OGH 4Ob24/03p

OGH4Ob24/03p29.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf und Dr. Tittel, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Mag. Markus Hager und Mag. Hans Teuchtmann, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Kurt E*****, vertreten durch Mag. Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 4.713,21 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 1. Oktober 2002, GZ 6 R 211/02x-16, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Voitsberg vom 10. Juni 2002, GZ 2 C 37/02x-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben; dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin betreibt ein Callcenter. Sie nimmt den Beklagten, einen Investmentfondsberater, aus drei Rechnungen über insgesamt 4.964,37 EUR in Anspruch. Der Beklagte habe sie beauftragt, Telefonkontakte mit potentiellen Kunden herzustellen. Sie habe die vereinbarte Leistung ordnungsgemäß erbracht.

Der Beklagte beantragte Klageabweisung und wendete ein, er habe gemeinsam mit zwei weiteren Kooperationspartnern einer Investmentfondsberatungs GmbH die Idee entwickelt, sich durch ein Callcenter fertig vereinbarte Kundentermine mit bisher unbekannten potentiellen Kunden "herausfiltern" zu lassen. Die Klägerin habe den Auftrag erhalten, zunächst abzuklären, ob eine derartige, von ihr durchzuführende Anrufaktion rechtlich zulässig sei. Die Klägerin habe die Zulässigkeit der Anrufaktion bestätigt. Sie habe den Auftrag erhalten, nur Unternehmer herauszufiltern und anhand einer ihr übergebenen Checkliste auch Gesprächstermine zu vereinbaren. Die Klägerin habe den Beklagten zwar Listen über insgesamt 24 angeblich kontaktierte Interessenten übergeben, tatsächlich habe sie aber mit keiner einzigen dieser Personen einen Termin vereinbart. Kein einziger der Angerufenen habe zum verlangten Kundenkreis "Unternehmer" gehört. In Wahrheit habe die Klägerin Private, Angestellte und freiberuflich Tätige angerufen. Nach Beanstandung der Telefonaktion durch die Bundeswertpapieraufsichtsbehörde habe der Beklagte die Einstellung der Telefonanrufe veranlasst, um Wettbewerbsklagen zu vermeiden. Er mache Nichterfüllung, Gewährleistung und jeden anderen erdenklichen Rechtsgrund, insbesondere Nichtigkeit wegen Verkürzung über die Hälfte, geltend. Im Übrigen sei das Klagebegehren auch der Höhe nach nicht berechtigt. Die Klägerin habe ohne Notwendigkeit zwei Mitarbeiter-Pauschalbeträge geltend gemacht, obgleich ihre Leistungen auch von einem Mitarbeiter hätten durchgeführt werden können. Zudem habe sie nach eigenen Angaben Leistungen nur zwischen 18. und 29. 6. 2001 erbracht und dennoch zwei volle Pauschalbeträge verrechnet. Die angeblich "erreichten Kontakte" seien nicht einmal ansatzweise belegt. Eine Verrechnung für vereinbarte Termine stehe ihr überhaupt nicht zu, weil die Klägerin keinen einzigen Termin vereinbart habe. Sie habe auch die verrechneten Datensätze und Telefonkosten nicht belegt. Die Höhe der mit 9 % geltend gemachten Zinsen werde gleichfalls bestritten.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 4.713,21 EUR samt 5 % Zinsen seit 7. 9. 2001. Das darüber hinausgehende Klagebegehren (EUR 251,16 samt Anhang für vereinbarte Termine und das 5 % Zinsen übersteigende Zinsenbegehren) wies das Erstgericht rechtskräftig ab. Es stellte fest, der Beklagte habe gemeinsam mit zwei weiteren freien Mitarbeitern einer Investmentberatungsgesellschaft mbH der Klägerin den Auftrag erteilt, durch Telefonanrufe Adressen von Kunden (für spätere Kontakte der Beklagten) "herauszufiltern". Dabei sollten Geschäftsführer und Gewerbetreibende angesprochen werden, die die Möglichkeit zu einer Veranlagung hätten. Die Streitteile hätten von der rechtlichen Unzulässigkeit von Telefonumfragen unter Privatpersonen gewusst. Sie hätten daher vereinbart, offiziell eine Marktforschungsumfrage durchzuführen. Ein einvernehmlich festgelegter Gesprächsleitfaden habe die genauen Fragen mit Antwortvarianten schriftlich festgehalten, wobei in die Fragestellungen auch die Möglichkeit einer Terminvereinbarung für eine Investmentsfondsberatung hineinverpackt worden sei. Die Klägerin habe vereinbarungsgemäß Personen bzw Unternehmen kontaktiert und dem Beklagten die Namen jener Kontaktpersonen mitgeteilt, die Interesse gezeigt hätten. Fixe Termine habe sie nicht vereinbart. Der Beklagte habe die Telefonaktion unabhängig von der rechtlichen Lage aus internen organisatorischen Gründen eingestellt, weil schon genügend Termine vorhanden gewesen seien. Die Klägerin habe die von ihr erbrachte Leistung ordnungsgemäß in Rechnung gestellt. Von diesen Feststellungen ausgehend vertrat das Erstgericht rechtlich die Auffassung, die Klägerin habe die Leistungen - mit Ausnahme der Terminvereinbarungen - auftragsgemäß erbracht und vereinbarungsgemäß in Rechnung gestellt.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Es sprach - auf Antrag gemäß § 508 ZPO - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehle. Ohne auf die Beweisrüge der Berufung einzugehen, vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die Streitteile hätten eine Marktumfrage nur vorgetäuscht. Sie hätten tatsächlich gewollt und damit wirksam vereinbart, dass die Klägerin potentielle Kunden des Beklagten zu Zwecken einer Terminvereinbarung anrufe. Das vereinbarte Vorgehen sei nach § 101 TKG unzulässig. Diese Bestimmung bezwecke den Schutz der Privatsphäre. Unter den Begriff der Werbung im Sinn des § 101 Abs 1 TKG falle jede Maßnahme, die dazu diene, auf ein eigenes Bedürfnis und die Möglichkeit seiner Befriedigung hinzuweisen. Schon die Inanspruchnahme bestimmter Leistungen sei diesem Begriff zu unterstellen, so auch Anrufe, die der Herstellung eines ersten Kontakts zum potentiellen Kunden dienten und ihm den Namen des Unternehmens und die von ihm angebotenen Leistungen bekanntmachten. Rechtsfolge des im vorliegenden Fall gesetzwidrigen Vorgehens sei die Nichtigkeit. Diese sei - auch ohne dass sich der Beklagte darauf berufe - von Amts wegen wahrzunehmen, weil sich die gesamte von der Klägerin entfaltete Tätigkeit gegen den Schutzzweck der verletzten Bestimmung richte.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Gemäß § 101 TKG sind Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers unzulässig. Die Rechtsprechung legt den Begriff des Anrufs zu Werbezwecken aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre weit aus und erfasst darunter auch Anrufe, die dazu dienen, einen erstmaligen Kontakt zu potentiellen Kunden herzustellen und ihre Zustimmung zu einem (späteren) telefonischen Werbegespräch einzuholen (ÖBl 2000, 68 - Telefonwerbung III; ÖBl 2001, 107 - Telehost).

Dass eine Vereinbarung gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, bedeutet aber nicht, dass sie absolut oder auch nur relativ nichtig sein muss. Die Gesetzwidrigkeit einer Vereinbarung zieht nämlich nicht zwangsläufig die Nichtigkeit oder Rechtsunwirksamkeit des abgeschlossenen Geschäfts nach sich. Welche Auswirkungen die Verletzung einer Verbotsnorm nach sich zieht, richtet sich vielmehr nach dem Zweck der verletzten Norm (Krejci in Rummel ABGB³ § 879 Rz 247 mwN). Die dennoch abgeschlossene Vereinbarung ist nur dann mit einer von Amts wegen aufzugreifenden Nichtigkeit behaftet, wenn es der Verbotszweck der verletzten Norm gebietet, dass sich jedermann auf die Rechtsunwirksamkeit des Vertrags berufen kann (Krejci aaO Rz 248 mwN). Die strenge Rechtsfolge der absoluten Nichtigkeit wird nur bei Verstößen gegen Gesetze bejaht, die dem Schutz von Allgemeininteressen oder der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dienen (SZ 63/72; Krejci aaO Rz 248).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. § 101 TKG verbietet Anrufe zu Werbezwecken ohne vorherige Einwilligung des Teilnehmers. Den Gesetzesmaterialien ist zu entnehmen, dass sich diese Bestimmung an den Zielsetzungen der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 12. 1997 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre im Bereich der Telekommunikation (RL 97/66/EG , ABl L 024 vom 30. 1. 1998 (im Folgenden TK-Datenschutz RL) orientiert (vgl Glas/Varzian, Handbuch Telekommunikationsrecht 204 FN 466 und § 101 FN 531; ÖBl 2000, 68 - Telefonwerbung III). Die TK-Datenschutz RL detailliert und ergänzt ihrerseits die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 10. 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (RL 95/46/EG , ABl L 281 vom 23. 11. 1995) im Hinblick auf die besonderen Zwecke im Bereich der Telekommunikation. Vorrangiges Ziel beider Richtlinien ist der Schutz der Grundrechte und -freiheiten natürlicher Personen, insbesondere ihr Recht auf Achtung der Privatsphäre. Auch der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass § 101 TKG dem Schutz der Privatsphäre des angerufenen Teilnehmers dient und dessen subjektives Recht begründet, unzulässige Anrufe zu untersagen (ÖBl 1999, 248 - Telefaxinseratewerbung; ÖBl 2000, 68 - Telefonwerbung III; ÖBl 2001, 107 - Telehost; RIS-Justiz RS0111973 und RS0111965).

Vom Schutzzweck des § 101 TKG hingegen nicht erfasst ist derjenige, auf dessen Veranlassung oder Auftrag der unzulässige Anruf erfolgte. Mag auch die zwischen den Streitteilen vereinbarte Vorgangsweise nach § 101 TKG verboten sein, so führt dies keineswegs zur Nichtigkeit oder Unwirksamkeit der Vereinbarung. Die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung - sollte sie auch gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen - leidet daher weder an einer von Amts wegen wahrzunehmenden (absoluten) Nichtigkeit, noch könnte sich der Beklagte auf ihre (relative) Nichtigkeit berufen. Im Übrigen hat der Beklagte eine Nichtigkeit der Vereinbarung wegen Verstoßes gegen § 101 TKG im Verfahren erster Instanz gar nicht geltend gemacht.

Der Beklagte hat daher die Dienstleistungen der Klägerin insoweit zu ersetzen, als sie vereinbarungsgemäß und mängelfrei erbracht und der Vereinbarung entsprechend verrechnet wurden. Der Beklagte hat Mängel bis hin zur Unbrauchbarkeit der Leistung geltend gemacht und Einwendungen auch gegen die Höhe des verlangten Entgelts erhoben. Das Erstgericht hat dazu festgestellt, die Klägerin habe "Personen bzw Firmen" kontaktiert und dem Beklagten die Namen derer mitgeteilt, die Interesse gezeigt bzw einen Termin gewollt hätten. Sie habe die geleistete Arbeiten ordnungsgemäß in Rechnung gestellt; der Beklagte habe die Aktion aus internen organisatorischen Gründen gestoppt.

Mit der dagegen erhobenen Beweisrüge des Beklagten hat sich das Berufungsgericht aus der - vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten - Überlegung nicht befasst, dass das Klagebegehren wegen Nichtigkeit der getroffenen Vereinbarung, somit aus rechtlichen Gründen ohnehin abzuweisen sei.

Das Berufungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren die Beweisrüge des Beklagten zu erledigen haben. Erst danach wird geklärt sein, ob die Klägerin die vom Beklagten erteilten Aufträge vereinbarungsgemäß ausführte und die erbrachten Leistungen der Vereinbarung entsprechend verrechnete.

Der Revision wird daher Folge gegeben, die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und diesem die Erledigung der Beweisrüge aufgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 und 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte