Spruch:
Entlassungsgrund, wenn der Betriebsleiter das im Betrieb geltende Pfuschverbot, wenn auch im geringen Umfang übertritt.
Verfehlungen des Dienstnehmers als öffentlicher Verwalter können nach Aufhebung der öffentlichen Verwaltung als Entlassungsgrund geltend gemacht werden.
Entscheidung vom 6. Mai 1952, 4 Ob 51/52.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Der Kläger, der seit 1916 im Betriebe der Beklagten, u. zw. seit 1936 als Betriebsleiter, tätig ist, wurde im Jahre 1945 zum öffentlichen Verwalter bestellt. Am 7. Feber 1951 wurde ihm das weitere Betreten des Betriebes verboten, weil er sich mit im Betrieb angekauften Material ein Scherengitter für einen Zuckerbäcker hat anfertigen und vernickeln lassen. Im Betriebe der Beklagten ist es wiederholt vorgekommen, daß von Arbeitern Pfuscharbeiten aus dem Material der Beklagten gemacht wurden; gerade der Kläger ist es gewesen, der als Betriebsleiter die Beschäftigten wiederholt darauf hingewiesen hat, daß diese Pfuscharbeiten aufhören müßten. Nach Abberufung des Klägers als öffentlicher Verwalter hat er neuerlich der Beklagten seine Dienste angeboten, die aber die Wiedereinstellung verweigerte. Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Nichtzulassung zum Dienst als Entlassung zu werten ist.
Das Erstgericht hat dem Kläger Kündigungsentschädigung und Abfertigung zugesprochen, die zweite Instanz hat das Klagebegehren abgewiesen. Es stellte ergänzend fest, daß der Kläger auch das zur Anfertigung des Scherengitters erforderliche Flachmessing nicht auf die für den Ankauf von Materialien durch Angestellte im Betrieb vorgeschriebene Art erworben hat. Ferner stellte das Berufungsgericht ausdrücklich fest, daß im Betrieb Pfuscharbeiten vorgekommen sind und daß es zu den Aufgaben des Klägers gehört hat, dafür zu sorgen, daß solche Pfuscharbeiten nicht vorkommen.
Das Berufungsgericht geht auf Grund des angeführten Sachverhaltes von der Rechtsauffassung aus, daß die Anfertigung des Scherengitters, so geringfügig auch sein Wert sei - angeblich 70 S - , nicht als ein geringfügiger Vorteil angesehen werden könne. Der Kläger sei als Betriebsleiter zu besonderer Korrektheit verpflichtet gewesen. Es oblag ihm daher, zumal da es zu seinem Aufgabenkreis gehörte, dafür zu sorgen, daß die häufigen Pfuscharbeiten im Betrieb nicht mehr vorkommen, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Entlassung des Klägers sei daher gerechtfertigt, da er sich eine Untreue im Dienste habe zuschulden kommen lassen.
Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger bestreitet zunächst die Wirksamkeit der Entlassung, weil er öffentlicher Verwalter war und daher von der Beklagten nicht habe entlassen werden können. Ob das zutreffend ist, kann in diesem Verfahren dahingestellt bleiben; diese Frage wäre nur dann bedeutsam, wenn Kläger seine Bezüge für die Zeit, da er noch öffentlicher Verwalter war, verlangte. Das ist aber nicht der Fall; er begehrte die Bezüge erst ab 25. August 1951, also für eine seiner Enthebung als öffentlicher Verwalter nachfolgende Periode. Am 25. August 1951, dem Tage der Ablehnung der Wiedereinstellung war er aber nicht mehr öffentlicher Verwalter. Wenn ihn die Beklagte also damals durch Ablehnung der Wiedereinstellung entlassen hat, so war sie dazu zweifellos formell legitimiert. Da die Beklagte den Kläger auch nach der Enthebung als öffentlicher Verwalter zum Dienst nicht zugelassen hat, hat sie damit die Entlassung, selbst wenn sie vorher wirkungslos gewesen wäre, nunmehr bestätigt. Von einer verspäteten Entlassung kann aber keine Rede sein, denn wenn ihn die Beklagte, wie die Revision behauptet, erst nach der Enthebung als öffentlicher Verwalter wirksam entlassen konnte, so konnte das Entlassungsrecht auch vorher nicht deshalb erlöschen, weil Monate vergingen, bis eine wirksame Entlassung möglich war.
Völlig abwegig ist aber die Anschauung der Revision, daß der Kläger deshalb nicht entlassen werden durfte, weil er die Handlung in der Zeit gesetzt hat, da er öffentlicher Verwalter war.
Aber auch in der Sache selbst ist die Revision nicht begrundet. Es mag richtig sein, daß der Materialwert des Scherengitters minimal war, und daß auch die Arbeitslöhne, die auf die Zeit der Anfertigung des Scherengitters entfielen, minimal waren. Diese Umstände wären nur dann rechtlich bedeutsam, wenn dem Kläger nichts weiter vorgeworfen würde, als daß er während der Arbeitszeit für sich von Arbeitern eine Privatarbeit hat anfertigen lassen. Das wäre an sich wohl eine Unkorrektheit, aber kein Entlassungsgrund.
Das entscheidende Kriterium liegt aber darin, daß die Pfuscharbeiten im Betrieb einen größeren Umfang angenommen hatten, sodaß die Betriebsleiter sich bereits wiederholt veranlaßt sahen, dagegen Stellung zu nehmen, und daß es gerade die Aufgabe des Klägers war, dafür Sorge zu tragen, daß solche Pfuscharbeiten nicht mehr vorkommen. Wenn er bei dieser Sachlage selbst dieses Verbot übertreten hat und die ihm unterstellten Arbeiter (Lehrlinge) zu Pfuscharbeiten herangezogen hat, so hat er damit die Autorität seiner eigenen Anordnungen untergraben. Er konnte in Hinkunft nicht mehr unbedingt damit rechnen, daß man seine diesbezüglichen Anordnungen und die Drohung mit sofortiger Entlassung ernst nehmen werde. Daß es sich bei seiner Pfuscharbeit nur um wenige Schillinge handelte, ist nicht von Bedeutung, weil die Untergrabung seiner Autorität die Gefahr nach sich gezogen hat, daß die ihm unterstellten Arbeiter in Hinkunft das Pfuschverbot auch dann leicht nehmen werden, wenn es sich um höhere Beträge handelte und der beklagten Firma ein größerer Schaden drohte.
Es ist daher dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß sich der Kläger einer Handlung schuldig gemacht hat, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt (§ 27 Abs. 1 Z. 1 AngG.), weil sich die Beklagte nicht mehr auf den Kläger verlassen kann, wenn er selbst Handlungen setzt, die er unter Androhung der Entlassung bei seinen Untergebenen verhindern soll. Wenn ein kleiner Angestellter oder Arbeiter das Pfuschverbot ein einziges Mal übertreten hätte und dadurch der Beklagten kein weiterer Schaden entstanden wäre, so könnte man vielleicht der Meinung sein, daß es sich hier um keine so bedeutsame Sache handle, die eine Entlassung des kleinen Angestellten rechtfertigt. Anders liegt aber die Sache, wenn der Betriebsleiter selbst, statt mit gutem Beispiel voranzugehen, das Verbot übertritt.
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