OGH 4Ob63/95

OGH4Ob63/9511.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf E*****, vertreten durch Dr.Siegfried Kommar und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei K***** GesellschaftmbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Christian Ebert und Dr.Thomas Huber, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Urteilsveröffentlichung und Entschädigung (Streitwert im Provisorialverfahren S 400.000), infolge Revisionsrekurses der Beklagten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 11.Mai 1995, GZ 3 R 55/95-10, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 27.Jänner 1995, GZ 35 Cg 486/94y-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die "Ergänzung zum außerordentlichen Revisionsrekurs" wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 32.171,40 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 5.361,90 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Besitzer eines Lokals in W*****. Die Beklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung "Neue Kronenzeitung".

In der Ausgabe der Neuen Kronenzeitung vom 10.11.1994 erschien nachstehender Artikel:

"Freigänger dirigierte mit dem Mobiltelefon Millionengeschäfte

Wiener zog in Rio de Janeiro einen Drogenring auf: 5 Verhaftungen!

Ein Wiener Drogenring, der von Rio Suchtgift im Wert von vier Millionen nach Österreich schmuggelte, wurde von den Schwechater Drogenfahndern gesprengt. Ein Freigänger aus der Strafanstalt Simmering dirigierte die dunklen Geschäfte von Wien aus mit einem weltweiten Mobiltelefon. Fünf Personen wurden bisher verhaftet.

Wie berichtet, wurde der 46jährige Millionenbetrüger Fritz S***** im Sheraton-Hotel in Rio de Jeneiro verhaftet. Er war bereits im Februar in Kolumbien beim Einkauf von einem Kilo Kokain mit dem Wiener Feuerwehrmann Karl S***** (42) festgenommen worden. Während S***** schon kurze Zeit später wieder entlassen wurde, sitzt Karl S***** immer noch.

Sein Bruder Manfred S***** (38) wurde von Oberst R***** und seinen Fahndern B***** und K***** in Schwechat verhaftet, als er drei Personen, die aus Rio kamen, abholen wollte. Manfred S***** war 1992 mit S***** nach einem Millionenbetrug nach Rio geflüchtet. Am 21. Oktober 1993 stellt er sich. Er verbüßt zur Zeit seine dreijährige Haft als Freigänger und kam nur zum Schlafen ins Gefängnis. Während des Tages dirigierte er mit einem Mobiltelefon weiterhin seine Millionengeschäfte. Der Kopf der Drogenbande, der 47jährige Lokalbesitzer Rudolf E***** aus W*****, wurde in seiner Bar verhaftet. Bei einem weiteren Mittäter, Gerhard Z., wurden 600 Gramm Kokain gefunden."

Der Artikel war (ua) mit einem Foto des Klägers illustriert.

Der Kläger war am 5.11.1994 von der Kiminalpolizei in seinem Lokal festgenommen worden. Nach der Verhaftung hatte das Polizeikommissariat Schwechat, Kriminalabteilung für den Flughafenbereich, eine APA-Presseaussendung veranlaßt, die auszugsweise wie folgt lautete:

"Durch umfangreiche Ermittlungen konnte schließlich der gesamte Drogenring ausgehoben werden. Als Kopf der Bande konnte Rudolf E*****, Besitzer des Lokals 'R***** Kaffeebar' in W*****, ausgeforscht und verhaftet werden. Er zog zusammen mit Fritz S*****, und Manfred S*****, diesen Kokainring auf.

Insgesamt wurden 1.600 Gramm Kokain sichergestellt.

Rudolf E*****, selbst Kokainkonsument und bekannt als Kreditgeber in der Unterwelt, und Manfred S***** wurden in das Landesgericht Wien eingeliefert. Gegen S***** wurde von der Interpol Wien ein Auslieferungsantrag gestellt.

Rudolf E***** wird sich für mehr als 2 kg Kokain verantworten müssen. Obwohl er beharrlich zu den Vorwürfen schweigt, liegen genügend Beweise für eine Verurteilung vor.

Um Hinweise wird gebeten (70166/572)."

Nach Erhalt der Aussendung hatte der für die Beklagte tätige Journalist Erich S***** mit dem Polizeikommissariat Schwechat Kontakt aufgenommen. Inspektor P***** hatte ihm die - in der Folge veröffentlichten - Fotos zur Verfügung gestellt und um ihre Veröffentlichung ersucht.

Der Kläger begehrt zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, die Veröffentlichung von Lichtbildern des Klägers ohne dessen Einwilligung zu unterlassen, wenn im Begleittext behauptet wird, dieser sei der "Kopf der Drogenbande", oder wenn Behauptungen ähnlichen Inhalts aufgestellt werden.

Die Veröffentlichung des Lichtbildes des Klägers habe dessen berechtigte Interessen verletzt. Der Begleittext sei tatsachenwidrig und ehrenrührig. Das Bildnis des Klägers habe keinen so hohen Nachrichtenwert, daß das Informationsinteresse überwiegen könnte. Das Interesse des Klägers am Schutz vor Herabsetzung seines Ansehens in der Öffentlichkeit sei stärker.

Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen.

Die Veröffentlichung sei aufgrund eines amtlichen Ersuchens erfolgt. Bei Fahndungen sei es unerläßlich, auch das Bild des Verdächtigen zu bringen. Drogenhändler und die "Köpfe" von Suchtgiftringen träten oft unter falschem Namen auf. Der Begleittext sei wahr; der Kläger sei derzeit in Haft.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab.

Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse daran, nicht im Zusammenhang mit Vorwürfen abgebildet zu werden, "Kopf" einer Drogenbande zu sein. Seinem Interesse stehe jedoch ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ein Verbreitungsinteresse der Beklagten gegenüber. Diese Interessen seien stärker als die des Klägers. Im Bereich der Drogenkriminalität würden häufig Deck-, Spitz- oder sonstige falsche Namen verwendet, so daß es für die Verbrechensbekämpfung unerläßlich sei, Fotos der Verdächtigen zu veröffentlichen. Die Bildnisveröffentlichung habe daher einen eigenen Nachrichtenwert. Auch wenn kein offizielles Fahndungsersuchen vorliege, rechtfertige die hier vorliegende amtliche Veranlassung, ähnlich wie nach § 7 a MedG, die Bildnisveröffentlichung durch die Beklagte.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es die einstweilige Verfügung erließ. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S nicht übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Die Beklagte habe keine konkreten Umstände bescheinigt, welche die Bildnisveröffentlichung rechtfertigten. Das Ersuchen der Sicherheitsbehörde reiche hiefür nicht aus. Die Auskunftspersonen hätten nicht darzulegen vermocht, daß die Veröffentlichung zur besseren Aufklärung einer Straftat, zur Ausforschung eines flüchtigen Verdächtigen oder zur Wahrung von einer gefährlichen Person notwendig gewesen wäre. Die Identität des Klägers sei festgestellt; er befinde sich in Untersuchungshaft. Seine berechtigten Interessen am Unterbleiben der Veröffentlichung seien stärker als das Informationsinteresse der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt; die "Ergänzung zum außerordentlichen Revisionsrekurs" war zurückzuweisen, weil damit gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstoßen wurde (s Gitschthaler in Rechberger, ZPO §§ 84, 85 Rz 12).

Die Beklagte vertritt die Auffassung, sie habe das Veröffentlichungsinteresse ausreichend konkretisiert. Die Veröffentlichung habe Warnfunktion, wenn im Zusammenhang mit einem Suchtgiftring sicherheitsbehördlich ermittelt und die Veröffentlichung des Lichtbildes polizeilich veranlaßt werde. Die amtliche Veranlassung genüge; den Journalisten oder Verleger treffe keine Pflicht, das Ersuchen auf seine Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Das zeige § 7 a Abs 3 Z 2 MedG.

Die Interessen des Abgebildeten am Unterbleiben der Veröffentlichung und das Verbreitungsinteresse desjenigen, der das Bildnis veröffentlicht hat, sind nach ständiger Rechtsprechung gegeneinander abzuwägen (MR 1990, 224 - Falsche Ärztin; MR 1991, 202 - Betriebsratskaiser; MR 1993, 59 - Zielwerbung; MR 1993, 61 = ÖBl 1993, 39 - Austria-Boß ua). Der Eingriff muß verhältnismäßig sein; auch das echte Informationsbedürfnis darf nicht weiter berücksichtigt werden, als unbedingt notwendig ist. Das Interesse an der Verbreitung kann nur dann überwiegen, wenn die Veröffentlichung des Bildes einen Nachrichtenwert hat. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Veröffentlichung dazu dient, vor dem Abgebildeten zu warnen oder im Zusammenhang mit ihm angelasteten Straftaten Informationen zu erlangen und zwar insbesondere dann, wenn die Sicherheitsbehörden um die Veröffentlichung eines Fotos ersuchen. Insoweit kann der Schutz nach § 78 UrhG nicht weiter reichen als der nach § 7 a MedG. Nach dieser Bestimmung besteht (ua) bei Preisgabe der Identität des einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtigen kein Entschädigungsanspruch, wenn die Veröffentlichung der Angaben zur Person amtlich veranlaßt war, insbesondere für Zwecke der Strafrechtspflege oder der Sicherheitspolizei. Eine ähnliche Wertung liegt auch § 41 UrhG zugrunde. Der Benutzung eines Werkes für (ua) Zwecke der Strafrechtspflege und der öffentlichen Sicherheit steht das Urheberrecht nicht entgegen. Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung muß auch der Bildnisschutz nach § 78 UrhG dann entfallen, wenn die Veröffentlichung im Interesse der Strafrechtspflege und der öffentlichen Sicherheit amtlich veranlaßt wird. Andernfalls wäre der Zweck des § 7 a Abs 3 Z 2 MedG, Bedürfnisse der Fahndung und der Gefahrenabwehr im Rahmen der allgemeinen Sicherheitspolizei abzudecken (s Forregger/Litzka, MedienG3, 65), nicht zu erreichen.

Das Bildnis des Klägers wurde auf Ersuchen der Sicherheitsbehörde veröffentlicht; der Begleittext hielt sich im Rahmen der von der Sicherheitsbehörde veranlaßten Presseaussendung. Mit dem Hinweis, daß der Kläger der "Kopf der Drogenbande" sei, hat die Beklagte die Äußerung der Sicherheitsbehörde wahrheitsgemäß wiedergegeben. Berücksichtigt man die Gefahren und die negativen Auswirkungen der Drogenkriminalität für die gesamte Gesellschaft, so muß ein überwiegendes Intersse der Öffentlichkeit an der Kenntnis dieser Äußerung bejaht werden (vgl § 7 b Abs 2 Z 5 MedG).

Das Ersuchen um Bildnisveröffentlichung wurde gestellt, weil der Kläger im Verdacht steht, mit Drogen zu handeln. Auch wenn sein richtiger Name bekannt ist, kann die Veröffentlichung seines Bildnisses weitere Hinweise bringen, ist es doch wahrscheinlich, daß er in den an Drogen interessierten Kreisen nicht jedem unter seinem (vollen) Namen bekannt ist. In einem Fall wie dem vorliegenden überweist daher das Informationsinteresse das Interesse des Abgebildeten am Unterbleiben der Veröffentlichung, soll es doch den Sicherheitsbehörden möglich sein, die Zeitungen zur Mithilfe bei der Ausforschung von Verdächtigen und bei der Aufdeckung von Straftaten zu gewinnen.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 402, 78 EO iVm §§ 41, 50, 52 Abs 1 ZPO.

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