Normen
Handelsvertretergesetz §25
Handelsvertretergesetz §25
Spruch:
Zum Begriff der "Zuführung von Kunden" iS des § 25 HVG
OGH 22. 6. 1971, 4 Ob 31/71 (LG Linz 8 Cg 32/70; ArbG Linz 1 Cr 120/70)
Text
Der Kläger behauptet, daß er in der Zeit vom 5. 9. 1958 bis 31. 5. 1967 als selbständiger Handelsvertreter für die erstbeklagte Partei tätig gewesen sei, deren persönlich haftende Gesellschafter der Zweit- und Drittbeklagte seien. Er sei zumindest vorwiegend mit der Zuführung von Kunden beschäftigt gewesen und habe, da das Vertragsverhältnis ohne ein schuldbares Verhalten auf seiner Seite von der erstbeklagten Partei gelöst worden sei, Anspruch auf eine angemessene Entschädigung nach § 25 HVG. Er berechnet sie mit S
69.868.75 und begehrt die Bezahlung dieses Betrages. Er habe nämlich einerseits Kunden, die bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit als Handelsvertreter für die erstbeklagte Partei überhaupt noch nicht von dieser Waren bezogen habe, völlig neu geworben und der erstbeklagten Partei zugeführt, aber auch Kunden, die bisher bei der erstbeklagten Partei nur in ganz geringen Mengen Einkäufe getätigt haben, zu einer wesentlichen Erhöhung der Einkäufe veranlaßt, so daß der Umsatz um ein Mehrfaches gestiegen sei, und schließlich auch Kunden der erstbeklagten Partei, die bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit für sie nur bestimmte Artikel gekauft haben, zur Bestellung und zum Kauf völlig anderer Artikel neben den bisher bezogenen veranlaßt.
Die Beklagten behaupten, daß der Kläger weitaus überwiegend nicht mit der Zuführung von Kunden, sondern mit der Betreuung der bereits vorhandenen und ihm bekannt gegebenen Kunden der Erstbeklagten betraut gewesen sei; daher gebühre ihm keine Entschädigung nach § 25
HVG.
Das Erstgericht, an das die Rechtssache gemäß § 261 ZPO überwiesen worden war, wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest:
Der Kläger war vom 4. 9. 1958 bis 31. 5. 1967 als selbständiger Handelsvertreter für die Erstbeklagte im Gebiet Steiermark, Kärnten, Osttirol und südliches Burgenland - später auch nördliches Burgenland und Niederösterreich - tätig. Er erhielt eine nach der Höhe des Gesamtumsatzes gestaffelte Provision. Aufgabe des Klägers war es, bei den ihm von der Erstbeklagten namentlich bekannt gegebenen Kunden, mit denen diese bereits in Verbindung stand, Geschäfte abzuschließen und die Kunden zu betreuen, um auf diese Weise den Umsatz zu steigern und im Laufe der Zeit ein System von ständigen Händlerkäufen zu bewirken. Einen Auftrag, auch neue Kunden zu werben und der erstbeklagten Partei zuzuführen, hatte der Kläger nicht. Dem Kläger gelang es, den Umsatz bei den ihm von der Erstbeklagten bekanntgegebenen Kunden zum Teil erheblich zu steigern und daneben auch - ohne von der Erstbeklagten dazu beauftragt gewesen zu sein - neue Kunden für diese zu werben. Er hat insgesamt 72 Kunden der Erstbeklagten neu zugeführt. Davon haben nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses des Klägers mit der Erstbeklagten insgesamt 51 Kunden bei dieser nichts mehr bestellt, während 21 Kunden weiterhin mit ihr in Geschäftsverbindung stehen, so daß der erstbeklagten Partei aus dieser Geschäftsverbindung weiterhin Vorteile erwachsen. Im Zeitraum vom 5. 9. 1958 bis 31. 5. 1967 ergibt sich ein Gesamtumsatz der alten Kunden in der Höhe von S 13.285.729.- während der Gesamtumsatz der neu zugeführten Kunden in dieser Zeit S 8.332.518.- betrug. In der Zeit vom 1. 6. 1967 bis 31. 7. 1968 erreichten die Gesamtumsätze der alten, dem Kläger bekanntgegebenen Kunden S 2.089.961.- und die der neu zugeführten Kunden S 853.111.-. Insgesamt wurden dem Kläger etwa 90 Kunden übergeben, während nach seinem Ausscheiden insgesamt 65 Kunden, einschließlich der 21 neuen Kunden, verblieben; die übrigen schieden aus verschiedenen Gründen wie Tod, Aufgabe des Geschäftes uä aus. Von den 21 Kunden, die nach dem Ausscheiden des Klägers verblieben, hat dieser im Jahre 1959 8, im Jahre 1960 5 und während der übrigen Zeit seiner Tätigkeit jährlich 0 bis 2 Kunden geworben.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß als Zuführung von Kunden iS des § 25 HVG nur die Gewinnung solcher Kunden, die vorher noch in keiner Geschäftsverbindung mit der Erstbeklagten waren, verstanden werden könne, nicht aber auch die bloße Steigerung des Umsatzes oder die Veranlassung zum Bezug von bisher nicht von der Erstbeklagten gekauften Artikeln bei bereits vorhandenen Kunden. Da der Umsatz der neu zugeführten Kunden darnach sowohl in den einzelnen Jahren als auch während der Gesamtvertragsdauer bedeutend unter dem Umsatz der von der Erstbeklagten dem Kläger zur Betreuung zugewiesenen Kunden gelegen sei, könne nicht gesagt werden, daß der Kläger ausschließlich oder wenigstens vorwiegend mit der Zuführung von Kunden betraut gewesen sei; es gebühre ihm daher keine Entschädigung nach § 25 HVG.
Über Berufung des Klägers hob das Berufungsgericht nach Neudurchführung des Verfahrens gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, teilte aber dessen Rechtsansicht nicht. Es war vielmehr der Auffassung, daß unter Zuführung von Kunden nicht bloß die Werbung solcher Kunden zu verstehen sei, die bis dahin beim Geschäftsherrn überhaupt noch keine Waren bezogen, sondern auch die Bewirkung einer Umsatzsteigerung bei solchen Kunden, die bisher nur einen kleinen Teil ihres Bedarfes in den vom Geschäftsherrn angebotenen Waren bei diesem gedeckt haben und durch die Tätigkeit des Vertreters dessen Geschäftsherrn zum einzigen oder doch überwiegenden Lieferanten machten. Eine bloße Umsatzsteigerung ohne diese Voraussetzung genüge aber nicht, um von einer Zuführung einer Kunde sprechen zu können. Dagegen sei eine solche anzunehmen, wenn der Vertreter einen Kunden des Geschäftsherrn, der bisher seinen Bedarf an Waren, die auch dieser absetzen will, anderweitig eingedeckt hat, veranlaßt, diese Waren neben den schon früher vom Geschäftsherrn bezogenen auch von diesem zu kaufen. Nur wenn es sich um den Bezug neuer Waren handelte, die der Geschäftsherr bisher nicht führte, liege auch in diesem Fall eine Zuführung einer Kunde nicht vor. Das Berufungsgericht verwies darauf, daß zur Auslegung des Begriffes "Zuführung von Kunden" iS des § 25 HVG die Grundsätze herangezogen werden könnten, die von der deutschen Literatur und Rechtsprechung zum Begriff "Werbung eines neuen Kunden" iS des § 89b des deutschen HGB entwickelt wurde. Diese Begriffe seien nämlich inhaltlich gleichzusetzen; daß im HVG eine der Bestimmung des § 89 Abs 1 zweiter Satz HGB entsprechende Vorschrift, wonach der Werbung eines neuen Kunden die Erweiterung der Geschäftsverbindung mit einem Kunden in einem so wesentlichen Maße, daß dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden gleichstehe, fehle, stehe dem nicht entgegen. Ob der Handelsvertreter nach Inhalt des abgeschlossenen Vertrages ausdrücklich mit der Kundenzuführung betraut gewesen sei, sei nicht entscheidend; maßgeblich sei vielmehr, ob er tatsächlich dafür ausschließlich oder vorwiegend tätig gewesen sei. Es sei daher noch zu prüfen, wie weit der Kläger alte Kunden veranlaßte, ihre Umsätze so zu erweitern, daß die Erstbeklagte ihre einzige oder doch überwiegende Lieferantin geworden ist, und weiters, ob der Kläger Kunden veranlaßte, bisher anderweitig bezogene Waren nun bei der Erstbeklagten zu kaufen. Die daraus sich ergebenden Umsätze müßten als solche von "zugeführten" Kunden gewertet werden. Erst nach ihrer Feststellung könnte entschieden werden, ob der Kläger ausschließlich oder doch vorwiegend mit der Zuführung neuer Kunden beschäftigt war.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Anspruch auf eine Entschädigung nach § 25 HVG gebührt neben anderen - im vorliegenden Fall nicht strittigen - Voraussetzungen dann, wenn der Handelsvertreter ausschließlich oder doch vorwiegend mit der Zuführung von Kunden beschäftigt war. Dem entspricht im § 89b (deutschen) HGB die Bestimmung, daß eine Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, gegeben sein muß; diese Bestimmung wird durch § 89b Abs 1 zweiter Satz HGB dahin ergänzt, daß es der Werbung eines neuen Kunden gleichsteht, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, daß dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.
Nach beiden Bestimmungen ist zunächst wesentlich, daß der Handelsvertreter tatsächlich mit der Gewinnung neuer Kunden beschäftigt war; daß er vertraglich damit betraut war, ist weder erforderlich noch ausreichend. Entscheidend ist vielmehr, daß der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung zwischen der Kunde und seinem Geschäftsherrn eingeleitet hat (Linner, Recht der Handelsvertreter, ARD 1964, 18, Schlegelberger - Schröder HGB[4] I 838f, SZ 40/114).
Der Anspruch wird durch den vom Handelsvertreter erzielten Erfolg und die dem Geschäftsherrn daraus erwachsenen Vorteile, die zur Zeit der Lösung des Vertragsverhältnisses noch fortbestehen, begrundet. Es kommt daher nicht darauf an, welche Mühe und Zeit der Vertreter auf die Gewinnung der neuen Kunden verwendet und wie groß die Zahl dieser Kunden ist, sondern in welchem Verhältnis der Umsatz dieser zugeführten Kunden zum Umsatz der sonstigen (vom Geschäftsherrn zugewiesenen) Kunden steht (Linner, Handelsvertreter, SZ 40/114, HS I/2 36). Nur wenn der Umsatz der neu zugeführten Kunden jenen der zugewiesenen Kunden eindeutig übersteigt, ist die nach § 25 HVG erforderliche weitere Anspruchsvoraussetzung, daß der Handelsvertreter "ausschließlich oder vorwiegend" mit der Zuführung von Kunden beschäftigt war, erfüllt. Richtig ist, daß für den Anspruch nach § 89b HGB diese Voraussetzung nicht erforderlich ist. Aber auch dieser Anspruch steht nur dann zu, wenn ua der Unternehmer und nach Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Handelsvertreter aus einer Geschäftsverbindung erhebliche Vorteile hat, die mit Kunden bestehen, die dieser Handelsvertreter geworben hat. Die Werbung neuer Kunden im Sinn des § 89b HGB entspricht daher inhaltlich der Zuführung von Kunden nach § 25 HVG. Es kann daher grundsätzlich auch die Literatur und Rechtsprechung zu § 89b des (deutschen) HGB, soweit sie sich darauf bezieht, was unter "Werbung einer neuen Kunde" zu verstehen ist, zur Auslegung des Begriffes "Kundenzuführung" herangezogen werden. Nach Brüggemann (im GroßKomm HGB[3] 833) sind neue Kunden solche, mit denen der Unternehmer bisher noch nicht in Geschäftsverbindung gestanden ist, aber auch solche, deren frühere Geschäftsverbindung mit dem Unternehmer zum Erliegen gekommen war. Schröder (bei Schlegelberger[4] I 838f) verweist darauf, daß auch dann eine Werbung neuer Kunden anzunehmen sei, wenn es dem Handelsvertreter gelingt, den Kunden, der bereits früher mit dem Unternehmer Geschäftsbeziehungen unterhalten hat, zum Einkauf solcher vom Unternehmer vertriebener Waren zu veranlassen, die er bisher nicht oder nur im geringen Umfang bei diesem Unternehmer bezogen hat. Keine Werbung eines neuen Kunden bedeute es aber, wenn der Unternehmer bei gleichbleibender Branche seines Unternehmens neue, branchenzugehörige Waren in sein Fertigungs- oder Absatzprogramm aufnimmt und der Handelsvertreter bei den alten Kunden des Unternehmers diese neu aufgenommenen Waren neben oder an Stelle des alten Sortiments absetzt. Gelinge es aber dem Handelsvertreter, einen Kunden, der bisher seinen Bedarf an Waren, die auch der Unternehmer absetzen will, anderweitig eingedeckt hat, dazu zu veranlassen, diese Waren nun bei seinem Unternehmer zu kaufen, so sei der Kunde insoweit neu geworbener Kunde, als er diese Waren jetzt vom Unternehmer bezieht, mag er andere Waren auch schon früher von dem Unternehmer bezogen haben; es könne daher ein Kunde gleichzeitig alter und neuer Kunde sein.
Nach dieser zu billigenden Auffassung ist Werbung eines neuen Kunden nicht schon bei einer Umsatzsteigerung an sich gegeben, sondern nur, wenn sie deswegen eingetreten ist, weil der Kunde andere als bisher vom Unternehmer bezogene Waren, welche dieser aber auch schon bisher angeboten hatte, nun von ihm bezieht, oder weil ein bisheriger Gelegenheitskunde infolge der Einwirkung durch den Vertreter zur ständigen Kunde seines Geschäftsherrn wird. Es ist also nicht das Ausmaß der Umsatzsteigerung, sondern die Ausdehnung des Bezugsprogramms auf Waren außerhalb des bisher bezogenen Sortiments oder eine sonstige nicht bloß quantitative, sondern auch qualitative Vertiefung der Geschäftsbeziehung für die Beurteilung maßgebend, ob und in welchem Umfang ein Kunde als neu geworben anzusehen ist. Dahin ist es auch zu verstehen, wenn in der Entscheidung SZ 40/114 ausgesprochen wurde, daß Umsatzsteigerungen "bisweilen" der Werbung eines neuen Kunden gleichzustellen sind. Die Entscheidung HS I/2 36 betont zwar, daß ein Anspruch nach § 25 HAG (jetzt entsprechend § 25 HVG) nur dem Kundenzuführungsagenten, nicht auch jenem Agenten zusteht, der mit der vom Geschäftsherrn "zugewiesenen" Kundschaft Geschäfte zu vermitteln oder abzuschließen hat, sagt aber nichts darüber, was unter "Kundenzuführung" zu verstehen ist. Die Bestimmung des § 89b Abs 1 Satz 2 des deutschen HGB will die Vorschrift, wonach die Werbung eines neuen Kunden eine Voraussetzung für den Ausgleichsanspruch ist, ergänzen (Schlegelberger - Schröder aaO) und somit auf Fälle erweitern, in denen keine Werbung eines neuen Kunden nach § 89b Abs 1 erster Satz, aber eine wirtschaftlich bedeutsame Umsatzsteigerung vorliegt. Wäre jede Umsatzsteigerung ohne Rücksicht auf ihren Grund schon wegen ihres Ausmaßes als "Neuwerbung eines Kunden" zu werten gewesen, wäre diese ergänzende und zusätzliche Bestimmung zum vorangehenden ersten Satz § 89b Abs 1 HGB überflüssig. Da aber der österreichische Gesetzgeber eine solche Ausdehnung der Anspruchsvoraussetzung "Zuführung von Kunden" nicht vorgenommen hat, kann sie auch nicht dadurch herbeigeführt werden, daß Umsatzsteigerungen auch ohne die angeführten Voraussetzungen als Zuführung von Kunden beurteilt werden. Gegen eine zu weite Auslegung der Anspruchsvoraussetzung "Kundenzuführung" iS des § 25 HVG spricht auch, daß darnach die Anspruchsvoraussetzung strenger gehalten ist als die entsprechende Voraussetzung im § 89b des (deutschen) HGB, weil nicht bloß die Kundenzuführung an sich genügt, sondern erforderlich ist, daß der Handelsvertreter damit "ausschließlich oder vorwiegend" beschäftigt war. Wenn bei dieser Sachlage im § 89b des (deutschen) HGB eine ergänzende Bestimmung erforderlich war, um eine Umsatzsteigerung nur wegen ihres Ausmaßes ausdrücklich der Werbung eines neuen Kunden "wirtschaftlich" gleichzustellen, und diese Bestimmung bereits 1953 (durch Gesetz vom 6. 8. 1953 dBGBl I 771) als eine rechtspolitisch nicht unbestrittene und gegenüber dem aus, ländischen Recht weitgehend selbständige Regelung (vgl Neflin, NJW 1959, 2140) eingeführt wurde, im § 25 des (österreichischen) HVG, trotz der Änderung im Jahre 1960 (BGBl 153) aber eine solche Bestimmung nicht enthalten ist, muß daraus gefolgert werden, daß die von einer "Kundenzuführung" sprechen zu können. Eine solche ist vielmehr nur dann anzunehmen, wenn durch die Tätigkeit des Handelsvertreters Kunden gewonnen wurden, mit denen bisher keine Geschäftsverbindung zum Geschäftsherrn bestand oder deren Geschäftsverbindung abgebrochen war, oder wenn und soweit die bisherige Geschäftsbeziehung auf die bereits erwähnte Weise ausgeweitet wurde.
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