Normen
GewO 1994 §82
Invalideneinstellungsgesetz §1 Abs1
Invalideneinstellungsgesetz §2 Abs1
Invalideneinstellungsgesetz §8 Abs2
Kriegsopferversorgungsgesetz §7
Kriegsopferversorgungsgesetz §12
Kriegsopferversorgungsgesetz §108
GewO 1994 §82
Invalideneinstellungsgesetz §1 Abs1
Invalideneinstellungsgesetz §2 Abs1
Invalideneinstellungsgesetz §8 Abs2
Kriegsopferversorgungsgesetz §7
Kriegsopferversorgungsgesetz §12
Kriegsopferversorgungsgesetz §108
Spruch:
Über die Pflichtzahl hinaus angestellte Invalide unterliegen gleichwohl den Schutzbestimmungen des Invalideneinstellungsgesetzes.
Entscheidung vom 12. Juli 1951, 4 Ob 70/51.
I. Instanz: Arbeitsgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Der Kläger, der zu den nach § 2 Abs. 1 des Invalideneinstellungsgesetzes vom 25. Juli 1946, BGBl. Nr. 163, begünstigten Personen zählt, trat als Nachtwächter in die Dienste der beklagten Partei. Im Zuge einer Verminderung des Personalstandes wurde der Kläger für eine anderweitige Verwendung freigestellt. Es wurde ihm eine Verwendung als Werkzeugausgeber und als Badewärter geboten. Beide Verwendungen hat der Kläger unter Hinweis auf seinen Gesundheitszustand abgelehnt. Daraufhin wurde er mit Schreiben der beklagten Partei vom 21. Dezember 1949 wegen Arbeitsverweigerung nach § 82 GewO. entlassen.
Das Erstgericht stellte fest, daß der Kläger nicht in der Lage sei, die Arbeiten eines Werkzeugausgebers oder eines Badewärters zu versehen, daß er daher die Übernahme dieser Arbeiten mit Recht verweigert hatte und die von der beklagten Partei ausgesprochene Entlassung unbegrundet war. Trotzdem wies es das auf Zahlung von 4500 S (Lohn für fünf Monate) gerichtete Klagebegehren in der Erwägung ab, daß die Kündigungsschutzbestimmungen des § 8 Abs. 2 des Invalideneinstellungsgesetzes nicht zur Anwendung kommen, wenn, wie im vorliegenden Falle, die Zahl der beschäftigten Invaliden über die Pflichtzahl hinausgehe.
Das Berufungsgericht änderte auf die Berufung des Klägers das Ersturteil im Sinne des Klagebegehrens ab. Es schloß sich den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes, nicht aber seiner rechtlichen Beurteilung an. Aus der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Invalideneinstellungsgesetz, wonach alle Dienstgeber verpflichtet seien, auf 15 Dienstnehmer mindestens einen Invaliden und auf je 20 weitere Dienstnehmer mindestens einen weiteren Invaliden zu beschäftigen, ergebe sich allein schon, daß auch diejenigen Invaliden, die über die Mindestzahl (Pflichtzahl) hinaus beschäftigt werden, begünstigt und im Sinne dieses Gesetzes beschäftigt seien. Wäre dies nicht der Fall, hätte das Wort "mindestens" überhaupt keinen Sinn. Dasselbe ergebe sich aus § 8 Abs. 2, wo von Dienstgebern im Sinne des § 1 Abs. 1 die Rede ist. Es werde an dieser Stelle gesagt, daß eine Kündigung von Dienstgebern, die Invalide zu beschäftigen verpflichtet sind, erst dann ausgesprochen werden dürfe, wenn der Invalidenausschuß beim Landesarbeitsamt zugestimmt hat. Die vom Arbeitsgericht vertretene Auffassung stehe aber auch mit dem Zweck des Gesetzes im Widerspruch, der darin liege, Invaliden, als welche Personen gelten, auf die die Voraussetzungen des § 2 zutreffen und die infolge ihrer Beschädigung gegenüber gesunden Arbeitnehmern benachteiligt sind, Erwerbsmöglichkeiten zu verschaffen und zu sichern. Dieser Zweck könnte vereitelt werden, wenn die Auffassung des Arbeitsgerichtes richtig wäre, weil bei Einstellung einiger Invalider über die Pflichtzahl hinaus kein eingestellter Invalider mehr sicher wäre, ob er noch zu den begünstigten Personen zählt oder ob er frei gekundigt werden kann. Es würde auf diese Weise dem Arbeitgeber die Auswahl derjenigen Invaliden ausschließlich überlassen, deren Arbeitsverhältnis er beendigen will. Diese Auffassung könnte sogar zu einer Umgehung des Gesetzes mißbraucht werden. Der Dienstgeber, der etwa einen bestimmten Invaliden kundigen will, dessen Kündigung der Invalidenausschuß aber nicht zustimmt, könnte seine Absicht dann etwa dadurch erreichen, daß er einige oder auch nur einen einzigen Invaliden über die Pflichtzahl aufnimmt und dann den ihm mißliebigen Invaliden ohne das beschränkende Verfahren des § 8 Abs. 2 kundigt. Diese mögliche Konsequenz allein beweise mit voller Klarheit, daß der Wille des Gesetzgebers in sein Gegenteil verkehrt würde.
Von dieser Rechtsansicht ausgehend, fand das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers für begrundet, da einerseits seine Entlassung nicht gerechtfertigt war und anderseits die Vorschrift des § 8 Abs. 2 nicht eingehalten wurde.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Invalideneinstellungsgesetz entsprang nicht staatsfinanziellen Erwägungen, sondern wurde aus sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Gründen geschaffen. Es verfolgt in erster Reihe den Zweck, die Invaliden, und ihnen voran die Kriegsinvaliden, wieder in das Erwerbsleben einzugliedern und ihnen eine Sicherheit des Arbeitsplatzes zu gewährleisten. Einsparungen in der Rentenbefürsorgung waren hiedurch nicht beabsichtigt. Auch das erst nach dem Inkrafttreten des Invalideneinstellungsgesetzes erlassene Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG.) vom 14. Juli 1949, BGBl. Nr. 197, gewährt dem Beschädigten grundsätzlich neben seinem Einkommen eine Beschädigtenrente, wenn und solange seine Erwerbsfähigkeit infolge einer Dienstbeschädigung um mindestens 30% vermindert ist (§ 7). Die Rente ruht allerdings für die Dauer der durch die wirtschaftlichen Nachkriegsverhältnisse bedingten Beengtheit der Bundesfinanzen insolange, als der Beschädigte ein fortlaufendes monatliches Einkommen von mehr als 1500 S hat (§ 108). Lediglich die Zusatzrente des Schwerbeschädigten ist von der Höhe seines Verdienstes abhängig (§ 12).
Bei richtiger Erkennung des Zweckes des Invalideneinstellungsgesetzes müssen somit die Ausführungen der Revision völlig versagen.
Für den Standpunkt der Revision läßt sich aber auch aus dem Gesetz selbst nichts gewinnen.
Der im § 1 Abs. 1 und 2 festgelegte Umfang der Beschäftigungspflicht stellt, wie sich aus dem Worte "mindestens" ergibt, eine Mindestverpflichtung dar; sie bildet die untere Grenze der Beschäftigungspflicht, die nicht unterschritten werden darf. Daraus ist zu folgern, daß Dienstgeber, die begünstigte Personen über das gesetzlich festgesetzte Mindestausmaß hinausgehend eingestellt haben, in Erfüllung der ihnen auferlegten Beschäftigungspflicht gehandelt haben und daß die über die untere Grenze der Beschäftigungspflicht beschäftigten Invaliden im Sinne des Invalideneinstellungsgesetzes beschäftigt sind und den qualifizierten Schutz dieses Gesetzes genießen (vgl. Schöberle, Invalideneinstellungsgesetz, Erl. zu § 1 und ferner Punkt 8 des Erl. des BM. für soz. Verw. vom 15. Juni 1948, Zl. 74.590/III/8/48, verlautbart unter Nr. 100 der Amtlichen Nachrichten des BM. für soz. Verw. vom Jahre 1948).
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