OGH 4Ob89/72 (4Ob90/72)

OGH4Ob89/72 (4Ob90/72)28.11.1972

SZ 45/129

Normen

Betriebsrätegesetz §9 Abs8
Betriebsrätegesetz §9 Abs8

 

Spruch:

Die Wahlanfechtung wegen Unzulässigkeit der Wahl iS des § 9 Abs 8 Satz 2 BRG unterscheidet sich von den Fällen der Wahlanfechtung wegen Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts (§ 9 Abs 8 Satz 1 BRG), weil sie mit dem Wahlvorgang selbst nichts zu tun hat. Daraus muß abgeleitet werden, daß bei einer Häufung von Verstößen beim Wahlvorgang nicht eine Gesamtwertung dieser Verstöße unter Einbeziehung eines Verstoßes hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahl vorzunehmen ist. Ein solcher Verstoß ist vielmehr für sich zu betrachten, während mehrere Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur anfechtbar wären, bei einer Gesamtbeurteilung das Gewicht einer Nichtigkeit erhalten können. Auf einen Anfechtungstatbestand nach § 9 Abs 8 Satz 2 BRG kann sich der Betriebsinhaber aber nicht stützen, solange nicht die Wahl beim Einigungsamt mit Erfolg angefochten worden ist. Die Entscheidung des Einigungsamtes hat konstitutive Wirkung

OGH 28. 11. 1972, 4 Ob 89, 90/72 (LGZ Wien 44 Cg 77/72; ArbG Wien 4 Cr 506/72)

Text

Die Kläger begehren die Feststellung, daß die von der beklagten Partei am 27. 1. 1972 vorgenommene Kündigung ihres Dienstverhältnisses rechtsunwirksam sei. Sie behaupten, die Dienstnehmer des Broterzeugungsbetriebes der beklagten Partei in Wien 12 hätten am 26. 1. 1972 eine Betriebsversammlung zum Zweck der Wahl eines Wahlvorstandes einberufen. Es sei zu dieser Betriebsversammlung auch die Mehrheit der Beschäftigten, nämlich 11 Personen, erschienen. Diese hätten einstimmig die beiden Kläger zu Mitgliedern des Wahlvorstandes vorgeschlagen. Die beklagte Partei habe, nachdem sie von dieser Betriebsversammlung Kenntnis erlangt habe, die Kläger mit Rücksicht auf ihre Bewerbung sowie ihre Wahl zu Mitgliedern des Wahlvorstandes mit 29. 1. 1972 gekundigt. Eine Zustimmung des Einigungsamtes zur Kündigung sei nicht vorgelegen. Gemäß § 18 Abs 9 BRG seien die Kündigungen daher rechtsunwirksam.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und wendete ein:

Die beklagte Partei betreibe in Wien 4 eine Großbäckerei. Die Betriebsstätte in Wien 12 sei kein selbständiger Betrieb. Die Einberufung der Versammlung vom 26. 1. 1972 sei erst ein bis zwei Tage vor dem Versammlungstermin erfolgt. Die Einberufung sei nicht durch die in der Filiale Wien 7 tätige älteste Dienstnehmerin vorgenommen worden. Die in dieser Filiale tätigen Dienstnehmer hätten keine Kenntnis von der Abhaltung der Versammlung gehabt. In der Filiale Wien 12 seien 18 Arbeiter und 5 Chauffeure tätig. An der Abstimmung hätten aber nur 11 Betriebsangehörige teilgenommen, darunter ein Jugendlicher. Es habe 2 Gegenstimmen durch Stimmenthaltung gegeben. Eine Gegenprobe sei nicht gemacht worden. Der Einspruch des Meisters Günther L sei nicht berücksichtigt worden. Der Vorsitz sei nicht von einem Betriebsangehörigen, sondern von einem Gewerkschaftssekretär geführt worden. Der Dienstgeber sei von der Wahl nicht verständigt worden. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Abhaltung der Betriebsversammlung und den Kündigungen bestehe nicht. Es werde bestritten, daß sich die Kläger um den Posten eines Betriebsrates bzw Vertrauensmannes beworben hätten.

Das Erstgericht erkannte zu Recht, daß die von der beklagten Partei richtig am 28. 1. 1972 vorgenommene Kündigung des Dienstverhältnisses der Kläger rechtsunwirksam sei.

Es traf folgende Feststellungen:

Die beklagte Partei betreibt in Wien 12 einen Broterzeugungsbetrieb, welcher sämtliche Produktionsvorgänge bis zur Fertigstellung des Endproduktes umfaßt. Dieser Betrieb umfaßte zur Zeit der in der Klage geltend gemachten Ereignisse unter Einschluß des Meisters Günther L 18 Personen. Unter diesen befand sich ein jugendlicher Hilfsarbeiter unter 18 Jahren. Bei dem Broterzeugungsbetrieb in Wien 12 handelt es sich um eine Betriebsstätte der beklagten Partei, für welche kein eigener Gewerbeschein besteht. Die Lohnverrechnung für diesen Betrieb erfolgt über den Betrieb in Wien 4, die Löhne werden jedoch im Betrieb in Wien 12 ausbezahlt. Mit dem Verkauf hat dieser Betrieb nichts zu tun. Chauffeure, welche in Wien 4 geführt werden und die dort auch ihren Lohn ausbezahlt erhalten, holen das in Wien 12 erzeugte Brot mit Fahrzeugen, welche in Wien 4 geparkt werden, ab. Abgesehen vom Abholen des Brotes haben sie in Wien 12 keine Tätigkeit zu verrichten. Einige Zeit vor dem 26. 1. 1972 haben sich die Mitglieder des Betriebes Wien 12 an den zuständigen Gewerkschaftssekretär Franz H gewandt, um die Frage zu klären, ob in diesem Betrieb die Voraussetzungen für eine Betriebsrats- oder Vertrauensmännerwahl vorliegen. Der genannte Sekretär, welchem auf Grund einer Unterredung mit dem Gesellschafter der beklagten Partei, Josef Sch, bekannt war, daß dieser der Durchführung einer solchen Wahl ablehnend gegenüberstand, wies darauf hin, daß es im Fall der Durchführung einer solchen Wahl mit Sicherheit Schwierigkeiten geben werde. Zur Vorbereitung der Vertrauensmännerwahl und zur Wahl des Wahlvorstandes wurde für den 26. 1. 1972 eine Betriebsversammlung angesetzt. Es wurde eine Einladung verfaßt, die als Tagesordnung die Vorbereitung der Betriebsratswahl, die Wahl des Wahlvorstandes und Allfälliges vorsah. Diese Einladung enthielt keine Unterschrift. Gleichlautende Einladungen ergingen für denselben Termin und denselben Treffpunkt an die Beschäftigten des Betriebes Wien 4, Pgasse 17 A und 19. Diese Einladungen unterschieden sich lediglich darin, daß im Kopf die Bezeichnung des Betriebes "P-gasse 17 A und 19" enthalten war. Der Kläger Franz J hat die für die Dienstnehmer des Betriebes Wien 12 bestimmten Einladungen den Dienstnehmern zukommen lassen. Er steckte die Einladungen am Montag, dem 24. 1. 1972, in die Spinde der einzelnen Dienstnehmer. Am nächsten Tag brachte Franz L auch noch eine Einladung neben dem Spiegel der Garderobe an. Diese wurde allerdings herabgerissen. Die Verständigung von der Betriebsversammlung ist auch allen Dienstnehmern des Betriebes Wien 12 tatsächlich zur Kenntnis gelangt. Der älteste Dienstnehmer des Betriebes Wien 12, namens B, war damals erst drei Wochen im Betrieb tätig. Der zweitälteste, namens P, lehnte eine Teilnahme an einer Betriebsversammlung und jede Mitwirkung im Wahlvorstand ab. Zur Betriebsversammlung am 26. 1. 1972 erschienen unter Einschluß des Meisters Günther L sowie des jugendlichen Dienstnehmers 12 Personen. Auf Bitten der in diesen Belangen unerfahrenen Dienstnehmer übernahm Sekretär H den Vorsitz. Sodann wurde zur Wahl der Mitglieder des Wahlvorstandes geschritten. Die beiden Kläger, welche sich zur Übernahme dieses Amtes bereit erklärt hatten, wurden von sämtlichen anwesenden Dienstnehmern des Betriebes Wien 12 mit Ausnahme des Meisters L, welcher sich an der Wahl nicht beteiligte, zu Mitgliedern des Wahlvorstandes gewählt, wobei allerdings auch der minderjährige Dienstnehmer mitwählte. Anschließend wurde noch eine Gegenprobe gemacht. Mit Ausnahme der beiden Kläger wurde keine weitere Person in den Wahlvorstand gewählt. Als der Kläger Franz L dem Gesellschafter der beklagten Partei, Josef Sch, am nächsten Tag das Ergebnis der Wahl mitteilen wollte, erhielt er die Auskunft, Herr Sch habe einen Herzinfarkt erlitten. Am übernächsten Tag erhielten er und der Kläger St die Kündigung.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, bei dem Broterzeugungsbetrieb in Wien 12 handle es sich um einen Betrieb iS des § 2 Abs 1 BRG. Es seien die Voraussetzungen für die Wahl von Vertrauensmännern gegeben gewesen. Gegen die Verfahrensvorschriften sei insoweit verstoßen worden, als die Betriebsversammlung nicht vom ältesten Dienstnehmer einberufen worden sei, der jugendliche Dienstnehmer trotz des mangelnden aktiven Wahlrechtes mitgewählt habe und nur 2 Personen in den Wahlvorstand gewählt worden seien. Im Betriebsrätegesetz seien für die Wahl von Vertrauensmännern vereinfachte Bestimmungen enthalten. Die genannten Verstöße seien nicht so schwerwiegend, daß die Wahl der Kläger in den Wahlvorstand als ungültig gewertet werden könnte. Diese könnten daher den Kündigungsschutz des § 18 BRG in Anspruch nehmen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem, traf dieselben Feststellungen wie das Erstgericht und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000.- übersteigt.

Das Berufungsgericht nahm folgende Mängel bei der Wahl des Wahlvorstandes an:

Die Betriebsversammlung sei nicht vom ältesten Dienstnehmer einberufen worden, dieser haben auch nicht den Vorsitz geführt, ein noch nicht 18jähriger Dienstnehmer habe mitgestimmt, es seien lediglich die beiden Kläger zu Mitgliedern des Wahlvorstandes bestellt worden.

All diesen Mängeln komme jedoch nicht das Gewicht einer Nichtigkeit zu.

Die Wahl der beiden Kläger zu Mitgliedern des Wahlvorstandes sei daher nicht als ungültig anzusehen.

Dies habe aber zur Folge, daß gemäß der Bestimmung des § 18 Abs 9 BRG die Schutzbestimmungen des § 18 Abs 1 bis 8 BRG zur Anwendung kämen. Nach § 18 Abs 1 BRG hätte eine Kündigung der Kläger lediglich nach vorheriger Zustimmung des Einigungsamtes erfolgen können. Eine derartige Zustimmung des Einigungsamtes sei nicht erfolgt. Dies habe zur Folge, daß die Kündigung des Dienstverhältnisses der Kläger als rechtsunwirksam anzusehen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die beklagte Partei bekämpft die Annahme der Untergerichte, daß die Betriebsstätte der Beklagten in Wien 12 ein Betrieb iS des § 2 Abs 1 BRG sei. Es hätten daher die Voraussetzungen für die Wahl von Vertrauensmännern nicht bestanden.

Hiezu ist auf § 9 Abs 8 Satz 2 BRG (idF der Novelle BGBl 1971/319) zu verweisen, wonach es nur einen Anfechtungsgrund bildet, wenn die Wahl mangels Vorliegens eines Betriebs iS des § 2 Abs 1 BRG nicht durchzuführen gewesen wäre. Die Wahlanfechtung wegen Unzulässigkeit der Wahl iS des § 9 Abs 8 Satz 2 BRG unterscheidet sich von den Fällen der Wahlanfechtung wegen Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts (§ 9 Abs 8 Satz 1 BRG), weil sie mit dem Wahlvorgang selbst nichts zu tun hat. Daraus muß aber abgeleitet werden, daß bei einer Häufung von Verstößen beim Wahlvorgang nicht eine Gesamtwertung dieser Verstöße unter Einbeziehung eines Verstoßes hinsichtlich der Zulässigkeit der Wahl vorzunehmen ist. Ein solcher Verstoß ist vielmehr für sich zu betrachten, während mehrere Verstöße beim Wahlvorgang, die bei getrennter Beurteilung nur anfechtbar wären, bei einer Gesamtbeurteilung das Gewicht einer Nichtigkeit erhalten können (vgl Strasser in ZAS 1967, 180 f). Hiebei ist jedoch Vorsicht geboten, damit nicht die vom Gesetzgeber mit der Novelle zum Betriebsrätegesetz BGBl 1971/319 verfolgte Absicht, durch eine umfassendere Regelung des Anfechtungsbereichs den Nichtigkeitsbereich möglichst einzuschränken, vereitelt wird (vgl Weißenberg Anm 14 zu § 9 Abs 8 BRG Ausgabe des Österreichischen Gewerkschaftsbundes BRG[10]). Auf einen Anfechtungstatbestand nach § 9 Abs 8 Satz 2 BRG kann sich die Beklagte aber nicht stützen, solange nicht die Wahl beim Einigungsamt mit Erfolg angefochten worden ist. Die Entscheidung des Einigungsamtes hat konstitutive Wirkung, dh, daß erst mit seiner Entscheidung die Wahl ungültig ist (Floretta - Strasser Komm z BRG 143; 428 BlgNR 12, GP). Eine Ungültigerklärung der Wahl wird aber nicht behauptet und wurde auch nicht festgestellt.

Zu den tatsächlich vorgekommenen Verstößen bei der Wahl des Wahlvorstandes ist zu sagen, daß sie auch in ihrer Gesamtheit nicht so gravierend sind, daß deshalb Nichtigkeit der Wahl vorläge. Als Beispiel für eine Nichtigkeit der Wahl führt das Gesetz an (§ 9 Abs 9 BRG), wenn die Wahl in einem Betrieb durchgeführt wurde, in dem nicht dauernd mindestens 5 Dienstnehmer, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, beschäftigt sind. In der Rechtsprechung vor der Novelle BGBl 1971/319 wurde bei Kumulierung folgender Verstöße bei einer Betriebsratswahl eine Nichtwahl angenommen: Es wurde keine Wählerliste erstellt, keine Wahlkundmachung angeschlagen und keine Wahlzeit festgelegt. Die Einberufung der Betriebsversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes war weder vom zuständigen Organ (statt von dem an Lebensjahren ältesten Dienstnehmer des Betriebes von einer Gruppe von Dienstnehmer, die an einer Wahl interessiert waren), noch in der gehörigen Form (durch mündliche, unkontrollierbare Durchsage mit unklarem Wortlaut statt schriftlich durch Anschlag mit gesetzlich bestimmten Inhalt), noch in der vorgeschriebenen Frist (am vorherigen, bzw am Tage des Stattfindens statt 14 Tage vorher) erfolgt. Die Wahl des Wahlvorstandes erfolgte ebenfalls nicht in der vorgeschriebenen Form (auf Grund von mündlichen Vorschlägen in der Versammlung statt auf Grund von schriftlich drei Tage vorher beim Einberufer eingereichten Wahlvorschlägen) (vgl ZAS 1967, aaO).

Im vorliegenden Fall wurde die Betriebsversammlung nicht vom ältesten Dienstnehmer einberufen, ein noch nicht 18jähriger Dienstnehmer stimmte mit, ein Vertreter der zuständigen Gewerkschaft führte den Vorsitz und nicht der älteste Dienstnehmer, in den Wahlvorstand wurden nur zwei statt drei Mitglieder gewählt.

Es kann nun nicht gesagt werden, daß damit die elementarsten Grundsätze einer Wahl von Vertrauensmännern verletzt wurden.

Der älteste Dienstnehmer war erst seit kurzer Zeit im Betrieb tätig (drei Wochen). Er wurde allerdings zu Unrecht übergangen. Die Beteiligung eines noch nicht 18jährigen an der Abstimmung war für deren Ergebnis belanglos. Sekretär H übernahm auf Bitten der unerfahrenen Dienstnehmer den Vorsitz. Das war allerdings unzulässig, weil nach § 3 Abs 3 BRGO der an Lebensjahren älteste stimmberechtigte Dienstnehmer oder der von ihm bestellte stimmberechtigte Vertreter dazu berufen war. Immerhin war aber der Sekretär der Gewerkschaft zur Teilnahme an der Betriebsversammlung berechtigt (§ 7 BRGO). Die Wahl eines nur aus zwei Mitgliedern bestehenden Wahlvorstands war sicherlich eine Verletzung einer wichtigen Bestimmung des Wahlverfahrens, die aber an sich nicht als Nichtigkeit beurteilt werden kann und dieses Gewicht auch nicht in Verbindung mit den schon angeführten Verstößen gegen die Wahlordnung erhalten hat.

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