OGH 4Ob66/78

OGH4Ob66/783.10.1978

SZ 51/132

Normen

ABGB §879 Abs1
ZPO §577
ABGB §879 Abs1
ZPO §577

 

Spruch:

Eine Vereinbarung, durch die eine arbeitsgerichtliche Streitigkeit vor ein nur durch Dienstgeber oder deren Interessenvertreter zu besetzendes Schiedsgericht - hier: "Kammer der gewerblichen Wirtschaft als Schiedsgericht" - gebracht werden soll, ist gemäß § 879 Abs. 1 ABGB ungültig

OGH 3. Oktober 1978, 4 Ob 66/78 (LGZ Wien 44 R 87/78; ArbG Wien 8 Cr 180/77)

Text

Der Kläger begehrte die Zahlung "eines Betrages von 83 830 S brutto, abzüglich 19 825.61 S netto" sowie die Feststellung, daß sein Dienstverhältnis zur Beklagten weiterhin aufrecht sei. Er behauptet, daß er ab 1. Juli 1976 als Angestellter bei der beklagten Partei beschäftigt und trotz einer vereinbarten Vertragsdauer von 5 Jahren am 15. Juli 1977 ohne Grund fristlos entlassen worden sei.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und erhob vor allem die Einwendung der sachlichen Unzuständigkeit des Arbeitsgerichtes Wien mit der Begründung, daß nach Punkt 6 des bestehenden Dienstvertrages für Meinungsverschiedenheiten zwischen den Streitteilen die Kammer der gewerblichen Wirtschaft als Schiedsgericht bestimmt worden sei; diese sei mit der Rechtssache nicht befaßt worden. Im übrigen sei der Kläger zu Recht entlassen, und es sei bis zum Entlassungstag ordnungsgemäß abgerechnet worden.

Das Erstgericht wies die Klage "mangels Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes Wien" zurück. Es stellte fest:

Der Kläger war von 1947 bis 30. Juni 1976 als Lebensmittelhändler und dann als Alleineigentümer eines Delikatessenerzeugungs- und Lohnabpackbetriebes Mitglied der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft. Mit 30. Juni 1977 verkaufte er seinen Betrieb an die beklagte Partei, die ihn gleichzeitig als Angestellten in diesem Betrieb übernahm. Punkt 6 des zwischen den Streitteilen geschlossenen Dienstvertrages lautet: "Für alle nicht speziell umschriebenen Dienstvertragspunkte gelten die einschlägigen gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen. Bei Meinungsverschiedenheiten wird die Kammer der gewerblichen Wirtschaft in Wien als Schiedsgericht bestimmt."

Rechtlich war das Erstgericht der Auffassung, die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes der Kammer der gewerblichen Wirtschaft in Wien sein zwischen den Streitteilen gültig vereinbart worden. Da dem Kläger als langjährigem Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft habe bekannt sein müssen, daß sich ein Schiedsgericht der Kammer der gewerblichen Wirtschaft aus Innungsmitgliedern zusammensetzt, könne er sich nicht darauf berufen, daß er dies nicht gewußt habe.

Auf Rekurs der klagenden Partei hob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem Einleitung des gesetzlichen Verfahrens auf. Es verwies darauf, daß sich das Schiedsrichterkollegium der ständigen Schiedsgerichte der Kammer der gewerblichen Wirtschaft nach § 1 der Schiedsgerichtsordnung aus Mitgliedern der Sektionsleitungen der Kammer und aus Kammermitgliedern zusammensetze und daß die Kammer der gewerblichen Wirtschaft nach § 1 HKG berufen sei, die gemeinsamen Interessen aller physischen und juristischen Personen, die sich aus dem selbständigen Betrieb von Unternehmungen des Gewerbes und der Industrie ergeben, zu regeln, so daß die Objektivität dieses Schiedsgerichtes nicht gegeben sei. Dem Kläger sei die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes nicht bekannt gewesen und die Schiedsvereinbarung sei daher auch deswegen ungültig, weil sich das Schiedsgericht nur aus Mitgliedern einer Interessengruppe zusammensetzen könne. Es sei auch die sachliche Zuständigkeit des Schiedsgerichtes nicht gegeben, weil es nur "in Angelegenheiten der Wirtschaft" zu entscheiden habe. Daraus folge, daß für die erhobenen Ansprüche die sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes Wien gegeben sei und das Erstgericht darüber das gesetzliche Verfahren durchzuführen habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da mit dem angefochtenen Beschluß der Beschluß des Erstgerichtes zwar formell"behoben", inhaltlich aber über die Frage der Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes vom Rekursgericht in einem der Auffassung des Erstgerichtes entgegengesetzten, nämlich im bejahenden, Sinn entschieden wurde und daher eine Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses vorliegt, gilt für dessen Anfechtung die Rechtsmittelbeschränkung des § 527 Abs. 2 ZPO nicht, so daß er auch ohne Rechtskraftvorbehalt anfechtbar ist (Fasching IV, 441; MietSlg. 21 824 u. a.).

Der Revisionsrekurs ist daher zulässig; er ist aber nicht berechtigt. Unabhängig davon, ob die Vereinbarung der "Kammer der gewerblichen Wirtschaft als Schiedsgericht" - ohne nähere Bezeichnung, ob damit die Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien oder jene für Niederösterreich und welche Personen damit gemeint sind - als genügend bestimmt angesehen werden und ob die Zulässigkeit einer Schiedsgerichtsvereinbarung für in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallende Angelegenheiten an sich bejaht werden kann (s. dazu Matscher in JBl. 1975, 414 f.), wurde diese Vereinbarung im vorliegenden Fall vom Rekursgericht mit Recht als ungültig angesehen.

Es gehört nämlich u. a. zum selbständigen Wirkungsbereich der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, die Aufgaben zu besorgen, die im gemeinsamen Wirtschaftsinteresse der in ihr zusammengefaßten Unternehmungen begrundet sind, und die arbeitsrechtlichen Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen und zu vertreten (§ 4 Abs. 1 lit. a und b HKG BGBl. 182/1946). Mit Recht macht daher der Kläger geltend, daß wegen der Betrauung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft mit der Wahrnehmung und Vertretung der arbeitsrechtlichen Interessen (nur) ihrer Mitglieder bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch ein nur von Mitgliedern und (oder) Funktionären der Kammer der gewerblichen Wirtschaft besetztes Schiedsgericht die erforderliche Objektivität nicht gewährleistet erscheint. Die Möglichkeit, eine arbeitsgerichtliche Streitigkeit durch Vereinbarung vor ein nur durch Dienstgeber oder Interessenvertreter der Dienstgeber zu besetzendes Schiedsgericht zu bringen, widerspräche dem im Arbeitsgerichtsgesetz deutlich zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken zur Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer. Eine darauf hinzielende Vereinbarung ist daher gemäß § 879 ABGB ungültig. Das Rekursgericht hat somit die Zuständigkeit des Erstgerichtes zutreffend bejaht.

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