicht von Bedeutung, daß die Berichterstattung insoweit der Wahrheit entspreche, als tatsächlich gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Mordes anhängig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Rekursgericht die zur Interessenabwägung im Zusammenhang mit Bildnisveröffentlichungen entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung unrichtig angewendet hat. Er ist auch berechtigt.
Unter Bezugnahme auf die Materialien zu § 78 UrhG und die dazu ergangene ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat der
erkennende Senat in seiner in ÖBl 1998, 88 - Ernestine K. (= JBl
1988, 55 = MR 1997, 302) veröffentlichten Entscheidung erkannt, daß
jedermann durch § 78 UrhG gegen einen Mißbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit geschützt werden soll, also namentlich dagegen, daß er durch die Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt, daß dadurch sein Privatleben in der Öffentlichkeit preisgegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Mißdeutungen Anlaß geben kann und entwürdigend oder herabsetzend wirkt. Das Gesetz lege den Begriff der "berechtigten Interessen" nicht näher fest, weil es bewußt einen weiten Spielraum offenlassen wolle, um den Verhältnissen des Einzelfalls gerecht zu werden. Bei Beurteilung, ob berechtigte Interessen verletzt wurden, sei darauf abzustellen, ob Interessen des Abgebildeten bei objektiver Prüfung als schutzwürdig anzusehen sind. Dabei sei auch der mit dem veröffentlichten Bild zusammenhängende Text zu berücksichtigen. Sei ein schutzwürdiges Interesse zu bejahen, so sei in einem zweiten Schritt die Interessenlage auf beiden Seiten zu beurteilen, aus deren Abwägung sich ergebe, ob die Geheimhaltungsinteressen den Vorrang haben und damit zu "berechtigten Interessen" werden.
Unter umfassender Darstellung der bisherigen Rechtsprechung und der Lehrmeinungen hat der Oberste Gerichtshof in dieser Entscheidung auch ausgesprochen, daß die Wertungen des Medienrechts jedenfalls dort, wo der gleiche Sachverhalt geregelt wird, bei der Auslegung des § 78 UrhG zu berücksichtigen seien. Erwachsenen, die eines Verbrechen verdächtig oder wegen eines solchen verurteilt seien, komme der Identitätsschutz nach § 7 a MedienG nur dann zu, wenn durch die Veröffentlichung ihr Fortkommen (unter Bedachtnahme auf die Umstände der Tat sowie deren Verfolgung und Bestrafung) unverhältnismäßig beeinträchtigt werden könne. Fehle diese Voraussetzung, dann sei nach § 7 a Abs 1 MedienG - wegen des Zusammenhanges des (angeblichen) Verbrechens mit dem öffentlichen Leben - ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung des Bildes (und anderer Angaben zur Identität) gegeben. Ein Anspruch auf Unterlassung einer Bildnisveröffentlichung stehe dem Abgebildeten aber nicht schon dann zu, wenn er im Begleittext der Wahrheit gemäß als Tatverdächtiger bezeichnet werde. Der Unterlassungsanspruch nach § 78 UrhG sei jedoch infolge überwiegenden Interesses des Abgebildeten am Unterbleiben der Bildnisveröffentlichung dann gerechtfertigt, wenn die abgebildete Person, die eines Verbrechens verdächtig ist, im Begleittext als bereits überführt dargestellt werde.
Der erkennende Senat hält an diesen Grundsätzen fest.
Der Beurteilung sind im vorliegenden Fall die Prozeßberichte vom 24. und 25.6.1997 zugrundezulegen (die am 16.4.1997 vorgenommene Bildnisveröffentlichung wird durch das Urteilsbegehren nicht umfaßt). Die Prozeßberichte sind inhaltlich richtig. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung ist nicht zu erkennen, wird doch unter Wiedergabe des vom Kläger auch nicht bestrittenen Sachverhalts die Auffassung der Staatsanwaltschaft (es handle sich um Mord) jener des Angeklagten (er habe in Notwehr gehandelt) gegenübergestellt und wahrheitsgemäß über die Verurteilung sowie darüber berichtet, daß der Kläger gegen das Urteil Rechtsmittel erhoben habe.
Die im vorliegenden Fall vorzunehmende Interessenabwägung ergibt:
Das Interesse des Klägers daran, daß sein Lichtbild nicht im Zusammenhang mit dem gegen ihn erhobenen Mordvorwurf und den dazu anhängigen Strafverfahren gezeigt wird, liegt auf der Hand, wird doch durch die Veröffentlichung des Lichtbildes eine Identifikationsmöglichkeit geschaffen.
Das Interesse der Öffentlichkeit auf Bildnisveröffentlichung im Zusammenhang mit der Information über die dem Kläger vorgeworfene strafbare Handlung und das gegen ihn anhängige Strafverfahren ist evident. Das Bedürfnis der Öffentlichkeit, Personen, die in besonderer Weise (wenn auch negativ oder gerade weil sie negativ) aufgefallen sind, in den Medien auch zu sehen, ist zweifellos gegeben, ziehen doch die meisten Menschen die bildliche Darstellung des Geschilderten (insbesondere somit auch von Personen, über die berichtet wird) einer bloßen Wortberichterstattung vor. Das dem Kläger vorgeworfene Verbrechen (Tötung eines Menschen durch Erschießen in einem Gasthaus) mit nachfolgendem Untertauchen des Täters und die von den Sicherheitsbehörden veranlaßte Fahndung in den Medien erweckte zweifellos das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an einer Veröffentlichung des Bildes des dann vor Gericht gestellten Verdächtigen. Unter Bedachtnahme auf die bei der Anwendung des § 78 UrhG zugrundezulegenden Wertungen des § 7 a MedienG (ÖBl 1998, 88 - Ernestine K.; zuletzt 4 Ob 95/98v und 4 Ob 127/98z) überwiegen die Interessen der Öffentlichkeit an der Bildnisveröffentlichung im vorliegenden Fall. Im Hinblick auf das Alter des Klägers, des Umstandes, daß er arbeitslos ist und sich seit längerer Zeit in Untersuchungshaft befindet und die Dauer der Freiheitsstrafe, mit der die ihm vorgeworfene Tat bedroht ist, kann von einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung seines Fortkommens nicht gesprochen werden. Die nie ganz auszuschließende Möglichkeit allein, der Kläger könnte infolge seines Rechtsmittels freigesprochen werden, vermag im vorliegenden Fall ein Überwiegen seiner Interessen am Unterbleiben der Bildnisveröffentlichung nicht zu rechtfertigen.
Soweit der Revisionswerber berechtigte Interessen dadurch verletzt sieht, daß ihn das veröffentlichte Bild in Handschellen zeigt, weshalb ein Verstoß gegen § 22 MedienG vorliege, ist ihm zu entgegnen, daß § 22 MedienG unter anderem Fotoaufnahmen von Verhandlungen der Gerichte für unzulässig erklärt. Zur Hauptverhandlung in Strafsachen, die mit dem Aufruf zur Sache beginnt (§ 239 StPO), erscheint aber der Angeklagte ungefesselt. Die Abbildung des Klägers läßt demnach nur den Schluß zu, daß die Aufnahme noch vor Verhandlungsbeginn aufgenommen worden sein muß, eine Verletzung des § 22 MedienG sohin nicht vorliegt. Ob eine derartige Verletzung berechtigte Interessen des Abgebildeten im Sinn des § 78 UrhG verletzt, kann unerörtert bleiben.
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen der Sicherungsantrag abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78 und 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 und 52 Abs 1 ZPO.
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