OGH 4Ob610/69

OGH4Ob610/6920.1.1970

SZ 43/12

Normen

ABGB §1112
ABGB §1112

 

Spruch:

Auch ein bloßer Räumungsauftrag der Baubehörde - ohne Auftrag zur Demolierung - kann unter Umständen den rechtlichen Untergang der Bestandsache i S des § 1112 ABGB bewirken

OGH 20. Jänner 1970, 4 Ob 610/69 (LGZ Graz 3 R 226/69; BGZ Graz 6 C 37/69)

Text

Die Beklagten waren Eigentümer des Hauses in Graz, F-Gasse 5. Sie verkauften diese Liegenschaft mit Vertrag vom 29. November 1968 an Ing. Alfred P, dessen Eigentumsrecht am 3. März 1969 grundbücherlich einverleibt wurde.

Mit der am 6. Februar 1969, also noch vor der grundbücherlichen Einverleibung des Eigentumsrechtes an dieser Liegenschaft für den Liegenschaftskäufer eingebrachten Klage begehrt der Kläger, die Beklagten schuldig zu erkennen, jede weitere Veränderung des von ihm gemieteten Geschäftsraumes und des hofseitig gelegenen Magazinraumes zu unterlassen, diese Räume in den früheren Zustand zu versetzen, und zwar die im Geschäftslokal gelegene nordöstliche Trennmauer wieder aufzustellen sowie die nordöstlich gelegene Trennmauer des Magazins und die Türe zu diesem wieder aufzustellen bzw wieder einzusetzen, und ihm den vollen Genuß seiner Mietrechte zu gewähren. Zur Begründung seines Begehrens führt er an, er habe diese Räume bisher als Mieter benützt. Die Beklagten hätten als Hauseigentümer den baubehördlichen Bescheid des Grazer Stadtsenates vom 28. April 1967 erwirkt, der den Beklagten eine vorläufige Räumung des gesamten Hauses, nicht aber dessen Demolierung aufgetragen habe. Das von ihm gemietete Geschäftslokal sei vom Einsturz des Hauses nicht betroffen. Seine Mietrechte seien daher nicht erloschen. Inzwischen sei die nordöstliche Trennmauer des Geschäftslokals herausgerissen und die Trennmauer im Magazin sowie dessen Tür entfernt worden.

Die Beklagten beantragen, das Begehren abzuweisen, und wenden Unmöglichkeit der Leistung ein, weil ihnen infolge des Verkaufs der Liegenschaft kein Verfügungsrecht über diese zustehe. Außerdem aber sei das Bestandverhältnis mit dem Kläger mit der Rechtskraft des genannten verwaltungsbehördlichen Räumungsbescheides bereits untergegangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, Ing Alfred P habe das Gebäude am Tag des Abschlusses des Kaufvertrages (29. November 1968) im geräumten Zustand in Besitz genommen und unter Aufwendung eines Betrages von 2.400.000 S von Grund auf erneuert. An der Stelle, an der sich das Lokal des Klägers befunden habe, sei nunmehr die Fassade und das Stiegenhaus. Mit dem rechtskräftigen Bescheid des Magistrates Graz- Baurechtsamt vom 28. April 1967 sei die Einsturzgefährdung des als Zugang zu sämtlichen Wohnungen dienenden Stiegenhauses ausgesprochen worden und den damaligen Eigentümern, den Beklagten, aufgetragen worden, das Haus von sämtlichen Personen und Sachen innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Bescheides zu räumen. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Berufungen einzelner Hausparteien sei keine Folge gegeben worden. Mit der Vollstreckungsverfügung vom 10. November 1967 habe die Verwaltungsbehörde die zwangsweise Räumung des Gebäudes angeordnet, die am 24. Oktober 1967 durchgeführt worden sei. Die Liegenschaft sei damals vor jeglichem Wiederbezug gesichert worden. Die von den Beklagten erhobene Einwendung der Unmöglichkeit der Leistung sei begrundet, da ihnen seit dem 29. November 1968 keine Verfügungsberechtigung an der von ihnen verkauften Liegenschaft mehr zukomme. Im übrigen habe der Bescheid vom 28. April 1967 die einzelnen Bestandobjekte dauernd ihrem Zweck entzogen und daher eine Auflösung der Bestandverträge im Sinn des § 1112 ABGB bewirkt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Auf Grund der Einsichtnahme in die Akten des Baurechtsamtes stellte es folgenden Wortlaut des Bescheides vom 28. April 1967 fest: "1. Das Haus F-Gasse 5 ist von sämtlichen Personen und Sachen zu räumen. 2. Die Wohnräume sind durch Herausreißen der Fußböden unbrauchbar zu machen. 3. Die Fenster in den Obergeschoßen sind geschlossen zu halten, die ebenerdigen Lokale sind mit einem Bretterverschlag gegen Betreten Unbefugter abzusichern und das Haustor ist versperrt zu halten. 4. Die bestehenden Pölzungen sind zu belassen und weiterhin auf ihre Bestandsicherheit zu prüfen. 5. Im übrigen sind die Versorgungsanschlüsse im Einvernehmen mit den Leitungsinhabern aufzulassen. 6. Das Objekt ist weiterhin unter die Aufsicht eines befugten Sachverständigen zu stellen, der mindestens einmal im Monat nach gemeinsamer Begehung mit einem Bediensteten des Baupolizeiamtes über den Bauzustand zu berichten hat. Infolge akuter Einsturzgefahr des als Zugang zu sämtlichen Wohnungen dienenden Stiegenhauses ist der Punkt 1 innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Bescheides, die Punkte 2 bis 5 sofort nach Räumung zu erfüllen." In der Begründung dieses Bescheides führte das Baurechtsamt aus, daß der Bestand des Hauses vor allem deswegen nicht mehr gesichert werden könne, weil ein wesentlicher Konstruktionsteil, nämlich die Schließe über den Gewölben des Erdgeschosses, abgerostet und abgerissen sei. Infolge der besonderen Lage des Hauses in der engen F-Gasse müsse derzeit von einer Demolierung abgesehen werden, weil a) durch den Abbruch eine Gefährdung der Nachbarobjekte eintreten würde und b) die Entstehung einer Baulücke in diesem Stadtteil ohne Sicherstellung des Wiederaufbaus verhindert werden müsse.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, durch den verwaltungsbehördlichen Räumungsbescheid sei die Benützungsbewilligung für alle Bestandobjekte des Hauses und daher auch für den Mietgegenstand des Klägers auf Dauer entzogen worden. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Spruch des Bescheides. Jeden Zweifel an dieser Absicht der Verwaltungsbehörde beseitige die Begründung des Bescheides. Daraus folge, daß sich das Bestandverhältnis des Klägers im Sinn des § 1112 ABGB von selbst aufgelöst habe, sodaß der Bescheid vom 28. April 1967 den Rechtsuntergang der Bestandsache bewirkt habe.

Gegen dieses Urteil erhob der Kläger Revision.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kläger vermeint, eine Auflösung des Bestandverhältnisses im Sinn des § 1112 ABGB könne nur dort angenommen werden, wo der verwaltungsbehördliche Bescheid auch eine Demolierung des Hauses anordne. Erst in diesem Fall könne schlüssig angenommen werden, daß einer Wiederbenützung des Hauses und seiner Räumlichkeiten rechtlich für immer der Boden entzogen sei. Die Heranziehung der dahingehenden Begründung des Verwaltungsbescheides, daß eine Demolierung nur deshalb nicht angeordnet wurde, weil ihr die Gefährdung der Nachbarhäuser und die Entstehung einer Baulücke entgegenstehe, sei unzulässig, weil das Gericht lediglich an den Spruch des Verwaltungsbescheides, nicht aber an dessen Begründung gebunden sei.

Mit der letzteren Einwendung vermag die Revision keinen Fehler des Berufungsgerichtes aufzuzeigen. Gewiß erstreckt sich die Bindung des Gerichtes an den Verwaltungsbescheid nur auf das im Spruch Verfügte, nicht aber auf dessen Begründung (Fasching, II, 928, JBl 1952, 499). Daraus ergibt sich aber nicht die völlige Unbeachtlichkeit der Bescheidbegründung für das Gericht. Der Kläger gibt in seiner Revision selbst zu, die Begründung des Verwaltungsbescheides unterliege der freien Beweiswürdigung. Sie kann also im Rahmen der Beweiswürdigung zur Feststellung oder näheren Aufklärung der der verwaltungsbehördlichen Maßnahme zugrunde liegenden Absicht herangezogen werden. Nichts anderes ist im vorliegenden Fall geschehen. Das Berufungsgericht stützte seine Meinung, ein gleichzeitiger Auftrag, das völlig unbewohnbar gewordene Haus auch abzubrechen, sei nur wegen der Gefährdung der Nachbarhäuser und zur Vermeidung einer Baulücke unterblieben, auf die aus der Bescheidbegründung hervorgehenden Umstände. Dagegen ergeben sich keine Bedenken, zumal auch der Kläger keine damit im Widerspruch stehenden Behauptungen aufzustellen vermochte.

Es trifft zu, daß im allgemeinen einem baubehördlichen Bescheid, mit dem bloß die Benützungsbewilligung entzogen oder die Räumung aufgetragen wird, nicht die Wirkung eines rechtlichen Untergangs der Bestandsache zukommt. Fehlt ein Demolierungsauftrag, läßt sich daraus schließen, daß die Behörde von der Möglichkeit einer Instandsetzung ausgeht. Ergibt sich aber aus dem Bescheid - und dies ist für die rechtliche Beurteilung der Sache entscheidend -, daß die Verwaltungsbehörde bei ihrem Räumungsauftrag von einer dauernden Unbenützbarkeit ausging und den Demolierungsauftrag nur aus solchen Gründen nicht erlassen hat, die nicht in einer noch bestehenden Instandsetzungsmöglichkeit oder mangelnden Abbruchsreife liegen, ja mit dem Zustand des Hauses selbst in keinem Zusammenhang stehen, sondern in Umständen, die in erster Linie der Sicherheit der anliegenden Gebäude dienen, dann besteht kein Grund, dem verwaltungsbehördlichen Auftrag, das gesamte Haus von Personen und Sachen zu räumen und Sicherungen gegen jeden Wiederbezug zu treffen, so insbesondere die Fußböden herauszureißen und die Versorgungsanschlüsse aufzulassen, die Aufhebungswirkung im Sinn des § 1112 ABGB hinsichtlich der bis dahin bestehenden Bestandverhältnisse abzusprechen, hatte doch mit diesem Räumungsbefehl die damaligen Hauseigentümer jedes subjektive Recht auf Benützung des Hauses verloren. Die im Räumungsauftrag der Verwaltungsbehörde getroffenen Maßnahmen, die auch durchgeführt wurden, lassen keinen Zweifel an der dauernden Unbenützbarkeit des Gebäudes offen. Diese steht aber einem rechtlichen Untergang der Bestandsache gleich.

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