OGH 4Ob39/00i

OGH4Ob39/00i15.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Staatsanwaltsschaft Wien, Wien 8, Landesgerichtsstraße 11, wider die beklagten Parteien 1. Vilma A*****, 2. Osman A*****, wegen Ehenichtigkeit gemäß § 23 EheG, infolge Revisionsrekurses der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Dezember 1999, GZ 43 R 937/99h-6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 30. September 1999, GZ 23 C 89/99w-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird aufgetragen, das gesetzliche Verfahren über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten.

Text

Begründung

Die Staatsanwaltschaft Wien begehrt, die am 1. 7. 1987 zwischen der Erstbeklagten und dem Zweitbeklagten geschlossene und im Ehebuch des Standesamts Wien-Ottakring unter Nr. 461/1987 beurkundete Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig zu erklären. Die Erstbeklagte sei österreichische Staatsangehörige; der Zweitbeklagte besitze die türkische Staatsbürgerschaft. Die Beklagen hätten nur geheiratet, um dem Zweitbeklagten eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Eine eheliche Gemeinschaft habe nie bestanden und sei auch nie beabsichtigt gewesen. Das Bezirksgericht Hernals sei zuständig, weil die Erstbeklagte im Sprengel dieses Gerichts ihren derzeitigen Wohnsitz habe; ein gemeinsamer Wohnsitz sei niemals begründet worden.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Nach der Entscheidung 7 Ob 347/98z sei jedenfalls dann nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des beklagten Ehegatten abzustellen, wenn der Staatsanwalt beide Ehegatten als Beklagte in Anspruch nehme und diese sich - wie im vorliegenden Fall - in verschiedenen Gerichtssprengeln aufhalten. Es komme nur die gegenüber allen sonstigen Möglichkeiten des § 76 Abs 1 JN subsidiäre Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien in Betracht.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Maßgebend seien nicht die von der Klägerin aufgezeigten praktischen Schwierigkeiten, sondern es komme darauf an, wie § 76 JN bei Anwendung der Auslegungsgrundsätze der §§ 6, 7 ABGB zu verstehen sei. Diesen Auslegungsregeln folge die Entscheidung 7 Ob 347/98z; die Ausführungen der Klägerin böten keinen Anlass, davon abzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Nach § 76 Abs 1 JN ist für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt gehabt haben. Hat zur Zeit der Erhebung der Klage keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sprengel oder haben sie im Inland einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nicht gehabt, so ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt des beklagten Ehegatten oder, falls ein solcher gewöhnlicher Aufenthalt im Inland fehlt, der gewöhnliche Aufenthalt des klagenden Ehegatten liegt, sonst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien.

§ 76 Abs 1 JN regelt die örtliche Zuständigkeit für die genannten Ehestreitigkeiten zwischen den Parteien; Verfahren, in denen der Staatsanwalt auf Nichtigerklärung der Ehe klagt, werden nicht erwähnt. Der Staatsanwalt ist gemäß § 28 Abs 1 EheG allein befugt, eine Ehenichtigkeitsklage nach § 23 EheG einzubringen. Nach § 23 Abs 1 EheG ist eine Ehe nichtig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen ist, der Frau die Führung des Familiennamens des Mannes oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen, ohne dass die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll. § 23 EheG ist seit der Staatsbürgerschaftsgesetz-Nov 1983 geschlechtsneutral zu lesen. Danach ist auch eine Ehe nichtig, die zumindest überwiegend dazu dient, dem Mann den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu ermöglichen (Schwimann in Schwimann, ABGB**2 § 23 EheG Rz 3 mwN). In der Entscheidung SZ 67/56 hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass auch die ausschließliche oder überwiegende Absicht, durch die Eheschließung nur die unbeschränkte Aufenthaltsmöglichkeit und/oder den unbehinderten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen, für die Nichtigerklärung der Ehe genügt.

Mit der Frage des für die Klage des Staatsanwalts örtlich zuständigen Gerichts hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 347/98z befasst. Er hat § 76 Abs 1 JN angewandt, dessen erster Fall nicht verwirklicht war, weil der Aufenthaltsort eines Ehegatten nicht bekannt war und die Ehegatten auch nie gemeinsam gewohnt hatten. Eine örtliche Zuständigkeit jenes Gerichts, in dessen Sprengel einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, lehnte der Oberste Gerichtshof wegen des daraus folgenden Wahlrechts des Staatsanwalts ab. Ein solches Wahlrecht sei damit unvereinbar, dass das Gericht am gewöhnlichen Aufenthalt des (jeweiligen) Beklagten ausschließlich zuständig und eine gemeinsame Klage gegen beide Beklagte einzubringen sei. Es komme daher nur die subsidiäre Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien in Betracht. Dieser Gerichtsstand schließe den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN aus.

Die Klägerin hält dem entgegen, dass § 76 JN weder auf die Besonderheiten der Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts gegen beide Beklagte noch auf die von Scheinehen Bedacht nimmt. Für Scheinehen sei typisch, dass die Ehegatten nie gemeinsam wohnten, auch wenn sie sich zufällig im Sprengel desselben Gerichts aufgehalten haben. Fast immer existierten aber Scheinmeldungen und es sei fraglich, ob eine Scheinmeldung oder der zufällige Aufenthalt im selben Gerichtssprengel zuständigkeitsbegründend seien. Eine primäre Zuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien sei systemwidrig. Sie müsse bei objektiv-teleologischer Interpretation des § 76 Abs 1 JN ausgeschlossen werden, weil sie zu einer Überlastung dieses Gerichts und zu einem Rechtsschutzdefizit der außerhalb von Wien lebenden Beklagten führe.

Der Klägerin ist zuzustimmen, dass der Entscheidung 7 Ob 347/98z nicht gefolgt werden kann, und zwar schon aufgrund einer bloßen Wortinterpretation des § 76 Abs 1 JN. Diese Bestimmung regelt die örtliche Zuständigkeit für Streitigkeiten über die Scheidung, die Aufhebung, die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe zwischen den Parteien; die Zuständigkeit für die Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts gegen beide Ehegatten wird darin nicht behandelt. Die Regelung ist für ein gegen zwei Beklagte geführtes Verfahren auch unanwendbar, wenn sich beide Beklagte in den Sprengeln verschiedener Gerichte aufhalten. Ein sich daraus ergebendes Wahlrecht des Klägers ist mit einem ausschließlichen Gerichtsstand unvereinbar, wie ihn § 76 Abs 1 JN normiert. Daraus ist - entgegen der Entscheidung 7 Ob 347/98z - aber nicht die Konsequenz zu ziehen, die subsidiäre Auffangzuständigkeit des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien zur primären Zuständigkeit zu erheben und den durch den Aufenthalt eines oder beider beklagten Ehegatten in Österreich bestehenden Bezug zu einem anderen inländischen Gericht zu ignorieren, sondern daraus ist zu schließen, dass § 76 Abs 1 JN die Ehenichtigkeitsklage des Staatsanwalts nicht erfasst, sondern nur die eines Ehegatten gegen den anderen. Dem - nicht näher begründeten - Hinweis von Schwimann (aaO § 28 EheG Rz 4), zuständig für den Nichtigkeitsprozess sei das nach § 76 Abs 1 JN örtlich zuständige Bezirksgericht, kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.

Der Staatsanwalt hat die Ehenichtigkeitsklage beim allgemeinen Gerichtsstand des (der) Beklagten einzubringen (§§ 65, 66 JN). Da die beklagten Ehegatten eine einheitliche Streitpartei nach § 14 ZPO bilden (Fucik in Rechberger, ZPO § 14 Rz 3 mwN), ist für den Ehegatten, für den das angerufene Gericht nicht das Gericht seines allgemeinen Gerichtsstands ist, der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (§ 93 Abs 1 JN) begründet. Die Subsidiarität dieses Gerichtsstands - der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft ist nur dann gegeben, wenn für alle Streitgenossen für den gegenständlichen Rechtsstreit kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand gegeben ist (Fasching I § 93 Anm 2) - steht der Anwendung des § 93 Abs 1 JN nicht entgegen, weil für die beklagten Ehegatten kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand besteht, wenn - wie oben dargelegt - die Anwendbarkeit des § 76 Abs 1 JN zu verneinen ist. Sollte sich in einem Fall keiner der Ehegatten in Österreich aufhalten und der Staatsanwalt dennoch eine Ehenichtigkeitsklage einbringen, so wäre nach § 28 JN vorzugehen.

Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen, weil die Klägerin keine Kosten verzeichnet hat.

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