OGH 4Ob74/19i

OGH4Ob74/19i28.5.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Ploil Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1) Y***** LLC, *****, und 2) G***** GmbH, *****, beide vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 40.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien vom 31. Jänner 2019, GZ 4 R 119/18a‑60, mit dem das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 4. Juni 2018, GZ 11 Cg 65/14t‑56, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00074.19I.0528.000

 

Spruch:

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden – im Anschluss an das Vorabentscheidungsersuchen zu C‑682/18 – folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

I. Ist Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG dahin auszulegen, dass der Betreiber einer Online‑Videoplattform als Host‑Service‑Provider dadurch eine aktive Rolle übernimmt, die zu einem Verlust des Haftungsprivilegs führt, dass er zusätzlich zur Zurverfügungstellung von Speicherplätzen für fremde Inhalte folgende Begleittätigkeiten erbringt oder dem Nutzer anbietet:

‑ Vorschlagen von Videos nach Themenbereichen;

‑ Erleichterung der Suche für Besucher nach Titel- oder Inhaltsangaben durch ein elektronisches Inhaltsverzeichnis, wobei der Nutzer die Titel- oder Inhaltsangaben vorgeben kann;

‑ Zurverfügungstellung von Online‑Hinweisen über die Nutzung des Dienstes („Hilfe“);

‑ bei Zustimmung des Nutzers Verbinden des vom Nutzer hochgeladenen Videos mit Werbung (allerdings keine Eigenwerbung des Plattformbetreibers) nach Wahl der Zielgruppe durch den Nutzer?

II. Steht eine nationale Rechtslage, nach der die Unterlassungspflicht eines Host‑Service‑Providers (Vermittlers) in einer aktiven Rolle als Gehilfe für die Rechtsverletzungen seiner Nutzer nur unter der Voraussetzung besteht, dass der Gehilfe die Rechtsverletzung des Nutzers bewusst gefördert hat, mit Art 11 Satz 1 der Richtlinie 2004/48/EG im Einklang, oder ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten Unterlassungsansprüche der Rechteinhaber gegen Gehilfen nicht von einer bewussten Förderung der Rechtsverletzung durch den Nutzer abhängig machen dürfen?

III. Sind die Regelungen in Art 12 bis 14 der Richtlinie 2000/31/EG über die Verantwortlichkeit der Vermittler als horizontale Haftungsbeschränkungen zu beurteilen, die jedem Vermittler in einer neutralen Rolle auch dann zugute kommen, wenn seine Tätigkeit urheberrechtlich als selbst begangene öffentliche Wiedergabe zu qualifizieren ist?

IV. Sind Art 14 Abs 3 (auch Art 12 Abs 3 und Art 13 Abs 2) der Richtlinie 2000/31/EG , Art 8 Abs 3 der Richtlinie 2001/29/EG und Art 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48/EG dahin auszulegen, dass einem Host-Service-Provider (Vermittler) in einer neutralen Rolle das Haftungsprivileg nach Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG auch bei einem gegen ihn erhobenen Unterlassungsanspruch zur Verfügung steht und ist daher auch eine gerichtliche Unterlassungsanordnung gegenüber einem solchen Vermittler nur dann zulässig, wenn er tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat, oder ist eine solche gerichtliche Unterlassungsanordnung schon dann zulässig, wenn der Host-Service-Provider nach einer konkreten Abmahnung die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte nicht unverzüglich entfernt oder sperrt und sich im gerichtlichen Verfahren die Rechtsverletzung bestätigt?

B. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

 

Begründung:

Vorbemerkungen:

Dem Obersten Gerichtshof ist das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs zu C‑682/18 (BGH I ZR 140/15) bekannt. Im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof stellen sich teilweise dieselben Fragen wie im erwähnten Parallelverfahren vor dem Bundesgerichtshof. Dennoch ist es zur Entscheidung des vor den österreichischen Gerichten anhängigen Verfahrens aus Sicht des Obersten Gerichtshofs geboten, ergänzende Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu stellen. Dadurch wird den Parteien des österreichischen Verfahrens zudem Gelegenheit gegeben, sich am Verfahren vor dem EuGH zu beteiligen.

Zwischen der Klägerin und der Zweitbeklagten wurde Ruhen des Verfahrens vereinbart. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird derzeit nur zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten geführt.

Rechtsvorschriften:

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art 14 der Richtlinie 2000/31/EG über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr), des Art 8 Abs 3 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und des Art 11 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.

Die zwischenzeitlich beschlossene, aber noch nicht im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG (PE‑Cons 51/1/19 REV 1 vom 17. 4. 2019) schafft mit Art 17 (siehe vor allem Abs 3) eine neue Rechtslage, die auf den Anlassfall nicht anwendbar ist.

§ 18a des österreichischen Urheberrechtsgesetzes lautet:

Zurverfügungstellungsrecht

(1) Der Urheber hat das ausschließliche Recht, das Werk der Öffentlichkeit drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise zur Verfügung zu stellen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.

(2) … .“

 

§ 81 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes lautet:

Unterlassungsanspruch

(1) Wer in einem auf dieses Gesetz gegründeten Ausschließungsrecht verletzt worden ist oder eine solche Verletzung zu besorgen hat, kann auf Unterlassung klagen. Der Inhaber eines Unternehmens kann hierauf auch dann geklagt werden, wenn eine solche Verletzung im Betrieb seines Unternehmens von einem Bediensteten oder Beauftragten begangen worden ist oder droht; § 81 Abs 1a gilt sinngemäß.

(1a) Bedient sich derjenige, der eine solche Verletzung begangen hat oder von dem eine solche Verletzung droht, hiezu der Dienste eines Vermittlers, so kann auch dieser auf Unterlassung nach Abs 1 geklagt werden. Wenn bei diesem die Voraussetzungen für einen Ausschluss der Verantwortlichkeit nach den §§ 13 bis 17 ECG [des Gesetzes über den elektronischen Geschäftsverkehr] vorliegen, kann er jedoch erst nach Abmahnung geklagt werden.“

 

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine Rundfunkveranstalterin und Betreiberin eines österreichischen Fernsehsenders.

Die Erstbeklagte betreibt unter der Domain www.youtube.com eine Online‑Videoplattform, auf der von Nutzern der Plattform hochgeladene Videos bereitgehalten werden, die von den Besuchern der Plattform abgespielt werden können. Die Erstbeklagte betreibt ihren Dienst als Host‑Service‑Provider; sie ist eine Dienstanbieterin, deren Dienstleistungen in der Speicherung von durch einen Nutzer eingegebenen fremden Inhalten besteht. Bei der Nutzung der Videoplattform der Erstbeklagten ist es möglich, dass Nutzer Videos hochladen, an denen diesen keine Urheber- oder Verwertungsrechte zustehen. Derzeit sind mehrere hundert Millionen Videos über die Videoplattform der Erstbeklagten abrufbar. Eine elektronische Erkennung von Inhalten von hochgeladenen Videos findet grundsätzlich nicht statt; eine ex ante‑Überprüfung auf Urheberrechtsverletzungen erfolgt grundsätzlich nicht.

Für den Fall der Zustimmung durch den hochladenden Nutzer werden die hochgeladenen Videos mit Werbung versehen; diesen Vorgang bezeichnet die Erstbeklagte als „monetarisieren“. Dabei entscheidet der hochladende Nutzer, ob Werbung im Zusammenhang mit dem von ihm hochgeladenen Video aufscheinen soll; zu diesem Zweck schließt der Nutzer eine Vereinbarung mit einem Konzernunternehmen der Beklagten, das Werbevermarktungsleistungen für die Nutzer erbringt. Aufgrund dieser Vereinbarung liefert das Konzernunternehmen die vom Nutzer in Auftrag gegebene Werbung; der gesamte Vorgang erfolgt rein technisch und automatisch. Will der Nutzer von ihm hochgeladene Videos monetarisieren, so muss er bestätigen, die Copyright-Lernmaterialien gelesen zu haben und über die Urheber- oder Nutzungsrechte an den Videos zu verfügen. Der Nutzer kann auswählen, welche Anzeigenformate er mit seinen Videos verbinden will und welche Zielgruppen erreicht werden sollen; die konkrete Anzeige wird in vollautomatisierter Weise vom Konzernunternehmen der Erstbeklagten ausgewählt.

Außer dem Monetarisieren bietet die Erstbeklagte dem Nutzer folgende Begleittätigkeiten an: Ruft man die österreichische Startseite der Erstbeklagten auf, so werden nach Themenkomplexen geordnete Videos vorgeschlagen. Die hochladenden Nutzer haben die Möglichkeit, die Videos mit Titel- und Inhaltsangaben zu versehen; nach diesen Angaben wird ein elektronisches Inhaltsverzeichnis erstellt, das für die Besucher der Videoplattform ein erleichtertes Auffinden von Videos ermöglicht. Die Erstbeklagte bietet auch eine Suchfunktion an. Außerdem bietet sie diverse Hilfestellungen an, mit denen den Nutzern erklärt wird, wie sie die Dienste der Erstbeklagten in Anspruch nehmen können.

Die Erstbeklagte wird lediglich für die Zuverfügungstellung ihrer Videoplattform und damit nur für die Erbringung ihrer Dienste als Host‑Service‑Provider vergütet; sie handelt ausschließlich über Aufforderung ihrer Nutzer, die bestätigen müssen, über die erforderlichen Urheber‑ bzw Nutzungsrechte zu verfügen. Die Erstbeklagte verfügt über einen automatisierten Review‑Prozess, der aufgrund einer ausreichend substanziierten „Take-Down-Notice“ unverzüglich zu einer Sperre der reklamierten Videos führt. Kommt in einem solchen Verfahren eine Rechtsverletzung zutage, so blockiert die Erstbeklagte die betroffenen Inhalte oder sperrt das gesamte Konto des betroffenen Nutzers.

Im Anlassfall hat die Erstbeklagte die von der Klägerin beanstandeten Videos nach Kenntniserlangung von deren Urheberrechten durch Abmahnung jeweils unverzüglich entfernt.

Bisheriges Verfahren:

Mit ihrer Unterlassungsklage begehrte die Klägerin, der (Erst-)Beklagten – gestützt auf § 18a Abs 1 des Urheberrechtsgesetzes – zu verbieten, unter der Domain www.youtube.com Videos zur Verfügung zu stellen, die von der Klägerin hergestellte Filmwerke oder Laufbilder oder Teile davon enthalten und von dazu nicht berechtigten Personen auf die von der Erstbeklagten unter www.youtube.com betriebene Videoplattform hochgeladen wurden. Dazu erhob sie ein Eventualbegehren, das das Unterlassungsgebot an die Bedingung knüpft, dass mit den Videos Werbeleistungen, insbesondere Werbespots, verbunden werden. Zudem erhob die Klägerin ein Urteilsveröffentlichungsbegehren.

Die Klägerin brachte vor, dass ihr an den beanstandeten Videos die Urheberrechte als Eigenproduzentin, als Auftragsproduzentin oder als Rundfunkunternehmerin zustünden. Sie habe weder der Erstbeklagten noch den die Videos hochladenden Nutzern Verwertungsrechte an den Sendungen eingeräumt. Die Erstbeklagte nehme durch das öffentliche Zurverfügungstellen der Videos eine öffentliche Wiedergabe im Sinn von Art 3 Abs 1 der Richtlinie 2001/29/EG vor. Ihre Tätigkeit als Plattformbetreiberin, die eine zentrale Rolle bei den von den Nutzern begangenen Urheberrechtsverletzungen spiele und diese technisch ermögliche, sei mit jener eines Linksetzers gleichzusetzen. Für die Ausübung einer zentralen Rolle genüge die allgemeine Kenntnis der Verletzungsgeneigtheit des eigenen Handelns, weshalb die Voraussetzungen für eine öffentliche Wiedergabe gegeben seien. Außerdem habe die Erstbeklagte ihre neutrale Rolle als Vermittlerin verlassen und eine aktive Rolle übernommen, die ihr Kenntnis von den rechtswidrigen Inhalten oder eine Kontrolle über diese verschaffen konnte. Hosting‑Plattformen wie jene der Erstbeklagten gingen weit über die Stellung eines Host‑Service‑Providers hinaus. Dies müsse umso mehr für das Geschäftsmodell der Erstbeklagten gelten, weil sie die Videos mit Werbung verknüpfe. Die Erstbeklagte sei daher nicht als privilegierter Host‑Service‑Provider, sondern als Content‑Provider zu qualifizieren.

Die (Erst‑)Beklagte entgegnete, dass sie keine öffentliche Wiedergabe im Sinn des Art 3 Abs 1 der Richtlinie 2001/29/EG vornehme. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei dafür vorausgesetzt, dass der Plattformbetreiber in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens, also vorsätzlich tätig werde, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen. Die Rechtsverletzungen begehe der Nutzer, nicht aber der Plattformbetreiber. Die Erstbeklagte sei auch nicht als Gehilfin zu qualifizieren, weil dafür vorausgesetzt sei, dass der unmittelbare Täter bewusst gefördert werde. Für den Anlassfall sei allerdings entscheidend, dass der Erstbeklagten das Haftungsprivileg als Host‑Service‑Provider zugute komme. Das Haftungsprivileg gelte auch für das Urheberrecht und damit selbst für den Fall, dass die Tätigkeit des Plattformbetreibers als öffentliche Wiedergabe zu qualifizieren sei. Die Erstbeklagte erbringe einen klassischen Host‑Provider‑Dienst und nehme keine aktive Rolle wahr. Sie sei für die Rechtsverletzungen durch die Nutzer der Videoplattform daher nur dann verantwortlich, wenn sie nach hinreichend substanziierter Abmahnung trotz tatsächlicher Kenntnis von rechtswidrigen Inhalten den Zugang zu solchen Videos nicht unverzüglich sperre oder entferne. Diese Verpflichtungen habe die Erstbeklagte im Rahmen ihres Notice‑Take‑Down‑Verfahrens erfüllt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Haftungsprivileg des Host‑Service‑Providers falle weg, wenn der Vermittler seine neutrale Position verlasse und eine aktive Rolle übernehme. Insbesondere durch das Erstellen von Inhaltsverzeichnissen und von Videovorschlägen mache die Erstbeklagte den Upload für Nutzer interessant. Damit sei die Erstbeklagte als Gehilfin der Urheberrechtsverletzungen der Nutzer anzusehen, ohne dass sie sich auf das Haftungsprivileg berufen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Erstbeklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sei nicht zu erkennen, inwiefern die Erstbeklagte über das typische Verhalten eines privilegierten Host-Service-Providers hinausgehe. Die Erstbeklagte habe sich daher zu Recht auf das Haftungsprivileg als Vermittler berufen. Die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zum Haftungsprivileg für den Betreiber einer Videoplattform fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Erstbeklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Der Oberste Gerichtshof hat beschlossen, das Revisionsverfahren auszusetzen und dem EuGH für die Entscheidung der Rechtssache wesentliche unionsrechtliche Fragen vorzulegen.

Begründung der Vorlagefragen:

Rechtliche Beurteilung

Zu Frage I. (Aktive Rolle eines Host‑Service‑Providers):

1.1  Die Art 12 bis 14 der Richtlinie 2000/31/EG normieren Haftungsbefreiungen für Access‑Provider, die fremde Inhalte lediglich technisch übermitteln, sowie Haftungsbeschränkungen für Host‑Service‑Provider, die Speicherplätze für fremde Inhalte zur Verfügung stellen. Die hier erstbeklagte Betreiberin der Online-Video-Plattform ist als Host‑Service‑Provider zu qualifizieren.

Ein Host‑Service‑Provider soll für die fremden Inhalte nur eingeschränkt verantwortlich sein. Die Rechtfertigung für diese Beschränkung der Haftung liegt darin, dass die Betreiber solche Dienste auf die fremden Inhalte der Nutzer in der Regel keinen Einfluss nehmen. Eine Kontrolle auf die Rechtswidrigkeit dieser Inhalte findet nicht statt; sie wäre aufgrund der Fülle der Informationen auch nicht zumutbar ( Brenn , ECG 271).

1.2  Das maßgebende Kriterium für die neutrale Rolle eines Providers besteht somit darin, dass er fremde Inhalte übermittelt und/oder speichert. Diese Qualifikation bedeutet, dass der Provider die fremden Informationen weder auswählt noch verändert.

1.3  Nach der Rechtsprechung des EuGH verliert ein Host‑Service‑Provider sein Haftungsprivileg dann, wenn er in Bezug auf konkret rechtsverletzende Inhalte seine neutrale Tätigkeit aufgibt und eine aktive Rolle übernimmt, die ihm einen Einfluss auf den Inhalt (nach der Diktion des EuGH: Kenntnis vom Inhalt) oder eine redaktionelle Kontrolle über den Inhalt verschafft (vgl EuGH C-236/08 bis 238/08, Google France , Rn 120; C-324/09 , L´Oréal , Rn 113).

1.4  Elektronische Hilfsmittel bzw Hilfs‑ tätigkeiten, die auf den Inhalt der fremden Informationen keinen Einfluss nehmen, können nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht zu einer aktiven Rolle des Host-Service-Providers führen. Dies gilt für das Vorschlagen von Videos nach Themenbereichen ebenso wie für die Erleichterung der Suche nach Titel- oder Inhaltsangaben durch ein elektronisches Inhaltsverzeichnis und für Hinweise über die Nutzung des Online-Dienstes. Auch der Umstand, dass die Erstbeklagte die von den Nutzern hochgeladenen Videos – über Auftrag und nach Auswahl des Nutzers – mit Werbung verbindet, nimmt keinen Einfluss auf den Inhalt der rechtsverletzenden fremden Inhalte und verschafft dem Provider von den rechtsverletzenden Informationen auch keine Kenntnis. Zudem handelt es sich bei der Werbung nicht etwa um Eigenwerbung der Erstbeklagten; das Monetarisieren erfolgt im Interesse des Nutzers, zumal die Erstbeklagte nur das Entgelt für ihre Hosting-Dienste und damit kein gesondertes Entgelt für das Monetarisieren erhält.

1.5  Im gegebenen Zusammenhang stellt sich damit die Frage, ob die von der Erstbeklagten im Anlassfall erbrachten Begleittätigkeiten zu ihrer Dienstleistung als Host‑Service‑Provider, insbesondere die Möglichkeit, dass der Nutzer die von ihm hochgeladenen Videos mit einer Werbung verbindet, zu einer aktiven Rolle der Erstbeklagten als Host‑Service‑Provider führt.

Zu Frage II. (Haftung als Gehilfe für fremde Rechtsverletzungen):

2.1  Wenn die Erstbeklagte mit ihrer Tätigkeit eine aktive Rolle im Zusammenhang mit der Verletzung von Urheberrechten der Klägerin durch die Nutzer ihrer Plattform einnimmt, so kommt ihre Haftung als Gehilfe (Anstifter oder Beitragstäter) für die fremden Rechtsverletzungen der Nutzer in Betracht. In diesem Fall ist der Host-Provider als „Verletzer“ (in der Form als Gehilfe) im Sinn von Art 11 Satz 1 (und Art 13) der Richtlinie 2004/48/EG anzusehen.

2.2  Nach österreichischem Recht, konkret nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, unterscheidet sich die Haftung als Gehilfe von jener als unmittelbarer Täter. Voraussetzung für die Haftung von Gehilfen ist nämlich, dass der Gehilfe (als Dritter) die Rechtsverletzung des unmittelbaren Täters durch sein Verhalten bewusst gefördert oder überhaupt erst ermöglicht hat. Die Rechtsverletzung muss demnach dem Gehilfen bewusst sein, wobei der Vorsatz das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit einschließen muss.

2.3  Im Anlassfall stellt sich vor allem im Zusammenhang mit einer im Anlassfall erhobenen Unterlassungsklage – und damit im Zusammenhang mit Art 8 Abs 3 der Richtlinie 2001/29/EG und Art 11 Satz 1 der Richtlinie 2004/48/EG – die Frage, ob es den Mitgliedstaaten bloß freisteht, Unterlassungsansprüche auch gegen unbewusst handelnde Gehilfen vorzusehen, oder ob die Mitgliedstaaten derartige Unterlassungsansprüche vorsehen müssen.

Zu Frage III. (Öffentliche Wiedergabe und Haftungsprivileg):

3.1  In Bezug auf die strafrechtliche und zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Provider (Vermittler) geht die Richtlinie 2000/31/EG von folgender Systematik aus:

Nach Art 15 Abs 1 der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten daran gehindert, eine allgemeine Überwachungspflicht der Access-Provider und der Host-Service-Provider für die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen vorzusehen. Die Mitgliedstaaten dürfen die Provider auch nicht dazu verpflichten, von sich aus Umstände über eine allenfalls rechtswidrige Tätigkeit von Nutzern, die ihre Dienste in Anspruch nehmen, zu ermitteln. Sie sind nicht verpflichtet, aktive Überwachungsmaßnahmen zu treffen und ihre Server nach rechtswidrigen Inhalten zu durchsuchen.

Gleichzeitig werden in den Art 12 bis 14 der Richtlinie 2000/31/EG Haftungsbefreiungen bzw Haftungsbeschränkungen für die Vermittler normiert. Diese Bestimmungen regeln nicht die materielle Haftung oder Verantwortlichkeit der Vermittler, sondern setzen eine solche – auf der Grundlage der jeweils anwendbaren materiell‑rechtlichen Rechtsvorschriften – voraus. Die Beschränkungen der Verantwortlichkeit (Haftungsbeschränkungen) sind weit zu verstehen und umfassen sowohl die schadenersatzrechtliche Haftung eines Providers als auch dessen strafrechtliche oder verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung.

Bei den Haftungsbeschränkungen handelt es sich demnach um horizontale Regelungen (Querschnittsmaterie), die für alle Rechtsbereiche gelten. Ist also etwa eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Frage im Zusammenhang mit der Haftung eines Vermittlers zu beurteilen, so muss zunächst die Vorfrage geprüft werden, ob eine Verantwortlichkeit im Sinn der Bestimmungen der Richtlinie 2000/31/EG überhaupt in Betracht kommt. Erst wenn diese horizontale Prüfung zu einem bejahenden Ergebnis führt, stellt sich als nächste Frage, ob die Verantwortlichkeit auch nach den jeweils anwendbaren materiellen Rechtsvorschriften gegeben ist ( Brenn , ECG 264).

3.2  Der Charakter des Haftungsprivilegs als horizontale Regelung hat nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs zur Folge, dass dieses dem Vermittler (in einer neutralen Rolle) unabhängig davon zur Verfügung steht, ob die ihm vorgeworfene Rechtsverletzung als eigene Rechtsverletzung oder als Beitrag zu einer fremden Rechtsverletzung zu qualifizieren ist. Dies bedeutet, dass dem Provider das Haftungsprivileg auch dann zugute kommen muss, wenn seine Tätigkeit eine eigene (selbst begangene) öffentliche Wiedergabe im Sinn des Art 3 Abs 1 der Richtlinie 2001/29/EG ist.

3.3  Im gegebenen Zusammenhang stellt sich damit die Frage, ob das Haftungsprivileg (hier nach Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG ) auch dann vorrangig zu prüfen ist, wenn die Tätigkeit des Host‑Service‑Providers (hier einer Videoplattform) als öffentliche Wiedergabe zu qualifizieren ist.

Zu Frage IV. (Unterlassungsanspruch und Haftungsprivileg):

4.1  Nach Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG (§ 16 des Gesetzes über den elektronischen Geschäftsverkehr) ist der Host‑Service‑Provider für fremde Informationen nicht verantwortlich, wenn er keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat. Für Schadenersatzansprüche ist er nicht verantwortlich, wenn ihm keine Umstände bewusst sind, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird. Die subjektive Komponente (Kenntnis bzw Bewusstsein) bezieht sich zum einen auf die Existenz der rechtswidrigen Informationen. Tatsächliche Kenntnis erfordert positives Wissen; bewusste Umstände erfordern einen begründeten Verdacht, wobei grob fahrlässige Unkenntnis genügt. Zum anderen muss sich die subjektive Komponente auch auf die Rechtswidrigkeit beziehen. Die Rechtswidrigkeit muss dem Host‑Service‑Provider bewusst sein. Dafür ist vorausgesetzt, dass die Rechtswidrigkeit für einen Laien ohne weitere Nachforschungen offenkundig ist und er überzeugt ist, dass der Inhalt verboten ist. Sind die subjektiven Voraussetzungen gegeben, so muss der Host‑Service‑Provider unverzüglich tätig werden, um die rechtswidrigen Informationen zu löschen oder den Zugang zu ihnen zu sperren.

4.2  Die Art 12 bis 14 der Richtlinie 2000/31/EG lassen allerdings die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Behörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Vermittler verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern. Damit soll es den Gerichten weiterhin unbenommen bleiben, auf der Grundlage eines entsprechenden Unterlassungsbegehrens einem Vermittler eine Unterlassungsanordnung wegen einer rechtswidrigen Tätigkeit oder Information zu erteilen oder sie zur Entfernung rechtswidriger Informationen oder zur Sperre des Zugangs zu diesen Informationen zu verhalten, sofern die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch vorliegen.

Nach den Gesetzesmaterialien zum österreichischen Gesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr bezieht sich das Haftungsprivileg nach den Art 12 bis 14 der Richtlinie 2000/31/EG nur auf die strafrechtliche oder verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit sowie auf die schadenersatzrechtliche Verantwortlichkeit der Vermittler. Für gerichtliche Unterlassungsanordnungen steht das Haftungsprivileg allerdings nicht zur Verfügung. Demnach kommt es bei einer Unterlassungsanordnung nicht darauf an, ob der Vermittler von der von ihm vermittelten rechtswidrigen Tätigkeit oder Information tatsächlich Kenntnis hat oder nicht (RV 817 BlgNR XXI. GP  40; Brenn , ECG 305). Maßgebend ist allein, ob sich im gerichtlichen Verfahren die dem Vermittler vorgeworfene Rechtsverletzung objektiv bewahrheitet. Durch die Ausnahmebestimmungen in Art 12 Abs 3, Art 13 Abs 2 und Art 14 Abs 3 der Richtlinie 2000/31/EG sollte der Gleichklang zu Art 5 Abs 1 lit a und Art 8 Abs 3 der Richtlinie 2001/29/EG hergestellt werden ( Brenn , ECG 306).

4.3  Für urheberrechtliche Unterlassungsansprüche gilt nach § 81 Abs 1a des österreichischen Urheberrechtsgesetzes folgende Besonderheit: Richtet sich der Unterlassungsanspruch gegen einen Vermittler im Sinn der Richtlinie 2000/31/EG und liegen die Voraussetzungen für das Haftungsprivileg vor, so kann der Vermittler erst nach einer konkreten Abmahnung geklagt werden.

4.4  Zum Haftungsprivileg nach Art 14 Abs 1 der Richtlinie 2000/31/EG geht auch der Bundesgerichtshof in seinem Vorabentscheidungsersuchen davon aus, dass sich die tatsächliche Kenntnis (bzw das Bewusstsein bei Schadenersatzansprüchen) des Host‑Service‑Providers auf die konkret (aktuell) rechtswidrige Tätigkeit oder Information beziehen muss, die er bei Kenntnis entfernen oder sperren muss, und dass es nicht genügt, dass dem Host‑Service‑Provider allgemein bekannt oder bewusst ist, dass seine Dienste für irgendwelche rechtswidrigen Tätigkeiten genutzt werden. Der Bundesgerichtshof vertritt allerdings die Ansicht, dass sich das Haftungsprivileg auch auf Unterlassungsansprüche bezieht und der Betreiber einer Internetplattform, der keine tatsächliche Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information hat, auch nicht auf Unterlassung hafte (BGH I ZR 140/15 Rn 51).

4.5  Im gegebenen Zusammenhang stellt sich damit die Frage, ob das Haftungsprivileg für Vermittler nach der Richtlinie 2000/31/EG auch für Unterlassungsansprüche (gerichtliche Unterlassungsanordnungen) besteht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die in § 81 Abs 1a des österreichischen Urheberrechtsgesetzes für eine Unterlassungsklage vorgesehene Abmahnung nicht zwingend mit tatsächlicher Kenntnis von der rechtswidrigen Tätigkeit oder Information gleichzusetzen ist, weil die Ansicht vertreten werden könnte, dass die Verschaffung tatsächlicher Kenntnis erst mit Prüfung des beanstandeten Inhalts durch den Host‑Provider (nach erfolgter Abmahnung) erfolgt. Bei dieser Sichtweise wäre die Unterlassungspflicht trotz Abmahnung zu verneinen, wenn das Haftungsprivileg anwendbar wäre.

Der Wortlaut des Art 14 Abs 3 der Richtlinie, der ident wie die Ausnahmen in Art 12 Abs 3 und Art 13 Abs 2 der Richtlinie formuliert ist, spricht nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs für eine komplette Ausnahme gerichtlicher Unterlassungsanordnungen vom Regime der Haftungsbefreiung nach Art 14 Abs 1. Im Einklang damit sind die Unterlassungsanordnungen gegen Vermittler in Art 8 Abs 3 der Richtlinie 2001/29/EG und in Art 11 Satz 3 der Richtlinie 2004/48/EG gesondert geregelt.

Aussetzung des Verfahrens:

Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.

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