OGH 4Ob79/14t

OGH4Ob79/14t20.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr.

 Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj S***** B*****, und der mj J***** B*****, wohnhaft bei der Mutter DI A***** B*****, vertreten durch Dr. Walter Müller, Rechtsanwalt in Linz, Vater DI H***** P*****, vertreten durch Mag. Helmut Kunz, Rechtsanwalt in Linz, wegen Obsorge und Regelung des Rechts auf persönliche Kontakte, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 26. Februar 2014, GZ 15 R 78/14t‑75, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00079.14T.0520.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Die Mutter macht in der Zulassungsbeschwerde ihres außerordentlichen Revisionsrekurses gegen die Bestätigung der vom Erstgericht verfügten Zuteilung der gemeinsamen Obsorge an die Eltern (in Abkehr von der bisherigen alleinigen Obsorge der Mutter) und der Regelung des Kontaktrechts des Vaters (sukzessiv steigernd bis zu 14‑tägig Samstag 9:00 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr sowie jeden Mittwoch Nachmittag bis 18:00 Uhr) durch das Rekursgericht die mangelnde Kooperationsfähigkeit zwischen den Eltern, fehlende Kasuistik in der Rechtsprechung zur vorläufigen elterlichen Verantwortung und die mangelnde Berücksichtigung der Wünsche der Kinder geltend. Auch bestehe keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen den einzelnen Kindeswohl‑Kriterien des § 138 ABGB.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist Folgendes entgegen zu halten:

1. Obsorge‑ und Kontaktrechtsentscheidungen sind jeweils solche des Einzelfalls und begründen nur bei Verletzung leitender Rechtsprechungsgrundsätze erhebliche Rechtsfragen (RIS‑Justiz RS0007101; RS0115719 [T12]; RS0097114 [T10]).

2. Die Vorinstanzen haben ihre Entscheidungen sowohl zur Frage der Obsorge als auch zu jener des Kontaktrechts sorgfältig und nachvollziehbar begründet. Insbesondere sind sie ‑ auch gestützt auf Gutachten von Sachverständigen ‑ zu einer positiven Prognose betreffend die für eine gemeinsame Obsorge erforderliche Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern gelangt sowie zur Auffassung, dass mit der getroffenen Regelung auch den Wünschen der Kinder ausreichend Rechnung getragen wird.

Wenn die Revisionsrekurswerberin zu diesen Themen fehlende Kasuistik der Rechtsprechung konstatiert, ist ihr entgegen zu halten, dass eben diese Kasuistik der Einzelfallbeurteilung unterliegt. Diese wurde hier zumindest vertretbar vorgenommen.

3. Auch die Frage, ob es dem Wohl des Kindes entspricht, die in § 180 Abs 1 Z 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 (ua für den Fall, dass ein Elternteil gegen den Willen des anderen die Beteiligung an der Obsorge anstrebt) vorgesehene Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung anzuordnen, ist eine solche des Einzelfalls, welche Beurteilung in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG begründet (5 Ob 43/13d).

Hier haben die Vorinstanzen das Erfordernis einer derartigen „Testphase“ mit der (bereits erwähnten) positiven Zukunftsprognose vertretbar verneint.

4. Zu der von der Revisionsrekurswerberin vermissten oberstgerichtlichen Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen den einzelnen Kindeswohl‑Kriterien des § 138 ABGB ist auf die Materialien zum KindNamRÄG 2013 zu verweisen, wonach die einzelnen in § 138 ABGB angeführten Kriterien in jedem Einzelfall gesondert zu gewichten und zu berücksichtigen seien. Es könne und solle keine festgelegte „Rangordnung“ der Kriterien geben und es handle sich um keine abschließende Definition des Kindeswohls, sondern um eine demonstrative Aufzählung wesentlicher Kriterien zur Schärfung dieses unbestimmten Gesetzesbegriffs (ErläutRV 2004 der Beilagen XXIV. GP 16 ff).

5. Die ‑ dem Ziel des KindNamRÄG 2013, die gemeinsame Obsorge der Eltern zu fördern, entsprechende - Entscheidung des Rekursgerichts ist insgesamt vertretbar, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen ist.

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