Spruch:
Die sogenannte "Telefonwerbung" verstößt - ohne Rücksicht darauf, ob sie sich an Privatpersonen oder an Gewerbetreibende wendet - gegen § 1 UWG
OGH 8. 11. 1983, 4 Ob 388/83 (OLG Wien 4 R 78/83; HG Wien 39 Cg 1125/82)
Text
Die beklagte GesmbH betreibt bei der Ausübung des Gewerbes der Vermögensberatung sogenannte "Telefonwerbung": Sie ruft Personen an, mit denen noch kein geschäftlicher Kontakt besteht, und bietet ihnen ihre Leistungen an; wenn die Angerufenen Interesse bekunden, werden sie zu einem Gespräch in die Geschäftsräume der Beklagten eingeladen. Die Beklagte wendet sich sowohl an Privatpersonen als auch an Gewerbetreibende; sie entnimmt die Telefonnummern dem Amtlichen Telefonbuch, dem "Compaß" und ähnlichen Nachschlagewerken.
Der klagende Österreichische Arbeiterkammertag sieht in dieser Form der Werbung einen Verstoß gegen § 1 UWG. Er beantragt daher die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr unaufgefordert Kunden, zu denen bisher keine Beziehungen bestanden haben, anzurufen, um Geschäftsabschlüsse anzubahnen oder vorzubereiten; außerdem verlangt er die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung auf Kosten der Beklagten in der "Neuen Kronen Zeitung" und im "Kurier".
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Sie werbe "in dezenter Art und Weise", bemühe sich, möglichst unaufdringlich vorzugehen, und vermeide jede Belästigung der angerufenen Personen. Von "psychischem Kaufzwang" sei keine Rede; vielmehr halte die Beklagte auch bereits vermittelte Verträge nur dann aufrecht, wenn dies wirklich dem Willen des Kunden entspreche. "Telefonwerbung" dieser Art sei in der Vermögensberatungs- und Versicherungsbranche üblich; sie könne nicht als sittenwidriges "Anreißen" iS des § 1 UWG bezeichnet werden.
Das Erstgericht schloß sich der Auffassung des Klägers an und gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S, nicht aber 300 000 S übersteige (§ 500 Abs. 2 Z 1 und 3 ZPO), und erklärte die Revision für zulässig (§ 500 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage des oben wiedergegebenen, unbestritten gebliebenen Sachverhalts hielt das Berufungsgericht die Rechtsrüge der Beklagten für nicht stichhaltig. Zwar sei mit jeder Werbung ein gewisses Maß an Belästigung der angesprochenen Personen zwangsläufig verbunden; der Werbende dürfe aber seine Aufdringlichkeit nicht so weit treiben, daß er den Umworbenen in unzumutbarer Weise belästige oder durch "plumpe Machenschaften" zu überrumpeln suche. Unangemessen aufdringliche Werbemethoden verstießen nicht nur wegen dieser Gefahr einer Überrumpelung, sondern schon wegen der Belästigung an sich, welcher der Umworbene ausgesetzt werde, gegen die guten Sitten. Die Individualsphäre des einzelnen bedürfe hier eines angemessenen Schutzes vor dem wirtschaftlichen Gewinnstreben Dritter; einen solchen Schutzzweck verfolge auch § 1 UWG, welcher nicht nur die Mitbewerber vor unlauterem Wettbewerb, sondern auch die Allgemeinheit vor Wettbewerbsauswüchsen bewahren wolle. Bestimmte Werbemaßnahmen könnten im übrigen auch dann unlauter sein, wenn sie den Keim zu immer weiterem Umsichgreifen in sich trügen und damit zu einer "Verwilderung" der Werbung führten, wären doch sonst die Mitbewerber schon aus Wettbewerbsgrunden zur Nachahmung gezwungen. All dies treffe auch auf die "Telefonwerbung" der Beklagten zu. Ihr Hinweis auf den "mundigen Staatsbürger" sei verfehlt, weil der Inhaber eines Telefonanschlusses sich und sein Heim "nicht uneingeschränkt der großen Welt", sondern nur solchen Personen öffne, für die nach allgemeiner Anschauung ein anerkennenswertes Bedürfnis nach einer Benützung des Telefons zum Zweck der Ansprache des Anschlußinhabers bestehe. Gerade die technische Eigenart des Telefons ermögliche ein unkontrollierbares Eindringen in die Privatsphäre des Anschlußinhabers, welcher ja das Gespräch zunächst schon deshalb annehmen müsse, um feststellen zu können, ob es sich nicht vielleicht doch um einen für ihn wichtigen Anruf handelt; er müsse also die Werbung zur Kenntnis nehmen, noch bevor er sich überhaupt entscheiden könne, ob er das Gespräch fortsetzen solle oder nicht. Das gelte nicht nur für "Telefonwerbung" gegenüber Privatpersonen; auch im gewerblichen Bereich seien Telefonanrufe zu Werbezwecken nicht ohne weiteres hinzunehmen, weil es auch hier darauf ankomme, ob der Gewerbetreibende den Anruf gewünscht hat oder der Werbende nach den Umständen ein solches Einverständnis zumindest voraussetzen konnte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung über das Unterlassungsbegehren des Klägers von der Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit sogenannter "Telefonwerbung" und damit von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts abhängt, der insbesondere wegen Fehlens einer einschlägigen Rechtsprechung des OGH erhebliche Bedeutung für die Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung zukommt (§ 502 Abs. 4 Z 1 ZPO).
Mit seinen Rechtsausführungen hat sich das OLG W - welches schon mehrfach im gleichen Sinn entschieden hatte (ÖBl. 1982, 157; 2 R 81/81; 4 R 88/82) - der in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Lehre und Rechtsprechung zur "Telefonwerbung" angeschlossen (siehe dazu insbesondere das Urteil des BGH BGHZ 54, 188 - Telefonwerbung; Baumbach - Hefermehl, Wettbewerbsrecht[14], 498 f. § 1 dUWG RN 54; Reimer, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht[4], II 224 RN 8; von Godin, Wettbewerbsrecht[2], 51 § 1 dUWG Anm. 72, 152 Anm. 224; gleicher Auffassung offenbar auch Koppensteiner, Wettbewerbsrecht 440 in FN 12) welcher die sogenannte "Telefonwerbung" ausdrücklich als Beispiel für "unerwünschtes Eindringen in die Privatsphäre der Umworbenen" anführt. Der OGH folgt dieser überzeugend begrundeten Rechtsauffassung; er kann daher zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen Urteils und auf die vom Berufungsgericht bezogene, oben angeführte Lehre und Rechtsprechung verweisen. Was dagegen in der Revision vorgebracht wird, ist nicht stichhältig. Die Beklagte meint, daß "Telefonwerbung" nicht schlechthin als unzulässig bezeichnet werden könne; ein Verstoß gegen § 1 UWG müsse jedenfalls dann verneint werden, wenn eine solche Form der Werbung - wie dies auch bei der Beklagten zutreffe - nicht aufdringlich und belästigend, sondern "dezent und höflich" betrieben und dabei jede Ausübung psychischen Abschlußzwanges vermieden werde. Demgegenüber hat aber bereits das Berufungsgericht zutreffend darauf verwiesen, daß schon der unerbetene Telefonanruf als solcher eine unzumutbare, mit den guten Sitten im Geschäftsverkehr nicht zu vereinbarende Belästigung des Angerufenen bedeutet; daß der Anrufer - was wohl selbstverständlich ist - bei diesem Gespräch höflich auftritt, kann daran nichts ändern, wird doch der Grad der Belästigung der angerufenen Person dadurch in keiner Weise verringert (so ausdrücklich das oben zitierte Urteil des BGH; im gleichen Sinn auch Baumbach - Hefermehl aaO).
Für die Beklagte ist aber auch mit der mehrfachen Bezugnahme auf die - ihrer Meinung nach wesentlich aufdringlichere - "Haustürwerbung" nichts gewonnen. Ob unerbetene Hausbesuche von ambulanten Händlern oder Vertretern wettbewerbswidrig sind oder nicht, kann nicht allgemein, sondern nur unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles beurteilt werden (siehe dazu Baumbach - Hefermehl aaO 504 ff. RN 61 ff.); der Versuch der Beklagten, daraus auch die grundsätzliche Zulässigkeit der hier beanstandeten "Telefonwerbung" abzuleiten, muß aber schon an der Verschiedenheit dieser beiden Werbemethoden scheitern, welche einen solchen allgemeinen Vergleich nicht zuläßt (so auch der BGH in seiner mehrfach erwähnten Entscheidung; vgl. ferner Hofmann, Telefonwerbung: Nicht nur lästig, sondern unlauter, WRP 1970, 8 f.).
Zusammenfassend kommt daher auch der OGH zu dem Ergebnis, daß die Vorinstanzen dem Unterlassungsbegehren des Klägers mit Recht stattgegeben haben. Auf die Rechtsausführungen der Revision zur Frage der Urteilsveröffentlichung ist nicht weiter einzugehen, weil eine nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässige Revision, wie sie auch diesmal vorliegt, gemäß § 503 Abs. 2 ZPO nur insoweit begehrt werden kann, als das Urteil des Berufungsgerichtes auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes oder des Verfahrensrechtes beruht, der iS der erstangeführten Gesetzesstelle erhebliche Bedeutung zukommt; das trifft aber für die Frage, ob und in welchem Umfang eine Veröffentlichung des Urteils nach den Umständen des vorliegenden Falles zur Aufklärung des Publikums geboten ist, nicht zu.
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