European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0040OB00041.75.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
I. Die Urteile der Untergerichte werden hinsichtlich der Abweisung eines Teilbegehrens von S 7.428,49 samt Anhang dahin abgeändert, daß die Entscheidung als Teilurteil zu lauten hat:
„Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin einen Betrag von S 7.428,49 samt 4 % Zinsen seit 18. September 1973 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Die Kostenentscheidung wird dem Endurteil vorbehalten.“
II. Im übrigen, also hinsichtlich des in zweiter Instanz neu erhobenen Begehrens auf Zahlung weiterer S 35,‑‑ samt Anhang, wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom 15. August 1950 bis 17. September 1973 in der Buchdruckerei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigt; am 17. September 1973 erklärte sie unter Berufung auf § 82 a lit. a GewO 1859 ihren vorzeitigen Austritt. Mit der Behauptung, daß sie ohne Schaden für ihre durch ein Cervicalsyndrom beeinträchtigte Gesundheit die Arbeit nicht mehr hätte fortsetzen können, begehrte sie von der Beklagten in erster Instanz gemäß § 19 Z. 5, § 20 des Kollektivvertrages für das graphische Gewerbe Österreichs an Abfertigung, anteiliger Weihnachtsremuneration und Urlaubsabfindung den – der Höhe nach außer Streit stehenden – Betrag von insgesamt S 7.428,49 (und nicht, wie es im Spruch der Entscheidungen der Untergerichte offenbar irrtümlich heißt, S 7.428,29) samt Anhang (ON. 6 S. 28 f.).
Demgegenüber behauptete die Beklagte, daß die in ihrer Buchdruckerei anfallenden Arbeiten keineswegs so schwer seien, daß sie im Fall ihrer Fortsetzung die Gesundheit der Klägerin gefährdet hätten; der Austrittsgrund nach § 82 a lit. a GewO 1859 sei demnach nicht gegeben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die Klägerin hatte in der von * K* geleiteten Fertigungsabteilung der Beklagten sehr unterschiedliche Tätigkeiten zu verrichten. Sie war vor allem mit Arbeiten an der Perforierungsmaschine und an der Sammelheftmaschine, mit dem „Nachschauen“ bei Büchern und mit dem Zusammentragen und Herrichten von Garnituren beschäftigt. Die Arbeitszeit der Klägerin dauerte von 7 Uhr bis 11.15 Uhr und von 12.15 Uhr bis 16.30 Uhr, am Freitag bis 16 Uhr; bei der Arbeit an der Sammelheftmaschine war überdies am Vormittag und am Nachmittag je eine viertelstündige Pause vorgesehen.
An der Perforierungsmaschine hatte die Klägerin jeweils etwa 100 bis 200 Blocks zu perforieren. Dazu mußte sie zunächst eine bestimmte Anzahl von Blättern in die Maschine reichen und dann einen elektrischen Fußkontakt betätigen, wodurch die Perforierung gestanzt wurde. Die Blätter wurden sodann, sofern es sich um Lieferscheine handelte, auf einem Tisch aufgelegt und meistens zu dritt aufgestapelt. Nach dem Stapeln wurde die gewünschte Stärke abgezählt und zu jedem Block eine Karton-Unterlage gegeben; daraufhin wurden die Blocks „aufgestoßen“ und zur Schleifmaschine getragen. 200 Blocks erfordern dabei einen Zeitaufwand von etwa einem Tag, wovon zwei bis zweieinhalb Stunden auf das Perforieren, vier Stunden auf das „zusammentragen“ und der Rest auf das Aufstoßen und Wegtragen entfallen. Das „Zusammentragen“ besteht im wesentlichen darin, daß mit Hilfe eines Gummifingers von drei verschiedenen Stößen jeweils ein Blatt heruntergenommen wird und diese Blätter dann übereinander abgelegt werden.
Ziel der Arbeit an der Sammelheftmaschine ist das Aufeinanderlegen und Heften der einzelnen Bogen einer Broschüre. Die einzelnen Bogen laufen dabei über eine Kette und werden so immer zur nächsten Arbeitskraft geführt, welche den jeweils nächsten Bogen auflegt. Diese Arbeit wird im Sitzen verrichtet. Die Klägerin war meistens als erste eingesetzt und bestimmte dadurch praktisch das Tempo des Arbeitsablaufes. Sie griff dabei mit Hilfe eines Gummifingers von einem Stapel den jeweils obersten Bogen und legte ihn auf die Kette; dabei hielt sie das vorgeschriebene Tempo der Maschine immer ein. Die Arbeitsgeschwindigkeit liegt hier bei durchschnittlich 2.000 Stück pro Stunde. Fallen solche Arbeiten an der Sammelheftmaschine an, dann werden sie meistens durch zwei oder drei Tage durchgeführt; je nach der Auflagenhöhe der zu heftenden Broschüre kommt aber gelegentlich auch ein Einsatz von nur drei bis vier Stunden in Frage.
Das „Nachschauen“ bei Büchern besteht in der Prüfung, ob die ersten oder die letzten zwei Blätter des Bundes zusammengeklebt sind. Die Klägerin hatte dabei immer ein Buch von einem Stapel herunterzunehmen und den Buchblock mit den Fingern „ablaufen“ zu lassen, um ein allfälliges Zusammenkleben festzustellen; in diesem Fall mußte sie die Blätter mit einem Messer vorsichtig lösen. Darnach wurden die Bücher wieder gestapelt. Ein solches Zusammenkleben der Blätter kommt nur bei etwa 10 % der Bücher vor. Die Zeitdauer dieser Tätigkeit hängt naturgemäß von der Auflagenhöhe ab und beträgt etwa einen Tag.
Beim Herrichten von Rechnungsblock-Garnituren, zu welchem die Klägerin sehr häufig eingesetzt wurde, waren zum Teil Durchschreibzettel mit der entsprechenden Anzahl von Kohlepapieren zu versehen. Auch diese Arbeiten waren von der Auflage abhängig und wurden zumeist tageweise verrichtet.
Die Klägerin leidet schon seit dem Jahr 1963 an Veränderungen der Wirbelsäule im Bereich des ersten Halswirbels und an einer Bandscheibenveränderung zwischen dem sechsten und dem siebenten Halswirbel bei mäßigen Veränderungen der Lendenwirbelsäule. Seit 1969 steht die Klägerin bei dem praktischen Arzt Dr. * W* in Behandlung; dieser riet ihr wiederholt, bei ihren Vorgesetzten eine Änderung der Art ihrer Beschäftigung anzustreben. Vom 17. Jänner 1969 bis 21. Dezember 1971 war die Klägerin auch bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. P* in Behandlung; am 23. August 1972 suchte sie seine Ordination zum letzten Mal auf. Seit 1964 war die Klägerin wegen ihres Leidens wiederholt auf Kuraufenthalten und im Krankenstand.
Die Blutsenkung der Klägerin von 24/51 spricht für einen chronisch-entzündlichen Prozeß im Sinne einer chronisch-rheumatischen Schädigung. Die Veränderungen der Wirbelsäule führen bei der Klägerin zu ausstrahlenden Nervenschmerzen, und zwar einerseits gegen den Kopf zu, verbunden mit Kopfschmerzen und einer Empfindlichkeit des Hinterhauptnervs, andererseits in die Arme, und zwar mehr links als rechts. Darüber hinaus kam es auch zu Strahlungsschmerzen in den Beinen mit einer linksseitigen Ischialgie. Schmerzen dieser Art verspürt die Klägerin schon seit 15 Jahren.
Das Krankheitsbild der Klägerin zeigt einen chronischen Verlauf, wobei die Krankenstände überwiegend Ermessenssache waren, weil die Intensität der Beschwerden, wenn überhaupt, so nicht objektiv zu erforschen und zu erfassen ist. Die Klägerin ist imstande, leichte bis fallweise mittelschwere Arbeiten in abwechselndem Sitzen und Stehen ohne über das physiologische Ausmaß hinausgehende Pausen durchzuführen, wobei allerdings extreme Erkältungen oder Durchnässungen zu vermeiden sind. Ständige Arbeiten im Zeitdruck mit gleichmäßiger Beanspruchung bestimmter Muskelpartien sind ungünstiger als eine etwas abwechslungsreichere Tätigkeit.
Ein Berufswechsel war für die Klägerin zweckmäßig; für eine plötzliche Arbeitsniederlegung am 17. September 1973 ist aber medizinisch kein Grund vorhanden. Es liegt kein medizinischer Beleg dafür vor, daß die Klägerin die gesetzliche Kündigungsfrist nicht hätte einhalten können.
Im Jahr 1973 war die Klägerin zwar zur Kur in Badgastein; nicht aber im Krankenstand gewesen. Als sie am 17. September 1973 vom Urlaub zurückkam, erbat sie sich sofort zwei Stunden Zeitausgleich. Nach ihrer Rückkehr legte sie dem Abteilungsleiter ein kurzes Schreiben ihres behandelnden Arztes vor und erklärte, nicht mehr Weiterarbeiten zu können.
Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß bei einem chronischen Leiden nur dann ein gerechtfertigter Austrittsgrund im Sinne des § 82 a lit. a GewO 1859 vorliege, wenn durch die Fortsetzung der Arbeit zumindest eine gegenwärtige Bedrohung der Gesundheit gegeben sei; die Gefahr einer künftigen Verschlechterung reiche nicht aus, wenn dem Dienstnehmer die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zugemutet werden könne. Letzteres sei aber hier der Fall, weil dem medizinischen Sachverständigengutachten kein Hinweis darauf entnommen werden könne, daß die Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Gesundheit der Klägerin ernstlich gefährdet hätte.
Das Urteil des Erstgerichtes wurde von der Klägerin mit Berufung angefochten; gleichzeitig dehnte die Klägerin mit der Behauptung, daß sie bei der Berechnung der ihr nach dem Kollektivvertrag zustehenden Abfertigung die gesetzliche Wohnungsbeihilfe von S 1,‑‑ pro Tag unberücksichtigt gelassen habe, ihr Zahlungsbegehren um S 35,‑‑ auf nunmehr 7.463,29 (bei richtiger Berechnung: S 7.463,49) samt Anhang aus. Die Beklagte sprach sich gegen diese Ausdehnung des Klagebegehrens aus und bestritt im übrigen das Begehren nach S 35,‑‑ Wohnungsbeihilfe.
Das Berufungsgericht ließ die Klageausdehnung – unangefochten – zu, gab aber der Berufung der Klägerin nicht Folge und bestätigte die Abweisung des nunmehr um S 35,‑‑ erweiterten Klagebegehrens. Es führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG von neuem durch und kam dabei zu den gleichen Feststellungen wie das Erstgericht; auf Grund einer neuerlichen Vernehmung des Zeugen Dr. * W*, des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. * J* und der Klägerin als Partei nahm es darüber hinaus noch folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Der 17. September 1973 war der erste Arbeitstag der Klägerin nach ihrer Rückkehr vom Urlaub. Die Klägerin verspürte an diesem Tag Schmerzen schon vor der Arbeit, obgleich sie während des Urlaubes keine Schmerzen gehabt hatte. Da sie befürchtete, die Schmerzen könnten wieder so stark werden, daß sie in den Krankenstand gehen müßte, nahm sie sich – um Vorhaltungen des Zeugen K* zu vermeiden – zwei Stunden Zeitausgleich und suchte ihren Arzt Dr. W* auf. Dieser stellte ihr nach einer Untersuchung folgende „ärztliche Bestätigung“ aus (Beilage 2):
„Fr. S*, geb. 17. 1. 1927, leidet an einem Cervicalsyndrom mit Brachialgie und kann die Arbeit einer Druckereiarbeiterin nicht mehr leisten.
„Mit dieser Bestätigung wollte Dr. W* der Klägerin eine leichtere Arbeit (im selben Betrieb) verschaffen. Er hielt einen Krankenstand dann nicht für notwendig, wenn sie eine andere Beschäftigung als die zuletzt ausgeübte erhalten hätte. Die Klägerin ging aber zu Direktor P* und erklärte ihm, daß sie nicht mehr weiterarbeiten könne; Direktor P* erwiderte darauf, daß er sie nicht zurückhalten könne. Die Klägerin ging dann noch zum Zeugen K*, um von ihrem Arbeitsplatz ihre Sachen abzuholen. K* sagte ihr nach Rücksprache mit dem Lohnbüro, daß sie zu einer Untersuchung zum Chefarzt gehen solle; das tat die Klägerin auch, wurde aber dort nicht untersucht und teilte diesen Besuch beim Chefarzt auch der Beklagten nicht mehr mit.
Der Gesundheitszustand der Klägerin am 17. September 1973 läßt sich objektiv nicht mehr genau rekonstruieren: Ein Krankenstand von zwei bis drei Wochen wäre jedenfalls vertretbar gewesen; bei einer Besserung ihres Zustandes hätte sie noch während der restlichen Kündigungsfrist arbeiten können, sonst wäre der Krankenstand verlängert worden. Bei dem chronischen Verlauf ihrer Krankheit war eine wesentliche bleibende Verschlechterung nicht zu erwarten, wohl aber eine allmähliche mit fallweise vorübergehenden stärkeren Beschwerden.
In rechtlicher Hinsicht verneinte das Berufungsgericht das Vorliegen solcher Umstände, die der Klägerin die Einhaltung der Kündigungsfrist unzumutbar gemacht hätten. Das Beweisverfahren habe keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Klägerin auf nicht absehbare Zeit mit einer solchen Intensivierung ihrer Schmerzen hätte rechnen müssen, daß ein Ausharren am Arbeitsplatz von ihr nicht mehr hätte verlangt werden können; der Klägerin wäre vielmehr die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist durchaus zumutbar gewesen, weil nach einem zwei- bis dreiwöchigen, allenfalls aber auch etwas längeren Krankenstand mit einer Wiederherstellung ihrer bisherigen Arbeitsfähigkeit gerechnet werden konnte. Mangels einer akuten Gefährdung ihrer Gesundheit erweise sich der Austritt der Klägerin somit als nicht gerechtfertigt. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von der Klägerin seinem ganzen Inhalt nach mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung bekämpft. Die Klägerin beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß ihrem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen, in eventu diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Die Revision ist entgegen der Meinung der Beklagten zulässig: Gemäß § 502 Abs. 3 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 23 a ArbGG in der Fassung des Art. II der Novelle BGBl 1971/291 ist zwar in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten die Revision gegen ein bestätigendes Urteil des Berufungsgerichtes unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert S 15.000,‑‑ (§ 49 Abs. 1 Z. 1 JN) nicht übersteigt. Nach ständiger Rechtsprechung (Arb 8049; Arb 8442; Arb 8724 = JBl 1970, 485 ua, zuletzt etwa 4 Ob 15/74) liegt aber eine bestätigende Berufungsentscheidung im Sinne dieser Rechtsmittelbeschränkung dann nicht vor, wenn das Berufungsgericht – wie hier – nicht nur über die Berufung gegen das Ersturteil, sondern zugleich auch über einen erstmals im Berufungsverfahren neu erhobenen Anspruch zu erkennen hatte.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel der Klägerin ist also zulässig; es ist aber auch berechtigt.
Die Untergerichte sind zutreffend davon ausgegangen, daß im Hinblick auf die inhaltliche Übereinstimmung des § 82 a lit. a GewO 1859 („wenn er ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit die Arbeit nicht fortsetzen kann“) und des § 26 Z. 1 AngG, zweiter Fall („wenn der Angestellte diese [nämlich: seine Dienstleistung] ohne Schaden für seine Gesundheit ... nicht fortsetzen kann“) die von Lehre und Rechtsprechung zur letztgenannten Bestimmung entwickelten Grundsätze auch bei einem nach § 82 a lit. a GewO 1859 zu beurteilenden Fall, wie er hier unstreitig vorliegt, sinngemäß angewendet werden müssen. Dabei erweist sich aber die im angefochtenen Urteil unter Hinweis auf die zu Arb 8811 veröffentlichte Entscheidung des Landesgerichtes Linz vertretene Auffassung, daß bei einem chronischen Leiden zur Rechtfertigung der vorzeitigen Vertragsauflösung besondere Umstände vorliegen müßten, die dem Dienstnehmer die Einhaltung der Kündigungsfrist unzumutbar machen, als rechtsirrig: Aus dem Gesetz läßt sich diese Ansicht nicht begründen, weil es dem Dienstnehmer schon dann das Recht zum vorzeitigen Austritt gibt, wenn durch die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit seine Gesundheit gefährdet wäre. Dabei braucht ein Schaden noch nicht eingetreten zu sein; es genügt, wenn er bei Fortsetzung der Arbeit befürchtet werden muß. Wesentlich ist nur, daß die Bedrohung der Gesundheit des Dienstnehmers schon im Zeitpunkt der Austrittserklärung besteht; die bloße Befürchtung, eine solche Bedrohung könnte in Zukunft eintreten, reicht nicht aus (so in jüngster Zeit 4 Ob 51/74; vgl. dazu auch Arb 6350, Arb 6968 = SozM I A d 361; SozM I A d 723; ebenso Martinek-Schwarz, AngG2, 380 § 26 Anm. 12).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß die Klägerin schon seit 1963 an Veränderungen der Wirbelsäule und der Bandscheiben im Bereich der Hals- und der Lendenwirbel leidet; es handelt sich bei diesem „Cervicalsyndrom“ um eine chronisch-rheumatische, mit ausstrahlenden Nervenschmerzen im Kopf, in den Armen und in den Beinen verbundene Schädigung, welche seit 1964 immer wieder Kuraufenthalte und Krankenstände der Klägerin notwendig gemacht hatte. Ständige Arbeiten im Zeitdruck mit gleichmäßiger Beanspruchung bestimmter Muskelpartien, wie sie die Klägerin nach den Feststellungen der Untergerichte oft mehrere Tage hindurch vor allem an der Sammelheftmaschine und an der Perforierungsmaschine auszuführen hatte, waren nach dem medizinischen Sachverständigengutachten gerade für diesen Krankheitszustand ungünstiger als andere, abwechslungsreichere Tätigkeiten; bei weiterer Beschäftigung in der Buchdruckerei der Beklagten wäre zwar keine wesentliche bleibende, wohl aber eine „allmähliche mit fallweise vorübergehenden stärkeren Beschwerden“ verbundene Verschlechterung des chronischen Krankheitsbildes der Klägerin zu erwarten gewesen.
Unter diesen Umständen konnte aber der Klägerin am 17. September 1973 die Fortsetzung ihrer bisherigen Tätigkeit auch nicht für die Dauer der sechswöchigen Kündigungsfrist (§ 3 Z. 8 des Kollektivvertrages für das graphische Gewerbe Österreichs) zugemutet werden: Die Klägerin litt damals gerade wieder unter so heftigen Schmerzen, daß ein Krankenstand von zumindest zwei bis drei Wochen vertretbar gewesen wäre. Ob am Ende eines solchen Krankenstandes – welcher nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes auch „allenfalls etwas länger“ bzw. „eine gewisse weitere Zeit“ dauern konnte – tatsächlich mit einer „Wiederherstellung der bisherigen Arbeitsfähigkeit“ der Klägerin gerechnet werden konnte, steht nicht fest; die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichtes (ON. 25 S. 139) findet in den Ergebnissen des Beweisverfahrens keine Stütze und läßt sich auch dem ergänzenden Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. * J* (ON. 24 S. 119 f) nicht entnehmen. War danach aber mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, vielmehr eine langsam, aber stetig fortschreitende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes mit immer wiederkehrenden Schmerzanfällen zu erwarten, dann war die Klägerin entgegen der Meinung der Untergerichte berechtigt, das Dienstverhältnis gemäß § 82 a lit. a GewO 1859 mit sofortiger Wirkung zu beenden, ohne erst den Ablauf der sechswöchigen Kündigungsfrist abwarten zu müssen (vgl. auch dazu Arb 6350; Arb 6968 = SozM I A d 361; Martinek-Schwarz aaO 378 f § 26 Anm. 8). Das Gegenteil kann auch nicht aus der von den Untergerichten übernommenen Feststellung des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. J* abgeleitet werden, es sei „medizinisch kein Grund“ bzw. „kein medizinischer Beleg“ für eine solche Arbeitsniederlegung der Klägerin am 17. September 1973 vorhanden gewesen. Die erwähnte Äußerung des Sachverständigen hängt nämlich, wie seine ergänzende Vernehmung durch das Berufungsgericht am 16. April 1975 (ON. 24 S. 119 f) deutlich gezeigt hat, offenbar mit seiner Ansicht zusammen, die Klägerin hätte „bei entsprechender Willensanspannung schon noch einige Zeit unter Überwindung der Beschwerden ihre Tätigkeit ausüben können“; gerade eine solche Fortsetzung ihrer Arbeit trotz immer wieder auftretender Schmerzanfälle kann aber der Klägerin nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes bei richtiger Gesetzesauslegung nicht zugemutet werden.
Die Klägerin hat ihr Austrittsrecht aber auch nicht dadurch verloren, daß sie ihre Arbeit in der Buchdruckerei der Beklagten ungeachtet der allmählich fortschreitenden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes jahrelang, wenn auch durch Krankenstände und Kuraufenthalte unterbrochen, bis zum 17. September 1973 fortgesetzt hat. Die Gefährdung der Gesundheit des Dienstnehmers bei Fortsetzung einer bestimmten Tätigkeit ist nämlich ein Dauerzustand, auf den sich der Dienstnehmer jederzeit zur Rechtfertigung einer vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses berufen kann (Martinek-Schwarz aaO 380 § 26 Anm. 12).
Zusammenfassend kommt der Oberste Gerichtshof daher – entgegen der Rechtsauffassung der Untergerichte – zu dem Ergebnis, daß sich die Klägerin im vorliegenden Fall mit Recht auf den Austrittsgrund des § 82 a lit. a GewO 1859 berufen hat; ihr mit dieser Klage geltend gemachter Anspruch auf Abfertigung, anteilige Weihnachtsremuneration und Urlaubsabfindung besteht daher nach dem Kollektivvertrag für das graphische Gewerbe Österreichs (§§ 18 bis 20) dem Grunde nach zu Recht.
Was aber die Höhe des Klagebegehrens anlangt, so konnte der Klägerin der von der Beklagten in erster Instanz ausdrücklich außer Streit gestellte (ON. 6 S. 28 f) Betrag von S 7.428,49 – nämlich S 4.231,65 Abfertigung, S 2.609,24 Weihnachtsgeld und S 587,60 Urlaubsabfindung – in Stattgebung der Revision und unter gleichzeitiger Berichtigung des offensichtlichen Schreibfehlers der Untergerichte – S 7.428,29 anstatt richtig S 7.428,49 – sogleich mit Teilurteil zuerkannt werden. Über das im Berufungsverfahren neu erhobene, von der Beklagten ausdrücklich bestrittene (ON. 22 S. 113) Begehren auf Zuerkennung weiterer S 35,‑‑ an gesetzlicher Wohnungsbeihilfe kann dagegen jetzt noch nicht abgesprochen werden, weil mangels jeder Erörterung dieser Forderung derzeit nicht beurteilt werden kann, ob in dem der Berechnung der Abfertigung zugrunde gelegten, von den Parteien übereinstimmend mit S 846,33 bezifferten Durchschnittswochenlohn der Klägerin die gesetzliche Wohnungsbeihilfe bereits enthalten ist oder nicht. Da es dazu noch ergänzender Feststellungen bedarf, mußte das angefochtene Urteil in diesem Umfang aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Teilurteils beruht auf § 392 Abs. 2 ZPO, der Vorbehalt der Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf § 52 ZPO.
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