Spruch:
Eine noch vor dem Beginn des Arbeitsverhältnisses begangene strafbare Handlung kann die Entlassung des Arbeitnehmers wegen Vertrauensunwürdigkeit rechtfertigen, wenn dies im Einzelfall aus wichtigen Gründen - etwa wegen der besonderen Vertrauensstellung des betreffenden Arbeitnehmers - geboten ist, auch wenn der Arbeitgeber bei der Einstellung des Arbeitnehmers nicht nach allfälligen Vorstrafen oder anhängigen Strafverfahren gefragt hat
OGH 26. 4. 1983, 4 Ob 76/82 (LGZ Linz 12 Cg 29/81; ArbG Linz 1 Cr 180/81) = ZAS 1984, 188 (Müller)
Text
Der Kläger begehrt von der Beklagten 41 497.07 S samt Nebengebühren als Kündigungsentschädigung und restliches Urlaubsgeld mit der Begründung, die Beklagte habe ihn am 8. 4. 1981 ungerechtfertigt entlassen.
Die Beklage beantragt, das Klagebegehren abzuweisen, und wendet ein, die Entlassung sei mit Recht erfolgt. Die Beklagte habe am 7. 4. 1981 durch eine Zeitungsmeldung erfahren, daß der Kläger wegen schweren Diebstahls bei seinem früheren Dienstgeber verurteilt worden sei. Er sei für die Verwaltung des Firmenlagers mit einem Wert von etwa 1 Million S angestellt worden. Bei Kenntnis des anhängigen Strafverfahrens wäre eine Einstellung nie vorgenommen worden. Der Kläger habe der Beklagten erklärt, er bewerbe sich nur deshalb um den Posten, weil sein Versuch, sich im Handel selbständig zu machen, gescheitert sei. Im Hinblick auf die Diebstähle des Klägers bei seinem früheren Dienstgeber sei seine Weiterbeschäftigung für die Beklagte unzumutbar geworden. Das Klagebegehren sei auch überhöht, die richtige Klagesumme betrage 40
705.31 S.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab; es stellte folgenden Sachverhalt fest: Der Kläger war bei der Beklagten vom 16. 2. 1981 bis 8. 4. 1981 als Angestellter mit einem monatlichen Bruttogehalt von 12 000 S, 14 mal jährlich, beschäftigt. Der Kläger war der einzige Angestellte im Lager der Beklagten; außer ihm arbeitete dort nur noch eine Arbeiterin. Die Aufgaben des Klägers bestanden einerseits in der Vorführung von Verpackungsmaschinen sowie andererseits in der Warenübernahme und Warenausgabe im Lager. Anläßlich der Einstellung wurde der Kläger von der Beklagten nicht befragt, ob er vorbestraft sei. Der Kläger machte auch von sich aus der Beklagten darüber keine Mitteilung. Als die Beklagte in einer Tageszeitung am 7. 4. 1981 von der strafgerichtlichen Verurteilung des Klägers erfuhr, sprach sie am darauffolgenden Tag die fristlose Entlassung aus. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 6. 4. 1981 wurde der Kläger wegen Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3, § 128 Abs. 1 ]Z. 4 StGB zu einer Geldstrafe von 360 Tagsätzen a 90 S, im Nichteinbringungsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen, verurteilt, weil er seit dem Frühjahr 1978 bis November 1980 in Traun in mehreren Angriffen unter Ausnützung seiner Stellung als Leiter der Eingangskontrolle zum Nachteil seines damaligen Arbeitgebers, der Firma A in Traun, etwa 35 kg vergoldeter Brillenteile und sechs Stück Sonnenbrillen im Gesamtwert von annähernd 100 000 S mit dem Vorsatz weggenommen hatte, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Die verhängte Strafe wurde dem Kläger für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß durch die Verurteilung des Klägers im Hinblick auf seine Vertrauensstellung bei der Beklagten deren Vertrauen so erschüttert worden sei, daß dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses während der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden könne.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG von neuem und traf dieselben Feststellungen wie das Erstgericht. Es vertrat die Auffassung, die Position, die der Kläger als Alleinverantwortlicher für das Warenlager der Beklagten innegehabt habe, sei vergleichbar mit seinem früheren Arbeitsplatz als Leiter der Eingangskontrolle, den er zu den Dienstgeberdiebstählen ausgenützt habe. Damit erscheine vom Standpunkt des Dienstgebers die Befürchtung einer Interessengefährdung objektiv gerechtfertigt, wenn er den Dienstnehmer weiter in dieser Vertrauensstellung beschäftigte. Die sich über einen so langen Zeitraum erstreckenden kriminellen Handlungen des Klägers mit einem Schadensaufwand von fast 100 000 S seien als so schwerwiegend anzusehen, daß der Dienstgeber, hätte er von diesen Verfehlungen vor Abschluß des Arbeitsvertrages gewußt, kaum dem Dienstnehmer sofort die alleinige Verantwortung für ein wertvolles Warenlager übertragen hätte. In diesem Fall sei durch das erst nachträgliche Bekanntwerden der Verurteilung beziehungsweise der strafbaren Handlungen das Vertrauen des Dienstgebers so sehr erschüttert worden, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar sei. Die Bedenken des Klägers, daß die Möglichkeit der Entlassung wegen vor dem Beginn des Dienstverhältnisses begangener strafbarer Handlungen quasi einem Berufsverbot für Vorbestrafte gleichkomme und eine im Strafgesetzbuch nicht vorgesehene Zusatzstrafe schaffe, seien übertrieben, da eine Verurteilung eben nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen einen Entlassungsgrund bilde. Wenn auch nicht zu bestreiten sei, daß damit dem Straffälligen zunächst gewisse Vertrauensstellungen verschlossen seien, könne keineswegs gesagt werden, daß die Wiedereingliederung in das Berufsleben, etwa in einem Tätigkeitsbereich mit entsprechender Überwachungsmöglichkeit durch den Dienstgeber, unmöglich gemacht werde. Jedenfalls müsse aber der Dienstgeber bei der Besetzung bestimmter Posten die Möglichkeit haben, über das Beschäftigungsrisiko selbst zu disponieren.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist zwar richtig, daß nach der Rechtsprechung ein Dienstverhältnis, das bereits in den Erfüllungszustand getreten ist, nicht rückwirkend angefochten werden kann, sondern etwa ein bei Vertragsabschluß unterlaufener Irrtum nur einen Auflösungsgrund bilden kann (SZ 41/144). Auch wird in Lehre und Rechtsprechung der Standpunkt vertreten, daß das die Vertrauensunwürdigkeit bedingende Verhalten sich grundsätzlich während der Dauer des Dienstverhältnisses ereignet haben muß und Vorstrafen wegen früher begangener strafbarer Handlungen in der Regel keinen den in § 27 AngG beispielsweise aufgezählten Entlassungsgrunden gleichwertigen "wichtigen Grund" zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses bilden, auch wenn sie dem Arbeitgeber erst während des Arbeitsverhältnisses bekannt werden (Arb. 7074, 4569; 4 Ob 147/81; Martinek - Schwarz, AngG[3] 474; Kuderna, Entlassungsrecht 89). Allerdings sind auch hier immer die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (Arb. 4076; Martinek - Schwarz aaO). Es ist daher denkbar, daß im Zusammenhang mit der seinerzeitigen strafbaren Handlung und dem nunmehrigen Arbeitsbereich im Einzelfall dennoch so wichtige Gründe vorliegen, daß sie eine Entlassung des Angestellten rechtfertigen. Das ist hier der Fall.
Der Kläger wurde während des nunmehrigen Dienstverhältnisses wegen Vergehens des schweren Diebstahls an seinem vorherigen Arbeitgeber rechtskräftig verurteilt, wobei der Wert des zwischen Frühjahr 1978 und November 1980 gestohlenen Gutes annähernd 100 000 S betrug. Bei diesen Delikten handelte es sich nicht um eine vereinzelte einmalige Verfehlung, sondern um durch zweieinhalb Jahre hindurch fortgesetzte Diebstähle unter Ausnützung der Vertrauensstellung als Leiter der Eingangskontrolle. Eine ähnliche Vertrauensstellung nahm aber der Kläger bei der Beklagten als einziger Angestellter in deren Lager ein, wo er nicht nur mit der Vorführung von Verpackungsmaschinen, sondern vor allem mit der Warenübernahme und Warenausgabe betraut war. Die strafbaren Handlungen des Klägers richteten sich daher gegen jene Rechtsgüter, die ihm auch bei der Beklagten hauptsächlich anvertraut waren. Damit erscheint er aber auch für die bei der Beklagten innegehabte berufliche Position, bei welcher er als einziger Angestellter praktisch das Warenlager zu verwalten hatte, ungeeignet. Es kann nicht übersehen werden, daß die letzten Diebstähle des Klägers nur etwa zweieinhalb Monate vor Antritt der Stellung bei der Beklagten stattgefunden hatten, weshalb auch nicht gesagt werden kann, der Kläger habe durch sein seit der Tat gezeigtes Wohlverhalten zu erkennen gegeben, daß mit derartigen Delikten künftig nicht mehr gerechnet werden müsse.
Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, daß die Beklagte es unterlassen hatte, den Kläger über allfällige Vorstrafen oder anhängige Strafverfahren vor Abschluß des Dienstvertrages zu befragen. Grundsätzlich ist der Dienstnehmer nicht verpflichtet, derartige Fragen zu beantworten (vgl. dazu Kuderna aaO; Petrovic,
Die Vertrauenswürdigkeit als Entlassungsgrund nach § 27 Abs. 1 letzter Satz AngG, ZAS 1983, 49, insbesondere 58 f.; 4 Ob 147/81). Ob im vorliegenden Fall wegen der Art der begangenen Delikte im Zusammenhang mit der angestrebten Position eine solche Verpflichtung dennoch bestanden hätte (so Petrovic aaO), braucht nicht geprüft zu werden. Dem Dienstgeber kann nämlich die Unterlassung diesbezüglicher Fragen dann nicht zum Nachteil gereichen, wenn keinerlei Verdachtsmomente in dieser Richtung bestanden. In solchen Fällen würde eine genaue Befragung - welche sich naturgemäß nicht nur auf bereits erfolgte Vorstrafen und anhängige Strafverfahren, sondern allgemein auf begangene, wenn auch bisher noch nicht verfolgte derartige Delikte erstrecken müßte - das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer von vornherein schwer belasten. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob der Kläger der Beklagten über den Grund seiner Bewerbung unrichtige Angaben gemacht hat.
Alle Ausführungen der Revision über die Beachtlichkeit eines Irrtums gehen daran vorbei, daß der Entlassungsgrund hier im Verlust der Vertrauenswürdigkeit, bedingt durch die strafgerichtliche Verurteilung, besteht und darüber zu erkennen war, ob der Kläger auf Grund seiner Delikte im Zusammenhang mit seiner nunmehrigen Tätigkeit objektiv vertrauensunwürdig geworden ist. Soweit der Kläger schließlich den Gedanken der Resozialisierung ins Treffen führt, übersieht er, daß seine strafgerichtliche Verurteilung nicht jeder Tätigkeit, sondern nur der in einer Vertrauensstellung wie hier als Lagerverwalter im Wege steht.
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